Beiträge der Neurobiologie
Die Frage nach der Authentizität von Bildern zielt ab auf deren wirklichkeitsschaffende Kraft. Wenn der Konstruktivismus im Sinne von Watzlawick die Frage stellt: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?", dann ist damit ein Wirklichkeitsrelativismus angesprochen, der sich auch gerade in der inflationär gewordenen Bildhaftigkeit der Gegenwart manifestiert. Es geht um den Begriff von Realität im Hinblick auf den Status von "Bild", zugleich aber von inneren Bildern, realitätsschaffenden Bildern, ihrer Aussagekraft, ihrer Fähigkeit zu überzeugen – und in diesem Sinne auch um so etwas wie Neurobiologie der Bildentstehung: gibt es eine von der Neurophysiologie her verstehbare Basis der Bildinflation, des damit sich von Bildern auch Abwendens und der Frage nach den Kriterien einer Unterscheidung zwischen Fiktionalität und Realität, Traum und Wachzustand?
Sind wir dabei, im Fiktionalismus zu versinken und wenn, warum? Äußert sich das Ungelöste, kaum noch lösbar erscheinende Nähe-Distanz-Problem der Gegenwart im Überborden der Borderline-Erkrankungen, der dissoziative Zustände und der durch Inzestgewalt entstehenden Multipersonalitätserkrankungen? Gibt es tatsächlich so etwas wie die gegenwärtig offenkundig erscheinende Flucht in Anonymität und Abstraktheit des Lebens? Ist vielleicht das Gegenwartsproblem des Fiktionalismus und der Virtualität so groß, weil Menschen es verlernt haben, Nähe zu erleben und zu ertragen? Führt dies in Phantasie, Tagtraum und Medienwirklichkeit?
Der Transzendentalphilosoph Johann Gottlieb Fichte entwickelt in seiner transzentalen Konstruktion von Wirklichkeit ein Modell, wonach die Spontaneität des Subjekts zur Welt, zur Wirklichkeit, zum Erleben von Realität dadurch kommt, dass sie sich mit der "Widerständigkeit" des Außen bricht. Realität erscheint als Hemmung von Spontaneität des Ich. In diesem Sinne könnte man sagen: "Was Realität schafft, das ist die Berührung, die Grundlage alles Erlebens ist: Sensomotorik." Und es ist das Begreifen, das Anfassen, das Vorhandensein der Dinge. Dies würde bedeuten, dass Bilder dann nicht im Fiktionalen steckenbleiben, Authentizität erlangen, wenn sie quasi mit allen Sinnen erfahren werden können. Das heißt, wenn sie auf "Begegnung" beruhen. Der Philosoph Martin Buber hat hierzu in seinem Werk "Ich und Du" sehr erhellende Ausführungen gemacht, indem er sagt:
"Man sagt, der Mensch erfahre seine Welt. Was heißt das? Der Mensch befährt die Fläche der Dinge und erfährt sie. Er holt sich aus ihnen ein Wissen um ihre Beschaffenheit, eine Erfahrung. Er erfährt, was an den Dingen ist. Dies ist das Weltverhältnis des Ich-Es."
Dieser Welterfahrung als Dingerfahrung setzt Buber entgegen die existentielle Erfahrung des Du, die in dem berühmten Satz kulminiert: "Im Anfang ist die Beziehung." Wie aber kommt Buber zu diesem Satz? Hier die wesentlichen Passagen:
"Das Du begegnet mir … Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen
Wesen gesprochen werden. Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen kann nie durch mich, kann nie ohne mich geschehen, ich werde am Du; ichwerdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Die Beziehung zum Du ist unmittelbar, zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie … Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme … nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung."
