Videobilder als Irritation von Identität in David Lynchs LOST HIGHWAY
Insofern ist die Schizophrenie eine erkenntnistheoretisch außerordentlich bemerkenswerte und relevante Tatsache, weil eben, dass wir sie beobachten können, uns beweist, dass wir mit der üblichen, selbstverständlichen Unterstellung von in sich eindeutigem, ungebrochen zusammenhängendem, mit sich selbst identischen Bewusstsein eigentlich gar nicht operieren können. (Theodor W. Adorno)
Die Allgegenwart medialer Technologien hat in den vergangenen Jahrzehnten neben den bekannten Diskussionen um die Gefahren, die aus solchen Entwicklungen für Erziehung, persönliche Freiheit und Privatsphäre entstehen, vor allem zu erheblichen Zweifeln an der als überholt empfundenen klaren Trennung zwischen Realität und Darstellung, zwischen der Wirklichkeit und ihrer medialen Inszenierung geführt. Ereignisse, das ist eine wesentliche Entdeckung von Postmoderne und Poststrukturalismus, existieren nicht unabhängig von ihrer Darstellbarkeit, sind vielmehr auf diese angewiesen, um Elemente eines globalen wahrheitsbildenden Diskurses sein zu können. Realität und Abbildung verschmelzen deshalb – zumindest in der Philosophie Baudrillards – zu einer den Gegensatz nivellierenden virtuellen Realität, zu einer Simulation, die die Realität nicht länger verdeckt, sondern komplett ersetzt. Es scheint, als hätten Wirklichkeit und Abbild die Reihenfolge vertauscht: Die Medien, ihre stetige und ubiquitäre Überwachung von allem und jedem, erlangen konstitutive Bedeutung für das Abgebildete – für die Realität in ihrer Gesamtheit und für das Subjekt im besonderen.
Wo sich der Gegensatz von Schein und Sein verflüchtigt, wo das Wesen der Dinge, das über Jahrtausende "hinter" ihrer Fassade vermutet wurde, mit der sichtbaren Oberfläche auf einmal zusammenfällt, geraten die Grundlagen der menschlichen Identität in die Krise. Individualität und Psyche werden fragwürdig, entlarven sich als Diskurse, als millionenfach reproduzierte Prägmuster, als Werkzeuge der Macht. Die Psychologie, die im 20. Jahrhundert die Mission der Befreiung des Menschen übernahm, scheint auf einmal auf bröckeligem Fundament zu stehen, da sie mit der Unterscheidung von äußerlich Sichtbarem und unbewusst Verborgenem einen überholten Wahrheitsbegriff reproduziert. Was die Psychologie Neurose nannte, eben die Untrennbarkeit von Welt und Ich, wird in der postmodernen Philosophie wie im postmodernen Kino zur neuen Normalität; die autarke Identität des Subjekts hingegen entlarvt sich zunehmend als unhaltbare Fiktion, die der Absicherung eines herrschenden Diskurses dient, indem sie das Inkommensurable pathologisiert.
Auf der anderen Seite ist die Funktionsweise des Kinos selbst wesentlich psychologisch. Der Konflikt zwischen den klassischen narrativen Mustern, die mehr sind als bloße Konventionen, da sie die ganze Funktionsweise des Mediums konstituieren, und der Krise ihrer Grundlage verlangt nach erzählerischen Experimenten, die eine neue Art des Films vorbereiten. David Lynchs LOST HIGHWAY (USA / F 1997) ist solch ein Experiment, das sich bewusst den Veränderungen der Mediengesellschaft stellt.
Zeichnet sich das 20. Jahrhundert auf der einen Seite in Philosophie und Literatur durch eine "Krise des Subjekts" als Zugrundeliegendes, als souveräner Ausgangspunkt von Wahrheit aus, so ist es auf der anderen Seite eben dieses cartesianische Subjekt, das innerhalb der Populärkultur und besonders im Mainstream-Film immer von neuem beschworen wird. Für den klassischen Hollywood-Film ist der handelnde Charakter konstitutiv (Bordwell/Thompson 1996, 94): Es sind Personen, die das Geschehen des Films in Gang bringen und auf deren Aktionen die Darstellung der diegetischen Welt ausgerichtet ist. Der Tradition des europäischen Bildungsromans folgend wird dabei die Geschichte der Identitätsbildung des Helden erzählt, der die existentiellen Bedrohungen aus eigener Kraft lösen muss, um am Ende – neben dem Sieg über die Gefahr – den Preis der Selbstfindung nach Hause zu tragen. Für den Zuschauer, dessen Zugang zur Handlung über die Identifikation mit dem Helden hergestellt wird, wird dieser Prozess der Entwicklung einer einzigartigen Identität zur idealen Spiegelung seiner eigenen Ich-Suche:
"Der Archetypus des Helden steht für die Suche des Ich nach Identität und Ganzheit. [...] Eine Geschichte lädt uns dazu ein, eine Zeitlang einen Teil unserer eigenen Identität in den Helden zu investieren. Auf gewisse Weise werden wir damit für die Dauer des Films selbst zum Helden" (Vogler 1997: 66f).
Das klassische Kino verfolgt das Ziel der Bestätigung der Identität doch nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern auch vermittels seiner bruchlos illusorischen Präsentation. Indem es die Konzepte der Weltauffassung, die "Weisen der Welterzeugung" des Zuschauers reproduziert, bemüht es sich um Übereinstimmung. Wie Deleuze zu zeigen versucht, erzeugt das Bewegungs-Bild des klassischen Kinos eine einheitliche Welt, "die aus 'rationalen Schnitten' zwischen den Einstellungen hergestellt wird" und, indem es sich "auf sensomotorische Schemata stützt [...], dank einer Kontinuität zwischen Aktion und Reaktion eine organische Beziehung zwischen den einzelnen Teilen und dem 'Ganzen'" (Bellour 1997: 43) zu stiften in der Lage ist. Die Radikalität der Deleuzeschen Kinotheorie besteht dabei darin, diese Schaffung eines Ganzen mit der Konstituierung von Welt und Subjekt in eins zu setzen.
Grundlage der Kinotheorie von Deleuze ist eine radikale Infragestellung der semiotischen Auffassung von Bildern als Symbolen oder Zeichen, die etwas abbilden, für etwas stehen. Mit Bergson setzt Deleuze dem eine Ontologie der Bilder entgegen, die jedes Sein als bildliches Sein identifiziert. Bilder sind also nicht länger Bilder von etwas, sondern jedes Etwas ist von vornherein aufzufassen als Bild. Ebenso ist Bewusstsein als das Sich-ein-Bild-Machen – laut Bergson und Deleuze – nicht länger "Bewusstsein von etwas", sondern ist dieses Etwas selbst, "es fällt mit der Sache zusammen" (Deleuze 1997: 90).
Neben der Bildlichkeit ist der zweite entscheidende Aspekt der Konstituierung von Welt und Subjekt die Bewegung. Deleuze spricht hier von "zwei komplementären Voraussetzungen", die exakt den beiden zentralen Momenten des kinematographischen Verfahrens entsprechen:
"Momentschnitte, die Bilder genannt werden; eine Bewegung oder eine unpersönliche, einheitliche, abstrakte, unsichtbare oder nicht wahrnehmbare Zeit, die 'im' Apparat ist und 'mit' der man Bilder vorbeiziehen lässt" (Deleuze 1997: 14).
Bild und Bewegung, die kinematographischen Prinzipien, sind daher voneinander untrennbar, fallen für Deleuze letztendlich in eins. Aus diesem Grund kann Deleuze, sich weiterhin auf Bergson beziehend, das Verhältnis von Philosophie und Film umdrehen und den Film vom "Objekt" der Theorie zum Grundprinzip menschlichen Weltbezugs aufwerten:
"Soll das heißen, dass – Bergson zufolge – der Film lediglich die Projektion, die Reproduktion einer konstanten, universellen Illusion ist? Dass man schon immer gefilmt hat, ohne es zu wissen?" (Deleuze 1997: 14).
Das Subjekt wird vor diesem Hintergrund nicht mehr als von der Welt der Erscheinungen getrennt begriffen, sondern als selbst nur bildlich konstituiert. Für Deleuze ist das Gehirn ein Bildschirm, auf dem die Bewegungs-Bilder den Inhalt dessen bestimmen, was subjektive Erfahrung genannt wird. Die individualisierende Leistung des Subjekts besteht dabei in der Selektion der Wahrnehmung, die aus der Unendlichkeit der Bilder einzelne "Frames" auswählt, eine spezifische Wahrnehmung vom allgemeinen Bilderfluss subtrahiert.
"Das Ding ist das Bild, wie es an sich ist, wie es sich auf alle anderen Bilder bezieht, deren Einwirkung es ganz und gar unterliegt und auf die es unmittelbar reagiert. Die Wahrnehmung des Dings ist das gleiche Bild, aber bezogen auf ein bestimmtes anderes Bild, von dem es begrenzt wird, dessen Wirkung es nur in begrenztem Maße aufnimmt und auf das es nur mittelbar reagiert. [...] Wir nehmen das Ding wahr unter Abzug dessen, was uns in bezug auf unsere Bedürfnisse nicht interessiert." (Deleuze 1997: 93).
