Ein Pärchen steht in der Schlange vor einer Kinokasse; die beiden verhandeln darüber, welchen Film sie sich anschauen wollen. Persönliche (den geschlechtsspezifischen Konventionen entsprechende) Filmvorlieben werden ebenso wie Genreerwartungen zum Argument für oder gegen die zur Diskussion stehenden Filme. Schließlich überzeugt der Eintrittspreis: die Freikarten für die Premiere eines groß angekündigten Horrorstreifens werden eingelöst.
Was sich schon vor Betreten des Kinos angedeutet hat, wird im Foyer schließlich offensichtlich: bei „Stab“ – so der Titel – handelt es sich nicht um einen beliebigen Film, sondern um ein gut vorbereitetes Kinoereignis. Neben den Ankündigungen und Kartenverlosungen steigert auch die Promotion im Kino selbst die Ereignishaftigkeit des Films. So wird im Foyer das Kostüm einer Filmfigur als Souvenir an alle Besucher verteilt und im Zuschauersaal schwebt dieser Protagonist als Puppe über den Sitzreihen. Das – teilweise kostümierte – Publikum befindet sich schon vor der Premiere des Films in ausgelassener Stimmung; Vorfreude und aufgeputschte Erwartungen lassen die Atmosphäre im Kino vibrieren.
Während der Film schon begonnen hat, verläßt das Pärchen noch einmal den Zuschauerraum, um Popcorn zu kaufen. Aufgrund der Vorbehalte seiner Partnerin gegen „Stab“ bietet der junge Mann ihr nochmals an, das Kino zu wechseln und einen – zuvor von ihr in die Diskussion gebrachten – Film mit Sandra Bullock anzuschauen. Man bleibt jedoch beim Horrorfilm, und während er zur Toilette geht, setzt sie sich mit einem großen Becher Popcorn wieder auf ihren Platz und verfolgt gebannt den Fortgang von „Stab“.
Mit dieser Darstellung eines Kinobesuchs beginnt der Film SCREAM 2 (USA 1997). Das Paar, an dem entlang die Narration zu Beginn entwickelt wird, überlebt den Horrorfilm „Stab“ erwartungsgemäß nicht. Während dessen Eingangssequenz, die wiederum eng an den Anfang von SCREAM (USA 1996) angelehnt ist, wird die junge Frau im Zuschauerraum getötet, während ihr Partner bereits auf der Toilette erstochen wurde. Aber nicht nur dieses Setting und die Selbstreferenz auf den ersten Teil des Sequels macht Scream 2 zu einem medienreflexiven Film. Vielmehr sind beide Teile (in Vorbereitung: SCREAM 3, Fan Page) regelrecht durchsetzt von Zitaten, offener Thematisierung oder Anspielungen auf Film und Fernsehen. Die Inszenierung von Mediengebrauch (z.B. Kinobesuch) und Produktionsaspekten (z.B. Fernsehteam am Schauplatz des Verbrechens) wird ergänzt durch jugendliche Handlungsfiguren, deren ‘Medienkompetenz‘ markiert wird, indem sie immer wieder Filmsituationen zur Deutung ihrer eigenen Situation heranziehen. Dabei legen beide Teile des Horrorsequels Scream die eigenen Genrekonventionen durch den Mund ihrer Protagonisten offen. Diese auf die Spitze getriebene Selbstreflexivität fungiert gleichzeitig als zusätzliches Spannungselement: Werden die thematisierten Genreregeln nun eingehalten oder gebrochen?
Mit ihrer Medienreflexion entwerfen die beiden Filme SCREAM und SCREAM 2 gleichzeitig auch Szenarien vom Mediengebrauch und geben Auskunft über (medien)spezifisches Rezeptionsverhalten. Glaubt man den filmischen Darstellungen von Kinobesuchen, so scheint sich dieses grundlegend zu verändern, und das konstatierte ‘Beben‘, das u.a. mit der Digitalisierung der Bilder, dem Verbund des Films mit anderen Medien und dem Anwachsen von Multiplexkinos in Zusammenhang gebracht wird, sein Spuren auch in der Filmrezeption zu hinterlassen.
