Die Medientrainerin Milou van Sprang im Gespräch mit Christine Daum
Auch in den Chefetagen der Konzerne hat man in den letzten Jahren die Authentizität entdeckt. Das gehobene Management möchte sich menschlich, locker und ethisch zeigen. Die Holländerin Milou van Sprang arbeitet als Mediencoach und Präsentationstrainerin daran, dass Manager einen guten Eindruck hinterlassen. Die wesentlichen Voraussetzungen dafür hat sie in fünfzehn Jahren Arbeit für das holländische Fernsehen gesammelt. Die "Frau fürs Ethische" sei sie da gewesen, sagt sie von sich selbst. Mit bunten Sendungen beim Kirchenfunk hat Milou van Sprang begonnen und brachte es schließlich zu ihrer eigenen Talkshow.Christine Daum sprach mit Milou van Sprang darüber, was sie Managern beibringt, wie sie sie auf Medienauftritte vorbereitet und wie man Menschen interviewt, damit sie etwas von sich zeigen.
ndf: Von deinen Erfahrungen beim Fernsehen benutzt du heute vor allem die aus deinen Interviews im Mediencoaching. Was war dir in deinen Interviews wichtig?
Milou van Sprang: Es geht schon immer darum, die Leute zu kriegen, so dass sie ihre persönliche Geschichte erzählen. Dadurch wird jemand unverwechselbar. Deshalb ist es auch ein Horror, Aktionsführer zu interviewen. Sie reden immer für ganze Gruppen, wollen aufklären und informieren. Informationen fürs Fernsehen kann ich selbst aber besser machen, einen Film oder eine Computeranimation. Oder ich schreibe einen Text. Ich hab’s in der Hand und weiß, was ich in einer Minute dreissig loswerde. So habe ich das in den medizinischen Sendungen mit Informationen immer gemacht. Zum Beispiel Hormone. Was ist das, die Regel? Wie funktioniert das? Hopp, sofort ein Film. Selber schneiden, selber sprechen, kann sich niemand verquasseln. Aber wie es ist, die Regel zu haben oder welche Redewendungen gibt es, sie zu umschreiben, das will ich von den Leuten selbst hören. Fernsehen funktioniert nur, wenn es Emotion ist.
Bei den Interviews habe ich viele Jahre gebraucht, um das Gefühl zu bekommen, ich weiß, was ich frage und warum ich das jetzt so frage. Bei Live-Interviews hatte ich nur eine begrenzte Zeit, dann musste die Geschichte da sein. Da musste die Frage so formuliert sein, dass derjenige auch wirklich wusste, welches Teil des vorher Besprochenen oder welches Beispiel ich haben wollte. Aber das Allerwichtigste ist, dass die Leute von sich in der Ich-Form reden. Darum habe ich sie immer gebeten. Das ist hart, die meisten flüchten in ein Man oder in ein Du, gerade wenn es persönlich wird.
Ich habe zum Beispiel eine Frau interviewt, die war in einem "Jappenkamp", sagen die Holländer, in einem Internierungslager. Das ist in Holland eine vergessene Geschichte, was im Zweiten Weltkrieg in Indonesien passiert ist. Da waren wir die Bösen. Über diesen Krieg wurde nie gesprochen. Die Frau hatte angefangen, darüber zu reden, als sie schon fünfzig war. Sie hatte mir vor dem Interview erzählt, wie sie sich fühlte und welche Metapher sie dafür gefunden hatte. Eines Tages war sie in die Küche gekommen, hatte ein Fensterleder gesehen und hatte gedacht: "Ja, das bist du." Auch sie musste ich vor dem Interview bitten: "Bitte, sprich in Ich-Form." Sie hat geschimpft: "Ja, aber wer bin ich? Es waren so viele Frauen und Männer in den japanischen Internierungslagern." "Aber ich habe Sie eingeladen wegen Ihrer Geschichte.", habe ich zu ihr gesagt. Sie verstand es, aber ich sollte sie daran erinnern. Ich versprach also, ihr ein Zeichen zu geben.
In der Sendung erzählte sie wieder so unpersönlich, ausgerechnet die Geschichte, wie sie das Bild für ihr Ich findet. Ich gab ihr das Zeichen. Sie verbesserte sich und sagte: "Ich kam in die Küche, sah dieses Fensterleder und dachte: Das bin ich. Ausgetrocknet, weggeworfen, weggestopft." Das war total intensiv. Von diesem Moment an war es da. Das waren für mich die schönsten Augenblicke, wo ich dachte, es funktioniert. Die Instruktion funktioniert so, wie ich sie den Leuten vorher erklärt habe.
ndf: Das heißt, die Fragen vor der Live-Sendung waren immer so abgesprochen, dass die Gäste genau wussten, was du von ihnen hören wolltest?