Im Gegensatz zur diffusen Totalität der Wahrnehmung des reinen Bewegungsbildes ist die subjektive Wahrnehmung, die "man im eigentlichen Sinne Wahrnehmung nennt" (Deleuze 1997: 94), also eine einschränkende, die subtrahierend Sortierungen vornimmt. Sinn dieser Selektion ist die Vorbereitung der zweiten Seite der Wahrnehmung, der Aktion. Der fundamentale Zusammenhang sensorischer und motorischer Aspekte, das sensomotorische Schema, lässt die Wahrnehmung "bereits unter dem Aspekt der Aktion" (Deleuze 1997: 95) stattfinden. Wie die Wahrnehmung zunächst die Bewegungsbilder selektiv zu Objekten substantiviert, "die als Bewegungsträger oder als Bewegtes dienen, setzt die Aktion die Bewegung zu 'Handlungen' [...] in Beziehung, die einem vorgezeichneten Ziel oder einem vermuteten Resultat entsprechen" (Deleuze 1997: 96). Auf diese Weise wird Wahrnehmung normativ, setzt sich fest in der Reproduktion bestimmter Regeln.
Wahrnehmung und Aktion als Reiz und Reaktion sind die beiden Aspekte, die das geschlossene System konventionalisierter Welterschließung ausmachen. Obwohl das Potential des Bewegungs-Bildes über diese Konvention hinausweist, es die Möglichkeit der Wiedergabe der opaken, fragmentarischen Kontingenz der Welt durchaus besitzt, werden im Hollywood-Kino das regulierte Feedback-System des Reiz-Reaktions-Schemas reproduziert und damit die Bedingungen normierter Wahrnehmung aufrechterhalten.1 Indem alles Dargestellte der narrativ strukturierten Bewegung untergeordnet wird, einer Bewegung somit, die einer bestimmten "Ordnung des Sichtbaren" unterworfen ist, wird diese Ordnung für den Zuschauer bestätigt. Der Wahrheitseffekt, den das Bewegungs-Bild hervorruft, ist dabei gebunden an die Zentrierung der Wahrnehmung, somit an die Bindung an eine als Subjektivität aufgefasste Filterfunktion, die Illusion der Autarkie des Ichs als von dem Strom der Bilder getrennte, frei entscheidende Instanz.
Ist die Illusion intakter und ganzheitlicher Identität sowohl in filmischer wie narrativer Hinsicht Anliegen des Films, so ist es kaum verwunderlich, dass die Irritation dieser Identität seit frühester Zeit Thema des Kinos war. Darstellungen von Geisteskranken, von Menschen mit gestörter, "verrückter" Identität übervölkern das Kino seit seinen Anfängen und besetzen dabei innerhalb der Filmhandlung höchst unterschiedliche Funktionen. Eine der häufigsten ist die des Psychopathen als Antagonist, als gefährlicher, unberechenbarer und unmenschlich übermächtiger Psychopath – prototypisch der von Robert De Niro gespielte Max Cady in CAPE FEAR (USA 1991), Michael Myers in HALLOWEEN (USA 1978) oder, womöglich Vorbild von allen, Fritz Langs DR. MABUSE (USA 1922). Seit Lang und Hitchcock hat der Psychopath als Quelle einer irrationalen Gefährdung der symbolischen Ordnung, in der der Protagonist existiert, die verschiedensten Variationen erfahren (Wulff 1995: 51ff), doch bleibt das Grundmuster der Geschichte insofern gleich, als dass es die Aufgabe des Helden darstellt, die in Unordnung gebrachte symbolische Ordnung durch die Beseitigung der bedrohlichen Irritation wiederherzustellen und die Differenzerfahrung, die das Subjekt aus der Bahn seiner geordneten Existenz werfen könnte, zu bannen.
Eine klassische Variante dieser Wiederherstellung der symbolischen Ordnung bietet die psychologische Analyse am Ende des Films: Die Pathologie des besiegten Antagonisten wird von einem Fachmann erklärt, die tödliche Bedrohung in systematisierte Begrifflichkeiten gebracht und somit domestiziert – so zum Beispiel am Ende von PSYCHO (USA 1960). An solcher Konstellation, in der ein die symbolische Ordnung verkörpernder Held und ein die sicheren Grenzen der Identität bedrohender Irrer sich gegenüberstehen, lässt sich die diskursive Normierung, die der Opposition gesund-krank nach Foucault innewohnt, geradezu beispielhaft studieren: Die Herrschaft des vernünftigen Subjekts etabliert sich über den Wahnsinn als das andere der Vernunft, das erst ausgegrenzt und danach wissenschaftlich systematisiert wird (Foucault 1986). Auffallend ist an solchen "Analyse"-Filmen allerdings, dass die schlichtende Kraft der Erklärung am Schluss deutlich hinter der Faszination, die vom Psychopathen ausgeht, zurückbleibt. Auf den Punkt bringt das François Truffaut, der gegenüber Alfred Hitchcock bezüglich des Filmes REBECCA (USA 1940) gesteht (Truffaut 1973: 118):
"...in diesem Film geht die psychologische Situation über alles, und die erklärenden Szenen beachtet man kaum, eben weil sie die Situation im Grunde nicht verändern. Ich habe zum Beispiel bei den Erklärungen am Schluss nie genau zugehört."
Der Abweichung von der Norm wohnt die größere Faszination inne als ihrer Wiederherstellung, die die Analyse ihrer Gefährdung mit sich bringt. Das verweist auf eine ambivalente psychologische Tiefenstruktur, die nach Slavoj Zizek den meisten Hollywood-Filmen zugrunde liegt: Die symbolische Ordnung der diegetischen Filmwelt wird durch eine hinter ihr verborgene, verdrängte Sehnsucht, die Zizek als die Ebene des "obscene superego" bezeichnet (Zizek 2000: 5), erst konstituiert mit dem Zweck, die unterschwellige Faszination des Zuschauers am eigentlich Tabuisierten zu legitimieren, das auf einer zweiten Verständnisebene stets präsent bleibt. Der Disqualifizierung des gestörten Geisteskranken als Gefahr für die Menschheit wohnt die Faszination an seiner Unberechenbarkeit und Gewalttätigkeit, an seiner Andersartigkeit insgesamt inne – sie erst lässt den Diskurs der Psychologie mit seinen Normierungen und Pathologisierungen und seiner ganzen alltagsbestimmenden Macht entstehen. "Aus der Erfahrung der Unvernunft sind alle Psychologien, ist selbst die Möglichkeit der Psychologie geboren worden" (Foucault 1988: 207). So betrachtet, erscheinen der "Irre" und der "Normale" nicht länger als zwei verschiedene Figuren, sondern vielmehr als zwei Seiten derselben Person (und als zwei Seiten des Zuschauers, der sich mit ihnen identifiziert).
Diejenige Form der Identitätsirritation, die diese Verbundenheit von symbolischer Ordnung und psychopathologischem Chaos vor allen anderen deutlich werden lässt, ist im Film diejenige der gespaltenen Persönlichkeit, die besonders in Variationen des Motivs des Dr. Jekyll und Mr. Hyde auftaucht. Besonders in David Finchers Fight Club (USA 1999) wird das verstörende Potential deutlich, das der Darstellung gespaltener Persönlichkeiten innewohnt: Der Zuschauer, der sich auf scheinbar klassischem Weg mit dem Protagonisten des Films identifiziert, wird am Ende dazu gezwungen, nicht nur die diegetische Welt des Films, sondern auch seinen eigenen Zugang zu ihr komplett zu revidieren: Indem sich die beiden Handlungsträger, die sich im Fortgang des Films zunehmend zu Protagonist und Antagonist entwickeln, am Ende als ein und dieselbe Person herausstellen, wird ihm der doppelbödige Mechanismus der Identifikation offensichtlich, die keineswegs ausschließlich mit dem als klassischem Antihelden konzipierten Protagonisten stattgefunden hat, sondern, auf einer anderen Ebene, auch mit dessen anarchistischem Alter ego, einem charmanten, coolen und allgewaltigen Bakunin mit dem Aussehen Brad Pitts. Der Protagonist ist Verführer und Verführter in einem, die Quelle zum so befreiend wie zerstörerisch sich auswirkenden Anarchismus liegt nirgendwo außerhalb, sondern in der Person selbst, die sich von ihm faszinieren lässt. In Fight Club entdeckt sich der Zuschauer selbst als einen anderen, begreift die Gefährdung der Identität nicht als etwas Externalisiertes, sondern als ein seiner eigenen, brüchigen Konstruktion von Identität potentiell permanent Innewohnendes. Denn die Identität des Subjekts ist nicht, wie Slavoj Zizek (1998: 15) gezeigt hat, seine Apotheose im Sinne des Ausschlusses von Dezentriertheit und Differenz, sondern vielmehr deren Folge:
"Moderne Subjektivität hat nichts mit der Idee vom Menschen als der höchsten Kreatur in der 'großen Kette des Seins', als dem Schlusspunkt der Evolution des Universums, zu tun: moderne Subjektivität erscheint, wenn sich das Subjekt als 'aus den Fugen' erfährt, als ausgeschlossen aus der 'Ordnung der Dinge', aus der positiven Ordnung der Entitäten."
Eignet sich die gespaltene Persönlichkeit besonders als Motiv für die filmische Darstellung von Differenzerfahrungen, weil die "Verwandlung" einer Person in eine andere – in den Dr. Jekyll / Mr. Hyde-Adaptionen sowie in den verschiedenen Wehrwolf-Varianten sogar als physische Verwandlung Anlass für aufwendige Special Effects – den audiovisuellen Möglichkeiten des Mediums und der Protagonist-Antagonist-Konstellation des klassischen Erzählkinos besonders entspricht (Wulff 1995: 26f), ist die Darstellung psychopathologischer Zustände aus der "Innenperspektive", wie sie in Fight Club stattfindet, ein weitaus selteneres Phänomen. Das etablierte Visualisierungsverfahren des klassisch-narrativen Kinos besteht dabei laut Hans Jürgen Wulff (1995: 37) in der Verzerrung: "subjektive Kamera, surrealistische Spiegeleffekte und expressionistische Dekors" oder extreme Weitwinkelobjektive, die "den Eindruck einer räumlich deformierten Wahrnehmung" herstellen sollen, inszenieren die Psychopathologie als Hölle für den Verrückten – und als irreal, gemessen an der Logik des diegetischen Raums.