Durch die Inszenierung des oben beschriebenen Kinoabends in SCREAM 2 wird diesem ein spezifischer Status verliehen. Zahlreiche Hinweise machen deutlich, daß es sich bei der Sneak Preview von „Stab“ um ein ganz besonderes Kinoereignis handelt. Dieser Ereignischarakter ist im Film gekennzeichnet durch das Verhalten der Zuschauer, aber auch durch die Vergabe von Freikarten, die Dekoration des Kinos, die Souvenirs, die schwebende Puppe und ähnliche Aktionen, die die Ereignishaftigkeit (mit)produzieren. Gleichzeitig stellt SCREAM 2 das Kino als einen Ort mit uniformierten Angestellten und Popcorntheke vor, als Ort, an dem das Publikum tobt, vor allem aber, an dem sich die Ereignishaftigkeit von ‘großen‘ Filmen - in Form von Freikarten, Dekoration u.ä. - vollzieht. Dieser Entwurf vom Kino, der am Anfang von SCREAM 2 in Bilder umgesetzt wird, unterscheidet sich sowohl von anderen filmischen Inszenierungen als auch von theoretischen Überlegungen zur Kinosituation. SCREAM 2 referiert nicht mehr uneingeschränkt auf das Modell des dunklen Kinosaals als Ort der Filmrezeption; ein Modell, das beispielsweise für psychoanalytische Filmtheorien von zentraler Bedeutung ist und selbst wiederum in zahlreichen Filmen – besonders auch vom Horrorgenre – aufgegriffen wird.
In diesen theoretischen und filmischen Rezeptionsmodellen ist die Kinosituation vor allem durch eine anonyme Rezeption gekennzeichnet, die jeder Zuschauer für sich alleine und von den übrigen Filmbesuchern relativ unbeeinflußt vollzieht. Die nicht-alltägliche Umgebung und die Dunkelheit während der Projektion tragen nach diesen Konzeptionen wesentlich zu einer von der Umwelt losgelösten Rezeptionshaltung bei. Durch die spezifische Anordnung der Kinoapparatur (Projektor, Zuschauer, Leinwand) wird der Zuschauer an seinen oder ihren Sitzplatz fixiert und in ein Stadium der Passivität und Bewegungslosigkeit versetzt. Derart auf die Leinwand ausgerichtet wird der Zuschauerblick mit dem projizierten Filmbild verschweißt - und zwar als aufmerksamer Blick (gaze) eines konzentrierten Betrachters (spectator).
Diese Situation, die sich als filmisches Setting für die Inszenierung eines Mordes hervorragend eignet, scheint für einen Großteil der Kinobesucher in SCREAM 2 jedoch keine Gültigkeit mehr zu haben (und vielleicht ist es ja kein Zufall, daß ausgerechnet die Zuschauerin, deren Filmrezeption diesem Modell noch am ehesten entspricht, zum Opfer wird). Der Zuschauersaal ist vielmehr mit Leuten gefüllt, die „Stab“ zu zweit oder in Gruppen zu einem gemeinsamen Kinoerlebnis machen, die sich miteinander austauschen und stimmungsmäßig gegenseitig anstacheln. Immer wieder bricht Jubel aus, Zuschauer springen von ihren Plätzen – kurz: im Entwurf von SCREAM 2 ist Filmrezeption keine isolierte Angelegenheit und dem Film auf der Leinwand gilt nicht die uneingeschränkte Aufmerksamkeit.