Milou van Sprang: Es kam drauf an. Bei den Krankengeschichten zum Beispiel für eine Reihe über Krebs war alles abgesprochen. Da kam es uns allen drauf an, dass die Geschichten gut erzählt werden. Aber sonst haben wir alle Experimente gehabt, auch dass ich die Leute vorher nicht gesehen habe, dass ich nur in eine Kassette reingehört habe, um zu erfahren, wie sie reden. Dementsprechend musste ich die Fragen formulieren. Das fand ich aber für die Leute zu viel, dass wir uns vorher nie begegnet waren. Sie kamen in eine völlig neue Umgebung, mit Kameras und Publikum und ich war gar nicht so, wie ich im Fernsehen wirkte.
ndf: Wie anders warst du denn im Fernsehen?
Milou van Sprang: Es ist immer anders. Eine Ladung Schminke drauf, die du zwar im Fernsehen nicht wahrnimmst, aber so vor der Sendung doch. Das gibt dem alles etwas Künstliches. Ich wollte schon eine Realität sein, bevor die Leute in diese künstliche Welt kommen, wenigstens mit ihnen einen Kaffee trinken, um eine menschliche Ebene zusammen zu haben. Das war mir wichtig.
ndf: Wie bist du am besten an deine Interviewpartner rangekommen? War das Technik, Zufall, persönliche Überzeugungskraft? Wenn du heute Leute für Medien- oder Präsentationsauftritte vorbereitest, welche Rolle spielt da diese Erfahrung?
Milou van Sprang: Bei der Krebsreihe zum Beispiel, glaube ich, hatte das vor allem mit dem Faktor Zeit zu tun, dass die Frauen nicht das Gefühl hatten, sie werden nur geschnappt für zwei Minuten. Wir haben vorher lange mit den Frauen gesprochen. Es gibt natürlich Leute, die immer ja sagen, wenn man sie bittet, im Fernsehen aufzutreten. Aber die, die man nicht überzeugen muss, darf man eigentlich nicht nehmen. Die besten für die Sendung waren die Frauen, die wir davon überzeugen mussten, dass es gut wäre, wenn sie persönlich ihre Geschichte erzählen würden. Bei fast allen gab es schließlich die Motivation, dass es anderen besser gehen soll oder dass sie daraus lernen.
Insgesamt glaube ich aber, dass ich an die Leute herankam, das lag an einer Mischung aus, sagen wir mal, einerseits meiner Art des Zuhörens, andererseits habe ich durch meine Fragen gezeigt, ich bin in der Geschichte meiner Gesprächspartner. Das ist eine Technik, die kann man lernen. Ich kann die nächste Frage so formulieren, dass ich einhake in das, was jemand gesagt hat. Trotzdem kann ich es in meine Richtung biegen. Sobald ich aber einmal als Interviewer gesagt habe: "Ja, ja, ich verstehe schon.", oder zum nächsten springe, batsch: "Und wie ist es denn damit?", das passiert unbewusst laufend, dann habe ich die Kommunikation zerstört. Wenn mir in diesem Moment ein Profi gegenübersitzt, sagen wir, einer, der von mir trainiert wurde, und er merkt, dass den Interviewer nicht interessiert, was er sagt, der wird den Leuten zu Hause vor dem Bildschirm trotzdem rüberbringen, was er ihnen erzählen will. Er kann das steuern.
ndf: Wen bereitest du heute auf Medienauftritte vor?
Milou van Sprang: In der Regel sind es höhere Manager, meist im Einzeltraining. Es gibt viele Manager, die sind nach oben gekommen. Dann merken sie, dass ihnen Kommunikationsfähigkeiten fehlen. Entweder sie haben schon eine Bauchlandung erlitten oder sie machen das Training, weil sie in eine neue Position gekommen sind. Ich trainiere sie für besondere Anlässe, oft aber auch ganz allgemein, fürs Fernsehen, aber auch für betriebsinterne Medien. Das gibt es immer mehr. Fernsehen bei der Deutschen Bahn etwa. Viele große Firmen haben das inzwischen. Gerade da gibt es ein besonders aufmerksames Publikum. Ich habe auch Aufträge gehabt, Videokonferenzen betriebsintern zu moderieren oder andere Veranstaltungen. Für die Post in Holland habe ich auch mal den Chef für einen Firmenfilm interviewt. Die Post musste privatisieren. Ich habe mit dem Chef extremen Streit gehabt. Er erzählte, es gebe Probleme, man müsse umstrukturieren, vor allem in zwei Regionen. Frage ich: "In welchen?", schreit er: "Stopp, stopp, Kamera aus!" Das dürfe ich nicht fragen. Es würde dort Unruhe geben, wenn er sage, wo umstrukturiert werde und Leute entlassen werden. "Gut", meinte ich, "dann sagen Sie es nicht. Dann wird es überall Unruhe geben, weil alle denken, es ist hier bei uns." Ich habe den Job geschmissen, weil ich überzeugt bin von der Kraft, ehrlich zu informieren. Vertuschung hat keinen Sinn.