In diesem Sinne könnte man formulieren: Realität wird nicht gewusst – Realität wird "geglaubt"; und zwar dies in dem Sinne, wie es eine tiefe Überzeugung gibt über die Realität der Begegnung mit anderen. Zwar ist richtig, dass die moderne Philosophie von dem Descarteschen Satz ausgeht "Cogito-sum" und dass die Gewissheit dieses Cogito durch den Zweifel, der sich im Selbstbezweifeln quasi einholt, dadurch bestätigt wird, dass der Zweifel sich nicht selbst bezweifeln kann. Dennoch scheint die eigentliche Gewissheit über die Existenz des Selben über die Begegnung mit dem Anderen, die Geborgenheitsbeziehung in der frühkindlichen Dyade zustandezukommen. Es ist ja auch keineswegs so, dass Therapeuten ihren Patienten in dissoziativen Zuständen empfehlen, den Realitätsgehalt ihres Daseins dadurch zu steigern, dass sie sie dazu auffordern, die Einholung des Selbstzweifels im Descarteschen Sinne nachzuvollziehen. Patienten würden dies wohl auch als Persiflage ihrer seelischen Notsituation empfinden müssen.
Für die Authentizität von Bildern, eines der am meisten diskutierten Probleme der Medientheorie, kann man in diesem Sinne fragen: Sind Bilder authentisch, wenn eine Begegnung mit ihnen stattfindet? Und worin müsste eine solche Berührung oder Begegnung bestehen?
In einer Wirklichkeit des Konstruktivismus, der Beliebigkeit, der Fiktionalismen, der "Agonie des Realen" (Baudrillard) stellt sich die Frage nach dieser Authentizität. Wann ist bildhafte Wirklichkeit "real", so real, dass Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit übertragen werden. Ist Realität etwas Gegebenes oder wie wird Realität "geglaubt"? Es gibt sicherlich verschiedene Stufen von Authentizität von Bildern. Eine solche ist kürzlich im Folkwang Museum in Essen zum Thema und Problem geworden. Es ging um die Echtheit von Bildern des russischen Malers Jawlensky. In der damaligen Nummer des Spiegel hieß es hierzu:
"Resigniert bekennt sich der Chef des Essener Folkwang Museums Költzsch zu der Lebenswahrheit: "Man sieht nur, was man weiß"… Das Auge ist, jedenfalls allzu oft, ein bestechlicher Urteilsfinder, einer, der durch alle möglichen Einflüsterungen gnädig oder aber streng gestimmt werden kann. Je nachdem, was der Betrachter sich einreden lässt, kann sein Blick zwischen echt und falsch, zwischen Original und Imitat, zwischen Bewunderung und Geringschätzung leicht ins Schwimmen geraten."
Sind Bilder dann echt, dann authentisch, wenn wir sie dazu machen oder gibt es eine untergründige Echtheit an sich selbst, aus der Geschichte, der Entstehungsgeschichte? Dies hat mit der Frage nach der "narrativen Identität" zu tun, wie sie Paul Ricoeur in seinem Hauptwerk Zeit und Erzählung entwickelt hat.
Hier heißt es:
"Der zarte Sprößling, der aus der Vereinigung von Geschichte und Fiktion hervorgeht, ist die Zuweisung einer spezifischen Identität an ein Individuum oder eine Gemeinschaft, die man ihre narrative Identität nennen kann. 'Identität' wird hier als eine Kategorie der Praxis aufgefaßt. Die Identität eines Individuums oder einer Gemeinschaft angeben, heißt auf die Frage antworten: wer hat diese Handlung ausgeführt, wer ist der Handelnde, der Urheber? Auf diese Frage wird zunächst so geantwortet, daß jemand benannt wird, das heißt, durch einen Eigennamen bezeichnet wird. Doch worauf stützt sich die Dauerhaftigkeit des Eigennamens? Was berechtigt dazu, daß man das so durch seinen Namen bezeichnete Subjekt der Handlung ein ganzes Leben lang, das sich von der Geburt bis zum Tod erstreckt, für ein und dasselbe hält? Die Antwort kann nur narrativ ausfallen. Auf die Frage 'wer?' antworten, heißt, wie Hannah Arendt nachdrücklich betont hat, die Geschichte eines Lebens erzählen. Die erzählte Geschichte gibt das wer der Handlung an. Die Identität des wer ist also selber bloß eine narrative Identität."
