Nach Lev Manovichs mittlerweile als Klassiker der digitalen Filmtheorie zählendem Aufsatz What is digital Cinema? (vgl. Distelmeyer 2017: 91) galt für den Großteil des 20. Jahrhunderts: „Cinema is the art of the index; it is an attempt to make art out of a footprint.“ (Manovich 2001: 294f) Die Indexikalität des Films war denn auch eines der meistbemühten Argumente in der Debatte um filmischen Realismus (vgl. Prince 1996: 28). Doch spätestens Anfang der 1990er Jahre geriet das Verständnis von Film als fotografisch-indexikalischer Kunst durch Werke wie TERMINATOR 2 – JUDGEMENTDAY (USA 1991) oder JURASSIC PARK (USA 1993) ins Wanken. Die Einführung von CGI (Computer Generated Imagery) im Live-Action-Film verbietet es nach Manovich, weiterhin von einem Index zu sprechen. Stattdessen werde der Film zu einem Subgenre der Animation. Lange wurden Animationsfilme als Gegenpart des Live-Action-Films gesehen (vgl. Bordwell/Thompson 2008: 370). Im Gegensatz zur Animation, „[which] foregrounds its artificial character, openly admitting that its images are mere representations“ (Manovich 2001: 298), stand der fotografisch aufgenommene Realfilm für eine „aura of reality captured on film, thus implying that cinema was about photographing what existed before the camera“ (ebd.: 299). Doch seit der Möglichkeit Bilder per Computer zu manipulieren seien beide nicht mehr grundsätzlich voneinander zu trennen (vgl. ebd.: 295). Dass es in der Filmgeschichte seit jeher Spezialeffekte gab, die mittels Spiegel, Matte Paintings, Rückprojektion, etc. Illusionen erschaffen, wurde von der Filmtheorie als randständig abgetan (vgl. ebd.). CGI brachte einen Paradigmenwechsel. Die Bilderwelten entstehen weniger primär beim Dreh, sondern vor allem in der digitalen Postproduktion. Fotografisch aufgenommene Bilder werden nicht mehr chemisch-physikalisch als Lichteinschreibung gespeichert, sondern entweder per Scan in nummerische Bildwerte übersetzt oder mittels digitaler Kameras direkt als solche auf die interne Festplatte geschrieben. Damit werden die Filmbilder vom indexikalisch-ikonischen Code ins arbiträre Reich des Symbolischen überführt. Werden die digitalisierten ehemals fotografischen Bilder im fertigen Film wieder als solche sichtbar, hat man es mit einem doppelten Übersetzungsvorgang zu tun, da die in abstrakte Werte zerlegten und für das menschliche Auge so nicht wahrnehmbaren Bildinformationen bei der Ausgabe für eine analoge Perzeption rückübersetzt werden. Diese Notwendigkeit einer doppelten Transformation veranlasst denn auch zu der Behauptung, digitale Visualisierungen seien keine Bilder im herkömmlichen Sinne mehr (vgl. Richter 2008: 52).
Während Manovichs These der Unvereinbarkeit digitaler Bilder mit Indexikalität in den letzten Jahren häufiger in Zweifel gezogen wurde (vgl. Distelmeyer 2013: 91), ist seine Ableitung daraus, dass Spezialeffekte, die filmtheoretisch lange als Sonderfall betrachtet wurden, mittlerweile „the norm of digital filmmaking“ (Manovich 2001: 302f) sind, sehr konsensfähig. Durch das Vorliegen als digitale Daten werden Live-Action-Bilder so elastisch und von den Beschränkungen der physischen Welt befreit, wie es zuvor nur der Animation vorbehalten war. Das Bild lässt sich in eine Vielzahl von einzelnen Bildpunkten zerlegen, von denen jeder einzeln angesteuert und bearbeitet werden kann. Im Ergebnis eines sogenannten digitalen Compositings (vgl. Flückiger 2008: 505) entstehen Hybridbilder, die aus unterschiedlichen Elementen zusammengefügt wurden, was im Endprodukt selbst jedoch nicht mehr erkennbar ist. Virtuelle Kameras wiederum ermöglichen ebenso rein digital erstellte Bewegungsbilder. Welche Attraktionen fotorealistisch erzeugt werden können, ist lediglich eine Frage von Rechenpower, die stetig zunimmt. Seit Mitte der 1990er Jahren bringt das digitale Kino entsprechende Bilderwelten hervor, die dem Publikum bis dato ungeahnte Schauwerte liefern. 2009 etwa erregte der digitale 3D-Film AVATAR (USA 2009) große Aufmerksamkeit und wurde zum Aushängeschild der sich permanent steigernden visuellen Möglichkeiten in der Geschichte digitaler Blockbuster.
Im Weiteren wird es allerdings nicht um diese Geschichte gehen, sondern um einen bisher unbeachteten Nebenstrang, der hier als digitales Paracinema bezeichnet werden soll. Damit sind CGI-lastige Werke gemeint, die im Vergleich mit digitalen Hollywood-Produktionen als wenig überzeugend wahrgenommen werden. Als Produktionen mit niedrigem Budget bringen sie computergenerierte Bilder hervor, die im Gegensatz zu den gewöhnlich in der Theorie des digitalen Kinos als Referenzen herangezogenen Filmen nur ein kleineres Genrepublikum erreichen. Angesichts des Problems, dass der digitale Anteil von Bildern aufgrund der stets analogen Ausdrucksebene nicht einsehbar ist, stellt ‚schlechte‘ CGI, so die hier vertretene These, einen mindestens ebenso ertragreichen Untersuchungsgegenstand dar wie die perfekt anmutenden Produktionen der großen Studios, um sich die eigentliche mediale Konstitution des aktuellen Spielfilm-Kinos bewusst zu machen. Darum soll der Versuch unternommen werden, gerade aus diesen unzulänglich wirkenden Bildern basale Einsichten über digitale Bildkompositionen abzuleiten und danach zu fragen, unter welchen Bedingungen CGI als realistisch wahrgenommen wird und inwiefern es sich dabei um verschiedene Ausprägungen von Realismus handelt.
