Zurück zu Zurück in die Zukunft
Ein knapp einminütiges Onlinevideo Back to the Future Corona Virus Advice! wird im März 2020 von der sich als offizielle Ressource deklarierenden Seite ‚backtothefuturehq‘ in den sozialen Netzwerken gepostet (Back to the Future HQ 2020): In ihm werden kurze Sequenzen des ohnehin vielzitierten Time-Travel-Films BACK TO THE FUTURE (BTTF Teil I, USA 1985) mit in die Bilderfolgen eingeblendeten COVID-19-Vorgaben in Sachen Distanz, Schutz, Selbstisolation kombiniert.
Die zurückliegende filmisch-fiktive Wirklichkeitskonstitution wird so mit Zitaten der aktuellen Lebenswelt konfrontiert; in Bild und Ton schlägt sie in die Corona-Gegenwart ein. Wenn z.B. die Aufforderung „Protect Your Face and Hands“ unerwartet mit Doc Brown im Strahlenschutzanzug interagiert (und dadurch die Viren-Gefahr humoristisch um eine nukleare Komponente intensiviert, die er im gleichen Zug domestiziert), dann richtet dieser Film den Blick auf die derzeitige Situation spezifisch aus. Umgekehrt ermöglicht der aktuelle Clip denen, die mit dem Kultfilm älter geworden sind, einen assoziativen Abstecher aus der Gegenwart in die nun eigene, weit vor Corona liegende Vergangenheit der 1980er Jahre. Jüngeren Zeitgenoss/innen offeriert er einen Trip in die Geschichte der Elterngeneration, d.h., wie BTTF längst vorgemacht hat, in eine Zeit, in der man womöglich noch gar nicht geboren war. Allein das Auftauchen dieses Kurzvideos weist einmal mehr darauf hin, dass jener Film, der die Vergangenheit als Zukunft bzw. die Gegenwart als Zukunft der Vergangenheit präsentiert, nicht nur vor 35 Jahren äußerst erfolgreich war, sondern nach wie vor eine beliebte, z.T. wahrnehmungsstrukturierende audiovisuelle Ressource darstellt. In den Jahrzehnten seit seiner Entstehung hat es immer wieder transmediale Rückgriffe auf BTTF und schließlich mehr oder minder „participatory rewritings“ gegeben, etwa mit Bezug auf 9/11 oder z.B. als „Brokeback to the Future” (Priewe 2017: 9).
In Formen des Rückgriffs auf filmisches Material, die, wie hier, auf aktuelle gesellschaftliche Themen bzw. Ereignisse anspielen, wird diesem quasi ‚ent-auratisierend‘ gehuldigt. Damit man dabei den dem Clip innewohnenden Witz kapiert, muss man von dem zugrundeliegenden Film – in vielleicht überstrapazierter Virus-Semantik formuliert – bereits ‚angesteckt‘ sein. Dann kann man, isolierenden Tendenzen entgegen imaginiert, von dem gestifteten Insider-Zusammenhalt profitieren.
Im Folgenden möchte ich diesen Corona-Clip analysieren; mein Beitrag versteht sich dabei jedoch nicht als Kommentar auf die pandemiebedingte Realität. Vielmehr möchte er, auch über die aktuelle Krise hinaus, Erkenntnisse über ein ‚zeitreisendes‘ Denken und Handeln mit Film generieren, wie es in einer solchen aneignenden Verwendung von Filmsequenzen, diese verändernd, am Werk ist. Mein Beitrag fragt danach, inwiefern die Clipmontage in der Eröffnung zusätzlicher Bedeutungsschichten eine Dynamik des früheren Films aufnimmt, nachträglich zugänglich macht. Wird hierdurch etwas für die gegenwärtigen Realitäten Belangreiches erkennbar, was nur so erkannt werden kann und sich auf eine vorher nicht absehbare Weise im BTTF-Universum bereits eingelagert hat? Wie aktiviert der Clip den ‚vorbildlichen‘ Film im Detail und bringt in diesem die Corona-Jetztzeit zur Geltung? Was dieses konkrete Beispiel zu einem besonders verdichteten macht, ist eben der Umstand, dass die eingreifend aufgegriffenen Sequenzen einem Film entstammen, welcher thematisch und medial selbst als Zeitreise agiert. So interessieren mich hier vorzugsweise Aspekte gezeigter Zeitlichkeit, wie sie nicht nur für die Machart des Clips entscheidend, sondern auch virulentes Thema im BTTF-Movie sind, welcher das Publikum von Anbeginn an (etwa durch die Vielzahl tickender Uhren in der Eingangsszene) mit filmischen Zeitobsessionen konfrontiert. Konkret werde ich präventiven und nostalgischen Tendenzen nachgehen, bzw. den Zukunftsbezügen, wie sie das aktuelle Video im Verbund mit dem ‚alten‘ Film in seiner humoristischen Beschaffenheit austariert.
