An der Schläfe glänzt ihr Schweiß, der Mund ist aufgerissen, die Schultern beben. Zuvor schiebt sich ein erhabener Feuerball ins Bild, aus dessen Oberfläche glühende Plasmaschläuche hervorbrechen. Vor die Linse der VHS-Kamera wird ein rotes Bandana der Bloods-Gang gehalten, daraufhin das einknickende Leichentuch über dem toten Körper von Michael Brown. Wie ein visuelles Crescendo nähert sich eine vibrierende Welle aus Ketten, der Avatar eines Videospiels läuft vor ihr davon. Beschleunigtes Atmen. Neben einem Billardtisch tanzt Breonna Taylor, deren Lächeln anstecken könnte, wäre es in einen anderen Kontext eingebunden.
Bilder unterschiedlichster Provenienz und Textur werden in Arthur Jafas Musikvideo zu Kanye Wests Single WASH US IN THE BLOOD (USA 2020; WUITB) miteinander in Beziehung gesetzt. Aus dem Fundus digitaler, zirkulierender Bilder versammelt und verwebt er vorgefundene Fragmente aus Handyvideos, Satellitenbildern, dem Videospiel Grand Theft Auto V (GTA), VHS-Aufnahmen, Musikvideos oder Fernsehsendungen. In der rhythmisierten Montage konvergieren diese disparaten Elemente zu einer audiovisuellen Assemblage, deren Kollisionsbilder Bezüge zu politischen und popkulturellen Wissensbeständen herstellen. Die Emergenz neuer Affektkonstellationen wird dabei durch verschiedene Modi der Aneignung erzeugt, die sich auf kompositorische Register aus Musik und bildender Kunst beziehen. Jafas Bildschichtungen untergraben in diesem Prozess nicht nur kanonisierte Deutungslinien einer medial konstituierten Historiographie, sondern insistieren gleichsam auf der Gegenwärtigkeit der Bildfunde und stellen Fragen an ihre Situierung in der digitalen Umgebung. Die Verbindung von Technologie und weißer Vorherrschaft, Überwachung und Rassismus bilden dabei ein konstantes Spannungsfeld des bildinternen Denkens. Die Appropriationsschlaufen lassen die Betrachter*innen nicht im omnivoren Bilderstrudel versinken, stattdessen werden sie mitgeschliffen und zur Spurensuche animiert.
Bei der Erforschung der Potenziale von Jafas Aneignungsverfahren führt die Spur zunächst zur Montage. Er selbst verwendet zur Beschreibung seiner Praxis regelmäßig den Terminus „affective proximity“ (Da Costa 2017) des Künstlers John Akomfrah, der die Wechselbeziehung einzelner Fragmente in der Montage beschreibt und damit insbesondere auf die Sinnstiftung zwischen den einzelnen Montageelementen durch die Rekontextualisierung des Materials verweist. Jedoch weist die Verflechtung der Bilder über den Affekt der Kombination hinaus. So sind in einer Szene im Kreis driftende Sportwagen zu sehen, um dessen Radius herum sich dicht aneinander das Publikum formiert (02:41 – 02:58). Durch die vorangegangenen, wiederkehrenden Bilder gewaltvoller Situationen stellt sich ein Suspense-Moment ein, der kurz darauf eingelöst wird. Ein Wagen schlittert in die Menge und evoziert damit Assoziationen zu dem vielfach reproduzierten Video des rechtsterroristischen Attentats von Charlottesville, wiederum zitiert in der Schlusssequenz von Spike Lee’s BLACKKKLANSMAN (USA, 2018). Diese Sequenzen lassen sich nicht ausschließlich als „Schockbilder“ (Weingart 2019: 115), sondern vielmehr als Kollisionsbilder begreifen, deren Affekt insbesondere aus der Kollision mit anderen zirkulierenden Artefakten hervorgeht.
Das von Akomfrah fokussierte Nebeneinander markiert vorerst die Divergenz des Affektgefüges. Exzess neben Erhabenem, Vitalität neben Atemnot, verpixelte Texturen neben hochauflösenden Animationen, willkürliche Erinnerung neben unwillkürlicher Erinnerung - alles wird in einen Rhythmus, eine „Artikulation von Zeiteinheiten“ (Richter 1965: 125) überführt. Jedoch stellt sich abseits des Sichtbaren eine Affektdynamik ein, die über das Nebeneinander hinausdeutet, wie etwa die Parallele zu den virulenten Bildern des Attentats. Bei dem Kollisionsbild wird nicht ausschließlich im Eisensteinschen Sinne eine Bedeutung zwischen den Bildern synthetisiert, sondern vielmehr kollidieren die antizipierten Assoziationsüberschüsse der einzelnen Einstellungen. Um die darin fundierten Potenziale zu ergründen, ist es nötig zunächst Jafas Montageverfahren zu eruieren.