Der Begriff Paracinema wurde 1995 von Jeffrey Sconce geprägt und bezeichnet: „less a distinct group of films than a particular reading protocol, a counter-aesthetic turned subcultural sensibility devoted to all manner of cultural detritus“ (Sconce 1995: 372). Als „a most elastic textual category“ (ebd.) lassen sich Filme, die als Teil des Paracinemas betrachtet werden können, also weniger durch die konkrete Zuschreibung zu bestimmten Genres oder Gattungen benennen. Eher geht es um randständige Produktionen in einem weiten Feld, das produktionsästhetisch vor allem den Bereich der Low-Budget- oder Amateurfilme und B-Movies, genremäßig vor allem den Bereich des Horror- und Exploitationsfilms umspannt (vgl. ebd.). Es sind genau die Abweichungen von etablierten Standards, die laienhafte oder überzogene Bildgestaltung, Montage, Dramaturgie oder Schauspielerei, die Filme für das „particular reading protocol“ interessant machen. Das Werk von Ed Wood gilt gemeinhin als Paradebeispiel des Paracinema. Als Sprachrohr des Paracinemas fungierten ursprünglich Fanzines wie Psychotronic Video oder Zontar, deren Agenda Sconce klar formuliert sieht: „to valorize all forms of cinematic ‘trash’, whether such films have been either explicitly rejected or simply ignored by legitimate film culture“ (ebd.). Attribute wie ‚trash‘ oder ‚schlecht‘ sind in diesem Sinne ein Produkt „of discoursive play rather than fixed qualities attaching to film“ (Hunter 2004: 491). Gegen solche diskursiven Setzungen wollten sich Fans des Paracinemas anfangs als kulturelle Gegenbewegung abgrenzen und als „disruptive force in the cultural and intellectual marketplace“ (Sconce 1995: 372) gegen elitäre Geschmacksvorgaben formieren. Die damit betriebene Lagerbildung hat sich jedoch schon seit längerem entschärft: „In recent years, the paracinematic community has seen both the institutionalization and commercialization of their once renegade, neo-camp aesthetic. [… T]he paracinematic sensibility has recently begun to infiltrate the avant garde, the academy, and even the mass culture on which paracinema’s ironic reading strategies originally preyed“, so Sconce (372f). Insbesondere im Feld der „media studies“ ist eine neue Wahrnehmung ehemals unbeachteter Filme auszumachen (vgl. ebd.: 377).
In den 2000er Jahren lässt sich im digitalen Kino eine ähnliche Entwicklung beobachten, wie Sconce sie allgemein beschrieben hat, die hier als digitales Paracinema benannt werden soll. Neben den als Meilensteinen computergenierter Bildgestaltung gefeierten Blockbustern, die das Publikum im Kino goutiert, entstehen diverse Produktionen, die sich durch vergleichsweise mangelhafte CGI und abstruse Handlungen auszeichnen, genau dafür jedoch von einem Publikum gefeiert werden, das ähnliche „reading strategies“ anwendet, die der von Sconce beschriebenen paracinematischen Gemeinde zu eigen sind. Dabei können zwei Arten identifiziert werden. Der Film BIRDEMIC (USA 2010) steht exemplarisch für Filme in der Ausgangsituation des Paracinemas: Filme, „so beguilingly distant from the conventions of mainstream cinema as to represent an alternative universe of cinematic practice, an exotic far shore of incompetence and tastelessness“ (Hunter 2014: 484), die nur von einem kleinen, aber hingebungsvollen Publikum rezipiert werden. BIRDEMIC, vom Regisseur James Nguyen selbst für gerade mal 10.000 US-$ produziert, handelt von durch globale Erwärmung mutierten Adlern, die Menschen angreifen. Nguyen übernahm auch das Marketing und die Distribution des Films, indem er Kinos für öffentliche Screenings anmietete. Wegen seines ironiefreien hölzernen Schauspiels, der holprigen Dramaturgie, die allzu deutlich ihre gutgemeinte Botschaft zum Umweltschutz vor sich herträgt, des unprofessionellen Bild- und Tonschnitts und der herausragend ,schlechten‘, weil unbekümmert simplen CGI, „which counter and parody [allerdings unbeabsichtigt, M.F.] the pristine digital realism of contemporary science fiction blockbusters“ (Hunter 2014: 490), hat sich das Werk durch eine stetig wachsende Zuschauerschaft als Kultfilm etabliert. Durch die Verbreitung auf DVD und im Internet konnte der Film bis heute eine internationale Fangemeinde um sich scheren. In diversen Onlineforen rege kommentiert wird sogar darüber spekuliert, ob er PLAN 9 FROM OUTER SPACE (USA 1959) den Rang als schlechtester Film aller Zeiten ablaufen könne.