Damit nehme ich das Onlinevideo, das in den kontinuierlichen Social Media-Strömen wohl kaum besonders hervorsticht, gewissermaßen ernster als es sich selbst. Dies geschieht frei nach dem freudschen Motto, dass gerade „unscheinbare [… ] Vorkommnisse“, die oft „als allzu geringfügig bei Seite geworfen werden“, nicht zu unterschätzen sind und lohnenden Beobachtungsstoff bilden (Freud 1916-17a: 20). Nicht nur erweist sich die Bedeutsamkeit einer Angelegenheit keineswegs an der Auffälligkeit ihrer Anzeichen, sondern es ist für einen Zugang auch „aussichtsreicher, das anzugreifen, was man gerade vor sich hat und zu dessen Erforschung sich ein Weg ergibt“ (ebd.).
Die ‚Kleinigkeit‘ des Clips, der aus der vorliegenden BTTF-Montage räumlicher und zeitlicher Differenzen einzelne Elemente herausschneidet und diesen eine weitere textliche Ebene zufügt, gliedert sich in sieben Abschnitte. In den meisten dieser Teile sind die eingeblendeten Corona-Imperative den aus ihrem Entstehungszusammenhang gerissenen Bildern und Tönen gleichgerichtet: 1) „Protect your face and hands“ assoziiert, wie angedeutet, das Corona-Virus mit der Plutonium-Handhabung Docs, d.h. mit gestohlenem nuklearem Material. 2) Zu „Remember Social Distancing“ gehen Docs und Martys Blicke beim gefilmten Start der DeLorean-Zeitmaschine (mit dem Hund Einstein) hin und her, als würden sie den Abstand zwischen sich regulieren 1. 4) Zum Hinweis „Self-Isolate” klopft Marty an Docs Tür, die sich, als er schon im Begriff ist zu gehen, kurz öffnet, aber schnell wieder schließt (in BTTF nur vorläufig, was hier jedoch nicht deutlich wird). 5) Der erste Teil der eingesetzten Formulierung „Get Your Damn Hands of Each Other” entstammt, wie man hören kann, nicht den Pandemieinstruktionen, sondern dem Film selbst. Dazu öffnet Martys Vater George eine Autotür, um (wenn auch in einer Verkennung der Situation) dem Bösewicht Biff, der Martys Mutter Lorraine sexuell belästigt, Einhalt zu gebieten. – In diesen Abschnitten also werden die aktuellen Corona-Vorgaben gleichsam ‚plastisch‘ in vertrauten Filmszenen verankert – nicht ohne sie dadurch überspitzt mit anderen, zuvor schon ‚geläufigeren‘ Bedrohungen anzureichern (sexuelle Gewalt, Radioaktivität). Auch kann etwas, was bislang eher seltsam erschien (wie das Türschließen in 4), auf einmal als ‚vorbildlich‘ erscheinen.
Zwei andere der gezeigten ‚Ratschläge‘ werden hingegen nicht befolgt: Zu 3) „No Face Touching“ wird gezeigt, wie Biff Martys Vater auf demütigende Weise eben ins Gesicht fasst bzw. auf den Kopf klopft: „Hello, anybody home“? „Think McFly, think!“ Ist die Ignoranz der Regeln hier noch abschreckend auf einen ohnehin rücksichtslosen, sich über basalste Grundsätze hinwegsetzenden ‚Übeltäter‘ bezogen, so erscheint in 6) „No Hugging“ etwas, was zuvor für sich einnehmen konnte (eine Verabschiedungsszene), plötzlich eher unangemessen: Marty zieht Doc zur Umarmung an sich, welcher fast schon paralysiert reagiert. Direkt im Anschluss wird 7) zur ‚Wiederauferstehung‘ des niedergeschossenen Doc bzw. zu Martys verblüfftem „Your’re alive“ gezeigt, was Unglaubliches passieren kann, wenn man sich doch an die Vorgaben hält. Die ausgegebene Losung „Most Recover“ erscheint dabei mehr schon als Zusicherung, denn noch als Advice. Most Recover, selbst bei Widerstreben, auf welches diese Szene auch indirekt verweist. Denn, wie man als BTTF-Fan wissen kann, hat Doc in der betreffenden Film-Sequenz (1:41:30) zwar durch Anlegen einer schusssicheren Weste präventiv gegen die tödlichen Schüsse vorgesorgt, jedoch zuvor deutlich bekundeten Vorbehalten entgegen: Im Filmverlauf warnt er vor Zukunftswissen, weigert sich z.B., einen zu Vorsichtsmaßnahmen ratenden Brief Martys zu lesen (1:31:00), und will nicht ins Raum-Zeit-Kontinuum eingreifen. „Wenn ich zu viel über meine Zukunft weiß, kann das meine Existenz gefährden. Genauso wie deine am seidenen Faden hängt“ (1:07:05). Doch in der hier nun gezeigten Szene wird er sich als bekehrt erweisen und lächelnd auf das eigene Gerede gepfiffen haben.