Die zweite Art von Authentizität von Bildern ist in der Medienwirklichkeit besonders deutlich. Ist die Bildhaftigkeit von Fernsehen authentisch? Ist dasjenige "wahr", was und weil wir es so im Fernsehen sehen, und in welchem Sinne wird mit Wahrheit "gelogen"? Welche Beziehung stellen wir zu diesen Wahrheiten her? Theodor W. Adorno hat in seiner Zeit der Emigration, in den USA, die These vertreten, dass das damals sich entwickelnde Fernsehen eine enorme sozialpsychologisch destruktive Wirkung ausüben werde. Die Begründung für diese Aussage Adornos lag in der Erkenntnis einer falsch gesteuerten "Mimesis". Unter Mimesis ist hierbei zu verstehen die Fähigkeit von Menschen zur "Anähnelung", zur Imitation, von sich etwas anderes imitierend und intern nachvollziehend zu eigen machen. Auf den Zusammenhang zwischen der zunehmenden Gewalttätigkeit von Kindern und Jugendlichen und ihrem Medienkonsum in einer Welt der Simulakren wird immer wieder hingewiesen.
In einem neu entwickelten Drehbuch von Marianne Rosenbaum The present future heißt es hierzu:
"Von den Menschen, die aus einer simulierten Erdenwelt ("Earth Two") zurückgekehrt sind wird gesagt: "ihr könnt' s doch beschwören, ihr seid die Echten, sagt, dass er auch echt war, sagt's! …. oder seid ihr auch nicht echt? … Was heißt echt?" (Udo steht im Wasser, bewegt sich nicht, sagt ununterbrochen lächelnd vor sich hin: "Und niemand stellt die Wellen ab".)"
Hier erscheint Realität offenbar nicht im Fichte'schen Sinne als "Hemmung der Spontaneität des Ich" sondern als Spontaneität selbst.
Was ist das besondere an einer Wirklichkeit, in der man die Wellen nicht so einfach abschalten kann, und in der der "Gesang der Lerche" noch nicht simuliert wurde? C.G. Jung hat hierauf, von seiner Archetypenlehre herkommend, eine Antwort gegeben, die ich als Herausforderung hier in den Raum stellen möchte: Es geht dabei um die Urbildhaftigkeiten oder archetypischen Bilder, die vorgängigen Bilder in uns, die Jung mit der Welt der Symbole in Zusammenhang bringt. Was ist notwendig, damit ein Symbol nicht erstirbt, nicht unlebendig wird, sondern Lebenswirklichkeit, "Realität" ausstrahlt? Jung schreibt hierzu folgendes:
"Solange ein Symbol lebendig ist, ist es der Ausdruck einer sonstwie nicht besser zu kennzeichnenden Sache. Das Symbol ist nur lebendig, solange es bedeutungsschwanger ist. Ist aber sein Sinn aus ihm geboren, d. h. ist derjenige Ausdruck gefunden, welcher die gesuchte, erwartete oder geahnte Sache noch besser als das bisherige Symbol formuliert, so ist das Symbol 'tot', d. h. es hat nur noch historische Bedeutung. Man kann deshalb immer noch davon als von einem Symbol reden, unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß man von dem spricht, was es war, als es seinen besseren Ausdruck noch nicht aus sich geboren hatte. Die Art und Weise, wie Paulus und die ältere mystische Spekulation das Kreuz behandeln, zeigt, daß es für sie ein lebendiges Symbol war, welches Unaussprechliches in "unübertrefflicher Weise" darstellte."
Für Jung sind also Symbole einerseits nur dann Symbole, wenn sie "lebendig sind", andererseits aber nur dann, wenn sie nicht im zeichenhaften Verweis auf etwas Bekanntes stecken bleiben. Symbolik heißt immer Verweis auf etwas 'Unaussprechliches', etwas noch nicht ausgedeutetes, etwas, wenn man so will, das wir "ahnen aber nicht wissen".