Für eine andere Ausprägung des digitalen Paracinemas stehen die Filme der Produktionsfirma The Asylum, die sich auf sogenannte Mockbuster spezialisiert hat. Parallel zu Kinoveröffentlichungen des zeitgemäßen CGI-Blockbuster-Kinos bringt die US-amerikanische Firma Filme für Fernsehsender und den Direct-to-DVD-Markt heraus, die im Titel an die Blockbuster angelehnt sind und deren narratives Grundsetting grob nachahmen. Die Produktionen erfolgen entsprechend schnell und günstig. Titel, die von The Asylum herausgebracht wurden, lauten etwa SNAKES ON A TRAIN (USA 2006; Referenz zu SNAKES ON A PLANE (USA 2006)), THE DA VINCI TREASURE (USA 2006, Referenz zu THE DA VINCI CODE (USA 2006)), TRANSMORPHERS (USA 2007, Referenz zu TRANSFORMERS (USA 2007)) oder OPERATION DUNKIRK (USA 2017, Referenz zu DUNKIRK (GB/F/NL/USA 2017)). Ferner ist The Asylum für seine digitalen Creature-Features bekannt, wobei die SHARKNADO-Reihe (USA 2013–2018) der Firma die größte Aufmerksamkeit eingebracht hat. Was The-Asylum-Produktionen von Filmen des Paracinemas, wie Sconce es beschreibt, unterscheidet, ist, dass „their intention is never, exactly, to be ‚good‘“ (ebd.: 483). Das prädigitale Paracinema wurde von den Fans selbst entdeckt. In ihrem Dilettantismus, mit dem die Werke einen „authoral intent (Weiner in Hunter 2014: 490) umzusetzen versuchen, offenbaren sie eine gewisse Unschuld und Blauäugigkeit und damit eine „essential authentic sincerity“ (ebd.: 490), wie sie auch in BIRDEMIC zu erkennen ist. Es ist gerade ihr grandioses Scheitern, was die Filme zum Kult werden lässt. The-Asylum-Produktionen hingegen werden von vornherein als „cult ready-mades“ (ebd.: 487) geplant. Spätestens mit den digitalen Distributionsmöglichkeiten des Direct-to-DVD-Marktes und des Internets hat sich das Paracinema als Konzept kommerzialisiert und kann als bewusste Strategie bei der Filmproduktion einkalkuliert werden. Mögen die ersten The-Asylum-Produktion noch auf dem Prinzip beruhen, mit billigen Imitationen das Blockbuster-Publikum auf dem Heimkinomarkt anzusprechen (bzw. zu täuschen), hat sich die Firma bald das Kultpotenzial ‚schlechter‘ Filme zunutze gemacht.
Von einem digitalen Paracinema soll hier aus mehreren Gründen gesprochen werden: Zum ersten bezieht sich digitales Paracinema auf Filme wie BIRDEMIC, die von einem bestimmten Publikum gerade wegen ihres Scheiterns auf mehreren Ebenen gefeiert werden, vom Schauspiel über die Dramaturgie bis hin zu den digitalen Effekten, welche für diese Einordnung eine entscheidende Rolle spielen. Auch die The-Asylum-Produktionen werden von ihren Fans für ihre vergleichsweise ‚schlechte‘ und maßlos übertriebene Ausführung ‚wertgeschätzt‘, doch ist hier das Scheitern bereits Teil des Marketingkalküls. Unverhohlen absurde Plots, die sich um riesige Piranhas oder Hai-Tornados drehen, entstehen erst aufgrund der Möglichkeit, solche Kreaturen durch CGI mittlerweile relativ einfach zu generieren. Insofern unterscheidet sich das digitale Paracinema vom Paracinema, das Sconce beschreibt, weil dessen Rezeption nicht mehr mit der gleichzeitigen Zurückweisung elitärer Ästhetik (vgl. Sconce 1995: 372) einhergeht, sondern sich als eine weitere Unterhaltungsform neben anderen verbreitet hat. Zum zweiten kann von einem digitalen Paracinema die Rede sein, weil es primär digitale Distributionsmöglichkeit wie die DVD und das Internet mit seinen neuen Formen des Fanaustausches sind, die diese Verbreitung ermöglicht haben. Zum Dritten können gerade die The-Asylum-Mockbuster als digitales Paracinema verstandenen werden, weil sie ohne die digitalen Blockbuster gar nicht entstehen würden und stets parallel zu deren Kinoauswertung auf DVD veröffentlich werden. Insofern lassen sie sich auch als eine Art Paratext begreifen, da ihre Existenz von der Referenz zu einem entsprechenden Originaltext bedingt ist.
Bisher hat die digitale Filmtheorie vor allem aufwendige Hollywood-Produktionen in den Blick genommen. Dabei können gerade jene Produktionen, die in der Qualität ihrer digitalen Effekte mit zeitgleichen Blockbustern nicht mithalten können oder wollen, einen wertvollen Beitrag zur Theorie des digitalen Kinos leisten. In einem späteren Artikel stellt Sconce ein besonderes Erkenntnispotenzial der von ihm 1995 diskutierten abseitigen Filme für die akademische Auseinandersetzung heraus: „The argument here is that ‚faulty‘ narratives may be more valuable teaching tools than ‚complex‘ ones […]“ (Sconce 2003, S. 25.). ,Schlechte’ Filme besitzen den Vorteil, sich einfacher dominanten Codes zu entziehen: „When the codes of Hollywood realism are working successfully, even the most critical viewer can find it difficult to resist the illusion of immersion into a seemingly real and plausible world“ (ebd.: 23). ,Schlechte‘ Filme hingegen lenken mit ihren weniger überzeugenden Darstellungen, die deutlich abweichen von dem, was gemeinhin als realistisch wahrgenommen wird, da es eben der Norm für Realismusstrategien folgt, den Blick auf Konstruktionscharakter des Films:
The foregrounding of outmoded (or just plain bad) performances, however, forces students to confront obsolescent strategies for portraying realism. Such excesses in exploitation cinema, I would argue, provide an excellent foundation for engaging the historically variable constructions of cinematic realism […] as a nexus of obsolete codes and systems once to be believed to be ‚realistic‘. (ebd.: 21, Herv. im Original)
Dieser Argumentation folgend wird hier davon ausgegangen, dass es gerade die „faulty“ GGI des digitalen Paracinemas sind, an denen sich Einsichten über zentrale Eigenschaften computergenerierter Bilder in Spielfilmen ableiten lassen.