Vorbeugende Maßnahmen, im aufgegriffenen Film also längst präsent, werden durch den Clip im Corona-Kontext aktualisiert. Richtet man den Blick auf BTTF nachträglich entlang dieser Thematik aus, dann wird Martys alles andere als ungefährliches time travelling insgesamt als eine Art kurios überzeichneter präventiver Akt begreifbar. Im Nachzeichnen dieser Reise zunächst auf der Ebene der Narration zeigt sich diese Logik bereits, wenn Marty im DeLorean aufs Gaspedal treten muss, um das eigene Leben vor Terroristen zu retten, wobei er ‚versehentlich‘ die Zeitmaschine aktiviert. Im Jahr 1955 angekommen hat Marty die – im Zuge einer Unfallprophylaxe gerade selbst erst vereitelte – Beziehungsaufnahme zwischen seinen Eltern wieder in Gang zu bringen. D.h. er muss den jungen George instruieren und bei Lorraine offensiv einführen, um auf diese Weise den Inzest zu verhindern und sein Geborensein sicherzustellen bzw. das eigene Verlöschen (und das der Geschwister) aufzuhalten. Schließlich versucht die Filmfigur Marty vergeblich, durch verfrühte Rückankunft in der Gegenwart die Tötung Docs zu verhindern – der jedoch, wie skizziert, auf Basis der früheren Warnversuche überraschend selbst vorgesorgt hat.
In der präventiven Rationalität reist man imaginär ins Futur – dessen Wahrscheinlichkeit wird aus bereits beobachteten vergangenen Zukünften antizipiert (vgl. Bröckling 2012: 95) bzw. auf Basis gesammelter Erfahrungen und Erkenntnisse extrapoliert, um von dort die Gegenwart zu beschauen und zuvorkommend zu gestalten. Entsprechend will Marty mit den Versuchen, Leben zu verlängern, sozusagen verhindern, was er kommen sieht; er möchte einer Zukunft zuvorkommen, die ansonsten schlechter ausfiele (vgl. Fuchs 2008: 363), bzw. die Zukunft aussichtsreicher machen oder gar retten.
Dabei wird dem Publikum zugleich vor Augen geführt, dass eine Vorsorgehandlung auch andere als die erwarteten oder erwünschten Effekte hat. Zunächst weiß man beim Betrachten von BTTF nicht, welche der gewählten Maßnahmen von Erfolg gekrönt sein werden (besonders deutlich in eben jenen Versuchen Martys, Doc zu warnen, die zu scheitern scheinen und dann ihr Ziel auf unvorhergesehenen Wegen doch noch erreichen) – was trotz allem eine Unverfügbarkeit der Zukunft markiert. Darüber hinaus zeigt die Verkettung der Umstände in BTTF, dass entschiedenes Vorsorgehandeln selbst Möglichkeiten hervorbringt, die zuvor gar nicht existierten: Die Vorhersage entwickelt eine eigene Wirksamkeit (vgl. Esposito 2013: 329, 335). Denn künftige Verläufe lassen sich nicht einfach von außen überblicken (vgl. Esposito 2013). Vielmehr sind die artikulierten Annahmen über die Zukunft und die daraus resultierenden Versuche, den Lauf der Dinge zu manipulieren, Elemente in jener Welt, in die sie eingreifen und in der sie, weil eben ins Geschehen verwickelt, auch andere als die prognostizierten Folgen generieren (vgl. ebd.).
Weiter vermag genau der Versuch, dem Desaster zuvorzukommen, dieses durch begrenzte Perspektive selbst zu bedingen: Z.B. rührt der in BTTF vielfach angespielte Fall Ödipus, dem wie seinem Vater Laios einst prophezeit wird, den Vater zu töten und seine Mutter zu heiraten, an das Paradox, dass „gerade die Maßnahmen der Vorsorge und Verhinderung des Übels“ (Horn 2014: 314) dieses provozieren können. In BTTF kann, hierin strukturell ähnlich, schon das Bestreben, das eigene Leben durch Gas-Geben zu bewahren, mit der Zeitreise umschlagen und es durch die drohende Verhinderung des Gezeugtwerdens aufs Spiel setzen. Auch bei diesen, weniger als Vorhersage daherkommenden als sich im Tun einstellenden, Gefahren handelt es sich also um solche, die erst durch den Versuch einer Verhinderung Wirkmacht haben. Fast schon selbstperpetuierend überlagern sich Martys präventive Aktionen mit Reaktionen auf bereits stattgefundene Unglücksfälle (die eben selbst Desaster abwenden sollten). Vor allem ist es der ebenfalls vorbeugend angelegte Versuch, den Vater vor dem Unfall zu bewahren, der Marty überhaupt in die missliche Lage bringt, an dessen Stelle bei Lorraine zur Stelle zu sein; d.h. nur weil er als Zeitreisender seinem Vater vorsorglich beispringt, ist er als Sohn in Gefahr, statt diesem mit der (ihn in Verkennung der Lage begehrenden) Mutter in eine Liebesbeziehung zu geraten – eine Bedrohung für das elterliche Liebesglück wie für das eigene Leben.