Das Rezeptionsverhalten, das SCREAM 2 dem Kinopublikum zuschreibt, löst sich in vielen Punkten deutlich von den klassischen Modellen der Filmrezeption ab. Mit der Darstellung der Zuschauer von „Stab“ wird vielmehr an ganz andere Rezeptionsmodelle angeknüpft, nämlich an die, die für das Medium Fernsehen entwickelt wurden. In theoretischen Überlegungen wird Fernsehen – im genauen Gegensatz zur Kinosituation – als eine alltägliche Handlung konzipiert, die sich im Kreis der Familie oder von Freunden vollzieht. Als Gegenstand, dessen Plazierung in der Wohnung auf den täglichen Gebrauch zielt, ist der Fernsehapparat nicht an einen außergewöhnlichen Ort gebunden. Dieses Fehlen des ‘Kontemplationsortes‘ (dunkler Kinosaal) und die Einbindung in den Alltag wirkt sich insofern auf die Fernsehrezeption aus, als diese in einem Zustand der Zerstreuung stattfindet: Ablenkungen (Telefon, andere Tätigkeiten, Handlungen anderer Personen) und die Sichtbarkeit des räumlichen Umfeldes führen dazu, daß der Zuschauer (viewer) im Vergleich zum Kino mit einem deutlich unkonzentrierteren Blick (glance) auf die Mattscheibe schaut. Dieses Modell hat selbst wiederum Eingang in filmische Darstellungen der Fernsehrezeption gefunden. Je nach Sendung werden die Fernsehzuschauer dabei als aktiv und sehr beweglich (Aufspringen bei Sportübertragungen), im Austausch mit anderen oder als gelangweilt hin- und herzappend (z.B. Sidney in SCREAM) inszeniert. (Nicht selten fühlt sich das Kino dazu berufen, sich kritisch vom Fernsehen abzugrenzen und schon deshalb die Fernsehrezeption nicht als konzentrierten Genuß, sondern als Langeweile, Überdruß oder ähnliches zu inszenieren.)
Bereits diese stichwortartige Zusammenfassung der beiden Modelle von Film- und Fernsehrezeption verdeutlicht, daß der Medienunterschied an sehr unterschiedlichen Vorstellungen von ‘den Zuschauern‘ gekoppelt ist. Diese deutliche Differenz zwischen den Rezeptionshaltungen wird in SCREAM 2 jedoch aufgehoben. Hier verhalten sich die Kinobesucher, die der Film in Szene setzt, nahezu wie Fernsehzuschauer: Sie sind weder isoliert, noch passiv an ihren Kinosessel gefesselt, und ihr Blick ist nicht ausschließlich auf die Leinwand gerichtet. Die Zuschauer tauschen sich vielmehr miteinander aus, springen auf und verlassen den Zuschauersaal während der Projektion. Ihre Beweglichkeit und Aktivität geht sogar so weit, daß ein Switchen des Programms durch Kinohopping (… doch der Film mit Sandra Bullock?…) zur Handlungsoption wird.
Dieses Aufweichen der Trennung zwischen Kino- und Fernsehrezeption ist bereits in SCREAM (und zwar ebenfalls zu Beginn des Films) zu beobachten, hier jedoch in entgegengesetzter Richtung: Für einen gemeinsamen Videoabend mit ihrem Freund macht Cassy Popcorn, als sie von ihrem Mörder angerufen wird. Aufgrund des seltsamen Geräuschs, das der Mais auf dem Herd von sich gibt, entwickelt sich ein kurzer Dialog über Popcorn, das für den Mörder am Telefon eindeutig zur Kinosituation zählt, während Cassy mit der Übernahme von Kinogewohnheiten in den Fernsehgebrauch diese Trennung überschreitet. Eine Entdifferenzierung legt darüber hinaus z.B. auch das Motiv des Filmsehens nahe, das in beiden Scream-Folgen verwendet wird. Während es in Scream 2 u.a. um das Kinoereignis „Stab“ geht, werden in SCREAM gemeinsame (Horror-)Videoabende der Protagonisten gezeigt, an denen die Morde geschehen. Dabei werden – wie auch im Kinobesuch in SCREAM 2 – die Filmszenen kommentiert oder die Zuschauern verlassen den Raum, um Bier zu holen oder einen vielversprechenderen Ort (den Schauplatz des Verbrechens) aufzusuchen. Durch diese inszenierten Ähnlichkeiten der beiden Situationen mit tödlichem Ausgang wird die prinzipielle Differenz zwischen Kino und Fernsehen verwischt, die in theoretischen Modellen von zentraler Bedeutung ist. Aus den beiden Teilen von SCREAM erstellt sich insgesamt ein einheitliches Bild vom Akt des Filmsehens, das wesentlich von der Ereignishaftigkeit der Rezeptionssituation geprägt zu sein scheint.