Aus der Verschiedenheit des skizzierten Wechselspiels entsteht ein Ensemble formaler Brüche, dessen Funktion Hannah Arendt in Bezug auf Walter Benjamins Zitierverfahren als eine Ambivalenz beschreibt: „In dieser Form von ‚Denkbruchstücken‘ hat das Zitat die Aufgabe, den Fluß [sic!] der Darstellung mit ‚transzendenter Wucht‘ sowohl zu unterbrechen wie das Dargestellte in sich zu versammeln.“ (Arendt 1968) Insbesondere in derartigen Brüchen und Appropriationen liegt laut Christina Scherer die Formverwandtschaft zwischen Schneidetisch und Bewusstsein: „In Zeitsprüngen, Diskontinuitäten und Achronologien findet die filmische Form ihr Äquivalent in den Montagen der Erinnerung und des Gedächtnisses, denn die Erinnerung und das Gedächtnis montieren: Geschehnisse sind ihrem kontinuierlichen Ablauf enthoben.“ (Scherer 2001: 73). Jafa tritt dabei als Kurator dieser Affektblöcke hervor, er konsolidiert und organisiert die Fundstücke, während die Selektion der einzelnen Bildelemente von einer diffusen Affizierung des Perlentauchers motiviert zu sein scheint. Gleichzeitig scheint diese exponierte Autorschaft durch eine digitale Ordnung prädisponiert, die Eduardo Navas als „assemblage gaze“ umschreibt:
„The assemblage gaze makes evident that human perception is not fully defined by the human subject, but that it is also shaped by machinic intensities in combination with emerging technologies that make possible the recording and looped replay, recycling, redistribution, appropriation, and repurposing of archived material.“ (Navas 2018)
Nicht nur das Gesehene, auch die Ökonomie des selektierenden Blicks ist demnach bereits medial konfiguriert. Durch den Rückgriff auf Vergangenes scheint es dabei, als oszilliere Jafa zwischen der Modulation eines kollektiven Bildgedächtnisses, einer „kontinuierliche[n] Denkströmung“ (Halbwachs 1991: 98), und der Nachzeichnung eines höchst individualisierten Kognitionsprozesses. Zwar wirkt Jafas Montage zur Aktualisierung von Erinnerungsbildern hin, wie etwa durch das ins kollektive Gedächtnis eingebrannte Fragment aus dem Video vom Mord an Ahmaud Arbery, jedoch tendieren einige Passagen gleichzeitig zur Beliebigkeit, wodurch sie die Durchlässigkeit des Erinnerns betonen und eine tradierte, institutionalisierte Memorabilität infrage stellen. Stattdessen wird ein Prozess des Erinnerns exerziert, der durch dezentralisierte, saturierte Medienumgebungen geschleust wurde und dabei scheinbar diverse Fragmente absorbiert. Die Montage inszeniert anschließend ein intuitives „Tasten von Beobachtung zu Beobachtung“ (Schanelec 2019: 50), welches sich jedoch nicht im Gestus der schaulustigen Neugier erschöpft, sondern ein wechselseitiges Testen der Bilder aneinander herstellt, oder wie der Autor und Filmemacher Kodwo Eshun es in Anlehnung an Nicole Brenez ausdrückt: „The study of an image by an image itself.“ (Eshun 2018).
Um diesem bildinternen Denken nachzugehen, lohnt ein Blick in Jafas Werkkorpus. Im Vergleich erschließt sich in der intermedialen und intertextuellen Praxis von WUITB und Jafas Arbeiten der vergangenen Jahre nicht nur eine Parallele im Verfahren, sondern zudem konkrete Schnittstellen der Bildarchitektur. Ob das Satellitenbild der Sonne, welches bereits in Jafas Arbeit APEX (USA 2013) als Fotografie zu sehen war, oder das VHS-Tape aus seiner Videoarbeit LOVE IS THE MESSAGE, THE MESSAGE IS DEATH (USA 2016)., bei dem ein rotes Bandana durchs ruckelige Bild flattert, oder die Einstellung des Mannes, der sich beim Funkadelic hören filmt und bereits in Jafas MIX 1 – 4_CONSTANTLY EVOLVING (USA 2017) ausgestellt wurde – die demonstrative Aufzählung könnte ewig fortgesetzt werden. Das Inventarisieren soll an dieser Stelle keinen Schematismus unterstellen, sondern die Repetition als werkübergreifendes, kompositorisches Prinzip ausloten. So beschreibt Tricia Rose mit Bezug auf James Snead:
European culture ‚secrets‘ repetition, categorizing it as progression or regression, assigning accumulation and growth or stagnation to motion, whereas black cultures highlight the observance of repetition, perceiving it as circulation, equilibrium. (Rose 1994: 102)
Die Suche nach diesem Gleichgewicht manifestiert sich in der Gesamtheit seiner Funde. Ein Großteil der Bilder in WASH US IN THE BLOOD sind auf Jafas Arbeit LOVE IS THE MESSAGE, THE MESSAGE IS DEATH (LMMD) zurückzuführen. Neben der Begleitung durch Kanye Wests ‚Ultralight Beam‘ (2016) markieren die diversen Pendants auf der Bildebene die Verwandtschaft der Werke.
Teils entstammen die Fragmente aus LMMD derselben Quelle wie bei WUITB, mal sind die extrahierten Ausschnitte nahezu deckungsgleich, ein andermal entsprechen sie vergleichbaren Bildtypen. Die ästhetische Relation zwischen den Werken ist somit nicht ausschließlich auf eine stilistische Signatur Jafas zurückzuführen, vielmehr stellt WUITB eine Variation, eine Weiterführung, einen Remix von LMMD dar, der permanent die eigene Prozesshaftigkeit reflektiert. Die Filme formulieren keine abgeschlossene Idee, sondern bilden Transmissionen, sind durchlässig für die unaufhörliche Zirkulation anschlussfähiger Bildkonfigurationen. Damit moduliert Jafa ein Verhältnis zwischen Medialität und Identität, welches Aria Dean als Black Circulationism umfasst:
There is no articulable ontology of blackness, no essential blackness, because blackness’s only home is in its circulating representations: a network that includes all the bodies that bear its markers, the words produced by such bodies, the words made to appear to have been produced by such bodies, the flat images that purport to document them, and so forth. (Dean 2016)
Jafa greift durch seine Arbeiten ausgewählte, interferierende Abschnitte dieses Netzwerkes heraus und unterzieht sie einer Revision. Die Repetition der Bilder kann demnach als Recycling konkretisiert werden, als eine Rückführung des Materials in virtuelle, globale Zirkulationsströme. Nach fluktuierenden Kurzaufenthalten in den Zirkeln der Galerieräume und Museen sind die angeeigneten Artefakte aus WUITB nun in neu situierter und transformierter Fassung in ihre gewohnte mediale Umgebung eingebunden. Auch LMMD wurde im Juni 2020 als symbolische Solidaritätsaktion mit der Black Lives Matter Bewegung von verschiedenen Ausstellungshäusern für zwei Tage als Stream bereitgestellt. Seitdem zirkulieren wieder lediglich abgefilmte, wackelige Videomitschnitte der kinematographischen Installation geisterhaft durch gängige Plattformen.