Dabei trägt nach Wulff spätestens seit den Filmen der 60er-Jahre die Gesellschaft die Schuld an der Erkrankung; die Darstellung von Psychopathologien in Spielfilmen dient daher zunehmend sozialkritischen Anliegen, die letztendlich der Gesellschaft die Krankheit diagnostizieren, nicht mehr dem Kranken selbst. Verrücktheit bekommt auf diese Weise den allegorischen Wert einer Rebellion zugewiesen:
"In der sogenannten Krankheit scheint der utopische Vorgriff auf Verhältnisse auf, in denen im Kontrast zur Gegenwart Entfremdung, Einsamkeit und Alltagszwänge aufgehoben sind." (Wulff 1995: 194)
Nach Wulff gibt es im Spielfilm demzufolge zwei Arten von Psychopathologien, die beide auf unterschiedliche Weise Hoffnung und Anspruch auf die Ganzheitlichkeit des Ichs aufrechterhalten: Die Krankheit als Bedrohung und als Rebellion der Identität. In beiden Fällen bleibt jedoch die Störung negativ konnotiert, ist, wenn schon nicht mehr Gefahr für die Menschheit, zumindest eine Tragödie im Sinne des Verlustes von authentischem Dasein, der nicht geschehen wäre, hätten die Umstände ihn nicht heraufbeschworen. Im Zusammenhang mit dem gesellschaftskritischen Anliegen bekommt diese Tragödie eine zusätzliche aporetische Dimension, da die kapitalistische Gesellschaft, der die Verstörung des Subjekts vorgeworfen wird, dieses selbst als Voraussetzung benötigt:
"Die Wohlstands- und Konsumgesellschaft suggeriert im Rahmen ihrer Philosophie die Stabilität der Person. [...] Das Brüchigwerden dieser Konstruktion der Wirklichkeit zeigt sich am Zerbrechen der Persönlichkeit. Gespaltene Identität ist das 'Normale' in einer seelenlosen Gesellschaft. [...] Die Warenwelt verdinglicht auch den Menschen und schafft damit erst die Vorraussetzung für die Krise der Identität." (Wulff 1995: 46)
Die zeit- und gesellschaftskritische Dimension, die der Darstellung identitätsgefährdender Psychopathologien innewohnt, findet neben der Verdinglichungsproblematik vor allem in der Reflexion von Medialität und Virtualität ihren Gegenstand. Mediensatiren wie Network (USA 1976: Sydney Lumet), die die entmenschlichte Huxleysche Manipulation der Wahrheit durch die allmächtig gewordenen Medienkonzerne kritisieren, aber auch die unzählbaren filmischen Darstellungen von Überwachungsszenarien, durch Video und Computer der vollkommenen Mediatisierung unterworfenen Welten, klagen die Gefährdung der Autarkie des Subjekts an und reklamieren ihre Instandsetzung. In Network sind Medialität und Psychopathologie direkt zueinander in bezug gesetzt: Verloren in den absurden Inszenierungen des allgegenwärtigen Fernsehsenders, wird nicht nur der Sprecher der Abendnachrichten verrückt, sondern mit ihm seine Sendung und mit dieser eine ganze Nation. Schon die erste Einstellung des Films deutet das Schicksal an, das der Film mit beißendem Sarkasmus vorführt: der Protagonist erscheint in verschiedenen Sendungen auf vier Fernsehmonitoren, die das ganze Bildfeld ausfüllen, während aus dem Off eine Stimme über den Werdegang seiner Quoten informiert. Es scheint, als sei die Existenz des Nachrichtensprechers Howard Beale auf sein Erscheinungsbild, auf sein "Video-Image" so stark reduziert, dass seine plötzliche Entlassung ihn verrückt werden lassen muss. Zum Schluss wird er von den Mitarbeitern der Medienanstalt ermordet, für die er seine ganze Existenz hingegeben hat, ohne Skrupel oder Pathos, nicht anders als eine Sendung, die abgesetzt wird.
Bei allem Zynismus bleibt jedoch auch in Network die Suche nach Wahrhaftigkeit der Motor der Handlung. Besteht zwar an der Unmöglichkeit einer Rettung Howard Beales kein Zweifel, so stellt sich dessen "Wahnsinn" jedoch gleichzeitig als Pervertierung durch die gesellschaftlichen Umstände dar, in denen er lebt. "Wahrheit" und "Identität" erscheinen aneinander gekoppelt; die Unmöglichkeit des einen bedeutet gleichzeitig auch den Verlust des anderen. Für Filme wie Network erscheint dabei die Irreversibilität dieses Verlustes als modernistisches Dilemma: Die Pervertierung des Subjektes ist so weit fortgeschritten, dass die notwendige Differenzierung zwischen wahrem Kern und verunstaltendem Ballast so unmöglich geworden ist wie die zwischen Wahrheit und Lüge innerhalb des medialen Quotenkriegs (Zima 1997: 297ff). Diese aporetische Ambivalenz macht die Tragödie des Verlustes der Authentizität und Wahrhaftigkeit aus, die das äußerste Extrem der Reflexion der Identitätsproblematik markiert, die im Hollywood-Film bislang möglich war. Die Fähigkeit des Menschen zu "authentischem" Ausdruck bleibt dabei gerade aufgrund ihrer Abwesenheit der Maßstab, an dem "gesunde" Identität gemessen wird, die so im Kontext des vorherrschenden westlich-individualistischen Diskurses mit der Vorstellung eines unverfälschten Kerns menschlichen Daseins assoziiert bleibt.
"Der Gedanke, dass sich menschliche Triebregungen nur in der Künstlichkeit sozialer Figurationen auf eine humane Art entfalten können, dass Künstlichkeit im Handeln, Denken und Träumen das lebendige Mittel ist, wodurch der Mensch als lebendiges Naturwesen mit sich selbst in Einklang steht, dass schließlich das Psychische sich im fremden Medium der symbolischen Ordnung verlieren muss, um zu sich zu gelangen, und die Individuen sich der sozialen Maskerade, der Zeremonien und Rituale bedienen müssen, um sich einen Freiheitsspielraum zu verschaffen – diese Denkfiguren bilden auch heute den äußersten Gegenpol zum Authentizitätsdenken." (Lethen 1996: 220)
Der Verlust jenes "absoluten Wertes" der Authentizität, den die Medialität als gebräuchliche Metonymie für "Künstlichkeit" und "Maskerade" zu verantworten hat, führt dabei, so sie sich nicht wiederherstellen lässt, in die pathologisch gezeichnete Identitätskrise. Der Zusammenhang wird direkt erfahrbar, wo Aufzeichnung und Selbsterfahrung miteinander kollidieren, wo also das Video- oder Fernsehbild, das Bild der medialen Kontrolle, seine Spiegelfunktion gegenüber dem Subjekt entfaltet.
Nach Jaques Lacan sind Bildhaftigkeit und Identität von jeher eng miteinander verknüpft. Das Ich des Kindes imaginiert sich im Spiegelstadium selbst als kohärente Entität: Konfrontiert mit dem 'Bild' eines eigenen, ganzheitlichen Selbst, "entwirft das Subjekt sein Ich als psychische Einheit." (Pagel 1999: 24) Selbsterkenntnis vollzieht sich somit als Projektion eines fiktiven Selbst-Bildes, ist insofern also ein Verkennen, durch das sich das Ich als "ein anderer" begreift. Zu diesem anderen entwickelt das Subjekt daher ein ambivalentes Verhältnis: Einerseits übernimmt dieses Ich-Imago die Rolle, die eigenen Unzulänglichkeiten zu kompensieren, indem es vom Subjekt als "Bild seiner Autonomie" antizipiert wird, andererseits erfährt es "gleichzeitig an der Differenz von fiktiv-imaginärer Einheit und faktischer Abhängigkeit eine Entfremdung" (Pagel 1999: 30f), die es in ein Konkurrenzverhältnis zum anderen stellt und eine Annäherung unmöglich werden lässt. Insofern ist jede menschliche Identität konstitutiv als schizophren aufzufassen, unterliegt sie doch der Spaltung der das ganze Leben immer erneut reproduzierten Spiegelungen, die nicht nur das Verhältnis des Subjekts zu sich selbst, sondern auch das zu den Mitmenschen prägt: "Wir sehen uns als ein anderer, und wir sehen uns selbst im anderen." (Krämer 2001: 208)
Indem das Videobild ein genaues Abbild einer Person erschaffen kann, das aber räumlich von seiner Referenz getrennt ist, wird dem so mit sich selbst konfrontierten Subjekt wie in Lacans Spiegel die eigene Doppelung vorgeführt. Der Effekt verstärkt sich jedoch, da das Videobild im Gegensatz zum Spiegelbild eine Doppelung der Person hervorruft, die sich von seinem Auftreten auch zeitlich unabhängig macht. Videobilder überleben die Situation, in der sie entstanden sind, und perpetuieren damit die Existenz "des anderen". So gilt jener Zersplitterungs-Effekt, den Barthes (1985: 21) als Identitätsirritation für das fotochemische Bild beschrieb, erst recht für das Videobild:
"Seltsam, dass man nicht an die kulturelle Störung gedacht hat, die dieser neue Vorgang bewirkt. [...] Denn die Photographie ist das Auftreten meiner selbst als eines anderen: eine durchtriebene Dissoziation des Bewusstseins von Identität."