Eine der größten Herausforderung in der Auseinandersetzung mit digital generierten Bildern im Kino besteht darin, dass die digitale Revolution des Films für die Zuschauer*innen im Grunde unsichtbar bleibt. Durch die Mittel der digitalen Bildmanipulation können „sowohl computergenerierte als auch gefilmte Bildanteile ununterscheidbar in hybriden Bewegtbildern miteinander verschmolzen“ (Richter 2008: 80) werden. In Gegenüberstellung des technologischen Fortschritts der Bilderzeugung und dessen Niederschlag auf der ästhetischen Ebene spricht Manovich deswegen von einer ungleichen Entwicklung:
This concept of uneven development can be useful in thinking about changes in contemporary visual culture. Since this process started 50 years ago, computerization of photography (and cinematography) has by now completely changed the internal structure of a photographic image. Yet its ‚skin‘, i.e. the way a typical photograph looks, largely remains the same. […] So we can say at present our visual culture is characterized by a new computer ‚base‘ and an old photographic ‚superstructure‘. (Manovich 2006: 28)
Manovichs Ansicht ist paradigmatisch für die Theorie zum digitalen Kino. Häufig wird angenommen, dass die bahnbrechenden und rasanten technologischen Fortschritte im Bereich der Bildproduktion im Kern unsichtbar bleiben, weil die Bilder auf der Oberfläche nach wie vor dem fotorealistischen Code verpflichtet sind (vgl. Belton 2003). So bleibt es vor allem der dargestellte Inhalt, der als Indikator digitaler Bildproduktion fungiert. Tatsächlich lässt sich ein Trend zum fantastischen Kino entdecken, indem ehemals scheinbar unmögliche Visualisierungen zur Tagesordnung werden (so galt die Der-Herr-der-Ringe-Reihe lange als unverfilmbar)1. Folgt man William J. Mitchells Auffassung von Fotorealismus, kommt es dabei zur Kollision zwischen Weltwissen und kultureller Prägung des fotografischen Codes. Fotografien, so Mitchell, „were comfortably regarded as causally generated truthful reports about things in the real world” (Mitchell 1992: 225). Genau diese Kollision, die Möglichkeit, Dinge zu sehen, von denen wir wissen, dass sie unmöglich sind, stellt einen zentralen Reiz des digitalen Kinos dar. Stephen Prince hat hierfür das Konzept des perzeptiven Realismus entworfen:
[E]ven unreal images can be perceptually realistic. Unreal images are those which are referentially fictional. […] Spielberg's dinosaurs obviously refer to creatures that once existed, but as moving photographic images they are referentially fictional. No dinosaurs now live which could be filmed doing things the fictionalized creatures do in Jurassic Park. By contrast, referentially realistic images bear indexical and iconic homologies with their referents. They resemble the referent, which, in turn, stands in a causal, existential relationship to the image. (Prince 1996: 32, Herv. im Original)
Perzeptiv realistische Bilder erscheinen deswegen als glaubwürdig, weil sie so entworfen werden, dass sie mit den audiovisuellen Erfahrungen der Zuschauer*innen, die diese in der dreidimensionalen wirklichen Welt machen, korrespondieren. Für diese Entwürfe gibt es eine Reihe von Parametern wie Licht, Farbe, Textur, Bewegungen und deren jeweilige Geschwindigkeiten als auch Geräusche, deren komplexes Zusammenspiel die Gestaltung berücksichtigen muss:
Perceptual realism, therefore, designates a relationship between the image or film and the spectator, and it can encompass both unreal images and those which are referentially realistic. Because of this, unreal images may be referentially fictional but perceptually realistic. (ebd.)
Die Folge ist die Abkopplung des Realismuseindrucks von der Fotografie als indexikalischer Kunst. „[I]ndexical referencing is no longer required for the appearance of photographic realism in the digital image“ (ebd.: 32f). Der Einsatz des Computers in der Bildgestaltung befreit den angestrebten fotorealistischen Eindruck von der Notwendigkeit der tatsächlichen Aufnahme. So entstehen auch fiktionale Bilder, die gemäß dem Weltwissen der Zuschauer*innen zwar irreal sein müssen und dennoch perzeptiv realistisch sind, weil sie die physikalischen Anhaltspunkte der fotografischen Wiedergabe mittels komplexer Algorithmen reproduzieren. Im Gegensatz zu analoger Bildbearbeitung, in der Effekte vorherrschend waren, die ästhetisch herausstachen (vgl. Kap-herr 2018: 37), bleibt der Eingriff durch den Computer unter der von Manovich so benannten „old photographic ‘superstructure’“ verborgen. Insofern lässt sich hier eine Unterscheidung treffen zwischen zwei Formen von Effekten: „Während Special Effects einer Logik der Separation verschrieben waren, folgen Visual Effects nun der Logik der Integration“ (ebd.: 183). Dass die digitalen Effekte als unsichtbar bezeichnet werden, heißt also nicht, dass sie nicht dazu dienen, unwirkliche Spektakel auszustellen, sondern meint Szenen, die so aussehen, als wären sie tatsächlich vor der Kamera so aufgenommen worden (vgl. Flückiger 208: 228), unabhängig von der Glaubwürdigkeit des Geschehens.
Während Manovichs These von der Unsichtbarkeit der digitalen Effekte in der Theorie zum digitalen Kino einflussreich ist (vgl. Flückiger: 194), entsteht jedoch ein anderer Eindruck, wenn man sich nicht ausschließlich an Hollywoods Blockbustern orientiert, sondern ebenso ,schlechte‘ CGI miteinbezieht. Als ,schlecht‘ werden diese in der Praxis bezeichnet, wenn sie auch mit bloßem Laienwissen als solche erkennbar sind (vgl. ebd.: 364). Das Versagen der digitalen Effekte gegenüber den Anforderungen des Fotorealismus stellt sie konträr zu Princes perzeptuellen Realismus als perzeptuell unrealistisch heraus.