Der Rekurs zur Repetition knüpft an Jafas grundlegende Maxime an „black cinema with the power, beauty, and alienation of black music“ (Jafa 2017) zu kreieren und dabei musikalische Kompositionskonzepte aus Dub, Jazz, Blues oder Hip-Hop auf Montage und Affekt zu übertragen. So kann die Montage, die einzelne Bildspuren aufeinander reagieren lässt, als ‚Call and Response‘ gelesen werden, wohingegen das Aus- und wieder Einblenden der Splitscreens auf das Formprinzip des Dub rekurriert, wo das sukzessive Subtrahieren der Tonspuren als kompositorisches Kernelement fungiert.
Um weitere Vehikel der Aneignung in seinen Arbeiten zu ergründen, hilft die Entschlüsselung der visuellen Sample-Chain. An einer Stelle erscheint ein tobendes Meer aus Ketten, dessen Ausdehnung sich zunächst auf ein dreidimensionales, rechteckiges Areal vor schwarzem Hintergrund begrenzt, bevor es die Bildfläche flutet (02:12 – 02:18). Zum einen evoziert die Animation Assoziationen zu den Ideen des „Black Atlantic“ (Gilroy 1993) oder zu Jafas Begriff ‚Tsunami of Microaggressions‘ (Jafa 2019) als Metapher für eine Schwarze Gegenwartserfahrung. Gleichzeitig verweist die Bildkomposition graphisch auf die ikonografischen Radiopulse von Peter Savilles Coverdesign für Joy Divisions Album UNKNOWN PLEASURES (1979). Jafa operiert bei der Aneignung meist ohne explizite Referenzsignale, die die Provenienz der Verweise offenlegen, vielmehr animiert die exponierte Heterogenität der Bilder zur eigenen Nachforschung.
Jedoch beschränkt sich der Modus der Aneignung nicht auf singuläre Verweise, vielmehr nähert er sich der hybriden Form der Zitatcollage, in der „zitierende (verweisende) und collagierende (mit präformierten Materialien arbeitende) Verfahren“ (Großmann 2005: 312) miteinander korrespondieren. Diese Methode knüpft dabei an Jafas frühere Image Books an, die ausgeschnittene Bilder aus Magazinen in einem Buch kongregierten. Ihm zufolge migrierte dieser Sammlungsprozess eines Tages vom Dispositiv des physischen Schreibtischs auf den virtuellen Desktop und von dort zum Bewegtbild. (Vgl. Jafa 2017) Seine Appropriationspraxis entlehnt er erneut der Musik:
Hip-hop takes all these given things, these preset blocks, and treats them in a way they weren’t necessarily produced or intended to be treated. (Jafa 2017)
Neben der Zitatcollage dominiert in WUITB demnach die Praxis des Sampling, wo sich das extrahierte Fragment von seinem Referenzrahmen emanzipiert. Sobald das Bild seine ursprüngliche Bestimmung abstreift und in der neuen Struktur aufgeht, ist es nicht „das ausgestellte präformierte Material der Collage und kein zusammengefügtes Medienbruchstück wie bei der Montage, sondern ein speziell aus der Probensammlung des digitalen Codes für die neue Umgebung konstruiertes Material“ (Großmann 2005 : 325). Der geworfene Molotov-Cocktail auf das brennende Haus wird rückwärts gespielt, das Gesicht von Officer Poherence zu Beginn zu einem verwaschenen Kraftfeld entstellt und das Joy Division Cover begegnet den Betrachter*innen als Metamorphose. Nicht nur die Bearbeitungen und Reinterpretationen der einzelnen Fragmente, auch der verschmelzende Rhythmus der Montage und die enge Verzahnung der Bilder begünstigen eine Überschreitung der ursprünglichen Funktion, jedoch lösen sie sich nicht in einer „zufallsbedingten und trägen Passivität“ (Jameson 1986: 75) auf, vielmehr entwickeln sie eine „radikale Differenz“ (Jameson 1986: 75), die die Betrachter*innen das Simultane aushalten lässt. Die Zuschauer*innen sind Sound- und Bildspuren ausgesetzt, die sich in ihrem Blick kreuzen, oder mit Jafas eigenen Worten: „The place in which they overlap is you.“ (Jafa 2017)
Der Affekt des Kollisionsbildes situiert sich somit nicht bloß im Testen der Bewegtbilder aneinander, sondern gleichsam zwischen dem Werk und den Betrachter*innen. Der Filmwissenschaftler Volker Pantenburg beschreibt diese Verbindung in Bezug auf Godards Montagebegriff als ein „flexibles Dreieck“, „in dem der Betrachter selbst den dritten Punkt neben den beiden Bildern definiert.“ (Pantenburg 2006: 72) Die Verweisdichte aus Zitatcollage und Sampling weitet in WUITB das Spektrum des Dreiecks aus und erschwert konstant die Lokalisierung dieses Punktes. Die grundlegende Involvierung der Betrachter*innen verdichtet sich in den Szenen aus dem Krankenhaus.