Anders als im antiken Ödipusmythos, in dem sich das orakelte Zukunftswissen offenbar unerbittlich verwirklicht (vgl. Horn 2014: 317) 2, beweist das Ödipusschema in der modern-präventiven BTTF-Version dabei zwar ebenfalls seine Beharrungskraft (die ödipalen Konstellationen drängen sich auf, ob nun willentlich oder nicht). Doch wird mit diesem Film zugleich eine Geschichte erzählt, welche den Sinn der Notwendigkeit fallen lässt, stattdessen mit Widerruflichkeit rechnet und eine nicht schon schicksalhaft festgelegte Zukunft erschließt. Von Doc am Ende des zweiten Sequels gegenüber Marty explizit auf den Punkt gebracht, bedeutet das, „dass deine Zukunft bis jetzt noch nicht geschrieben ist […]. Deine Zukunft ist immer das, was du daraus machst.“ (1:48:00)
In BTTF kann man Schwierigkeiten noch dazu leichtherzig geradebiegen. Die durch das präventive Handeln (Unfallabwendung) erst bedingte (Inzest-)Gefahr lässt sich durch weitere vorbeugende Maßnahmen – die erst durch das präventive Handeln selbst nötig werden – abwenden. Und dieses Entgegenwirken gelingt mit sogar verbessertem Zukunftsresultat. Nach der Heimkunft in die 1980er Jahre wird ein einigermaßen klischierter familiärer Wunschzustand als erreicht dargestellt: Indem der im Film selbst insgesamt unveränderte Marty nun einen erfolgreichen Vater, eine attraktive Mutter, fast schon vorbildliche Geschwister und andere als die bisherigen Verlierer vorfindet, hat er, Werbeprospekt-like oder auch nach Art eines ‚Familienromans‘, die Elternbeziehungen modifiziert, die unbefriedigende Wirklichkeit korrigiert und sich als Sohn wünschenswerterer Herkunft imaginiert. In diesem Sinn scheint sich der angerichtete Schlamassel doch als goldrichtig erwiesen zu haben. Selbst dann, wenn in der filmisch so makellos scheinenden ‚Lösung‘, mit der am Ende alles perfekt zu laufen scheint, auch das schwelt, was daraus ausgeschieden ist: in diesem Fall in Gestalt von ‚asshole kids‘ 3.
Die unerwartet eingetretene COVID-19-Pandemiesituation, wie sie mit dem hier untersuchten Videoclip von Belang ist, konfrontiert auf ihre Art damit, dass Präventionsversprechen nicht recht greifen bzw. die immer wieder probierten Prognosen nicht zuverlässig sind. In einer Zeit „which comes between past and future yet belongs neither to the past as we knew it, nor to the future as we imagined it” (Stenner, Kaposi 2020), wie es heißt, haben sich bisherige Voraussagen „als enorm fehleranfällig erwiesen“ (Angele 2020). Kaum greifbar scheint, welche Folgen diese Pandemie schließlich haben wird. Die Unvorhersehbarkeit des Krisenverlaufs kann zu einer Hinwendung zu vermeintlich vorhersehbareren Zeiten führen wie zum Schwelgen in einer Vergangenheit, die dann wie eine Art ‚sicherer Hafen‘ und weitaus beruhigender als Gegenwart und Zukunft erscheint (vgl. Brunk et al. 2020). Wie sich gezeigt hat, tauchen entsprechend nostalgische Sehnsüchte auf, zum Beispiel in Form einer Hinwendung zu altbekannten Filmen (vgl. etwa Gammon, Ramshaw 2020). Oder: tröstende „virtual cast reunions” – von denen ebenfalls eine mit dem Schauspieler Josh Gad (2020) für BTTF stattgefunden hat – „offer a return to beloved characters from the past“ (Johnson 2020).
Ebenso wie das Präventionsmotiv wird auch die nostalgische Bezugnahme im BTTF-Film schon vorweggenommen, in dem „nostalgia and futurism” (Wittenberg 2006: 55) zusammenspielen. Eine nostalgische Sehnsucht nach den 1950er Jahren, die dann romantisierend als „peaceful and prosperous“ (Dwyer 2015: 18f.) gelten, ist in der Reagan-Ära, z.B. in Populärkultur bzw. Film, durchaus verbreitet (vgl. ebd., Priewe 2017, Dika 2003). Entsprechend setzt BTTF 1985 eine selektive Rückkehrfantasie in das – hier um „social agitation, racial oppression, and the other cultural anxieties that actually gripped the decade“ (Dwyer 2015: 42) weitgehend ‚bereinigte‘ – US-Amerika der Nachkriegszeit in Szene. Marty trifft auf seine Teenager-Eltern „[i]n a color-saturated world dominated by bright reds and blues and situated in the ‚small town USA’ of the 1950s imagination” (Dika 2003: 144). Auch hier gilt, dass nostalgische Tendenzen oft stärker auf aktuelle Zustände antworten als vergangene Realitäten zu reflektieren: Das fiktive, einigermaßen idyllische und oxymoronische ‚Hill Valley‘ baut weniger auf historische Genauigkeit als vielmehr darauf, wie man in den 1980ern erinnern sollte oder wollte (Priewe 2017: 7). Nicht wenige Filmkritiker/innen schlussfolgern dergestalt, BTTF gehöre zu den „most conservative and pro-Reagan movies at the time” (ebd.: 2 mit Bezug auf Fhlainn 2010).
