Geht man davon aus, dass das Kino als seinen Gegenstand die Bewegung an sich der Dinge und Menschen hat, dann ist dieses bevorzugte Objekt der Kamera, wie des Films als ein ganzer, stets auch Medium der Kontrolle der Bewegungsausübenden selbst.
So wie die ersten Momentaufnahmen zur Verifikation der tatsächlichen Bewegungsabläufe von Menschen und Tieren dienten, also eine existentielle Kontrolle der Bewegungsfreiheit veranlassten, so diente sich das Kino im Verlauf seiner technischen Entwicklung und Geschichte der Kontrolle der 'Lebendigkeit' des Menschen an, seiner Lebenswelt – ihrer Dynamik und Erzählbarkeit. Denn erzählt wird ja stets davon, was sich bewegt, also verändert.
Im Kino geniessen wir den Vorzug, anderen und anderem beim 'Existieren', damit Sich-verändern zuzuschauen, gewissermassen Kontrolle über den Tatbestand menschlichen Zusammenlebens, seiner Konflikte und Idyllen, seiner Zwangsverstrickungen und Idealvorstellungen auszuüben. Wir vergewissern uns also beim Filmsehen zum Eigentlichen unseres eigenen Lebens – in seiner fiktionalisierten Form.
Kino ist also per se eine Kontrolleinrichtung darüber, dass Menschen über sich als Menschen erzählen – als Trieb- wie als Sozialexistenz. Dieserart gewinnt das Kino in der Gesellschaft des 20. Jh. eine enorme Orientierungsfunktion. Es dient vielerlei Bedürfnissen der Kontrolle: über Verbrechen, wie über andere Kulturen, über Dinosaurier und andere Monster, über das Geschlecht und das Begehren, das eigene, wie das des Anderen, über mögliche Zukunften, wie über eine unabgrenzbare Vergangenheit.
Kontrolle meine also Fremd- und Selbstaufmerksamkeit, eine Art Rückversicherung des eigenen am fremden Leben.
Manche Filme machen die Kontrolle explizit zu ihrem Thema. Für die Kamera wie für die Zuschauer wird von Überwachungsszenarien erzählt, die die Subjekt-/Objektumkehrung praktizieren und vielerlei Überwältigungsphantasie bedürfen, um das System der Kontrolle zu dekonstruieren. Es versteht sich von selbst, dass auch die aufmerksame Zeugenschaft dieser Dekonstruktion dem Film selbst zugute kommt. THE CONVERSATION (USA 1974) von Francis Ford Coppola ist ein solcher Film. Er zeichnet die akustischen Kontrolltechniken eines professionellen Überwachers und dessen Niedergang auf. Die einführende Szene, zugleich Vorspann, kann als schöner Beleg eines selbstreflexiven Kinos gelten.
Der erste Blick ist der auf einen Platz von einem sehr erhöhten Standpunkt aus. Die Kameraeinstellung ist beinahe gottähnlich, eine ubiquitärer Sicht, die alles einsieht. Dann beginnt eine sehr langsame Blickbewegung auf den Platz zu. Das Bild vergrössert zusehends den Platz, der Ausschnitt wird kleiner, die einzelnen Objekte deutlicher. Als alles identifizierbar wird, beginnt die Kamera die Verfolgung eines Menschen aufzunehmen. Sie hat grosse Bewegungsfreiheit, da aus dieser Perspektive und Höhe kaum Hindernisse auftreten, zu erwarten sind. Nach knapp drei Minuten hat die Kamera, das Dispositiv, also auch der Zuschauer, ihren zentralen Akteur gefunden und sie wird ihn nicht mehr loslassen. Nun ist die Kamera mitten in einer Masse von Menschen und beobachtet von unterschiedlichen Positionen aus ein Paar... und seine Überwacher. Sie ist Teil der Masse und dieser doch überlegen, sie bestimmt die Blickrichtung, hebt aus einem uneinheitlichen Gemenge einige wenige hervor und verspricht so dem Zuschauer eine Geschichte.