Breathe with me
(Pink Siifu, Stay Sane, 2018)
Hello operator, emergency hotline
If I say that I can't breathe, will I become a chalk line
Line up to see the movie, line up to see the act
The officers are scheming to cover up their
Cover up their... ask me no more questions, tell me no more lies
Your serving and protecting is stealing babies lives
(Jamila Woods, VRY BLK, 2017)
I walk through the valley of the Chi where death is
Top floor the view alone will leave you breathless
Try to catch it it's kinda hard
Getting choked by detectives,
yeah, yeah, now check the method
They be askin' us questions, harass and arrest us
Sayin' ‚We eat pieces of shit like you for breakfast‘
(Kanye West, Jesus Walks, 2004)
Bereits 2004 reimte Kanye West „death is“ auf „breathless“ und in BLACK SKKKN HEAD (UK 2013) wird das energetische Atmen neun Jahre später als dominierendes akustisches Strukturelement des Beats spürbar. Mit dem Mord an Eric Garner 2014 wurde die Atemlosigkeit im Hip-Hop zunehmend ein Synonym für systematischen Rassismus und Polizeigewalt und auch in Steve McQueens One-Take-Video zu ALL DAY / I FEEL LIKE THAT (USA 2015) bildet die regenerative Atmung zwischen Wutentladung und psychologischer Offenbarung die Bridge zwischen den Songs. In WUITB ist Atmung nun besonders als visuelle, haptische Affizierung präsent, die die Medienwissenschaftlerin Tina Campt als „visual frequency“ (Campt 2019: 30) beschreibt.
Der Patient liegt auf dem Rücken (0:44). Er trägt eine weiße Atemschutzmaske. Seine rosa Hose bildet einen Farbkontrast zur braunen Wand und dem weißen T-Shirt mit der Aufschrift ‚AID‘. Seine Augen sind geschlossen, die offene rechte Hand ruht oberhalb des Kopfes und sein linker Arm liegt reglos auf der blauen Untersuchungsliege. Rastlos hebt und senkt sich der Brustkorb. Die Kamera bewegt sich unruhig und der Bildausschnitt orientiert sich an Knie und Ellenbogen. Schnitt ins Hochformat (0:47). Die Arme liegen nun beide am Körper, die Blutbahn ist mit einem intravenösen Schlauch verbunden. Zwei Hände des Krankenhauspersonals intervenieren, ziehen das Shirt hoch, deuten auf die akzelerierte Atembewegung. Schnitt zu einer Patientin (0:51). Aufrecht sitzt sie im Krankenhausbett, stützt sich mit dem rechten Arm ab und atmet heftig. Sie trägt eine Sauerstoffmaske. Die Bewegung ihres Brustkorbes korrespondiert mit den Drums von WUITB und als zum zweiten Mal die Zeile „Is there anybody here?“ gerappt wird, entsteht durch einen flüchtigen Blick in die Kamera ein kurzer Synchroneffekt.
Die Szenen dokumentieren nicht nur die Bedrohlichkeit einer vorangeschrittenen Erkrankung, sie betonen gleichsam die disproportionale Verbreitung der COVID-19-Pandemie, von der die Schwarze Bevölkerung in den USA besonders betroffen ist, und verschalten diese Perpetuierung rassifizierter Ungleichheit mit Kontinuitäten der Unterdrückung, die Vanessa Eileen Thompson in Anlehnung an Frantz Fanon als „strukturelle Verunmöglichung des Atmens“ (Thompson/El-Tayeb 2019: 319) beschreibt. Ob die durch Angst provozierte Beschleunigung der Atmung beim Racial Profiling oder die langfristigen Asthma-Erkrankungen aufgrund eines global agierenden Extraktivismus, der Schadstoffe emittiert, der Entzug der Atemluft ist konstant mit Konfigurationen von Gouvernementalität verbunden, die auf systematischen, institutionalisierten Rassismen beruhen. Polizeigewalt, Masseninhaftierungen, Ganggewalt oder Prekarisierung bilden nicht nur singuläre Symptome und Problemfelder übergeordneter Regime von Neokolonialismus, Überwachungskapitalismus, weißem Exzeptionalismus, Patriarchat oder Neoliberalismus, vielmehr bilden diese „interrelated flaws“ (King 1969 zitiert nach Taylor 2018) ein erdrückendes Klima, welches mit Alessandra Raengo als „atmospheric anti-blackness“ (Raengo 2018) skizziert werden kann.
Die kontrastive Proximität zur vorangegangenen Vitalität des Tanzvideos (0:29 – 0:43) und die affektive Kollision mit dem Video von George Floyd bündeln sich in der Adressierung durch den Blick in die Kamera (0:51). Diese aktive Involvierung lässt sich mit Tina Campt als Adjacency definieren: „The reparative work of transforming proximity into accountability; the labor of positioning oneself in relation to another in ways that revalue and redress complex histories of dispossession.“ (Campt, 2020) Die Affizierung entlädt sich demnach nicht in emotionaler Überwältigung, vielmehr inkludiert sie die Zuschauer*innen in eine Korrelation, die nicht nur die Atmung als universelle Schnittmenge unterstreicht, sondern die Betrachter*innen mit struktureller Verunmöglichung des Atmens in Beziehung setzt.