Mit diesen Thesen Jungs geht es bei der Lebendigkeit von Symbolen und damit bei der Lebendigkeit psychischen, bildhaften Lebens überhaupt um die Frage des "Horizontes", des Lebendigseins durch die Herausforderung durch das Unerschlossene und Unabschließbare. Damit dieses Erleben des "Nichttotseins, des Lebendigen", im Symbol erhalten bleibt, ist es notwendig, dass interne Kohärenz erlebt wird, d. h., es ist ein Lebensgefühl erforderlich von Geborgenheit in Natur; mit anderen Worten: es kann nicht sein, dass Mangel an untergründiger Verlässlichkeit sich äußert wie: Die Wellen werden abgeschaltet: Ende der Simulation.
In Parenthese gesagt: Eine solche Unabgesichertheit der psychischen Existenz, die tatsächlich zum Zusammenbruch von psychischer "Realität" und Stabilität führt, findet man bei Patientinnen und Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen und insbesondere dissoziativen Störungen nach frühkindlichen Traumatisierungen, insbesondere der Exposition von Kindern in Zustände extremer Ambitendenz und Ambivalenz bis hin zum "double bind".
Wie im Prinzip interne Kohärenz, innere Bildhaftigkeit, die verlässlich erscheint, in uns entsteht, darüber hat die neurobiologische Forschung in den letzten Jahren eine Menge herausgefunden, wobei moderne Technologien wie funktionelle bildgebende Verfahren von ganz besonderer prägnanter Bedeutung gewesen sind.
Wie, auf welche Weise entstehen Bilder im Kopf. Offenbar können wir uns
dabei zusehen, wie Bilder in uns entstehen, wenn wir funktionelle bildgebende Verfahren anwenden. Wir fragen also danach, wie Bilder der Bildentstehung in uns aussehen. Dabei wird häufig die Frage gestellt: Wer ist eigentlich derjenige in uns, der die inneren Bilder in ihrer Entstehung betrachtet, so dass wir sie dann wahrnehmen. Die Antwort lautet: ihr Entstehen im Kopf, ihr Konstruiertwerden ist zugleich ihr Angeschautwerden.
Im täglichen Leben geht man üblicherweise von einem Weltbild aus, das von Philosophen als "naiver Realismus" beschrieben wird. Hierbei wird still-schweigend vorausgesetzt, die äußere Wirklichkeit sei exakt so strukturiert, wie wir sie wahrnehmen, ganz so, als ob es genügen würde, die Welt "wie sie wirklich ist", einfach mit einer Kamera abzufotografieren bzw. abzufilmen, und das menschliche "Subjekt", das "Ich", sei nichts anderes als eine Art von Computer, der diese Sinnesdaten auswertet und in sich abbildet. Tatsächlich ist der Vorgang der Sinneswahrnehmung wesentlich komplizierter: Bevor Sinnesdaten ausgewertet, interpretiert und integriert werden können, bedarf es eines "Konzeptes", eines Weltbildes, eines "mitlaufenden Weltmodells" (Prinz 1983), in das die aktuellen Sinnesdaten eingefügt werden, bzw. von dem aus sie verworfen werden können. Dies führt zu einem Vergleich von "erwarteter Wirklichkeit" mit tatsächlicher Wirklichkeit und damit offenbar zu einem Erlebnis, das man mit den Worten beschreiben könnte: "Dies geschieht jetzt wirklich".
Immanuel Kant hat in der Kritik der reinen Vernunft zur Konstruktivität der Wahrnehmung einen sehr bezeichnenden Satz geschrieben:
"Daß die Einbildungskraft ein nothwendiges Ingrediens der Wahrnehmung selbst sei, daran hat wohl noch kein Psychologe gedacht."
Und Carl Friedrich von Weizsäcker sagt hierzu in seiner geschichtlichen Anthropologie unter dem Titel Zur Biologie des Subjekt:
"Der Empirismus hält Sinnesdaten als solche für gegeben … er sieht nicht, dass Sinnesdaten schon unserer biologischen Ausstattung wegen gar nicht anders als unter einem mit- wahrgenommenen Begriff gegeben sein können."