ndf: Was bringst du den Leuten in deinen Trainings bei?
Milou van Sprang: Was ich mache und anbiete, beginnt bei ganz basalen Sachen: Wie sitze ich? Was ziehe ich an? Wie sehe ich aus? Es gibt Männer, die sich so hinsetzen, dass ihnen plötzlich Ohren aus den Schultern wachsen. Schau dir Klaus Bednarz im Fernsehen an. Dann weißt du, was ich meine. Und es geht natürlich um das Auftreten und die Fragen in Interviews. Ich muss eine Frage erst beurteilen, bevor ich sie beantworte, herausbekommen: Was ist überhaupt die Frage? Kann ich sie beantworten? Wenn ich das nicht weiß, muss ich nachfragen. Eine weitere wichtige Sache ist, nicht zu entfliehen, sondern im Gegenteil: Ich bin sehr dafür, dass man eine Frage so gut wie möglich beantwortet und nicht einfach seine Message losschickt, egal, was gefragt wurde. Aber es muss klar sein, worauf ich antworte. Ich bin nachher der Laberkopp, nicht derjenige, der die unklare, schwammige Frage gestellt hat. Es wird immer der beurteilt, der antwortet. Dabei hat zu 95% der, der die Fragen stellt, die Verantwortung dafür, dass ein Interview gut wird.
ndf: Gibt es Techniken, die du für Interviewauftritte vermittelst?
Milou van Sprang: Ja, zum Beispiel, wie gehe ich mit Fragen um, die unendlich sind. Christine, welches ist das schönste Buch, das du jemals gelesen hast?
ndf: Verstehe, aber das kann ich dir genau sagen: Nachtgewächs von Djuna Barnes führt meine Hitliste an.
Milou van Sprang: Das ist schön, dass du das so schnell sagen kannst. Aber in den nächsten drei Minuten fallen dir noch zehn andere ein. Ich muss die Frage für mich übersetzen in: "Was für ein schönes Buch habe ich gelesen?" Das schönste kennt nur eine richtige Antwort. Man fängt an nachzudenken, um die richtige Antwort zu geben. Du nennst eins und plötzlich fällt dir noch eins ein und dann noch viele andere. Das macht konfus. Auf so eine Frage bekommst man meist eine ausweichende Antwort. Es gibt aber noch viele andere Fragetypen, die zu Ablenkungen und Verzögerungen führen. Die grundlegende Technik ist: Wie übersetze ich die Frage für mich, damit ich sie gut beantworten kann? Das muss man in der Laborsituation üben, um es in der Praxis zu können. Das ist das, was ich mit den Leuten simuliere. Ich führe ihnen die verschiedenen Fragen vor und sie erfinden Wege, sie für sich zu übersetzen und zu beantworten und sich dabei nicht zu verrenken.
ndf: Glaubst du, dass man eine solche Vorbereitung für die Medien braucht oder zeigt man sich dort am besten so, 'wie man ist'?
Milou van Sprang: Dann sag mir mal, wie ich bin. Was ist sein, wie man ist? Ich kann nur raten, jedem zu misstrauen, der einem empfiehlt, so zu sein, wie man ist. Wenn ich zu einem Sommerfest im Hort gehe, ziehe ich mich anders an, als wenn ich zum Abschlussfest von MBA-Studenten aus den Ostblockländern gehe. Wer bin ich dann? Bin ich die in den casual jeans oder die, die sich ein bisschen zurechtgemacht präsentiert. In einer Kneipe rede ich nicht wie im Interview, alle würde denken, ich sei nicht in Ordnung.
ndf: Die Frage nach der Realität wäre für dich dann eine nach der Kleiderordnung und nach der Rolle, die man spielt?