Darüber hinaus sucht WUITB nach formalen Konsequenzen dieses Klimas. Den Affektbildern wird durch die Aneignung ihre genuine Zeitlichkeit entzogen, indem die Bilder sich dem Synchronisierungsdruck des voranschreitenden Songs unterordnen und somit eine trügerische Einheit von Bild und Ton simulieren. In dieser Verschmelzung der Ebenen erinnert WUITB an Santiago Álvarez‘ NOW! (USA 1965), der ebenso bereits existentes Material aus Wochenschauen und Zeitungen appropriiert und in der Montage Aufbegehren und Gewalt kontrapunktisch miteinander verzahnt.
Ähnlich wie in der frühen Phase das Dritte Kino um Akteure wie Alvarez oder Glauber Rocha es Mitte der sechziger Jahre als ästhetische Konsequenz der Unterdrückung erachteten, die Prekarität der Produktionsmittel in der Qualität des Filmbildes zu exponieren, ist auch Jafas Ästhetik davon geprägt, die Formatierungsspuren und Auflösungsverluste seiner Appropriationsprozesse offenzulegen. Ob das Getty-Images-Wasserzeichen in LMMD oder die verpixelten Bildtexturen in WUITB, Jafa affirmiert die marode, digitale Substanz dieser ‚poor images‘ (Steyerl 2009), die somit ex negativo eine Abkehr von hochauflösenden, an ökonomische Ressourcen und exklusive Vorführsituationen geknüpfte Bildentitäten formulieren:
It is a ghost of an image, a preview, a thumbnail, an errant idea, an itinerant image distributed for free, squeezed through slow digital connections, compressed, reproduced, ripped, remixed, as well as copied and pasted into other channels of distribution. […] It transforms quality into accessibility, exhibition value into cult value, films into clips, contemplation into distraction. (Steyerl 2009)
Auch wenn die Geste der Aktualisierung in WUITB eher hinlenkt als ablenkt, negiert sie mit ähnlicher Vehemenz eine kontemplative Ästhetik, die sich in den Bildern aufhält. Der Entzug der Kontemplation und die durch Aneignung und Kombination neu konstituierte Zeitlichkeit ist jedoch gleichsam auf eine weitere, herrschaftskritische Ebene zurückzuführen. Jafa beruft sich in seinem Umgang mit Zeitlichkeit auf die ‚worried note‘ (vgl. Jafa 20217), die auch ‚blue note‘ genannt und primär im Jazz und im Blues verwendet wird. Da sie vermutlich auf musikalischen Skalen Westafrikas beruhen (Vgl. Gioia 2021: 14) und deshalb im westlichen Tonsystem schwer zu lokalisieren sind, weichen sie vom dominanten Standard ab, sodass ihre Intervalle als bloße Intonation charakterisiert werden können. Diese schwer zu fassenden Intonationen, die die Stabilität etablierter Tonhöhen infrage stellen, überträgt Jafa auf seine kinematographische Praxis indem er die konventionelle Verbindung von Affekt und Zeitlichkeit aufhebt und in eine subjektive Ordnung überführt. Die disruptive Zeitlichkeit seiner Montage liegt somit weniger in einer Tradition postmoderner Appropriation Art begründet als in den Kompositionsfundamenten von Jazz und Blues, oder wie Aria Dean in Bezug auf LMMD konkludiert: „If black music treats sound as unstable, so black cinema treats time as inherently unstable as well.“ (Dean 2017)
Die Verbindung des Polizierens mit der Atemnot in der Pandemie bleibt im Video eminent, als am linken, oberen Bildrand ein Grünstreifen beginnt. Schräg ragt eine leuchtend weiße Fläche in das ansonsten graue Bild. Sie verhüllt ein rundliches Element in der oberen Bildmitte. Die weiße Fläche fällt daraufhin geknickt zu Boden, wodurch sich die Quelle erahnen lässt. Es ist ein Ausschnitt aus einem CNN-Beitrag, in dem ein Polizist den Körper von Michael Brown auf einer Straße in Ferguson mit einem weißen Leichentuch bedeckt, nachdem dieser von dem Polizisten Darren Wilson erschossen wurde. Durch den reduzierten Bildausschnitt und die Verkürzung der Sequenz verfremdet Jafa das Video soweit, dass primär die fallende Bewegung und die optischen Relationen des Bildes extrahiert werden.
Daraufhin schwebt ein rotierender, metallischer Ring mit der Aufschrift ‚My Black Death‘ durch einen luftleeren Hintergrund. Anschließend joggt ein via Dashcam gefilmter junger Mann neben einem Wald. Punktuell erhellen die zwischen den Bäumen hindurchscheinenden Sonnenstrahlen das Bild. Das vielfach reproduzierte Video zeigt den 25-Jährigen Ahmaud Arbery kurz vor seiner Ermordung. Mit Verweis auf die als schwarzer Tod betitelte Pestpandemie im 14. Jahrhundert und im Nachhall der Worte Eric Garners und George Floyds stellt Jafa erneut mittels der Montage einen Konnex zwischen rassifizierter Polizeigewalt und dem Tod Schwarzer Menschen durch die COVID-19-Pandemie her.
Die Simultaneität von Überwältigung und Ablehnung, die der Selektion dieser Bilder anhaftet, lässt sich mit Barbara Weingart auch auf Jafas gesamte Montagepraxis übertragen und als zweischneidige Konstellation der Faszination beschreiben: „Zur Magie der Faszination gehört also auch die Gegenfaszination, der Abwehrzauber – und genau in diesem Sinne scheint Jafa die medialen Repräsentationen von blackness einzusetzen, die er aus vorgefundenem Material appropriiert.“ (Weingart 2019) Der Entfremdungsmoment und eine visuelle Anziehungskraft fallen hier in einem ambiguen Affekt zusammen.