Nguyens Film liefert viele Gründe, ihn als schlechten Film zu zelebrieren. Doch ohne seine eklatant ,lächerlichen‘ computergenierten Bilder bzw. Bildanteile hätte er es sicherlich niemals zu dem Kultstatus gebracht, für den er heute berüchtigt ist. Die erste Szene, in der solche zum Einsatz kommen, ist ein Angriff der Adler auf eine Gruppe von jungen Leuten, die sich in einen Van flüchten und sich währenddessen mit Kleiderbügeln gegen die Raubvögel verteidigen – so zumindest ließe sich die narrative Intention beschreiben. Zu sehen ist genaugenommen etwas anderes.
Vier Personen stehen vor einem Auto und blicken gen Himmel, von wo aus sich vermeintlich die Adler nähern. Der Angriff wird mit den Worten „Here they come!“ eingeleitet. Nach einem Zwischenschnitt ist dieselbe Kulisse zu sehen, im Vordergrund tummeln sich nun jedoch Bildartefakte, die die Adler darstellen sollen. Zu keinem Zeitpunkt wäre eine Verwechselung dieser Szene mit einem wirklichen Ereignis, das so vor der Kamera stattgefunden haben könnte, möglich. Von einem perzeptiven Realismus kann hier keine Rede sein. Die Adler, simpel generierte GIFs und Sprites (vgl. Hunter 2014: 490)2, sind ganz offensichtlich der ursprünglichen Aufnahme hinzugefügt, die dadurch zum Bildhintergrund wird, was besonders deutlich an den Stellen sichtbar ist, wo sich die Konturen der ,angreifenden‘ Vögel mit helleren Stellen überlagern. Noch offensichtlicher wird die Tatsache, dass es sich hier um verschiedene Bildebenen handelt an der Art und Weise, wie die Figuren sich bewegen. Die Schläge erfolgen unkoordiniert und willkürlich und zielen kaum auf die Stellen, an denen sich Adler befinden sollen, zumal eine Person bereits wesentlich früher anfängt nach etwas zu schlagen, als die Raubvögel überhaupt ins Bild kommen. Diese verharren ihrerseits bis auf den Flügelschlag und minimale Auf- und Abbewegungen starr im Bildausschnitt, reagieren also in keiner Weise auf die Bewegungen der Menschen. Ästhetisch werden hier augenfällig zwei ontologisch getrennte Erscheinungen in einem Bild zusammengebacht, ohne dass dies in irgendeiner Weise narrativ plausibel wäre (wie etwa in WHO FRAMED ROGER RABBIT (USA 1988)). Ist die Aufnahme der Menschen dem fotorealistischen Code verpflichtet, gelingt es nicht, die Adler damit in Einklang zu bringen, sie bleiben mehr als Grafik denn als Abbild von etwas Vorfilmischen erkennbar. Was in CGI Standard ist, jedoch verborgen bleibt, wird hier unfreiwillig hervorgehoben. Die Gesamtheit der Szene ist eindeutig keiner (einzigen) Aufnahme zuzurechnen, sondern erst in der Postproduktion entstanden. Sie zerfällt damit ganz entgegen der für Realismus geltenden Regel der Einheit von Raum und Zeit. Der noch fotorealistisch anmutende Dreh und die Momente der Postproduktion sind innerhalb desselben Bildraums klar unterscheidbar. Weder gelingt es einen einheitlichen Bildraum zu schaffen, noch entsteht der Eindruck von Synchronizität. Der Verlust der Indexikalität, der bei der Beschäftigung mit digitalen Bildern theoretisch von großem Gewicht ist, in der rezeptionsästhetischen Praxis jedoch, wie Princes Konzept des perzeptiven Realismus zeigt, an Bedeutung verliert, wird hier für das Publikum wieder zum Faktor. Um die Szene im Sinne der Erzählung als Adlerangriff einzuordnen, müssen die Zuschauer*innen von indexikalischen Assoziationen bewusst Abstand nehmen und die Bilder kognitiv primär im Sinne symbolischer Zeichen akzeptieren. In ihrem völligen Scheitern verweist diese Szene auf einen Schlüsselmoment digital erstellter Hybridbilder. Die simulierte physische Interaktion zwischen realen Schauspieler*innen und digital animierten Kreaturen stellt auch im Blockbuster-Kino eine der größten Herausforderungen dar. Dabei sind Interaktionen oder gar Berührungen höchst funktional im Sinne des Realismus, denn sie vermögen „virtuelle Wesen stärker in die Diegese einzubinden“ (Flückiger: 250). Interaktionsmomente (meist in Nahaufnahmen) werden daher häufig mit aus realweltlichen Materialen hergestellten Figuren wie Animatronics abgefilmt und mit den rein digitalen Bildern in der Montage kombiniert. So ist es vor allem die Strategie der Mischung aus digital generierten und realen Aufnahmen unter Nutzung des „prinzipiell fragmentierten Darstellungsmodus des Films“ (ebd.), die einen realistischen Eindruck digitaler Bilder verstärken kann. In BIRDEMIC hingegen finden alle Interaktionen zwischen den Menschen und den mutierten Vögeln ausschließlich über ontologisch inkongruente Bildkomponenten statt. Das Versagen der Hybridisierung zu einem verschmolzenen Bildraum verweist dabei auf den Grundzustand digital komponierter Bilder, in dem es die eine Bildfläche, die bei analogem Film noch angenommen werden konnte, nicht mehr gibt3. Digitale Bilder bestehen genuin aus „Hunderten von Bildschichten aus verschiedenen Quellen“ (Richter 2008: 77). BIRDEMICs radikal naiver Versuch, ein bestimmtes Geschehen dadurch simulieren zu können, indem zwei visuelle Ebenen, ungeachtet jeglicher einen dreidimensionalen Raum konstituierenden optischen Gesetze und Strategien sie ästhetisch harmonieren zu lassen, einfach übereinandergelegt werden, macht allerdings einen bedeutenden Teil des ,schlechten‘ Charme des Films aus, der ihn zum Kult hat werden lassen.