Zwei sehr verschiedene visuelle Kontrollbewegungen führen also in den Film ein. Zunächst herrscht ein abstrakter Gesamtblick, eine quasi meta-objektive Kamera, die alles sieht, selbst unerreichbar ist. Eine Stelle im Raum, ein öffentlicher Ort wird etabliert, von aussen, mit der Kühle und Berrechenbarkeit einer objekt-determinierenden Visualisierungstechnik. Das Zoomen unterstützt die Abstraktion der Einsicht. Es wird als mechanisches Gleiten entlang einer immateriellen Schiene, als maschinenhafte Fremdbewegung wahrgenommen. Eine zweite Bewegung wird von dem flexiblen, flüssigen, punktierenden Blick eingelöst, der die Akteure sichtbar, spürbar verfolgt, also als konkrete Blickkonstellation ein subjekt-determinierendes Verfahren zum Einsatz bringt. Die Kamera ist nun auf gleicher Höhe wie die Agierenden. Doch die Distanz wird bleiben. Denn die Kamera wird bis zum Schluss eher beobachten, denn teilnehmen, dabeisein. Sie wird stets mehr überwachen, kontrollieren, denn sich 'subjektivieren'. Beide Bewegungen lassen sich auch als "geoästhetische Strategie" einsehen. Diese formuliert einen Raum als visuelle Anordnung von Körperbeziehungen, die sich ständig verändern.
Doch das Bild ist nicht allein. Es wird begleitet, teils auch gestört durch den Ton und eigentlich – wie wir bald sehen, hören werden – sieht der Ton mehr als das Bild. Zu Beginn hören wir zumeist unsauber aufgezeichnete Gespräche. Doch bald wird klar, dass der Ton, auch in dieser seiner unreinen Form, vor allem die Aufgabe hat, das Bild zu komplettieren, ihm eine veritable Essenz zu verleihen. Das ist ein umso abstrakterer Vorgang, als der Ton ja zumeist von seiner Quelle abhängig ist. Der Ton muss also aus der näheren Umgebung der aufnehmenden Mikrofone kommen. Das Mikrofon ist Agent der Sichtbarkeit, der Kontrolle der akustischen Existenz des Menschen. Die aufgezeichnete Frequenz ist 'realer', 'authentischer' als das Bild, das Erscheinungsbild eines Menschen, dem der Makel der Unverfänglichkeit anhaftet. Sollte es nicht zu eindeutigen Gesten kommen, ist das Zusammenspiel der Körper zu einem Grossteil beliebig. Die Stimmen jedoch sind die Träger und Sender der Bedeutung. Die Mikrofone (die Filter, Verstärker...) können fokussieren, zentrieren, sind unterscheidungskonstituierend, also subjektkonstituierend. (Die Verhinderung der Überwachung oder der Stimmkontrolle wird denn auch nur durch die Vermischung mit anderen starken Tonquellen (z.B. Musik) gewährt, um auf diese Weise eine Ununterscheidbarkeit herbeizuführen.)
Die Töne kommen aus einer anderen Welt. Der Welt der Eindeutigkeit. Was gesagt wird, ist unhinterfragbar. Dem Ton kommt nur eine Bewegung zu: die seiner Quelle. Während das Bild eine quasi-unbegrenzte – unspezifische - Erscheinungswelt zu determinieren in der Lage ist, verweist der Ton immer auf die je besondere Objektquelle. Wenn wir die Geräusche weglassen und einzig die 'Konversation' uns anhören, also die stimmliche Bedeutungsproduktion und -übertragung, dann sind die 'Verursacher' klar benennbar: ein Mann, eine Frau, ihr Zusammenspiel. Den Kontrolleur interessiert nicht der Inhalt, das WAS, die Bedeutung und Semantik der Botschaft, sondern ausschliesslich die Aufnahme selbst, also die technisch-signifikante Hörbarkeit, Identifizierbarkeit. Im Übertragungswagen sind denn auch ausschliesslich 'autonome' Stimmen zu hören... ("mehr als 40%").