Milou van Sprang: Nein, ein Interview ist eine Verdichtung von Realität, eine Konzentration. Innerhalb von zwei, drei Minuten musst du irgendetwas rüberbringen, entweder eine Sache oder dich selbst. Wenn ich jetzt hier mit dir sitze, kann ich mich mal vertun, etwas wiederholen oder mal nachdenken. Aber zwei, drei Minuten Interview, wenn du auf Sendung bist, das ist doch keine Realität, jedenfalls nicht die normale Realität.
ndf: Aber Medienrealität ist es. Und es gibt doch auch diese Nachmittagstalkshows, Arabella Kiesbauer oder Andreas Türck, das Proll-Fernsehen, wo die Leute nur eingeladen werden, weil sie sind, wie sie sind.
Milou van Sprang: Damit hatte ich nie zu tun. Ich glaube, das ist auch nicht das, was von einem Manager verlangt wird, den ich trainiere. Da geht’s nicht darum, ob er seine Mutter verprügelt hat oder sein Kind nicht in die Schule schickt, sondern um eine Sache. Die Kunst für Manager ist meistens, die Sache mit Menschlichkeit zu verbinden. Das hatte ich zum Beispiel bei Albert Heijn, der größten holländischen Supermarktkette. Es gibt in Deutschland keine vergleichbare. Die haben einmal im Jahr eine Vollversammlung, zu der kommen alle Manager aus dem ganzen Land. Erst der Jahresabschluss mit Reden und so weiter, dann eine Riesenparty. Ich war da Moderatorin, um Fragen, die Manager aus dem Land hatten, unterschiedlichen Direktoren vorzulegen. Ich hatte diesen Herren vorher gesagt: "Machen Sie bitte nichts schöner, als es ist. Es ist, so wie es ist. Alles, was Sie zu verschleiern versuchen, wird Ihnen nur übel genommen." Sie sagten zu, ehrlich zu antworten, nicht zu lügen und sich der Kritik zu stellen. In der ersten Frage ging es darum, dass eigentlich alles schief läuft bei der Logistik. Der auf der Bühne wusste schon, jetzt kommt eine Frage für ihn. Ich habe ihn gefragt: "Was denken Sie, wenn Sie das hören, dass alles schief geht?" Der fiel vom Stuhl. Er fiel wirklich, nicht nur im übertragenen Sinne. Diese Frage hatte er nicht erwartet. Er war auf eine sachliche, nicht auf eine persönliche Frage eingestellt. Alle lachten und er hat eine ehrliche Antwort gegeben, wie die Situation ist. In dem Moment hatte der Mensch gewonnen. Das ist die Verbindung, die ich ständig suche, die menschliche Ebene und Sachinhalte. Danach hab ich ihn dann festgenagelt auf bestimmte Versprechen, die für andere auch kontrollierbar waren. Aber es hatte auch was mit Humor zu tun. Er war ein Mensch geworden. Er war nicht der Idiot da oben, der Sachen macht und nichts funktioniert. Er war plötzlich genauso klein wie alle anderen und konnte von da aus wieder groß werden.
Das ist etwas, was in Deutschland schon schwieriger ist. In der Hierarchie oben zu sein hat hier sehr viel zu tun mit Autorität und Macht. In Holland ist das anders. Man duzt sich. Es gibt mehr Nähe. Für mich ist natürlich wichtig, dass ich und der Manager, dass wir nicht eine Nähe haben gegen die anderen. Für mich ist die Nähe vorteilhaft, weil ich sie gebrauchen kann, um ihn den anderen gegenüber zu öffnen. Ich denke mein Vorteil ist, nach meiner Arbeit beim Fernsehen noch einmal zu entdecken, dass ich das gut kann.
ndf: Wo ist der Unterschied zwiscen deiner Arbeit für das Fernsehen und im Mediencoaching? Du hattest gesagt, ein Interview sei verdichtete Realität, eine Präsentation ist noch einmal ganz etwas anderes, wo sind da für dich die Unterschiede in den beiden Formen von Kommunikation?
Milou van Sprang: Ich sehe da mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Ich habe mich beim Fernsehen bemüht, so zu fragen, dass sich die Leute möglichst gut zeigen. Beim Mediencoaching geht es im Grunde um das Gleiche. Ich versuche, den Leuten beizubringen, die Situation für sich so zu gestalten, dass sie unabhängig von der Qualität ihres Interviewers gut rüberkommen.
ndf: Was ist deine Message beim Mediencoaching?
Milou van Sprang: Dass jemand seine Stärke von hinten nach vorn holt und sich dabei wohl fühlt.