Und doch geht der Film ebenso wenig wie in Präventions- in Nostalgieversprechen auf. „Back to the Future does not simply champion the Fifties” (Dwyer 2015: 22); vielmehr stellt er den trügerischen Charakter nostalgischer Phantasien durchaus aus, wenn Martys Zeitreise die ihm durch Erzählungen geläufigen Erinnerungen der Eltern an die 1950er Jahre, was etwa die Moral betrifft, als unwahr entlarvt (vgl. ebd.: 38) – oder wenn eine Reihe elterlicher Probleme im späteren Leben offenbar aus deren Schwächen in jener Zeit resultieren (vgl. Dika 2003: 144). Die 1950er werden auch insofern nicht als ‚bessere‘, wieder erstrebenswerte Zeit präsentiert (vgl. ebd.: 143), als die Filmfigur Marty wenig Interesse zeigt, in dieser zu bleiben; eher schon stellt sich ein ‚Heimweh‘ nach der Gegenwart ein. Zwar entwirft der Film für die 1980er Jahre eine unbefriedigende, recht hoffnungslose Vorstellung von einer Stadt – und einer Familie – „in decline“ (Dwyer 2015: 38). Doch trotz des anfänglichen ‚No Future’-Touchs, „[b]y the end of the film, Marty has both safeguarded his family’s existence and secured a new and prosperous future for them” (ebd.: 27). Nicht einfach nur rückwärtsgewandt wird vielmehr der Jetztzeit zugetraut, durch ein auf der Basis gegenwärtigen Wissens zurechtrückendes und instand setzendes Eingreifen in die Vergangenheit eine vorteilhaftere, weniger beschämende Zukunft zu erwecken 4.
Scheint sich hier ein fortschrittsoptimistischer Zug zu zeigen, so wird dabei zugleich eine Vergangenheit anvisiert und ‚erinnert‘, wie sie hätte sein können 5. Und auch wenn BTTF schließlich doch nur bei altbekannten und nichts als kulturell erwartbaren ‚Happy-Home‘-Vorgaben zu landen scheint (etwa bei einer Familie, wie sie demnach immer schon hätte sein sollen), so ist dieser Prozess, diesseits aller konservativen Schlagseiten, nicht auf die reparative Wiederbelebung einer „cultural corpse“ (Caleb, Ó Cuileagáin 2020: 8) festgelegt, quasi im Bestreben „to perfect, and then freeze, [the] family and civic fortunes“ (Dwyer 2015: 42). Vielmehr kann dieserart gezeigte Nostalgie als Erinnerung an das, was hätte möglich sein können, das, was gegeben ist, in Frage stellen. So verstanden richtet sich die Bezugnahme dann auf eine Umarbeitung und Aneignung der sich als unabgeschlossen erweisenden Vergangenheit 6, mit der sich potenziell deren nicht eingelösten Potenziale nachträglich in der Zukunft realisieren. Was BTTF desgleichen vor Augen führt: als fiktive Reise in Gewesenes – um dort mit Blick auf Kommendes zu intervenieren, und es, in Differenz zu bisher gegenwärtigen Erzählungen, aus seiner Zukunft heraus neu zu sortieren (vgl. dazu Lacan 1953) 7.
Zusammengenommen rechnet der Film auf zweierlei Weisen mit einer weniger schicksalhaft-vorherbestimmten als kontingent-offenen Zukunft. So, wie er funktioniert, wird den Annahmen eines in aller Wahrscheinlichkeit erwartbaren Zeitverlaufs (wie sie mit dem präventiven Modell verbunden sind) ein im beschriebenen Sinn ‚verwickelterer‘ (von einer Diskontinuität der Zeitformen ausgehender) Zugriff an die Seite gestellt. Wie schon die titelgebende Wendung ‚Zurück in die Zukunft‘ markiert 8, prägen solche Brüche, Vor- und Rückbezüge BTTF in seiner Gesamtanlage – diesseits der darin gezeigten Präventivmaßnahmen und über diese hinaus. So findet etwa das Vorbeugehandeln selbst in der wiederaufgesuchten Vergangenheit statt, als eines, das um deren bisherige Zukunft als Jetztzeit weiß. Oder: Wird dem Schwarzen Bürgermeister Goldie Wilson in jener Jetztzeit des Films, die Idee Bürgermeister zu werden, paradoxerweise vom weißen Marty erst im Rahmen seiner Rückkehr in die Vergangenheit eingepflanzt, dann kann die Wirkung noch vor der Ursache liegen. Anhand der Szene, die Docs lebensrettendes Vorsorgeverhalten im Nachhinein aufdeckt, lässt sich weiter gedankenspielen: Wer sagt denn, dass Doc nicht auch schon am Filmbeginn, durch Martys Brief gewarnt, mittels schusssicherer Weste überlebt hat – was wir als Publikum nur durch Martys überstürzten Aufbruch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gesehen haben?