Die Produktionen von The Asylum stehen zwischen einem DIY-Projekt wie BIRDEMIC und den Blockbustern großer Studios. Wird in BIRDEMIC nur in wenigen Szenen auf CGI zurückgegriffen, findet digitale Bildgestaltung in Produktionen dieses Studios weit mehr Anwendung, nichtsdestotrotz gelten ihre Effekte als ‚billig‘. Was sie so wirken lässt, obwohl die digitalen Elemente wie Sharksploitation-Monster, Mega-Piranhas oder Riesenroboter in Bezug auf Form, Charaktermerkmale und Bewegungsfähigkeit wesentlich besser als Nguyens Adler erscheinen, sind die fehlenden Details, die großen Anteil an einer fotorealistischen Wirkung haben. Das Problem ist vor allem eine zu glatte Oberflächenstruktur als auch die mangelnde Integration mit den fotografischen Aufnahmen der Schauspieler*innen und der Umgebung. Während Hollywood viel Recherche und Rechenpower darauf verwendet, verschiedenen Oberflächen eine entsprechend spezifische, naturalistisch wirkende Textur zu verleihen, erweisen sich die Oberflächenstrukturen in den von The Asylum hergestellten Bildern als weitgehend homogen. Nicht nur ist die textuelle Beschaffenheit des simulierten Materials, egal ob Metall oder Haut, gering ausgeprägt. Auch das Fehlen kleinerer Makel und Eigenheiten lässt die Texturen irreal wirken. Zudem ist das mangelnde Zusammenspiel von äußeren Faktoren und den Materialien, wie etwa Lichtreflexionen, von großem Belang. Doch selbst, wenn solche Kriterien erfüllt sind, ist für einen realistischen Gesamtlook immer noch die Integration im Raum bestimmend. Die verschiedenen Bildkomponenten müssen in ein stimmiges Verhältnis gebracht werden, das auch über Bewegung hinweg aufrecht erhalten bleibt. So müssen z.B. die Beleuchtungsparameter der einzelnen Elemente untereinander korrespondieren. Diese realistischen Verfahren lassen sich unter dem Begriff des Matchmaking zusammenfassen, in welchem „Perspektivverschiebungen des Blickpunktes im dreidimensionalen Raum der Animation entsprechend den Abbildungsprinzipien der physischen Kamera berechnet werden“ (Richter: 75). Werden solche Parameter nicht ausreichend mitgestaltet, wird umso deutlicher, wie stark die Einschätzung eines Objektes als realistisch nicht nur von dessen eigener Gestaltung, sondern auch von ästhetischen Begleiterscheinungen abhängt. Erst diese liefern
powerful means of ‚gluing‘ together synthetic and live-action environments and of furnishing the viewer with an internally unified and coherent set of cues that establish correspondences with the properties of physical space and living systems in daily life. These correspondences in turn establish some of the most important criteria by which viewers can judge the apparent realism or credibility possessed by the digital image. (Prince 1996: 33f)
Während diese Prozesse, die optischen Gesetzen folgen, bei der fotografischen Aufnahme gleichsam automatisch miteingefangen werden (vgl. Richter 2008: 88), müssen sie im Falle von digitalen Bewegungsbildern durch eine virtuelle Kamera auf Basis komplexer Algorithmen permanent neuberechnet und -erzeugt werden4. Gelingt es, optische Gesetze adäquat in Zahlenwerten auszudrücken und damit berechenbar zu machen, lässt sich der verlorene Index des nicht-chemisch-physikalischen Bildes quasi digital simulieren: „[C]omputerized components seem to fulfill the indexicalized conditions of photographic realism“ (Prince 1996: 33). Um diese Leistungen zu erzielen, bedarf es der entsprechenden Rechenpower, über die kleineren Produktionen aufgrund des begrenzten Budgets und des viel enger gestrickten Zeitplans nicht verfügen. Besonders auffällig sind die Makel auch bei SHARKNADO 2 in Momenten der vermeintlichen Berührung zwischen den digital erzeugten Elementen und den realen Schauspieler*innen.
So fallen in einer Szene etwa Haie vom Himmel und erschlagen Passant*innen auf den Straßen New Yorks. In einer anderen Szene wird der Protagonist in die Luft gewirbelt und trifft auf einen Hai, der mit geöffnetem Maul auf ihn zufliegt. Da der Held jedoch eine Kettensäge mit sich führt, sägt er den ihn verschlingenden Hai in der Mitte durch. Allerdings wirkt die Kollision der Körper in beiden Szenen so, als würden sie sich geisterartig durchdringen, ohne dabei jegliches Gefühl von Haptik oder materiellem Widerstand aufkommen zu lassen.