Darüber hinaus ist die räumliche Trennung, die für die Differenzerfahrung des Spiegelbildes bei Lacan grundlegend wichtig ist, beim Videobild potenziert: Das Subjekt, das Objekt der Videoaufzeichnung wird, muss keineswegs notwendig im gleichen Moment das von ihm erzeugte Bild auch sehen können. Stattdessen ist die Übertragung des Bildes in Realzeit an jeden anderen Ort, zu jedem anderen Betrachter möglich – das Videobild wirkt deshalb nicht nur als Entfremdung des eigenen Selbst, sondern auch als Integration der Perspektive des anderen:
"Video erlaubt es erstmals, – anders als z.B. ein Spiegel – sich selbst so zu sehen, wie man von anderen gesehen wird. [...] Videoüberwachung kann aus diesem Grunde grundsätzlich in zwei Richtungen wirken, als Abspaltung im Sinne einer Trennung von Innen und Außen oder als Integration von 'Anderem/Eigenem' in das eigene Selbstbild." (Pauleit 2001)
Während also das Spiegelbild die Lacansche Metapher für das narzisstische Imaginäre darstellt, ist im Videobild die Möglichkeit einer Bezugnahme auf den Anderen (mit großem A), einer "Trennung von der identifikatorischen Umklammerung" angelegt (Pagel 1999: 62). Die Dialektik von Anderem und Eigenem geht dabei über das imaginäre Verhältnis des Spiegelstadiums insofern hinaus, dass in dem vom Subjekt als objektiv wahrgenommenen, weil von außen kommenden Blick, dem allgegenwärtigen 'gaze' im Unterschied zum libidinösen 'look', eine Anerkennung der eigenen Konstruktion von Identität stattfinden kann:
"Identity [...] necessitates the internalization of a series of things which are in the first instance external. [...] Lacan’s account of the mirror stage further elaborates this notion of an exteriority which is taken within the subject, first in the guise of it’s mirror image, subsequently in the form of parental imagoes, and later yet in the shape of a whole range of cultural representations, the moi becoming over time more and more explicitly dependent upon that which might be said to be ‘alien’ or ‘other’. What Lacan designates the ‘gaze’ also manifests itself initially within a space external to the subject, first through the mother’s look as it facilitates the ‘join’ of infant and mirror image, and later through all of the many other actual looks with which it is confused. (Silverman 1992: 126f)
Im 'gaze' zeigt sich etwa, wenn im Film das Videobild als Beweismaterial eingesetzt wird, das den Protagonisten über seine eigene Verwirrung aufklärt: So zum Beispiel in Fight Club, wo nur durch das Videobild der Überwachungskamera die imaginäre Projektion Tyler Durden – zumindest für den Zuschauer – als solche erkannt werden kann und die "wirkliche Realität" des mit sich selbst kämpfenden Protagonisten offenbar wird. Der diegetische Rahmen des Films, der in der radikalen Perspektive des Protagonisten verharrt, kann über diesen Umweg die Integration einer seinen Konstruktionsprinzipien ansonsten zuwiderlaufenden "Außenperspektive" legitimieren. Überhaupt dienen, wie Michaela Ott (2001) feststellt, Videobilder im klassischen Hollywoodfilm "in der Regel der Kontrolle und Beglaubigung des fiktiven Geschehens". Dort, wo sich die Darstellung von Video – zum Beispiel im Kontext der Überwachung – medienkritisch wendet, wird eben diese Objektivität allerdings wieder zur Gefahr der "Verdinglichung" des Einzelnen, seiner "Kontrolle und Konditionierung" und seiner Gefährdung durch die "vollständige Auslöschung seiner Person in einer Bildschirmexistenz." Der 'gaze' bedeutet so zwar einerseits die Integration in die symbolische Ordnung und damit, zumindest für Lacan, die Möglichkeit eines "wirklichen" Zugangs zum Anderen, andererseits aber – in seiner technisierten Form als Blick der Überwachungskamera – auch die Hingabe der Identität an eine entmenschlichte, anonyme Maschinerie, in der sich die eigene Menschlichkeit ebenso aufzulösen droht –
"nicht mehr dazu bestimmt, 'Fernsehzuschauer' zu werden – die Sache ist erledigt! –, sondern dazu, ein Film, eine Fernsehsendung zu werden, anders ausgedrückt: [...] die bewegungslose Abgeschiedenheit des Ortes, aller geographischen Orte, die aus jedem von uns den Teleakteur macht, den Bewohner einer Zeit, [...] der Realzeit, [...] die uns augenblicklich aus dem Raum verbannt, aus diesem sehr wirklichen Raum, der gestern noch das Innere vom Außen trennte, das Zentrum von der Peripherie. [...] Genau das ist die Kontrolle der Umwelt." (Virilio 1997: 60f)
Zwischen den Polen 'Entmenschlichung' und 'Integration' alternierend, steht das Videobild im Film für die Ambivalenz von Identitätsstiftung und Identitätsverlust. Das Videobild ist insofern vom Filmbild selbst deutlich unterschieden, als dass dem Filmbild nicht jene "Ekmnesie" innewohnt, die nach Barthes (1985: 128f) die Verrücktheit der Photographie (und, wie gezeigt wurde, des Videobildes in potentiell gesteigertem Maße) ausmacht:
"Der Film hat teil an der Zähmung der Photographie, zumindest der Spielfilm, eben jener, von dem behauptet wird, er sei die siebte Kunst; ein Film kann verrückt sein, sofern man Kunstgriffe gebraucht, er kann die kulturellen Zeichen der Verrücktheit vorführen, verrückt ist er niemals aus sich selbst (aus seinem ikonischen Prinzip); er ist einfach eine Illusion; seine Sehweise ist die des Traumes, nicht die der Ekmnesie."
Der Einsatz von Videobildern in Spielfilmen birgt insofern per se das Potential einer tiefgreifenden Irritation des narrativen Programms des Erzählkinos, als dass Videobilder – im Gegensatz zu Fotos – im Bewegungsmodus des Filmes selbst auftreten, sogar an seine Stelle treten können, dort aber von der bildästhetischen Wirkung her der der Filmbilder entgegenzuwirken in der Lage sind. Videobilder im Film bedeuten deshalb innerhalb des identifikatorischen Apparats des Kinos in gewissem Ausmaß das "Verrückt-Werden des Films an sich selbst." (Ott 2001)
Die Objektivität des fotochemischen wie des Video-Bildes ist die Objektivität des Scheins. Unbestechlich ist sie nur, insofern sie das Aussehen einer Sache, eines Menschen wiedergibt, nicht bezüglich der Wahrheit oder des Sinns, die hinter der Oberfläche vermutet werden. Wenn der Fotograf Thomas in BLOW UP (UK 1966) beginnt, seine Fotos zu entwickeln und Ausschnitte zu vergrößern, um herauszufinden, was im Park geschehen ist, werden die Bilder immer uneindeutiger, je kleiner er den Ausschnitt wählt. Der Mord, den er schließlich erahnt, ist wenig mehr als ein Schemen – und löst sich im Fortgang der Handlung schließlich auf, als hätte es ihn nie gegeben. Der wahrhaftige Sinn bleibt verborgen, das einzig Zugängliche bleibt das Bild, hinter dem kein tieferer Sinn versteckt ist, sondern nichts weiter als ein anderes Bild (Rohdie 1990: 1ff).
"Wir befinden uns niemals in realer Gegenwart des Objekts. Zwischen der Realität und ihrem Bild ist der Tausch unmöglich, es gibt bestenfalls eine figurative Korrelation. Die 'reine' Realität – wenn es so etwas gibt – bleibt eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. Und das Photo ist ebenfalls eine an die reine Realität gerichtete Frage, eine an den / das Andere(n) gerichtete Frage, die keine Antwort erwartet." (Baudrillard 2000: 194)
Auch das Subjekt wird durch den 'gaze' der Kamera auf sein sichtbares Erscheinungsbild festgelegt, das, ebenso wie im Spiegelstadium, seine Vorstellung von Identität konstituiert. Mit Lacan wird der Gegensatz von Maske und Wesen hinfällig, Psyche und Inszenierung fallen in eins, der Gegensatz von "äußerer" Kultur und "innerem" Seelenleben, der die Verbindung beider als "Einfluss" des ersten auf das zweite denkt, wird nivelliert.2 Damit ist die "Dezentrierung" des Subjekts eingeleitet, dessen wahrer Kern nicht mehr ein abgeschlossenes Inneres darstellt, sondern gerade das Gegenteil: ein sprachlich strukturiertes, allgemeines und zielloses Begehren.
Der 'gaze' ist aus der Perspektive des Subjekts ein objektiver Blick, denn die imaginäre Selbst-Setzung des Ichs ist nur möglich unter dem bestätigenden 'gaze' des symbolischen Anderen (Silverman 1992: 150ff). Tatsächlich ist er weniger ein Blick, als ein Effekt für das Subjekt, von dem es "abhängt in dem ihm wesentlichen Schwanken" des imaginären Phantasmas (Lacan 1987: 89). Gerade durch die Anonymität der Kamera zeigt er sich als losgelöst vom menschlichen Auge. Als 'festlegender' Blick des Anderen erweist sich der 'gaze' als Bestätigung der Identität durch die symbolischen Ordnung, die er dabei gleichzeitig als unhintergehbare Realität festlegt.