Erfolgt also in Coronazeiten ein Rückgriff auf BTTF, dann wird man zwar in die Vergangenheit katapultiert; zugleich aber wird man mit diesem Film (anders als z.B. beim nostalgischen Brotbacken) auf Reisen quer zu den Zeiten geschickt – worin sich wiederum ein Charakteristikum des Kinofilms manifestiert. Dieser funktioniert selbst nach Art einer magischen Zeitmaschine (und umgekehrt), insofern er die Zeit z.B. beschleunigen, rückwärtslaufen lassen, einfrieren (vgl. dazu Williams 2007: 1f.) oder auch rückblenden kann. Wodurch BTTF quasi-autosymbolisch Aspekte des filmischen Funktionsmodus vor Augen führt.
Verstärkt durch neuere Medienformate lassen sich Filme nun überdies problemlos aufzeichnen, stoppen, spulen, bearbeiten, recyceln, verändern, arrangieren, verbreiten. Statt sich, wie noch für das klassische BTTF-Publikum üblich, in einem vom Alltag separierten dunklen Raum zusammenzufinden, auf die Leinwandwelt auszurichten und – auf eine kaum ‚festzuhaltende‘ flüchtige Art – das Angebotene zu erleben (vgl. Casetti 2010: 27, vgl. 21f), werden Orte bzw. Modalitäten in der Rezeption selbst modellierbar (vgl. ebd.). Wenn auch weiterhin nicht im Sinne des kinematischen Erfahrungsmodus ist der Film „als ‚Bewegtbild‘ und Objekt“ leicht zitierbar (Pantenburg 2012: 253) und somit der stückweisen Wiederholung bzw. Wiederkehr ausgesetzt. Im Back to the Future Corona Virus Advice!-Videoclip funktionieren die zeitlichen Abstecher weniger noch als eine Reise, denn als Überlagerung von als solchen kenntlichen Zitaten aus Vergangenheit und Gegenwart. Schon mit seiner Entstehung wird der Verlauf des zurückliegenden Films programmatisch gesprengt; dieser wird zergliedert, geöffnet und in Teilen bewahrt, ausgewählte Bruchstücke werden aufgenommen und deren Motive – ausdrücklich entstellt – mit den gegenwartsbezogenen Corona-Aufforderungen verfugt. Selektivität im Zugriff, Umschrift bzw. zukunftsbezogene Neusortierung des Vorfindlichen liegen in Form dieses Clips offen zutage.
Es überrascht kaum noch: Bereits BTTF praktiziert Zitathaftigkeit. Wie im Clip die in die Gegenwart versetzten BTTF-Bruchstücke im neuen Zusammenhang eine Art ‚Déjà-vu‘ erzeugen und ein ‚Eigenleben’ entwickeln, werden hier Martys Blick auf die Dinge oder auch diese selbst (Oldies, Calvin Klein, Pepsi Free…) aus der Filmgegenwart in die 1950er-Jahre importiert und damit rückwirkend in neuem Kontext ‚zitiert‘, was die Vergangenheit zugleich als vergleichsweise naiv bzw. wenig im Bilde dastehen lässt (wovon man beim Betrachten mit Marty, sich davon absetzend, wiederum fasziniert sein kann). Auch Marty als Figur wird solchermaßen rückwärtszitiert, d.h. aus dem gezeigten bekannten Lebenszusammenhang in die Vergangenheit geschossen und dort mit all dem modischen Produktzubehör (Nike, Skateboard…) der 1980er Jahre ‚angeführt‘. Womit z.B. seine dort nur als „Rettungsweste“ (!) identifizierbare ärmellos-gesteppte Oberbekleidung wie ein ihn im neuen ‚Text‘ absetzendes Anführungszeichen funktioniert. In anderer Richtung wirksam hat Marty auf seiner Reise in die 1950er Jahre seinen Camcorder dabei – und wird durch eine Zeitmaschine dorthin transportiert, die selbst an Videotechnik erinnern kann: „Hier oben musst du deine Zielzeit einprogrammieren. Nehmen wir mal an, du willst bei der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung dabei sein...“ (0:24:00). Docs Vorführung der Bedienung „in fact recalls the procedure for programming a VCR“ (Laist 2010: 221f.) und macht dann vergangene Ereignisse zu einem medial ‚herbeizitierbaren‘ Programm.