Gleichsam läuft dieses Interesse für Intensität und Konfrontation konstant Gefahr, traumatisierende Medienwirkungen zu begünstigen. Die Ubiquität von Bildern, die Gewalt gegen Schwarze Menschen exponieren und teils kommodifizieren, bildet dabei eine allgegenwärtige Komplikation. In ihrem Buch Bearing Witness While Black zeichnet Allissa V. Richardson diese Kontinuität von Lynchpostkarten, über exploitative Newsreports bis hin zu zigfach reproduzierten Tötungsvideos rassistischer Polizeigewalt nach. (vgl. Richardson 2020) Der damit einhergehende, potenzielle Voyeurismus als affektorientierter Rezeptionsmodus und die sukzessive Überexposition von Schwarzem Leiden wird bei WUITB mitverhandelt. Während in LMMD noch der zu Boden sinkende Walter Scott nach den tödlichen Schüssen von Michael Slager und andere explizite Fälle von rassistischer Polizeigewalt zu sehen sind, wird in WUITB das Video von Michael Brown weitgehend verfremdet. Auch die Appropriation des Videos von Ahmaud Arberys Tod reduziert sich auf das Joggen im flimmernden Sonnenlicht, womit der antizipierte Suspense ins Leere läuft. Breonna Taylor tanzt ausgelassen im Kreis ihrer Freund*innen und die Eingangssequenz, die den affektiven Auftakt bildet, konzentriert sich auf den Widerstand und die Konfusion, anstatt auf die Gewalttat des ‚weißen‘ Polizisten. Die rassifizierte Gewalt diffundiert von der Darstellungsebene in die Substanz der Bildlogik, persistiert als unsichtbare, atmosphärische Ursache. So delegiert Jafa die Brutalität der Videos in ein imaginäres ‚Shadow Archive‘, betont aber gleichzeitig durch die Einblendung der überbleibenden Bildspuren ihre Gegenwärtigkeit, die „das allgemeine Recht auf Atemfreiheit“ (Mbembe 2020) als Maxime festschreibt. Die Montage in WUITB vermeidet somit traumatisierende Affektdynamiken ohne jedoch die Gewalt als kontinuierliche Prägung zu exkludieren.
Bei den Sequenzen aus dem Videospiel GTA scheint sich eine konträre Diffusion hinsichtlich der Repräsentation von Gewalt zu vollziehen. Ein von Gewalt determiniertes Videospiel, dessen Affektdynamiken sich in Schlägen, gefährlichen Fahrmanövern und teils tödlichen Unfällen entfalten, wird hier primär als düsteres Setting etabliert und eingesetzt. Während die erwähnten Affektformationen den appropriierten GTA-Szenen in WUITB entzogen sind, finden sie Einzug über Handymitschnitte eines riskanten Driftcontests mit anschließendem Crash und einer Schlägerei zwischen zwei Personen. Die Kontur zwischen Virtualität und dokumentarischem Bild wird in diesen Sequenzen zunehmend porös.
Ein Mann fällt zu Boden (1:02). Bereits vor seinem Fall scheint er durch den Faustschlag das Bewusstsein zu verlieren, sodass ein kontrolliertes, sich schützendes Fallen verunmöglicht wird. Split-Screen. Auf der rechten Bildhälfte weicht jemand zähneknirschend zurück – ein ‚reaction shot‘ zum vorangegangenen, schmerzhaften Affekt. Auf der linken Bildhälfte gleitet eine Drohne durch die Luft. Rechts changiert das Bild zu einer Szene aus Kanye Wests Saint Pablo Tour, in der ein Fan beim Versuch, auf die schwebende Bühne zu klettern, hinunterfällt. Kurz schwebt eine Kugel an der Sonne vorbei bevor ein am Kopf verletzter Mann auf der Straße sitzt. Neben ihm spiegelt sich in einer Pfütze ein Gelbton, dessen Farbigkeit der Sonne aus dem vorangegangenen Bild gleicht. Neben der narrativen Rückbindung werden durch die Montage metaphorische Register des Fallens und der Gravitation abgerufen.
Jafas Bildmontage erweist sich hier als Studie, die Bewegungsdynamiken untersucht und aufeinander bezieht. Körper, die tanzen, rennen, atmen, schwitzen, schreien, weinen und besonders: fallen und aufprallen. Christina Knight destilliert aus ihrer Beobachtung von LMMD dahingehend drei Modalitäten: „Jafa tracks the triangulation between falling for (love), falling down (injury), and falling out (ecstasy) in the everyday lives of Black subjects. I read the film as suggesting that falling is a technique that non-normative subjects cultivate to survive in unlivable conditions.“ (Knight 2019: 43) Auch wenn das ‚falling in love‘ in WUITB weitestgehend ausgeklammert scheint, erschließt sich diese Lesart spätestens in der letzten Sequenz, wo Kanye Wests Tochter aus der Perspektive ihres Vaters zu sehen ist.
Während die Körper in der skizzierten Sequenz schmerzhaft zu Boden fallen, trotzt die Drohne problemlos der Gravitation. Sie repräsentiert dabei ein technologisches Objekt, dem ein rassistischer Blick eingeschrieben ist, wie Nicholas Mirzoeff präzise beschreibt: „Stategathered racialized “intelligence” is now being formulated into facial recognition, unmanned aerial vehicles (UAV) or drones, and border identification technologies, all still seeking an automated version of the perfect surveillance desired by the plantation overseer.“ (Mirzoeff 2020) Jafa nutzt hier die Montage um die Blickregime eines rassifizierten Überwachungskapitalismus, die durch die militärische Drohne, aber auch durch die Dashcam im Rücken von Ahmaud Arbery repräsentiert werden, miteinander in Relation zu setzen.