"The gaze confirms and sustains the subject’s identity, but it is not responsible for the form which that identity assumes; it is merely the imaginary apparatus through which light is projected onto the subject, as Lacan suggests when he compares it to a camera." (Silverman 1992: 145)
Eben jene "Form", der "Screen", der die Grenzen der Möglichkeiten aufzeigt, innerhalb derer sich das Image der Identität ausbilden kann, markiert die ideologischen Schranken der herrschenden symbolischen Ordnung. Das klassische Hollywood-Kino bestätigt diese Schranken, indem es ihre absolute "Objektivität" vortäuscht und den "gaze" der Kamera mit dem "look" des männlichen Protagonisten synchronisiert:
"classic cinema equates the exemplary male subject with the gaze, and locates the male eye on the side of authority and the law even when it is also a carrier of desire. [...] The male character who is placed most emphatically on the side of desire is also the director of the film within the film." (Silverman 1992: 131)
Was der Film uns zeigt, ist nicht die "reine Realität", sondern immer ihre Inszenierung, immer nur der "Screen", auf dem die Bilder entstehen, die der phantasmatischen Selbstdefinition des Egos kommensurabel sind. Während der 'gaze' anonyme und allgegenwärtige Grundvoraussetzung jedes gesellschaftlichen Seins ist, setzt der 'Screen' der symbolischen Ordnung die Grenzen, innerhalb derer sich Identitätsbildung vollzieht. Erst durch den 'gaze' des Anderen macht die Ich-Ausbildung Sinn – das gilt für jedwede Form gesellschaftlichen Seins –, doch unterliegt im konkreten Fall eben jene Selbstbildung den Bedingungen der symbolischen Ordnung, den innerhalb dieser gültigen Kategorien wie Rasse, Stand und Geschlecht, den fertigen "Images", die der persönlichen Ausdifferenzierung zur Verfügung stehen. Eben deshalb sieht Kaja Silverman (1992: 153) im Spiel mit diesen Klischees das revolutionäre Potential – und nicht mehr in der Destruktion des "männlichen" Blicks an sich:
"What must be demonstrated over and over again is that all subjects, male or female, rely for their identity upon their repertoire of culturally available images, and upon a gaze which, radically exceeding the libidinally look, is not theirs to deploy."
Im Gegensatz zu Laura Mulvey (1998: 407) verortet Silverman die ideologische Problematik des Kinos also nicht mehr in der "Männlichkeit" seines Blicks; den Weg hin zu einem neuen, die herrschende symbolische Ordnung infrage stellenden Film nicht mehr darin, "den voyeuristischen, skopophilistischen Blick an sich zu zerstören". Ein Film, der die ideologische Erstarrung des Mainstream-Kinos zu brechen in der Lage sein möchte, muss sich seine eigenen Klischees zu eigen machen, mit ihnen spielen, sie kreativ umwerten und so irritieren und zersetzen, was Laura Mulvey (1998: 392) als "die Befriedigung und die immer neue Bestätigung des Ego" bezeichnete, "wie sie die bisherige Filmgeschichte kennzeichnen".
Einer solchen Konzeption bleibt die Auffassung inhärent, dass Wahrnehmung in jedweder Form der Selektion, der Auswahl und damit der wertenden Einordnung in Kategorien unterliegt, dass Subjektivität in letzter Instanz, wie mit Deleuze gezeigt wurde, genau darin besteht. Eine Darstellung, die die Grundlage dieser symbolischen Ordnung irritieren will, kann also nicht dem "Schein", der "Lüge" dieser Ordnung Bilder der Wahrheit entgegenhalten, sondern muss aufmerksam machen auf die der symbolischen Ordnung zugrundeliegende Verzerrung, auf das "Reale". Dieses Reale beschreibt Zizek (1998: 92) als dasjenige, was unsere Sicht auf die Welt "beugt" und "verunreinigt", was die objektive Sicht der Dinge unmöglich macht. Damit bleibt es jedoch zwangsläufig der Wahrnehmung wie der Darstellung unzugänglich, ein "Fleck", der "das Reale für immer von den Wesen seiner Symbolisation separiert", weil es ihrer Konstitution immer schon immanent ist:
"Aufgrund seiner absoluten Immanenz zum Symbolischen kann das Reale nicht positiv bezeichnet werden, es kann nur in einer negativen Geste gezeigt werden als der inhärente Fehlschlag der Symbolisierung."
Silvermans Spiel mit dem "repertoire of culturally available images" ist so eine Geste, die auf das Reale verweist, ohne es direkt zeigen zu wollen. Nicht das Reale selbst, sondern die Löcher in der Realität, die Bruch- und Nahtstellen, an denen sich die Künstlichkeit der symbolischen Ordnung zeigt, mithin diese Ordnung selbst sich als nur scheinbar objektiv, naturgegeben oder unhintergehbar erweist, werden ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Als ein "anderer" Blick, der das traumatische Reale aus der symbolischen Ordnung herausfallen lässt, indem er eben das Loch, die Leerstelle innerhalb der Ordnung zeigt, kann in diesem Zusammenhang das Videobild als vom Filmbild konstitutiv unterschieden sein kritisches Potential zur Entfaltung bringen: So wird vermittels der "Ekmnesie" des "anderen" Blicks der Videokamera ein 'gaze' möglich, der nicht synchronisiert ist mit der genormten Wahrnehmung der Filmkamera, ein "unmöglicher Blick", der quer zu dem des Protagonisten und des Zuschauers verläuft und einen Bruch im perfekt synchronisierten Wahrnehmungsapparat des Films bedeutet, der schon ob seiner bloßen Existenz als Riss im Gefüge der Realität erscheinen muss. Ein solcher Blick kann den der Filmkamera, die die klassische symbolische Ordnung repräsentiert, zwar nicht, wie Mulvey es anstrebte, vollständig ablösen – dann würde er eine neue Form genormter Wahrnehmung repräsentieren –, sie jedoch unterbrechen und durch eine irritierende, "verrückte" Sicht auf die diegetische Fiktion des Films bloßlegen.
Der 'gaze' des Kameraobjektivs verliert somit nicht seine Neutralität, allein er bestätigt nicht mehr den herrschenden Diskurs, sondern zeigt ihn im Moment seines Scheiterns, entlarvt ihn als ein diffiziles Universum von Zeichen, ein paranoides Konstrukt, das nicht die Welt abbildet, wie sie ist, sondern sich um einen dem Blick unzugänglichen, "realen" traumatischen Kern organisiert. Die Realität erweist sich so als zweidimensionale Bilderwelt, aus deren unsichtbarer, weil dem frontalen Blick verborgener Tiefe durch einen "schrägen" Blick nun inkommensurable Zerrbilder des Realen visionär und beängstigend hervorbrechen können wie der Totenkopf aus Holbeins Gemälde.
Den Aussagen David Lynchs zufolge ist LOST HIGHWAY ein Film über eine Persönlichkeitsspaltung: Ein um seine Potenz besorgter Mann verdächtigt seine Frau der Untreue und ermordet sie. Die verdrängte Schuld führt in Identitätskrise und Realitätsverlust: Er imaginiert sich selbst als ein junges, potentes Alter ego, als welches er die Doppelgängerin seiner Frau "aus den Fängen eines üblen Konsortiums" befreien "und als Geschenk für die Rettung ihre komplementierende Liebe" erhalten will (Blanchet 1997). Angst und Schuld schleichen sich jedoch auch in diese hollywoodeske Traumrealität ein und lassen den Helden in dieser ebenso scheitern: Der Verrat der Untreue wird zwar durch den Mord am omnipotenten Urvater, dem Porno-Bonzen Mr. Eddy, gesühnt, der Verlust der Frau, die es zu besitzen galt, durch deren offen zutage tretende Polygamie und durch ihre überlegen-intrigante Ausnutzung ihrer Machtposition als begehrtes Objekt jedoch perpetuiert. Es ergibt sich also eine Interpretation, die zwei Realitätsebenen klar voneinander trennt: Der erste Teil entspräche dabei einer objektiven "Wirklichkeit", der zweite ihrer phantastischen Gegenwelt, die sich allein im Kopf des Protagonisten abspielt.