Gerade den Mockbustern kann in diesem Kontext eine bildtheoretische Leistung zugesprochen werden. Indem die Produktionen stets parallel zu Hollywood-Blockbustern veröffentlicht werden und als eine Art Paratext zum im Titel referenzierten digitalen Mainstreamkino auftreten, fordern sie als Quasi-Plagiate zum direkten Vergleich heraus und heben mit ihren Mängeln die notwendigen und geleisteten Anstrengungen der digitalen Bildgenerierung hervor, die mittlerweile etabliert wurden. Ihre ungelenke Ausführung erinnert an Previs (kurz für Previsualisierungen), die in großen Produktionen als „bewegte, aber klobig animierte Visualisierungen […], die ohne Texturen wie Licht und Schatten auskommen“, als „eine ‚clunky-vision‘ des Films“ (Kap-herr 2018: 53) in der Vorbereitungsphase zum Einsatz kommen. Da sie so jeweils indirekt den aktuellen Entwicklungsstand computergenerierter Bild zum Ausdruck bringen, wirken sie der von Manovich konstatierten Ungleichzeitigkeit von „base“ und „superstructure“ entgegen. Durch die augenfällige Differenz zur Ästhetik der zeitgenössischen Vergleichswerke machen sie deren aktuellen technologischen Fortschritt ex negativo auf der Bildebene wahrnehmbar. Damit unterstützen diese Produktionen insbesondere Kritik an Manovichs Thesen, wie sie z.B. Barbara Flückiger geäußert hat: Ist Manovich hinsichtlich einer neuen Qualität der Zusammenführung von technisch und materiell unterschiedlichen Quellen zu einem gleichmäßig wirkenden digitalen Bild prinzipiell zuzustimmen, lehnt sie Manovichs Universalisierung dieser Entwicklung ab. Neben den von Manovich herangezogenen Beispielen gibt es, wie an den besprochenen The-Asylum-Filmen zu sehen, diverse Fälle, in denen das digitale Compositing nicht „ausschließlich nahtlose Bilder“ erzeugt (Flückiger 2008: 195). Die etwa in SHARKNADO 2 erkennbaren ästhetischen Dissonanzen bestätigen, „dass die digitale Transformation von Material keineswegs per se zu einer phänomenalen Einebnung führt“ (ebd.: 264). Auch wenn sich Computeralgorithmen seit Ende der 1990er Jahre in der automatischen Hervorbringung von fotorealistischen Simulationen als sehr leistungsstark erwiesen haben, bedarf es für eine glaubhafte Repräsentation immer noch „arbeits- und kapitalintensiver“ Korrekturverfahren, die nur mit entsprechenden Eingriffen von Fachleuten „mit ausgewiesenem Können“ durchgeführt werden können (vgl. ebd.: 198)5.
,Schlechte‘ CGI hilft allerdings nicht nur digitale Prinzipien fotorealistischer Bilder besser greifbar zu machen, sondern führt auf mehrfache Weise die Relativität von Realismusvorstellungen vor Augen. So erweisen sich The-Asylum-Produktionen, die ausschließlich für die TV- und DVD-Auswertung produziert werden, als wenig ‚cineastisch‘. Deren digitale Bilder erscheinen gerade dann merkwürdig und nicht kinoadäquat, wenn sie zu fehlerfrei und glatt sind, selbst, wenn die Oberflächentexturen entsprechend naturalistisch ausgearbeitet sind. Denn der Realismusgrad von Bildern ist ebenso von kulturellen und sozialen Aspekten abhängig. Die Gewöhnung an das analoge Filmmaterial, das lange Zeit die Kinoerfahrung geprägt hat, ist nach wie vor ein Faktor, wenn es darum geht, dem Publikum glaubwürdige Bilder anzubieten. So simulieren digitale Hollywood-Produktionen gerne gerade jene analogen Bildartefakte (vgl. ebd.: 334ff) wie Kornrauschen, Linseneffekte oder gar Kratzer, die eigentlich als Störmomente in der möglichst realitätsnahen, d. h. unvermittelten Wiedergabe gelten müssten, um die dem analogen Bild gegenüber ‚kalten, sterilen‘ Computerbildern zugesprochene ‚Wärme‘ zu erlangen (vgl. Richter 2008: 56). Diese Form der digitalen Simulation zeigt, dass die Überwindung solcher „intrinsischen Aspekte der fotografischen Aufnahme“ (Flückiger 2008: 334), die eigentlich einem Eindruck von Unmittelbarkeit entgegenwirken, paradoxerweise zu einem Defizit an Realismus umschlagen kann. Es ist nicht nur die gelebte Realität selbst, die zum Bemessungsgrad der Glaubwürdigkeit eines Filmbildes wird, sondern auch mediale Referenzen sind wichtig (vgl. Richter 2008: 18).