Die Hinwendung zur Appropriation war bei Jafa immer auch eine Abwendung von seinem Arbeitsinstrument als Kameramann, da ihm der Apparat zu eng mit einem ‚white gaze‘ und der Prämisse der Überwachung verbunden war. Von Kodaks ‚weiß‘ normierter ‚Shirley Card‘ (vgl. Lewis, 2019), die als Kalibrierungshilfe bei Farbfilmen diente und helle Hauttöne als Maßstab etablierte, bis hin zu rassifizierten Gesichtserkennungstechnologien (vgl. Buolamwini & Gebru 2018) und Kriminalitätspräventionsprogrammen wie der ‚Chicago Heat List‘ (vgl. Ferguson 2017) -- rassifizierte Bias algorithmischer Prädispositionen in Kameratechnologien offenbaren die Kontinuitäten zwischen zunehmender Überwachung und den Regimen von White Supremacy und Racial Capitalism.
Die erratische Montage der fallenden und fliegenden Körper ist vornehmlich durch die Suche nach visuellen und rhythmischen Schnittstellen motiviert, die die Bewegungsabläufe der Körper in eine inkohärente Chronologie versetzt. Die Anordnung konzentriert sich auf optische Similaritäten wie die solaren Fluktuationen im Splitscreen mit der zerzausten, orange-roten Frisur von Richard Pryor, oder seinem geweiteten Mund in Korrespondenz mit dem Close Up auf Lateria Wootens Performance.
Dieses zeichenorientierte Sortierverfahren entzieht sich ethischen Abwägungen und unterläuft habitualisierte Rezeptionsweisen der appropriierten Videos. So folgt auf den Moment, als der Sportwagen in die Menschenmenge driftet die Reinterpretation eines Funkadelic-Plattencovers (2:58), auf dem ein Schaf seine Zunge herausstreckt. Im Splitscreen ist ein bereits bekannter Mann zu sehen, der sich auf die Lippen beißt als wäre es eine Reaktion auf die Unfallszene. Während im ursprünglichen Video der Moment des Unfalls der Aufmerksamkeitsökonomie des Genres entsprechend noch einmal in Zeitlupe voyeuristisch ausgeschöpft wird, schneidet Jafa schnell zum scheinbaren Gegenschuss. Die Appropriation scheint dabei die algorithmische Ordnungslogik, die nach präparierten Anweisungen operiert, zu sabotieren. Ein Prinzip, das laut Kara Keeling bereits in LMMD zur Geltung kam: „The aesthetic logic in Love Is the Message is enabled by and comments on the digital image’s relationship to computation, databases, and commensuration“. (Keeling 2020: 139) Die partizipative Kultur, die sich im Netz entfaltet und aus der Jafa nahezu sein gesamtes Bildarchiv schöpft, wird in seinen Arbeiten ebenso als Potenzial betont wie problematisiert. Der soziale Resonanzboden aus dehierarchisierten Distributionsbahnungen, einer proklamierten ‚agency‘ und die zunehmende Sichtbarkeit korrelieren mit einer Umgebung, die durch die Geldflüsse des Plattformkapitalismus moduliert wird und die „age-old logic that devalues black lives for the sake of cultural commodities“ (Copeland 2018) fortschreibt. Gleichzeitig stellt die Montage die Frage, inwieweit die Geschwindigkeit und Simultaneität als Säulen der medialen Zeitlichkeit adäquate Umgebungen für die Archive darstellt, die Jafa aktiviert und die von einer übergeordneten Inkommensurabilität geprägt sind. Die Kollisionsbilder in WUITB konfrontieren die Betrachter*innen mit diesem affektiven Überschuss, dessen Dramaturgie eine Inkonsistenz herausstellt und ausbalancierte, auf sich aufbauende Gefühlsregister negiert. Dieser Spannungszustand setzt sich im Verhältnis zur Persona Kanye West fort.
„I hate the way they portray us in the media.
If you see a black family, it says ‚they’re looting.‘
If you see a white family, it says ‚they’re looking for food.‘“
(Kanye West, 2005)
Bereits mit der Zeile „Drop this for the thugs - Know I grew up in the mud“ zu Beginn von WUITB markiert Kanye West wenige Tage vor Bekanntgabe seiner Präsidentschaftskandidatur die diskursive Stoßrichtung seiner Single. Die Verwendung des Begriffs ‚thug‘ ist im Rap durchgängig mit einem Reclaiming verbunden, welches sich gegen die politische Instrumentalisierung des Wortes als rassistischen Kampfbegriff positioniert. Neue Konjunktur gewann diese Diskursschleife zuletzt, als Trump Protestierende der Black Lives Matter Bewegung als „thugs“ diffamierte und auch Baltimores Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake und Barack Obama das Wort als Stigma kultivierten (vgl Joseph 2020: 2). Lalitha Joseph betont dahingehend: „The word “thug” is used more to target a racially defined group rather than a specific behaviour, as a replacement for the n-word and has been repeatedly employed by politicians for oppressive shaming, […]“ (Joseph 2020: 4). Wests Zeile haftet diesem diskursiven Kontext an, der diverse historische und gegenwärtige mediale Artefakte aktiviert und einbindet. Die dem Song immanente Verweisdichte und die bildhafte Sprache fügen dem Video damit eine weitere Bildebene hinzu, die das Territorium der „affective map“ (Shaviro 2010: 130) erweitert.