Der auffallende Unterschied zu herkömmlichen filmischen Darstellungen psychischer Pathologien besteht allerdings darin, dass bei Lynch die Persönlichkeitsspaltung zu keinem Zeitpunkt objektiviert oder distanziert wird, sondern durch den gesamten Film hindurch als diegetische Realität die einzige Bezugsebene für den nach Orientierung suchenden Zuschauer bleibt. Die Irritation entsteht dadurch, dass keine Rückversicherung einer "Normalität" die Pathologie zum Schluss als Pathologie erkennbar werden lässt. Die beiden Teile der Handlung stehen scheinbar gleichberechtigt nebeneinander und sind zudem so unauflöslich ineinander verwoben, dass eine Privilegierung des einen vor dem anderen ungerechtfertigt erscheint. So wird der Zuschauer in LOST HIGHWAY dazu gezwungen, die schizophrene Realität des Protagonisten zu akzeptieren und eben gerade auf die Unterscheidung zwischen subjektivem Irrtum des erkrankten Protagonisten und objektiver Realität Verzicht zu leisten:
"David Lynch zerstört das, was wir den cinematographischen Horizont nennen können, was nicht nur das Zurechtfinden im Newton-Kosmos, die lineare Konstruktion der Zeit, die Eindeutigkeit des Raumes und die Identität (das mit sich selber eins sein) der Person voraussetzt, sondern auch die Grammatik der Identifikationen. 'Schizophrenie' ist daher auch die Rationalisierung einer künstlerischen Methode, diesen Horizont zu überschreiten; der Mensch, der nicht einer ist, muss letztlich auch die Sprache und den Blick verändern und den cinematographischen Horizont zum Verschwinden bringen." (Seeßlen 1997: 201)
Durch die Selbstbezüglichkeit und die Zirkularität der Handlung, durch die fortgesetzt auf sich selbst zurückverweisenden Bilder und Symbole erscheint "die Konstruktion eines tatsächlich 'identischen' Punktes" (ebd.), die für die Darstellung einer schizophrenen Pathologie unabdingbar wäre, mit dem Fortgang des Films zunehmend unmöglich. Das Nebeneinander der beiden Handlungsabschnitte birgt darüber hinaus noch eine Erschütterung der etablierten Struktur der "inherent transgression", indem der zweite Teil der vermeintlichen Traumrealität als Hollywood-Szenario gezeichnet wird: Das Problem des Protagonisten ist externalisiert, er hat also, im Gegensatz zum ersten Teil, einen deutlich auszumachenden, mächtigen Antagonisten, Alice ist eine Neo-femme fatale (Zizek 2000: 9ff) und er selbst ein mutiger, junger Held. Die zwei Teile könnten auf diese Weise also nicht bloß als Realität und Phantasie, sondern auch als die zwei Ebenen der "inherent transgression" gelesen werden, doch
"instead of the standard opposition between hyper-realist idyllic surface and its nightmarish observe, we get the opposition of two horrors: the fantasmatic horror of the nightmarish noir universe of perverse sex, betrayal and murder, and the (perhaps much more unsettling) despair of our drab, 'alienated' daily life of impotence and distrust." (Zizek 2000: 13)
In LOST HIGHWAY ist also nicht allein die 'Identität' als grundlegende Eigenschaft jedes Protagonisten grundsätzlich infrage gestellt, sondern auch die damit verbundene psychologische und narrative Struktur, die 'Identifikation' des Zuschauers mit dem Protagonisten und der Handlung über den ambivalenten Mechanismus der "inherent transgression". Die beiden Realitätsebenen des Films sind nicht mehr hierarchisch als übergeordnete symbolische Ordnung und ihr zugrundeliegende, verdeckte und verdrängte Perversion inszeniert, sondern als Nebeneinander gleichberechtigter und gleichermaßen furchtbarer Welten des Horrors.
In beiden Teilen des Films ist Fred / Pete ein Protagonist des klassischen Hollywood-Kinos: im ersten Teil der "tragische" Antiheld, der sowohl die äußere Situation als auch seine "inneren Dämonen" nicht überwinden kann (Vogler 1997: 77), im zweiten ein aktiver, geradliniger Held, der sich in die Verwirrspiele des Noir-Universums verwickelt. Die Frau ist dabei für Pete wie für Fred gleichermaßen elementar: Fred hängt in seiner ganzen Existenz von seiner Ehe ab, und zwar in einem Maße, das jegliche Befriedigung durch seinen unbeherrschbaren Bedeutungsüberschuss verhindert, und Pete wird zum Opfer der undurchschaubaren Intriganz der 'femme fatale', die er nach seinem heldenhaften Einsatz zum Zwecke ihrer "Befreiung" nicht etwa "als Belohnung" gewinnt, sondern die sich ihm ganz im Gegenteil auf immer entzieht ("You’ll never have me!") und die, liest man Pete als autonome und kohärente Figur, seinen Untergang herbeiführt. Sowohl Fred als auch Pete bestimmen ihre Identität über Frauen als Spiegelbilder ihrer selbst, als bestätigende "Ergebnisse" ihrer eigenen Handlung, und geraten in dem Moment in die Identitätskrise, in dem die Bestätigung ausbleibt.
Während Pete und Fred als zwei unterschiedlich aussehende Versionen der selben Person aufgefasst werden können, sind Renee und Alice zwei gleich aussehende, aber unterschiedliche Frauen (Zizek 2000: 16). Dabei scheint die eine insofern das Gegenteil von der anderen zu sein, als Alice exakt jenen Befürchtungen entspricht, die Fred bezüglich Renee quälen. Der offensichtlich unbegründete Zweifel, den Fred gegenüber seiner Frau hegt, ist dabei dem Verhältnis, das er zu ihr hat, konstitutiv immanent: Das selbstbestätigende Imago, das er sich von seiner Frau entwirft, entspricht niemals der Wahrheit einer lebendigen Person, die potentiell aus der ihr aufgezwungenen Rolle immer auszubrechen in der Lage ist. Die Ehe zwischen Fred und Renee ist somit gezeichnet von der paranoiden Angst des Mannes, seiner Frau und damit seiner selbst verlustig zu gehen, von der trotz äußerster Nähe nicht zu überwindenden räumlichen Trennung, die sie als einen "anderen" immer wieder dem eigenen Zugriff entzogen erscheinen lässt.
Alice hingegen ist von Anfang an die Frau eines anderen, auf die Pete selbst zuzugreifen versucht, indem er den Mord an dem ursprünglichen "Besitzer" in die Wege leitet. Als Frau von Mr. Eddy zeigt Alice sich als so abenteuerlustig und polygam, wie Fred Renee sich vorstellte. Der Versuch der Domestizierung dieser "Seite" der Frau, die sich Fred entziehen musste, weil er immer nur der Betrogene sein konnte, und die sich Pete im ganzen Ausmaß zeigt, weil er selbst der ist, der dem Nebenbuhler Hörner aufsetzt, schlägt jedoch fehl, denn in der vollen Konsequenz, in der sie das paranoide Phantasma der untreuen Ehefrau erfüllt, bleibt sie jeglichem männlichem Zugriff, auch dem Petes, prinzipiell entzogen. Während Renee von Fred nicht vollkommen besessen werden kann, weil etwas von ihr notwendig von ihm getrennt bleiben muss, entzieht sich Alice prinzipiell dem Zugriff, dessen Unmöglichkeit sie einzig verkörpert. Die Annäherung kommt über die konstitutive Spaltung nicht hinweg, die die Idealisierung der Frau mit sich bringt; die Obsession des Mannes nach seinem Objekt des Begehrens, das eigentlich nichts anderes ist als das "objektale Korrelat des Subjekts" (Zizek 1998: 90), bleibt empirisch unerfüllbar:
"DIE Frau bezeichnet nichts Faktisches, sondern stellt einen leeren Platz in der Ökonomie der männlichen Phantasie dar, den eine empirische Frau zwar belegen, aber selbstverständlich niemals erfüllen kann. Hierin lässt sich unschwer der tödliche Aspekt auf Seiten des Empirischen erkennen. Nimmt eine Frau die phantasmatische Position ein, wird sie vom Mann auf die Ebene des sublimen Objekts gehoben, zieht dies unweigerlich die Bedrohung der fleischlichen Frau mit sich; respektive lässt sich die Transformation zu einem phantasmatischen Bild per se als eine Mortifikation der Frau in ihrer empirischen Existenz verstehen." (Blanchet 1997)
Das Objekt des männlichen Begehrens ist der wahren Annäherung verschlossen, da es sich um eine räumlich getrennte Projektion des Subjekts handelt. Die Aggression entsteht aufgrund der Unmöglichkeit der Annäherung und richtet sich gegen das widerspenstige Objekt: Fred bringt seine Frau um. Der zweite Teil des Films entspricht dann dem Versuch, den Vorfall zu verdrängen und zu sublimieren, wobei "Sublimierung [...] bei Lacan und Zizek die phantasmatische Erhaltung eines an sich bereits unmöglichen Wunschbildes" (ebd.) bezeichnet. Nach Blanchet bedeutet die Rückverwandlung Petes in Fred am Ende des Films, das Schließen des Kreislaufs, seine De-Sublimierung: Er erkennt, dass die Frau nicht existiert, dass sie nur eine Projektion seines eigenen Begehrens war. Das Haus, in dem sie verschwindet, verweist dabei auf den Kern der männlichen Identität, ist das "Heim", das das "Innerste" des Subjekts bezeichnet:
"Home is not displaced but rather doubly confirmed as both origin and *telos*. Home is understood as a place outside myth, a 'real' place." (Celeste 1997, Kap.: There is no place like home)
Das Innere dieses Hauses bleibt Fred / Pete unzugänglich, doch er begreift, dass Alice diesem "entäußerten" Inneren entsprungen ist, dass sie das phantasmatische Objekt seines Begehrens war, letztendlich also bloß ein Spiegelbild seiner selbst. Von diesem Spiegelbild jedoch hängt die Identität Fred / Petes letztendlich ab, und so bedeutet die Desublimierung für ihn nicht weniger als die Zerstörung seiner selbst:
"Wenn das Symptom verschwindet, verliert das Subjekt selbst den Boden unter den Füßen und löst sich auf." (Zizek 1995: 169)
Wenn am Ende das Haus abbrennt, das den Schlusspunkt der Suchbewegung markiert, so bedeutet das die Zerstörung jenes festen Punktes, von dem aus Identität gedacht werden muss. Das Objekt der Suche, die Frau, ist nur scheinbar ihr Ziel, denn in Wirklichkeit geht es um den Erhalt der Identität Freds, die sich aber im Verlauf des Films zunehmend als unhaltbar erweist. Der "Lost Highway" des Titels metaphorisiert diese modernistische Suche, die Freds Persönlichkeit spalten lässt und deren Ergebnis am Ende in der Zerstörung der Utopien besteht, die sie erreichen wollte:
"The classic American road narrative actually leads not to California but to a shattering moment of consciousness somewhere across the barren desert of adversity and solitude where a terrible truth emerges: that this is the road to nowhere.” (Celeste 1997)
In LOST HIGHWAY gibt es mehrere Stellen, in denen Videoaufzeichnungen thematisiert werden: die Abneigung Freds gegen Überwachungskameras in seinem Haus, die Videobänder, die in das Schlafzimmer der Madisons eindringen, die Pornofilme von Alice und das Auftauchen der Kamera selbst in den Händen des Mystery-Man. In jedem Fall zeigt sich das Video als Gefährdung der brüchig konstruierten Identität des Protagonisten, da es ihm einen Blick zugänglich macht, der das von dieser Konstruktion Ausgegrenzte ins Bewusstsein zurückholt. Freds Kameraaversion, sein Votum, sich an die Dinge lieber auf seine eigene Weise zu erinnern, zeigt deutlich die Notwendigkeit solcher Ausgrenzung und seine Angst vor einer Irritation seiner Identität durch inkommensurable Wahrheiten. Insofern das Reale als "Loch in der Realität" verstanden wird, "das sich dort auftut, wo die Symbolisierung versagt" (Blanchet 1997), hat er Angst vor jenem "unmöglichen" Blick, der ihm durch die Videokamera plötzlich ermöglicht werden könnte, einem Blick nicht nur auf das "tatsächliche" verdrängte Geschehen, sondern vor allem auf die seiner eigenen Wahrnehmung von Welt, seiner ganzen Subjektivität zugrunde liegende Verzerrung, der ihm die Erkenntnis liefern müsste, dass er nicht derjenige ist, für den er sich hält. LOST HIGHWAY erzählt die Geschichte eines Mannes, der mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die hermetisch abgeschlossene imaginäre Situation der Selbstspiegelung im 'objet a' der Frau, die im ersten Teil vorgeführt wird, gegen jeden äußeren Einfluss, jede Irritation zu verteidigen und der sich weigert, die sich beim Eintritt in die symbolische Ordnung notwendig auftuende "Lücke", die konstitutive Unvollständigkeit der eigenen Identität zu akzeptieren. Fred verweigert sich der symbolischen Ordnung, identifiziert sie im zweiten Teil des Films mit dem Antagonisten, den er umzubringen versuchen muss – im Auftrag der Frau, deren Bestätigung er behalten will. Der Eintritt in die symbolische Ordnung bringt die "Kastration" mit sich, die Trennung von der realen Einheit mit der Mutter und das von nun an stetig vorhandene, aber unerfüllbare Begehren nach ihrer Wiederherstellung.