Es gibt ferner andere Faktoren, die nicht-fotorealistische Effekte eines Films zwar nicht unbedingt glaubhaft, doch zumindest schlüssig erscheinen lassen können. Die SHARKNADO-Reihe etwa ist bewusst für einen Markt produziert, der aus der Kommerzialisierung des Paracinema hervorgegangen ist. Die ,schlechten‘ digitalen Effekte lassen sich durchaus in Kongruenz mit dem eindimensionalen Schauspiel und den narrativen Übertreibungen sehen, was hier keine Verfehlung, sondern bewusste Strategie ist. Als zeitgemäße Variante der berüchtigten praktischen Effekte eines Ed-Wood-Films zielen sie somit auf eine andere Form der Glaubwürdigkeit, die sich an der zuschreibbaren Nähe zu den impliziten filmischen Vorbildern bemisst. Die Sichtbarkeit der Effekte steht vor allem mit der exzessiven Narration in Einklang. Wie Katrin von Kap-herr betont, betreiben die CGI-lastigen Produktionen Hollywoods typischerweise einen Doppelgestus des Zeigens und Verbergens. Einerseits sollen die digital erzeugten Attraktionen als Schauwerte hervorstechen, gleichzeitig bleiben diese Effekte jedoch doppelt unsichtbar: Nicht nur sind die „Visual Effects ästhetisch oft so gestaltet, dass sie vom Rest der Filmbilder ununterscheidbar sind“ (Kap-herr 2018: 114, Herv. im Original), sondern sie lenken von ihrer eigentlichen Künstlichkeit auch dadurch ab, dass sie sich funktional in die Diegese und Narration integrieren, d.h. die Effekte stehen im Dienst der Erzählung. The-Asylum-Produktionen hingegen folgen stark der Logik eines Kinos der reinen Attraktionen, in dem die narrativen Versatzstücke lediglich als schwache Bindeglieder für die Aneinanderreihung visueller Spektakel dienen. SHARKNADO 2 beginnt beispielweise direkt mit einem Passagierflugzeug, das ohne weitere Erklärungen von einem Hai-Tornado angegriffen wird. Dieser Tornado bildet die Ausgangslage für den restlichen Verlauf der Handlung, die stets nur Vorwand ist, weitere Hai-Angriffe aus der Luft zu inszenieren. Die folgenden Teile der Filmreihe, die schließlich noch um Elemente wie Zeitreise (was es u.a. erlaubt, auch Dinosaurier ins Spiel zu bringen) angereichert wird, lassen die Ausrichtung der Filme auf möglichst großen Exzess klar erkennen. Die spektakulären und selbstbewusst der Logik klassischer Narration trotzenden Momente sind fraglos die Triebfeder dieser Filme. Insofern stehen deren digitale Effekte mehr im Zeichen von der Logik der Separation folgenden Special Effects – und damit in einem plausiblen Verhältnis zu einer Erzählweise, die nicht das Ziel verfolgt, durch inhaltliche Kohärenz zu überzeugen. Denn im Gegensatz zu digitalen Visual Effects, die „in die narrative Geschlossenheit zurückführen“ (Kap-herr: 13) sollen, gibt es hier keine narrative Geschlossenheit jenseits der Spektakelaneinanderreihung. Letztlich kann die ,schlechte‘ oder anti-realistische CGI gar ehrlicher und „authentischer“ anmuten, da sie ihre „Konstruktion offen und lesbar ausstell[t]“ (Richter 2008: 60). Filme wie SHARKNADO 2 bringen ebenso wenig digital fotorealistische Effekte hervor, wie sie versuchen, die Zuschauer*innen immersiv in eine realistisch anmutende Filmwelt zu verstricken. Stattdessen steht zu vermuten, dass es gerade die auf Distanz gehaltene, den optischen Trick permanent durchschauende Rezeptionshaltung ist, die bei solchen Filmen einen Lustgewinn liefert. Das Offenlegen des Konstruktionscharakters, das der ,schlechten‘ CGI immanent ist, verweist wiederum auf ein grundlegendes Problem, mit dem die Visual Effects von Hollywood-Blockbustern umzugehen haben. Die Leistungsfähigkeit eines solchen digitalen Realismus ist eben die Fähigkeit, künstlich erzeugte Bilder so wiederzugeben, als ob sie mit der Kamera aus einer vormedialen Wirklichkeit aufgenommen wurden. Allerdings läuft die Unsichtbarkeit der Effekte dem gleichzeitigen Ziel der Produktionen, für eben diese Arbeit wertgeschätzt zu werden, zuwider. Deswegen veröffentlichen digitale Blockbuster typischerweise offizielle Begleitmedien wie Making-of-Dokumentationen, die vermeintlich in Produktionsgeheimnisse einweihen, zuallererst aber betonen, dass die digitalen Effekte sehr arbeitsintensiv waren und dem Einsatz kreativer Menschen geschuldet sind (vgl. Kap-herr: 101).
Relativ realistisch ist aber auch die vermeintlich qualitative CGI der großen Produktionen selbst. Auch die sogenannten Meilensteine der Visual Effects sind keineswegs gefeit davor, im Rückblick nicht mehr denselben faszinierenden Eindruck hervorzurufen6. Was in einer The-Asylum-Produktion der 2010er Jahre als schlecht erscheinen mag, ist vielleicht gar nicht allzu weit entfernt von ehemals bahnbrechenden Digitaleffekten der 1990er Jahre. So verweist Flückiger z.B. auf TERMINATOR 2, „von dem heute niemand mehr behaupten würde, dass das Compositing ‚unsichtbar‘ oder ‚nahtlos‘ sei“ (Flückiger: 197). Dementsprechend scheint der Realismus digitaler Bildlichkeit per se nur relativ bzw. historisch zu fassen.
Der theoretische Wert ,schlechter‘ CGI, so lässt sich abschließend festhalten, liegt in ihrer immanenten digitalen Sichtbarkeit begründet. Dabei führt die, mit Sconce gesprochen, ‚Faultiness‘ der CGI umso deutlicher vor Augen, von welchen und wie vielen Faktoren ein überzeugender Realitätseindruck letztlich abhängen kann. Speziell in ihrem Scheitern bzw. als Störmoment innerhalb realistischer Erwartungen, und damit als Abweichung von Normen der Repräsentation, sensibilisiert ,schlechte‘ CGI nicht nur für Ansprüche, die gemeinhin an einen digitalen Realismus herangetragen werden, sondern auch für eine Wahrnehmung des gemeinhin unsichtbaren ,Digitalen‘ digitaler Bilder. Außerdem zeigt die Auseinandersetzung mit ,schlechter‘ CGI, dass digitaler Realismus nicht nur mit klassischen Realismusprinzipien zu bemessen ist. Insbesondere die The-Asylum-Produktionen verweisen auf weitere Aspekte, wie das Verhältnis der Effekte zur Narration, den Bezug zu medialen Referenzbildern, das jeweilige Dispositiv, in dem die Bilder rezipiert werden sowie die historische Wandelbarkeit von Wahrnehmung. Nicht nur digitale, sondern filmische Realismuseffekte generell, dies wird hierbei deutlich, werden nicht allein aus dem Bild selbst heraus erzeugt, sondern sind stets auf das Zusammenspiel mit kontextuellen Rahmenbedingen angewiesen.
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