Wie kann man Filmwissenschaft an einer Universität betreiben? Seit den 1970er Jahren hat sich diesbezüglich einiges verändert. Bis dahin saßen die Filmwissenschaftler am Schneidetisch oder im Kino, um dem flüchtigen Gegenstand, den Laufbildern des Films, habhaft zu werden. Heute besuchen wir als Filmwissenschaftlerinnen und Filmwissenschaftler zwar immer noch das Kino, machen aber auch Gebrauch von anderen Zugangsmöglichkeiten: wir sehen Filme im Fernsehen, auf Video im Kunstraum oder als heruntergeladene Version auf dem Bildschirm unseres Laptops.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Filmwissenschaft an einer Universität zu betreiben. Am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main z.B. wird vornehmlich mit Film als Celluloidfilm gearbeitet. Der Seminarraum ist der Blackbox des Kinos nachempfunden, es gibt Schneidetische, Projektoren und einen Bestand eigener Filmkopien. Der helle Seminarraum und das dunkle Kino – Heide Schlüpmann, die den Lehrstuhl für Filmwissenschaft in Frankfurt inne hat, versteht „Filmwissenschaft als Kinowissenschaft“. Ausgehend von dieser Position fand am Frankfurter Institut eine Vortragsreihe unter dem Titel „Perspektiven der Filmwissenschaft“ statt (2002/03), deren Beiträge hier publiziert sind. Die Vortragsreihe wurde durchgeführt in Kooperation mit Filmhaus Frankfurt, Amt für Wissenschaft und Kunst Frankfurt, AStA der J.W. Goethe-Universität und Kino Orfeos Erben.
„Vergessen wir nicht – das Kino!“ Ausgehend vom Diskurs des Kinos in filmwissenschaftlichen Ansätzen vor und nach der Filmsemiologie, stellt Sabine Nessel die Frage, in welcher Weise das Kinoereignis überhaupt in der Sprache stattfinden kann. In „Ausrinnen als Einübung“ vertritt Drehli Robnik die These vom Splatter-Film als Denk-Anstoß für die Filmwissenschaft, die den „Wert fleischlicher Sinnstiftung“ zu schätzen weiß. In „Videoüberwachung und Filmwissenschaft“ analysiert Winfried Pauleit den Umgang des Filmwissenschaftlers mit dem Videorecorder. Der Filmwissenschaftler gerät von hier aus in die Nähe des kriminologischen Ermittlers. Um spezifische Raumdimensionen geht es in den Beiträgen von Marc Ries und Ute Holl. Marc Ries konstatiert die „Verströmung des Films an für ihn uneigentliche Orte“ und zeigt auf, was es heißt, wenn wir Filme jenseits des Kinos im Fernsehen, im Kunstraum oder auf dem Bildschirm unseres Rechners sehen. Ute Holl schlägt in „Ur-Sprünge“ einen Bogen von Trinitys Sprung am Anfang von THE MATRIX zur Desorganisation des Kinoraums in den Filmen von Maya Deren. Der (etwas andere) Bezug auf die Dimension Körper verbindet die Texte von Anja Streiter und Nora Abdel Rahman. In „Das ‚Kino der Körper‘ und die Frage der Gemeinschaft“ zeigt Anja Streiter am Beispiel von Jacques Doillon auf, was es heißt, als Filmwissenschaftlerin die spezifische Stellung des Schauspiels zu bearbeiten. Nora Abdel Rahman stellt demgegenüber eine Verbindung her zwischen der akustischen (und damit somatischen) Dimension in Lacans Spiegelstadium und der Raumphilosophie von THX.
Für die Redaktion Sabine Nessel