"The 'strategy' of desire emerges as a result of the subjects separation from the real and the 'means' by which the subject tries to catch up with this real, lost unity again." (Herzogenrath 1999)
Das imaginäre Verhältnis Freds zu Renee soll diese Unmöglichkeit überwinden, soll die komplette Einheit wiederherstellen. Dazu ist der Akt der Verdrängung nötig, die Leugnung der Tatsache, dass die Frau, um die es Fred beschaffen ist, nur eine Projektion ist, und dass die "wirkliche" Frau ihm unzugänglich bleiben muss. Das Problem der Unzugänglichkeit löst Fred mit dem Mord an der realen Frau, das der phantasmatischen Projektion durch die Verdrängung dieses Mordes, wodurch die Fortexistenz DER Frau ermöglicht wird. Indem die Videobänder, die Fred in seinem Haus findet, diesen Mord zeigen, zeigen sie die Freds komplizierter Selbstlüge zugrundeliegende Verdrängung. Dabei ist es letztendlich egal, ob Fred seine Frau "tatsächlich" ermordet hat: Für ihn ist die Auslöschung der realen Renee notwendig, um sie weiterhin als Spiegelbild benutzen zu können. Die Videokamera ist hier also nicht nur ein Blick von außen, der die Sachverhältnisse mit objektiver Beweiskraft vorführt, sondern vielmehr ein Blick nach innen, ein Blick, der immer tiefer ins Innerste (Schlafzimmer) des "Heims" der Madisons, der eifersüchtig verteidigten Identität Freds eindringt. Wo ansonsten der 'gaze' der Kamera, ganz nach klassischem Muster, mit dem 'look' des Protagonisten harmonisiert wird, wird durch das Videobild ein zweiter 'gaze' eingeführt, der das Geschehen aus einer vollkommen anderen Perspektive zeigen kann und durch den der "Totenkopf", der bestialische Ausbruch des Realen, sichtbar wird. Die langsame Fahrt durch das Haus der Madisons bis zum Schlafzimmer kündigt den Perspektivwechsel an, darauf folgt der "durch die Bildstörung markierte" Sprung über die "verbotene Achse": Das Videobild zeigt direkt das "Reale", blickt in die Augen des Totenschädels. Das Reale zeigt sich bei Lynch "in seiner positiven präsymbolischen Existenz als eine 'abstoßende Lebenssubstanz des Genießens'" (Blanchet) und somit wiederum nicht nur als der animalische Kern Freds, sondern in allgemeiner Form auch als der des Zuschauers, der sich vom Kino nur zu gerne seine genormte Wahrnehmung der Realität bestätigen lassen würde, in dem stattdessen aber die Angst vor jenem namenlosen Grauen wachgerufen wird, das ihn als ständige unverstandene Bedrohung seiner selbst begleitet.
Der Zerstörung der ersten phantasmatischen Illusion durch die Videotapes folgt die Zerstörung der zweiten, sublimierten, durch die Erkenntnis, dass DIE Frau nur als Projektion des Mannes existiert und dass dieser Projektion des Begehrens die Unerreichbarkeit konstitutiv innewohnt. Wenn Alice auf einer überdimensionalen Leinwand als Pornoaktrice von einem anonymen, muskulös-animalischen Schwarzen von hinten genommen wird, dann wird dadurch "objektiv" sanktioniert, wovor jeder Mann in seinem Exklusivitätsverhältnis zu DER Frau notwendig permanent sich fürchten muss – dass sie nicht exklusiv für ihn da ist, dass das, was seine Besonderheit bestätigen, gewährleisten soll, in Wirklichkeit jedem Beliebigen zugänglich ist. Wieder ist das Videobild nur scheinbar ein Bild eines objektiven Blickes von außen, zeigt in Wirklichkeit die inneren Gegebenheiten Freds, ist der "unmögliche Blick" auf das Reale, das Freds Wahrnehmung beugt, schon während des ganzen ersten Teils gebeugt hat: die Ohnmacht des Mannes gegenüber der Frau, die er nie ganz besitzt, die sich ihm stetig entzieht. Auch aus diesem Grund befindet sich der Bildschirm wieder im Inneren eines Hauses, um das Pete herumschleicht wie um den Kirchturm des Friedhofes in dem Lied von Rammstein, das die Sequenz einleitet. Vor dem Hintergrund der Pornoleinwand begeht Pete den Mord im Auftrag von Alice, und vor ihr entlarvt sich Alice zum ersten Mal als berechnende, überlegene 'femme fatale', die für den Mann in dem Grade verhängnisvoll zu werden beginnt, in dem sich seine Abhängigkeit von ihr steigert.
Wie schon bei den Videotapes im ersten Teil, bleibt der "Kameramann", der die Aufnahmen gemacht hat, die "unmögliche" Institution jenes anderen Blicks, unsichtbar. Der Blick des Zuschauers, der den Film sieht, der Blick von Fred, der die Videobänder ansieht, und auch der Blick von Pete, der vor der Leinwand mit dem Pornofilm steht, bleiben die "klassischen" 'looks' auf den 'screen', auf dem sich das Geschehen abspielt. Doch auf diesem 'screen' zeigen sich die Bilder eines anderen Blicks, eines 'gaze', der nicht mehr die symbolische Ordnung bestätigt, sondern ihre inhärente Perversion zum Ausdruck bringt, der aus dem Wahrnehmungsmodus des Films herausfällt und Protagonist wie Zuschauer gleichermaßen irritieren muss. Der Rückfall Freds ins imaginäre Stadium – nach Lacan und Zizek verbunden mit dem Wunsch des Neurotikers nach dem Tod des Vaters, dessen Name nicht mehr akzeptiert wird – ist dabei auch Symptom eines allgemeinen Zweifels an der symbolischen Ordnung, die im ersten Teil gar nicht vorhanden scheint (Fred und Renee leben in einem weitgehend autarken Kosmos) und im zweiten vom Subjekt erst selbst entworfen werden muss, um dann bekämpft werden zu können. Mitnichten sind die Werte und Regeln der symbolischen Ordnung dazu in der Lage, die Ehekrise von Fred und Renee zu lösen. Im zweiten Teil erscheinen dann die Machtdemonstrationen von Mr. Eddy brutal und sinnlos, sein Anspruch auf die Frauen als ungerechtfertigt, er selbst zum Schluss, bei seiner Hinrichtung, nur noch als wimmernder, impotenter Lüstling. Die Pornos zeigen daher nicht bloß Freds Ängste vor dem Verlust der Frau an einen anderen, sondern auch das schmierige "wahre" Gesicht der symbolischen Ordnung:
"Eine Subjektkonstitution innerhalb der symbolischen Ordnung ist nur dann möglich und sinnvoll, wenn es sich um eine Ordnung handelt und nicht um einen Zerfallsprozess, in dem alle tradierten Normen in Bewegung geraten sind." (Zima 2000: 266)
Patricia Arquette sagte, LOST HIGHWAY sei ein Film über einen Mann, der so verkorkst sei, "dass sogar sein imaginäres Leben schief geht" (Rodley 1998: 310). Tatsächlich handelt der ganze Film vom imaginären Leben des Protagonisten, der im ersten Teil keine symbolische Ordnung mehr findet, die das Scheitern seines Narzissmus perpetuieren und damit erträglich machen würde, der im zweiten Teil aber trotz der Überwindung dieser Ordnung nicht in der Lage ist, seine imaginäre Befriedigung zurückzuerlangen, weil DIE Frau sich ihm weiterhin entzieht. Sein Zustand ist demzufolge keine Neurose, kein pathologischer Sonderfall, sondern die Aporie des Subjekts in einer Gesellschaft, deren symbolische Ordnung nicht mehr intakt ist.