Dennoch löst das Sequel die Medienunterschiede zwischen Kino und Fernsehen nicht vollständig auf. Die Hinweise auf eine Differenz sind zahlreich, beispielsweise wenn Billy seine Beziehung zu Sidney wie einen im Fernsehen gesendeten Film beschreibt: als gekürzte Version; Kenny hingegen bedient sich des Vorteils, den Filme auf Video bieten: er hält das Band kurzerhand an und demonstriert damit seine Kontrolle über das ablaufende Programm. (Diese souveräne Nutzung der Videotechnik wird in Scream wiederum mit Kennys Filmkenntnissen gekoppelt, die ihm aufgrund seines Genrewissen letztendlich das Leben retten.)
Versteht man nun die filmischen Darstellungen des Mediengebrauchs als Reflexion über das Rezeptionsverhalten ‘realer‘ Zuschauer, dann weist SCREAM 2 auf eine signifikante Veränderung hin. Kino findet hier nicht einsam in der Dunkelheit des Zuschauersaals statt, sondern wird als Ereignis geradezu zelebriert. Mit dieser Darstellung der Kinosituation nimmt SCREAM 2 u.a. auf Vermarktungsstrategien Bezug, die das Filmbusiness ‘in Schwingung versetzen‘. Die Promotion für „Stab“, die – entgegen dem in SCREAM 2 gewählten Setting – auf die Werbestrategien von Multiplexkinos (im Film angedeutet durch die Uniformen der Angestellten) verweist, ist untrennbar mit dem Ereignischarakter des dargestellten Kinoabends verbunden. Nicht nur der Film, sondern das gesamte Umfeld – vom Souvenir über die eisgekühlte Coca Cola bis zur Stimmung der ‘Mit-Seher‘ – gehört nun zum festen Bestandteil des Kinoerlebnisses, wobei diese Veränderung der Kinosituation von Multiplexkinos mit vorangetrieben wird. In der Inszenierung von SCREAM 2 erfährt die Ereignishaftigkeit eines Kinoabends eine Zuspitzung und wird durch Anleihen bei Konzepten der Fernsehrezeption markiert.
Betrachtet man SCREAM 2 hingegen als Reaktion auf theoretische Überlegungen zur Filmrezeption, so läßt der Rückgriff auf die Fernsehrezeption vermuten, daß für das ‘neue Kino‘ noch kein eigenes Beschreibungsmodell entwickelt wurde. Zwar hat sich die Perspektive auf den Ereignischarakter von Film und Kino in wissenschaftlichen Texten schon längst verschoben. Vor allem in den Cultural Studies und in neueren filmhistorischen Arbeiten wird dieser Aspekt thematisiert. Für filmische Darstellungen scheinen die hierbei entwickelten Modelle jedoch noch nicht ausreichend kanonisiert zu sein. So kommt es, daß im Film das Ereigniskino an das Medium Fernsehen angenähert wird und sich damit dessen konventionalisierte Bewertung gleichzeitig auf das ‘neue Kino‘ überträgt. In die Hierarchie der Medien, in der das Fernsehen durch die zahlreichen binären Zuschreibungen (high/low, Hoch-/Popkultur, Konzentration/Zerstreuung …) deutlich vom Film geschieden und diesem untergeordnet wird, fügt sich insofern ein neues Element nur scheinbar ein. Durch die Analogie zum Fernsehen führen die filmischen Darstellungen des Ereigniskinos jedoch vor allem die Hierarchisierung fort, die nun in der Gegenüberstellung von Kunst- vs. Kommerzfilm, Blockbuster-Produktion vs. Autorenkino, Multiplex vs. Programmkino besteht.