Die medial modulierte Persona Kanye West ragt in diese Konstellation hinein und stellt die Frage nach Angemessenheit, nach ‚appropriateness‘ und ‚inappropriateness‘ der Aneignung. Erst wenige Wochen vor der Erscheinung von WUITB wurde öffentlich, dass er den Familien von George Floyd, Ahmaud Arbery und Breonna Taylor zwei Millionen Dollar spendete und seine Unterstützung für Trump angeblich nur Mittel zum Zweck gewesen sei. Während Kanye Wests ‚Superfans‘ (vgl. Rytlewski 2018), die ihn bedingungslos verteidigen, vermutlich empfänglich auf diesen ‚plot twist‘ reagieren, steht für andere das Video von Jafa im Kontext einer Inszenierung des Reinwaschens, die einen bevorstehenden Ikonoklasmus antizipiert. Die appropriierten Szenen von Polizeigewalt mit Wests Kopf und seinen Auftritten zu vermengen, ist aus ethischer Perspektive somit zutiefst ambivalent. So kollidiert die Präsenz seiner Stimme und die nahtlos eingegliederte Sequenz von ihm bei seinem Sunday Service Konzert mit der medial modulierten Persona, die Trump als „my brother“ (Wagner, 2018) bezeichnet, die Abolitionistin Harriet Tubman diffamiert, Abtreibung als Genozid deklariert, oder 400 Jahre Sklaverei mit „That sounds like a choice“ (Beaumont-Thomas 2018) kommentiert. Zunächst scheint die Verbindung zu West somit antithetisch zum politischen Duktus von Jafas Werk, andererseits repräsentiert der Rapper womöglich auf unvergleichliche Weise die Inkompatibilität, um die Jafas Werke kreisen. Seine Filme interessieren sich für Interdiktionen affektiver Proximität und die Polaritäten um West stellen in diesem komplexen Beziehungsgeflecht ein weiteres Element der Konfusion dar, dessen Dynamik Steven Shaviro verdichtend zusammenfasst:
Pop culture figures are icons, which means that they exhibit, or at least aspire to, an idealized stillness, solidity, and perfection of form. Yet at the same time, they are fluid and mobile, always displacing themselves. And this contrast between stillness and motion is a generative principle not just for celebrities themselves, but also for the media flows, financial flows, and modulations of control through which they are displayed, and that permeate the entire social field. (Shaviro 2010: 10)
Dieses Spannungsverhältnis zwischen Ikonizität und Fluidität modelliert die Affektökonomie der Diskurse, die an West haften. Der dem vorangestellten Zitat folgende Satz „George Bush doesn’t care about Black people“ (West 2005) erscheint heute wie ein politisches Relikt. Die einst von Mark Fisher attestierte „Secret Sadness“ (Fisher 2013) von West steht mittlerweile im Kontext seiner bipolaren Störung, die sowohl in seiner Musik und auf Albumcovern, als auch in diversen teilöffentlichen Arenen diskursiviert wird. Jafa findet für diese Ambivalenz und die diversen Einhegungsversuche der mediatisierten Persona das Bild eines Schwarms zersplitterter, schwarz glänzender Pixel, die seinen Kopf maskieren. Die Repräsentationen, Simulakren und Projektionen von Kanye West transformieren sich bei Jafa zum Vexierbild, welches je nach affektiver Situierung neue Lesarten generiert. Durch die Kombination mit anderen Affekten wird somit nicht bloß ein Rückbesinnungs-Narrativ protegiert, sondern die Komplexität und Ambivalenz seiner Hypervisibilität als verkomplizierendes Element angeeignet und produktiv gemacht.
Wests biblische Anrufung ‚Wash us in the blood of Jesus‘, die in der letzten Szene als isolierte A-capella-Aufnahme über dem Bild liegt, offenbart sich angesichts der durchschrittenen Affektarchitektur kaum als erwartbare Utopie, jedoch lässt sich die heilende Wirkung des probenden Sunday Service Chors erahnen. Verträumt tänzelt nun Wests Tochter durch den Safe Space, in den die Kamera die Zuseher*innen einführt. Sie schaltet sich ins Bild, als wäre sie in den letzten Minuten übersehen worden. Mit dieser Einstellung wird die Zirkulation durch Erinnerungsdiagnose und Gegenwartsüberwältigung nun abgelöst von der Frage nach einer Futurität. Was in den Minuten zuvor sichtbar wurde, war eine Welt, die sich „mit erhöhter Intensität vor das Subjekt [schiebt], das aufgeladen ist mit einer undefinierbaren affektiven Last“ (Jameson 1986: 72). WUITB stellt die Frage, was in dieser zerrissenen digitalen Zeitlichkeit für Momente zu vergegenwärtigen sind und stößt dabei neben Kontinuitäten von Versklavung und Gewalt auch auf Krystal Smith, die ihren weißen Kollegen aus dem Bild brüllt, auf Lateria Wootens Schrei, der nicht wie bei Munch in der Entfremdung versinkt, sondern eine Eruption freisetzt und auf Wests Tochter, deren Zukunft noch umkämpft werden muss. Nach der dissonanten, audiovisuellen Flut folgt keine Stabilität, keine göttliche Erlösung, im Gegenteil – WASH US IN THE BLOOD setzt die Betrachter*innen einer zutiefst irdischen Involviertheit aus, bei der die Sehnsucht nach Ordnung und Navigation unerfüllt bleibt. „Es ist ein Zustand der Verunsicherung, der sich aus der Beobachtung ergibt und den nächsten Schritt erst möglich macht.“ (Schanelec 2019) Doch zunächst heißt es: „You ain’t got the answers.“ (West 2013)
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