Trotz dieses aporetischen Moments bedeutet die zirkuläre Struktur der Handlung nicht, dass LOST HIGHWAY einen unauflösbaren Kreislauf vorführt. Zwar wird Pete am Ende wieder zu Fred und kehrt zu seinem Haus und zum Ausgangspunkt der Handlung zurück, doch geht von dort aus die Handlung nicht einfach von vorne los: Indem er selbst zur Quelle der Nachricht geworden ist, die am Beginn des Films die mysteriösen Entwicklungen ins Rollen brachte, hat sich sein Verhältnis zu den Dingen grundlegend verändert.
"[D]o we not have here a situation like that in psychoanalysis, in which, at the beginning, the patient is troubled by some obscure, indecipherable, but insistent message (the symptom) which, as it were, bombards him from outside, and then, at the conclusion of the treatment, the patient is able to assume this message as his own, to pronounce it in the first person singular. The temporal loop that structure Lost Highway is thus the very loop of the psychoanalytic treatment in which, after a long detour, we return to our starting point from another perspective." (Zizek 2000: 16)
Die Veränderungen hängen, wie gezeigt wurde, eng zusammen mit den inkommensurablen Videobildern, die zunächst anonym in die Wirklichkeit Freds eintreten. Die zweite auffällige Instanz der Irritation ist der Mystery-Man, der gegen Ende des Films eindeutig als der Träger der Videokamera identifiziert wird. Obwohl offenkundig an Fred gekoppelt ("You invited me!"), ist der Mystery-Man die reine Verkörperung des Inkommensurablen, die Zerstörung der Weltlogik, in der Fred sich eingerichtet hat. Er verwischt die Grenzen zwischen Personen und hebt raumzeitliche Schranken auf, indem er an zwei Orten gleichzeitig auftaucht.
"He exceeds the constraints of temporality and spatiality, moving from past to present, from subject to subject, and occupying two spaces simultaneously. While everyone in this film is trapped, everyone also partakes of this blackness that *exceeds* limit and border.” (Celeste 1997)
Der Mystery-Man ist gleichbedeutend mit der Differenzerfahrung Freds, mit dem Scheitern seiner imaginären Identität. Er ist der "Träger" des 'gaze', der in der Lage ist, das verdrängte Reale zu erkennen. Dadurch, dass seine bloße Existenz Fred darauf aufmerksam macht, erscheint er selbst als namenlose und wahnsinnige Personifikation des Realen – daher wehrt Fred sich anfangs gegen ihn. Die Entwicklung, die der Held des Filmes durchmacht, besteht darin, den Mystery-Man zu akzeptieren – und mit ihm dasjenige, wofür er steht:
"He is […] the fantasmatic figure of a pure and wholly neutral medium-observer, a blank screen which objectively registers Fred’s unacknowledged fantasmatic urges." (Zizek 2000: 19f)
Aus diesem Grund macht Blanchet darauf aufmerksam, dass der Mystery-Man auch die Züge eines "gespenstischen Analytikers" trägt, der im Gespräch mit Fred dessen Blick auf das ihm Verborgene lenkt. Dieser Blick materialisiert sich in der Videokamera, die letztendlich weder auf Renee noch auf Alice, sondern auf Fred / Pete selbst zielt. Als Alice am Schluss verschwunden ist und der Mystery-Man erklärt, dass es sie nie gegeben habe ("Her name is Renee!"), richtet er die Kamera auf den Protagonisten selbst und stellt die Frage nach dessen Identität: "And your name; what the fuck is your name?"
Blanchet irrt allerdings, wenn er andeutet, die Therapie sei gescheitert, da Fred / Pete den Vater am Ende doch wieder töte. Indem Fred diesen Akt innerhalb seiner Traumwelt bewusst "wiederholt", macht er ihn zu seinem eigenen, gesteht sich das "wahre" Problem ein, das nicht nur seine persönliche Schizophrenie, sondern auch den Zustand des Zuschauers kennzeichnet: den Verfall der symbolischen Ordnung. Ist der Eintritt in die symbolische Ordnung nicht mehr möglich, ist der gesamte Prozess der Identitätsbildung gestört. "What we got are strangely de-realized or, rather, de-psychologized persons." (Zizek 2000: 31) Daher ist die Irritation der Identität, die der Mystery-Man offenkundig macht, nicht bloß eine De-Sublimierung der neurotischen Projektion des Protagonisten, sondern eine Infragestellung der Bedingungen der Möglichkeit von Identität überhaupt. Das Haus, das am Ende des Films abbrennt, steht deshalb nicht nur für Fred, sondern für die Unmöglichkeit der ganzen Narration, länger ihre klassische bestätigende Funktion auszuüben, mithin für eben jene Bedingungen von Identität insgesamt.
"Home is the structure, the center, the vessel of identity, it is both the point of origin and the destination of the road, and as such most traditional narratives involve flight and return, fragmentation and reconciliation." (Celeste 1997)
Wenn LOST HIGHWAY ein Film über eine Persönlichkeitsspaltung ist, dann ist damit nicht die Abweichung von einer Norm beschrieben, sondern deren Veränderung. Wie Zizek (2000: 32ff) feststellt, bedeutet gerade die Ubiquität von Psychologisierungen, von Beschwörungen des authentischen Kerns und vom messianischen Selbstfindungspathos des New Age in der Gegenwartskultur, dass Identität und Individualität an sich zu Klischees geworden sind, dass sich die Vorstellung eines autarken, ganzheitlichen Kerns des menschlichen Denkens und Empfindens als Diskurs entlarvt. Indem der einzelne Mensch zum Maß aller Dinge erklärt wird, wird die Gesellschaftlichkeit des Menschen, die Lacan in die Psychologie einzuführen sich bemühte, geleugnet und muss den Anforderungen eines bedingungslosen Hedonismus weichen. Es ist nahezu so, als hätte sich infolge der "Krise der Väter" eine neue symbolische Ordnung entwickelt, deren einziger Sinn noch darin besteht, sich selbst zu negieren und die Menschen ins imaginäre Stadium zurückzuschleudern. Lynch entlarvt das narzisstische "Ich" als Leitdiskurs der Gegenwart, als Ideologie des psychologischen Zeitalters, und führt anhand des Geschlechterverhältnisses das Verhängnis dieser Ideologie vor: die Zerstörung des herkömmlichen Prozesses der gesellschaftlichen Identitätsbildung und der Integration in die Gemeinschaft durch den Rückfall ins imaginäre Stadium, der das Verhältnis zu den Mitmenschen notwendig brutalisieren muss.
Der therapeutische Effekt, den Fred / Pete am Ende erlangt, besteht darin, dass er sich selbst als Mörder der symbolischen Ordnung anerkennt, obwohl er weiß, dass das imaginäre Verhältnis mit Renee gescheitert ist – ebenfalls durch einen von ihm verübten Mord. Damit ist kein Weg der Rettung mehr für ihn offen, die Zerstörung seiner Identität, seiner Person ist unabwendbar. Die Suche, die Freds Weg bis zum Ende trotz allem dargestellt hat, jene klassische Suche des Helden "nach Identität und Ganzheit", ist nicht nur nicht am Ziel angekommen, sie hat jegliches vorstellbare Ziel für immer eingebüßt – das Haus am Ende der Straße existiert nicht mehr. Zum Schluss bleibt Fred bloß noch die Flucht vor der eigenen Zerstörung, die mörderische Fahrt über den dunklen Highway, der keine Suche mehr symbolisiert, sondern nichts anderes als die blanke Sinnlosigkeit einer ins Leere laufenden Bewegung. Mit Fred stirbt die Suche, geht der Highway selbst verloren, und mit jenem die Möglichkeit von Identität. Anstatt sich selbst zu finden, findet der Zuschauer in LOST HIGHWAY seine eigene Unmöglichkeit vor.
So hört am Ende der Highway des klassischen Roadmovies auf zu existieren als etwas, das eine Richtung hat, das von einem Punkt zu einem anderen führt und dadurch, selbst wenn kein Ziel sich als das richtige herausstellt, immer noch als Ort der Suche und der Hoffnung einen Sinn stiften kann, wird stattdessen zum Ort eines "rasenden Stillstands", zum unmöglichen Ort, den kein Anfang und kein Ende mehr markiert. Gemessen an den Horrorszenarien, die Fred hinter sich lässt, erscheint dieser "verlorene Highway" jedoch wie eine Erlösung, die Flucht vor den Polizeiwagen wie die Emanzipation von einer patriarchalen Ordnung, die sich als überlebter Kerker herausgestellt hat. Authentisches Sein, darin liegt die verstörende Ambivalenz des Films begründet, ist am Ende nur noch als Nichtsein vorstellbar: Die Dunkelheit ist auch der Ort jenseits der Klischees, die das sensomotorische Schema des Films reproduziert, die Flucht Freds ist die Flucht aus der diegetischen Welt des Films selbst. Die letzte Fahrt des amerikanischen Protagonisten über den Highway führt bei Lynch in das dunkle Jenseits einer endlosen Nacht, in der jede Vorstellung von Ankunft unmöglich, die Ortlosigkeit des Subjekts zu seinem neuen Schicksal geworden ist.
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