Bereits aus diesen Andeutungen ergibt sich, dass konstruktivistische Gedanken breit gestreut sind und dass somit "Konstruktivismus" keine in sich einheitliche Theorie darstellt; vielmehr handelt es sich um ein komplexes Bündel von Ideen, die zum Teil bis auf Giambattista Vico zurückgehen und sich teilweise in der Transzendentalphilosophie von Kant und Fichte wiederfinden, derzeit aber insbesondere im psychologischen Konstruktivismus – beispielsweise von Watzlawick – und dem neurobiologischen Konstruktivismus wiederfinden. Die Gedankenwelt des Konstruktivismus hat – im Gegenzug zum Empirismus – dazu geführt, dass der Begriff "Realität" in erheblichem Ausmaß an Selbstverständlichkeit und Einheitlichkeit verlor, so dass wir uns derzeit in einem wissenschaftlichen Klima des "Wirklichkeitsrelativismus" vorfinden, der mit Begriffen wie "Wirklichkeitsfiktion" und "Wirklichkeitsüberarbeitung" charakterisiert werden kann.
In der Neurobiologie geht man derzeit davon aus, dass das mentale System "modular" organisiert ist, d.h., dass den mentalen Funktionen funktionell und zum Teil topographisch zuzuordnende "Module" mit unterschiedlichen Eigenschaften entsprechen, wobei angenommen wird, dass die verschiedenen Module "interaktiv" miteinander wechselwirken, wofür bestimmte sogenannte "Konvergenzzonen" – nach Damasio – von Bedeutung sind. Nach Arbeiten von Mumford ist ein, für die Konzeptualisierung besonders wichtiger Modul die thalamokortikale Rückkopplungsschleife, die Mumford in folgender Weise charakterisiert:
"Es handelt sich um eine vielfache Quelle von Erfahrungswissen auf der Grundlage von Wahrnehmungen, die ihrerseits vielfältige, oft widersprüchliche Hypothesen generiert, die in den neuronalen Systemen des Thalamus integriert werden und in die kortikalen Eingangsstrukturen zurückprojiziert werden."
Nach Mumford bilden diese Rückkopplungsschleifen in dem Kern des Thalamus sogenannte "aktive Blackboards", aktive Repräsentationen, auf denen die jeweils besten Rekonstruktionen bestimmter Aspekte der Außenwirklichkeit dargestellt werden; und insofern können thalamische Strukturen im oben beschriebenen Sinne als "Konvergenzzonen" interpretiert werden. Auf der Seite der Wahrnehmungspsychologie kann man nun auf Grund der hier dargestellten Zusammenhänge eine gewissermaßen "konstruktivistisch fundierte" Illusions-Forschung betreiben, denn das Besondere an Illusionen ist es ja gerade, dass sie den fiktionalen Charakter subjektiver Wirklichkeiten entlarven, wobei aber noch speziell auf Wahrnehmungsstörungen bei schizophrenen Psychosen eingegangen wird, die ja in spezifischer Weise durch veränderte Wahrnehmungswelten gekennzeichnet sind. Das dabei verfolgte Konzept ist die Überzeugung, dass Wahrnehmung keinen in sich einheitlichen Vorgang darstellt, sondern einen interaktiven komplexen Prozess, d.h. ein Geschehen, das man als "internen Dialog" verschiedener System-Teilkomponenten darzustellen versuchen kann.