Wenn von einem Tonband Stimmen abgespielt werden (z.B. als Harry Call/H.C. an der Tür des Büros seines Auftraggebers steht), vermutet man - da sich der Ton ohne Differenzfläche 'im Raum' ausbreitet - die Akteure der Stimmen selbst im Raum. Natürlich wird ein 'Lautsprecher' benötigt, doch dessen Position im Raum ist unerheblich, angesichts der omnidirektionalen Ausbreitung der Stimmen. Während das technisch-reproduzierte Bild immer eine spezielle Stelle im Raum zur Darstellung benötigt, also eine Art zweiten Raum zur Selbsterscheinung braucht – den Screen -, auf den auch der Zuschauer Bezug nehmen muss, ist der Ton im ganzen Raum präsent, überall, allgerichtet... Die Stimme ist um einen, man ist mit ihr. In gewisser Weise ist die Wiedergabe einer Stimme die zumindest akustische Resurrektion ihres Trägers, also Akteurs. Wesentlich anders als das Bild, das sich auf der Leinwand stets seiner Fiktionalität und Surrealität 'bewusst' ist, ist der Ton 'gespenstisch' real, diesseits.
Neben der akribischen Demonstration der Überwachungsleistungen von H.C. entscheidet sich die Kamera, ein quasi immanentes Surplus dieser Profession abzubilden: Einsamkeitschiffren, lange und langsame Bilder des Schweigens. H.C. ist allein mit seinen Ergebnissen, den akustischen Protokollen. Es ist die fundamentale Einsamkeit desjenigen, der die Wahrheit zur Ware macht und also die Wahrheit nicht für sich nutzen kann oder sie mit anderen teilen kann, sondern sie immer nur anderen, den Käufern, zugute kommen lässt. Als er versucht erstmals der vermeintlichen Wahrheit gemäss zu reagieren, eine Veränderung herbeizuführen, wird die Einsamkeit unerträglich. Er hat zwar gegen sein Berufsethos gehandelt und sich die Wahrheit angeeignet, doch allein das Wissen befreit noch nicht. Erst ein in den Stand dieses Wissens versetztes Handeln würde eine tatsächliche Erlösung bringen. Doch dafür ist es zu spät. Ein Mord ist passiert und H.C. ist mitschuldig. Nicht nur, weil er die Beweislage, die zum Mord geführt hat, zur Verfügung gestellt hat, sondern weil er trotz des Wissens um die Gefahr, nicht rechtzeitig gehandelt hat. Auch wegen ihm musste ein Mensch sterben.
Tatsächlich jedoch ist alles anders. Auch das vermeintlich die Wahrheit transportierende Gesagte war Teil eines übergreifenden Planes. Das System, das diesen Plan erstellte, wird selbst keine Wahrheit über sich zulassen, es wird stets unsichtbar bleiben. Der Film zeigt das Scheitern der Kontrollausübungen eines Einzelnen zugunsten der Kontrolle eines übermächtigen Systems. Das, was man sieht und hört, muss nicht dasjenige sein, was ist, was Ursache tatsächlichen Handelns wird. Das Denken ist unsichtbar. Es verwaltet das Sinnliche nach seinem Gutdünken. Das Gesagte ist viel unmittelbarer noch im Dienste des Denkens als das Visuelle, ist viel direkter manipulierbar, bzw. ist von einer perfiden Suggestivität, die das Wahre verspricht, doch die Täuschung vorbereitet.
H.C. scheitert an der Manipulierbarkeit des Ausdrucks, an der Übermächtigkeit der Kontrolle. Er kann das Mikrofon nicht finden, das ihn abhört. Er kann es deswegen nicht finden, nicht weil es überall sein kann, sondern weil es 'überall' ist: die ganze Luft, der ganze Raum, das ganze Land ist voller Schwingungen. Das Bild ist aus den Fugen, der Ton überlebt.
H.C. ist noch einsamer als zuvor. Der Film zeigt uns die Mächtigkeit der Überwachung in der modernen Gesellschaft – eine Mächtigkeit, die vom Einzelnen selbst nicht mehr einzusehen ist. Man kann dieser Kontrolle nur entgehen, wenn man sich eine Gegenwelt aufbaut, der Einsamkeit des Wissens um die Kontrolle entflieht und sich der Gesellschaft anderer Menschen zuwendet. Gemeinsam übertönen wir die gerichteten Mikrofone, unsere vermeintlichen Aussagesätze, verfärben wir die Identitätsbilder, sind wir stets schon Andere, als das System von uns erwartet, von uns zu wissen glaubt. In der gemeinsamen Kontrollerfahrung, die das filmische Dispositiv anbietet, mag eine solche Gegenstrategie zu finden sein.