Auch ‚in sich‘ zitiert BTTF sich als Film: Als Marty nach seiner Rückkehr ins Jahr 1985 die „Lone Pine Mall“ 9 erreicht, wird er, nach einer kurzen ‚Zeit zu begreifen‘, gewahr, dass er dabei ist, dem filmischen Anfang aus einer gewissen Distanz zuzusehen, genauer: der Tötung Docs und wie er selbst schnellstmöglich jene Flucht ergreift, die ihn dann recht unvorbereitet in die Vergangenheit katapultiert. Damit sieht er diese Szene selbst wie einen Film; und entsprechend verschiebt sich die Publikumsposition, insofern man nun nicht nur jene Szene aus anderer Einstellung wiedersieht, sondern eben auch Marty, wie er sie sieht (dazu Wittenberg 2006) – wie man sie mit ihm sieht, und damit letztlich sich als Betrachter/in. Sodass BTTF nicht nur von einer Zeitreise erzählt, in der Marty der eigenen Urszene nahekommt. Sondern der Film setzt auch auf eine Weise urszenen-like eine Betrachtung der eigenen Entstehung in Szene (vgl. ebd.) 10, wie es just dieses Medium möglich macht. Der Film erzeugt in sich eine Distanz, mit der er auf sich schaut; mit dieser ‚Betrachtung in sich selbst‘ wäre gleichsam seine filmische Machart markiert. Sodass man, während man dem Leinwandgeschehen illusionsbereit folgt, ohne wirklich daran zu glauben, in ihm auf ein Zusehen stoßen kann. Auf andere Weise geschieht dies figürlich, wenn die Protagonist/innen sich in BTTF in ihrem Handeln selbst beobachten bzw. auf belustigende Art darauf zu reflektieren scheinen: „[Lorraine:] Da stimmt was nicht. Ich weiß nicht, was es ist, aber wenn ich dich küsse, dann ist das so, als ob ich meinen Bruder küsse. Das ergibt keinen Sinn, nicht wahr? [Marty:] Lorraine glaub mir, das ergibt absolut einen Sinn.“ (1:17:30) Ein Moment der Selbstbetrachtung als Akteur eines Films bzw. bei der Hervorbringung eines Plots, in dem man agiert (vgl. dazu Wittenberg 2006: 63): Wenn hier etwas ‚Sinn macht‘, dann nur, weil Marty-Sohn und Lorraine-Mutter sich in einem ihnen fremd werdenden Geschehen eigens betrachten und damit auch (wie wir als Publikum) einen „Hollywood movie being filmed“ (Wittenberg 2006: 63).
Auf diese Art werden in BTTF – als Film schon eine Zeitreise in sich – Elemente und Figuren durch zeitliche Konstellationen transportiert, was auch zu einem inneren Abstandnehmen in der je filmischen Gegenwart führt. Letztere gerät selbst in eine zitathafte Distanz zu sich, was wiederum Voraussetzung für die bewirkte Komik ist. Die ödipale Geschichte etwa erscheint als Stoff für dargelegte Wiederholung, voller reflexiver, verfremdender Momente, mit heiterem Abstand zu sich selbst – und weniger als unausweichliche Tragödie, in der sich ein Individuum in sein Schicksal verfängt, diesem versucht zu trotzen und daran scheitert. Vielmehr werden die – durchaus verwechselbaren – Einzelnen in dieser ‚gelingenden‘ Komödie nicht selten einfach für diejenigen gehalten, deren Position sie gerade einnehmen (insgesamt inspiriert durch Pfaller 2005); besonders plastisch z.B., wenn Marty von seiner Mutter, bei der er die Position seines Vaters ausfüllt, für ‚Calvin Klein‘ gehalten wird. Die Narration erweist sich als durchsetzt von spielerisch-komischen Brechungen, Überzeichnungen, Missgeschicken, Ausführungsfehlern, Inkongruenzen. Immer wieder wird audiovisuell eine inhärente Distanz zu dem etabliert, was die Figuren involviert – bis hin zum Happy End‚ das den Boden verliert: Marty landet am Ende in einer Szene, die klischeehaft eine idealisierte Familienversion heraufbeschwört, aber so, dass er, diese weitreichend wie ein Zuschauer betrachtend, vor lauter Fassungslosigkeit slapstickartig vom Hocker fällt (1:44:40). So wie der sich in dieser filmisch filmreif aufpolierten Version von Familie und Heim zeigende Größenwunsch Martys ins übersteigert Groteske entgleist – und so eine abzulachende Spannung aufweist.
Zurück zur Gegenwart des Videoclips hat mein Beitrag eine Neubetrachtung vom BTTF vorgenommen; und zwar ausgehend von jenem Clip, der aktuelle gesellschaftliche Präventionsanforderungen an das zurückliegende Filmzeitreiseabenteuer heranführt und durch diesen Verschnitt eine momenthafte Antwort auf eine momentane Lage formuliert. Indem er BTTF zerstückelt und mit textlichen Kommentaren kombiniert, eignet er sich audiovisuelles Material der Vergangenheit an, welches selbst Formen der Vergangenheitsaneignung umkreist. Er greift in den früheren Film ein, der einen Eingriff in ein ‚Früher‘ thematisiert und vorführt, und greift damit auch Aussagen über das Aneignen von Vergangenem auf (z.B. mit der ‚Wiedererwachensszene‘ Docs oder mit der anklopfenden Kontaktaufnahme bzw. Verabschiedung in der Vergangenheit [7., 2. und 6. Abschnitt]). Auf Basis einer sich einstellenden Affinität zur BTTF-Vergangenheit, in der sich das Jetzt offenbar punktuell erkennt, wird durch die Neubelebung von darin schlummernden Möglichkeiten ein spezifischer Blick auf dieses Jetzt erzeugt. Oder: Durch die – auch formal abweichende – Verbindung, die die Gegenwart mit dem älteren Film aufnimmt, schließt sich das filmische Material auf eine für diese Gegenwart charakteristische Weise auf und erlangt so im Nachhinein eine zuvor nicht erahnbare Aktualität.