Abschließend die Frage: wodurch werden Bilder authentisch? Meines Erachtens liegt die Antwort in der These: "Dadurch, daß wir sie dazu machen". Eine Kinderzeichnung kann authentischer sein als eine Fotografie. Wir müssen es "spüren" können, dass das Abbild etwas mit Wahrhaftigkeit, mit Wahrheit, mit etwas zu tun hat, das uns "angeht". Man kann dies auch dahingehend formulieren: sie sind authentisch, insofern sie uns "berühren", ganz im Sinne des "touching", der sensomotorischen "Nähe". Aber wie erfassen wir es, dass etwas uns "angeht"? Dies rührt an die schwierigsten Fragen der Gegenwartsforschung, die in der Neurobiologie-Forschung eine solche nach so etwas wie "Kohärenz" ist. Die "Stimmigkeit" des Zusammenhangs zwischen verschiedenen Teilkomponenten subjektiven Erlebens ist nicht nur ein künstlerisches Geheimnis – es ist auch ein Geheimnis der neurobiologischen Forschung. Arbeiten von Singer, Eckhorn und anderen versuchen derzeit das Geheimnis zu klären: Durch interne Kohärenzwellen – d. h. neuronale Oszillationsprozesse –, die zwischen verschiedenen separaten "Modulen" im Gehirn vermitteln, stelle sich so etwas wie "Einheitlichkeit von Bewusstsein" her. Entscheidend für das Phänomen "Bewusstsein" scheint dabei die Möglichkeit des Perspektivwechsels zu sein, d. h. es muss die Möglichkeit bestehen, einen intentionalen Gegenstand im Mentalen von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten, damit von "Bewusstsein" gesprochen werden kann. Die von Menschen so gern in Anspruch genommene Dimension des Selbstbewusstseins beruht dabei vermutlich auf einer kognitiven Dimension, die der Philosoph Karl Jaspers als "Geschöpf des Menschen" bezeichnet hat, nämlich der Sprache. Nur im fundamentalen Bereich der Sprache ist es möglich, das Konstrukt des "Selbst" bzw. des "Ich" so zu prozessieren, dass es in dem Sinne externalisierbar wird, dass das eigene "Ich" dem "Du" des anderen entspricht und vice versa. Das semantische Vehikel "Sprache" ist darin einzigartig, dass es in der Lage ist, das Besondere im Allgemeinen auszudrücken und damit das Selbst- und Weltverhältnis so zu konstruieren, dass von "Selbstbewusstsein" gesprochen werden kann. Die neurobiologische Basis, die für dieses "Geschöpf des Menschen" Sprache erforderlich ist und war, besteht in einer Fülle von komplexen internen
neuronalen auf Konstruktivität beruhenden "Dialogen" zwischen Subsystemen, d. h. internen fein abgestimmten Wechselwirkungen, die so etwas wie "Realität" "aushandeln" und damit intern stabilisieren. Dabei spielt das Gedächtnis als die "narrative Identität" (Ricoeur) möglich machende Instanz eine zentrale Rolle. Ob es in diesem Sinne allerdings wirklich gelingt, auf diesem Wege ein neurobiologisches Weltbild zu schaffen, das auch konkret den Anforderungen einer tragenden Selbstinterpretation von Subjektivität genügt, muss dahingestellt bleiben.
Baudrillard, J. (1987) Agonie des Realen. Berlin: Merve.
Buber, M. (1994) Ich und Du. Gerlingen: Lambert Schneider.
Damasio, A.R. (1989) The brain binds entities and events by multiregional activation of convergencezones. Neuronal Computat, 1, S. 123-132.
Mumford D. (1991) On the computational architecture of the neocortex. Biol Cybern, 65, S.135-145.
Fichte, J.G. (1798) Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, in: I. H. Fichte (Hrsg.) (1971) J.G. Fichte: Werke, Bd. IV, Berlin: Walter de Gruyter & Co Verlag.
Jung, C.G. (1989) Das Typenproblem in der Menschenkenntnis. In: Gesammelte Werke, Band 6: Psychologische Typen. Düsseldorf: Walter.
Jung C.G. (1991) Traumsymbole des Individuationsprozesses. Grundwerk C.G. Jung, Band 5. Düsseldorf: Walter.
Kant I. (1974) Kritik der reinen Vernunft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Prinz, W. (1983) Wahrnehmung und Tätigkeitssteuerung. Heidelberg: Springer.
Ricoeur, P. (1991) Zeit und Erzählung. Bd. 3: Die erzählte Zeit. München: Fink.
Vico, G. (1710) De antiquissima Italorum sapientia, Neapel 1858, Kapitel VII, 3.
Watzlawick, P. (1976) Wie wirklich ist die Wirklichkeit? München: Piper.
Weizsäcker, C. F. v. (1982) Zur Biologie des Subjekts, in: Der Garten des Menschlichen. München / Wien: Carl Hanser Verlag.