Naturräume sind seit der Frühzeit des Kinos Teil der Filmgeschichte. Aufnahmen von Pflanzen, Gärten, Gewässern und Landschaften spielen dabei eine besondere Rolle. Sie treten als Dekor, Hintergrund oder Rahmung für menschliche Geschichten in Erscheinung. Nur selten sind sie die eigentlichen Hauptcharaktere oder stehen im Zentrum des Geschehens. „Grünes Kino“ setzt sich mit den ästhetischen Inszenierungen und audiovisuellen Modellierungen von Naturräumen auseinander. Das Verhältnis von Film und Ökologie durchzieht die unterschiedlichsten Genres. Der Western prägt mit seinen Landschaftsdarstellungen spezifische Vorstellungen eines Lebens in und mit der Natur. Biohorror- und Science-Fiction-Filme lassen Pflanzen als andere Wesen in Erscheinung treten. Lehr- und Unterrichtsfilme inszenieren Wachstumsprozesse in Zeitrafferaufnahmen. Autorenfilme zeugen häufig von urbanen Landschaften. Naturdokumentarfilme, aber auch Katastrophenfilme modellieren Naturschönheit und -zerstörung gleichermaßen.
Die Beziehungen von Film und Ökologie lassen sich zudem an den Produktionsumständen und Entstehungsbedingungen untersuchen. Filmästhetische Ansätze werden so um film- und medienökologische Perspektiven erweitert und werfen folgende Fragen auf: Inwiefern zeugen die inszenierten Naturräume von der Geschichte der industriellen Kultur? Inwieweit ist ein Grünes Kino eingebunden in Herrschaftsstrukturen (wie z.B. ethnische Differenz, Klassendifferenz, anthropologische Differenz) oder Teil einer kolonialen bzw. postkolonialen Geschichte? Welche Rolle spielen dabei Fragen der Wissensgeschichte, der Epistemologie oder der Botanik? Inwiefern unterminieren filmische Naturräume, aber auch die historisch weit zurückreichende Trennung von Natur und Kultur und öffnen den Blick auf audiovisuelle Naturkulturen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Verhältnis von Menschheitsgeschichte und Naturgeschichte?
Daneben haben Naturräume in der Filmtheorie in vielfältiger Weise Spuren hinterlassen. Siegfried Kracauer (1960) beschreibt „im Wind sich regende Blätter“ und hebt damit auf die Bewegungsdimension von Natur und Film gleichermaßen ab. Die Filmavantgardistin Germaine Dulac lenkt die Aufmerksamkeit auf die zeitliche Dimension des Wachstums von Pflanzen und setzte zur Illustration ihrer Vorträge stets einen kurzen Film über das Keimen von Bohnen im Zeitraffer ein. Vor dem Hintergrund von Klimawandel und Anthropozän hat Jennifer Fay jüngst eine filmwissenschaftliche Neuausrichtung unter dem Titel Inhospitable World. Cinema in the Time of the Anthropocene (2018) vorgestellt. In weiteren Positionierungen werden audiovisuelle Naturräume aktuell u.a. bei Adrian Ivakhiv (2013) in einem grundsätzlichen Sinne im Schnittfeld von Ästhetik und Politik verortet. Ausgehend von Fragen nach Natur und Ökologie verbinden sich film-, medien- und geschichtswissenschaftliche Positionen auf produktive Weise mit Forschungen der Environmental Humanities und des Queer-/Ökofeminismus oder mit Critical Plant Studies und Cultural Animal Studies.
Der ökologische Fußabdruck des Kinos offenbart sich einerseits darin, wie Kinos als Kulturorte gestaltet und betrieben werden. Die Filmförderanstalt in Deutschland (German Federal Film Board) hat hierzu unlängst ein Handbuch zur Ausgestaltung von „Grünen Kinos“ vorgelegt (FFA 2018). Auch eine ökologisch ausgerichtete Filmproduktion wird von vielen Fördereinrichtungen inzwischen
besonders unterstützt. Die Perspektive auf ein Grünes Kino ist für Filmwissenschaft und Kinoarbeit ist dann besonders produktiv und zukunftsweisend, wenn die Zusammenhänge von Ästhetik, materieller Welt und ökologischen Kreisläufen stärker als bisher in den Blick treten. Mit ihrer Publikation The Cinematic Footprint. Lights, Camera, Natural Resources (2012) hat Nadia Bozak den Zusammenhang von Filmästhetik und Politik in Richtung Ökologie erweitert und herausgestellt, dass die Industrialisierung in die (technischen) Bilder und Medien eingeschrieben (embedded) ist. Anders formuliert: Einen Wald kann man heute nicht mehr filmen, ohne an die Ökologie der Wälder und die ressourcenverschlingenden Film-Industrie-Kulturen zu denken. In den kinematografischen
Bildern der Wälder lassen sich diese Zusammenhänge aber auch als Geschichte von Naturkulturen nachweisen und entziffern.
Das 26. Internationale Bremer Symposium zum Film versteht sich als Forum, das unterschiedliche theoretische und methodologische Ansätze zum Thema Grünes Kino zusammenbringt. Das Symposium lädt zum interdisziplinären Austausch ein und möchte zudem das Spektrum von Erzählungen, Darstellungen und Inszenierungen eines Grünen Kinos sicht- und hörbar machen, Theorieansätze zu den ökologischen Zusammenhängen von Film und Kino diskutieren und Beispiele einer nachhaltigen Kinopraxis vorstellen.
Literatur
Bozak, Nadia (2012) The Cinematic Footprint. Lights, Camera, Natural Resources. Rutgers U Press.
FFA (2018) Das Grüne Kinohandbuch. Berlin.
Ivakhiv, Adrian A. J. (2013) Ecologies of the Moving Image: Cinema, Affect, Nature. Wilfrid Laurier U Press.
Fay, Jennifer (2018) Inhospitable World. Cinema in the Time of the Anthropocene. Oxford U Press.
Kracauer, Siegfried (1960) Theory of Film. Princeton U Press.