Der Clip weist fragmentarisch aus, was der Film hätte gewesen sein können, wenn man seine Lektüre an aufkommenden Fragen von Prävention, Nostalgie bzw. Zeitbezug orientiert. Am ausgewählten Fall zusammengefasst: Zunächst stellt der Clip durch die Art, wie er aktuelle Verhaltenshinweise in die BTTF-Sequenzen montiert, die darin schon angelegte Präventionsthematik heraus und lädt das gebotene Vorsorgeverhalten durch die sympathietragenden Filmfiguren Marty und Doc (gerade auch im Fall jener über den Haufen geworfenen Vorbehalte) weitestgehend positiv auf. Denn durch diese beiden Figuren, die hier nun eine Corona-Warnfunktion übernehmen, verknüpfen sich die Hinweise mit deren Beliebtheit. Und so wie der wiedererweckte Film auf die Möglichkeit unbeabsichtigter, ggf. selbst wieder Vorsorgehandeln erfordernder Präventions-‚Neben’wirkungen aufmerksam macht, so deutet er mit Doc samt dessen Bedenken bereits einen Konflikt um Prävention an – welche immerhin als „die dominante Ratio“ gelten kann, „unter der zeitgenössische Gesellschaften ihr Verhältnis zur Zukunft verhandeln und organisieren“ (Bröckling 2012: 93). Durch die Wiederaufnahme der ausgewählten ‚Wiederauferstehungsszene‘ Docs deutet der Clip einen (überwundenen) Zweifel am Vorsorgeverhalten an, auf welches er die Fan-Gemeinschaft insgesamt einstimmt. Mögliche Ambivalenzen oder Dilemmata, was eine Umsetzung präventiver Maßnahmen betrifft, finden eine bildliche Form überdies in jener Sequenz, in der die dem Corona-Berührungsverbot „No Hugging“ widersprechende Umarmung Docs durch Marty (durch die Zuneigung zu den bekanntlich einander zugeneigten Figuren) eine eindeutige Aufteilung in ‚gut/richtig‘ versus ‚böse/falsch‘ jedenfalls erschwert.
Weiter kann das Kurzvideo, indem es einen während der Corona-Krise wieder nostalgisch besetzten Film zitiert, auch die trügerische Seite nostalgischer Phantasien anspielen, welche weder BTTF noch es selbst einfach bedienen. Greift der Clip auf BTTF zurück, dann verspricht das nicht nur eine aufmunternde ‚Zuflucht‘ in Altbekanntes oder ein ‚Sich-vertraut-machen‘ des Neuen durch eine vertraute Bildsprache o.ä. Sondern der Rückgriff erweist sich als zukunftsbezogen; angesichts einer als verunsichernd oder trostlos wahrgenommenen (Corona-)Gegenwart kann sich darin auch eine ‚nostalgische‘ Sehnsucht nach einer Vergangenheit artikulieren, die die Aussicht auf eine Zukunft in sich enthält (vgl. Brunk et al. 2020), wie man sie aktuell so gut gebrauchen kann.
Kündigt sich damit zugleich eine den Zeiten innewohnende Abständigkeit an, dann übernimmt der Clip als „Coronavirus Advice“ im „Back to the Future Style” schließlich die zitathafte Distanz und legt seine Machart insgesamt darauf an. Der inhärente Abstand, wie er sich schon in BTTF für die Gegenwart gewinnen lässt und wie das Kurzvideo ihn weitertreibt, fungiert zugleich als Voraussetzung für den humoristischen Stil. Auch die ihrerseits aus der Gegenwart herbeizitierten Corona-Vorgaben können hier in einen Abstand zu sich gelangen, und der Clip kann zugleich als deren animierende Unterstützung wirken wie er sie – mit geteilter Liebe zum Filmdetail – im Auge behält bzw. Maßnahmen und Film miteinander parodiert. Die Antwort, die er auf die gegenwärtige Lage bereithält, besteht damit ebenso im Vermögen seiner Form, das Ablachen eines gewissen Betrags pandemiebedingter Spannung zu initiieren. Was eben durch die Etablierung eines heiter-‚fiktionalisierenden‘ Abstands funktioniert – auch zu sich selbst (und sei es als Publikum darüber zu merken, wie gut man BTTF noch kennt und dem Film entsprechend anhängt). Wodurch man am Ende, um eine selbstzitathafte Dimension bereichert, eine veränderte, in Teilen vielleicht entkrampfende und wieder auch ‚präventive’ 11 Sicht auf sein gegenwärtiges Schicksal gewinnen kann. Und wodurch wiederum der ‚alte‘ Film BTTF durch die ‚Kleinigkeit‘ des neuen Clips, welcher mit ihm eine krisenhafte Gegenwart verhandelt, rückwirkend in der Tat als eine Art kultureller Hinweisgeber für eine Corona-Zukunft fungieren kann.
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