Vom fixierenden Beweismittel zum diskursiven Möglichkeitsraum: SUNRISE, LES 400 COUPS, MEMENTO
Wenn Kunsthistoriker über Filme sprechen und dazu ihr gewohntes Instrumentarium, den Diaprojektor, verwenden, dann inszenieren sie mit Hilfe der Fotografie einen Medienwechsel. Das Laufbild wird zum Standbild, die Projektion bleibt erhalten. Solche Medienwechsel sind bei der Filmanalyse nicht ungewöhnlich, ja geradezu unvermeidlich. In der Filmwissenschaft arbeitet man eher mit Filmerinnerungen, mit Sequenzprotokollen oder mit Videokopien, neuerdings auch mit DVDs. Letztere haben den Vorteil, dass sie zumindest Bewegungen und Schnittfolgen, d.h. die zeitliche Struktur und Anordnung einigermaßen adäquat wiedergeben können und zugänglich machen. Zudem verfügt die DVD über Inhaltsverzeichnisse, sodass sich Sequenzprotokolle im Grunde erübrigen (vgl. Pauleit 2004a).
Auch bei den genannten Methoden und Instrumenten der Filmwissenschaft hat man es mit Medienwechseln zu tun. Die Etablierung des Faches Filmwissenschaft erfolgte aber weniger in Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte als im Schatten der Philologien und der Semiologie. An deutschen Universitäten wird ihre Entwicklung auch mit den technischen Potentialen der seit den 1970er Jahren verfügbaren Videoaufzeichnung in Verbindung gebracht. Erst der Videomitschnitt erlaubt die Film- und Medienanalyse in den Universitäten, sofern diese nicht selbst über eigene Filmkopien verfügen (vgl. Hickethier 2001). Dennoch gilt der Medienwechsel zum Video ebenso wie das Anhalten des Filmbildes den Cinephilen weiterhin als Sakrileg und Faszination. Während die Videokopie gering geschätzt wird und – wenn überhaupt – als notwendiges Übel mit den entsprechenden entschuldigenden Worten akzeptiert wird, werden fotografische Standbilder des Films als Fetische geliebt und verehrt und gerne auch zur Illustration filmwissenschaftlicher Erkenntnisse herangezogen, meist jedoch ohne auf den Medienwechsel hinzuweisen.
Von den kunsthistorischen Methoden des Bildvergleichs, die auf den fotografischen Sammlungen von Diapositiven beruhen (Wenk 1999, Dilly 1975), zeigt sich die Filmwissenschaft trotz ihres Gebrauchs von Standbildern bis heute wenig inspiriert. Dies hat historische Gründe (Meder 1994). In den 1990er Jahren wurden im Rahmen der Diskussion um das Thema Bildlichkeit, die Fragen der Zuständigkeiten neu gestellt (Boehm 1994, Bohn 1990, Mitchell 1994). Dabei formulierte die Kunstgeschichte den Anspruch, ihre Methoden auch auf den Film anwenden zu können, allerdings vielfach in einer Übertragung ihrer Arbeit mit fotografischen Reproduktionen, respektive Standbildern (z.B. Breitmoser-Bock 1992). Dieses Vorgehen aktualisiert den Aufgabenbereich der Kunstgeschichte, es trägt auch den Entwicklungen der Videokunst und der zunehmenden Auseinandersetzung seitens der bildenden Künstler mit den Bildwelten des massenmedialen Films Rechnung. Allerdings wird auch von dieser Seite die mediale Differenz zwischen Fotografie und Film nicht tiefer reflektiert.
Im Folgenden will ich zunächst den Umgang des Kunsthistorikers Heinrich Dilly (Ging Cézanne ins Kino?) mit Standbildern des Films, mit einer Lektüre des Filmkritikers Siegfried Kracauer (Die Photographie) konfrontieren. Beide Autoren liefern keine Theorien zum Medienwechsel, obgleich Kracauers Überlegungen später tatsächlich von der Fotografie zu einer Theorie des Films führen. Sie verweisen vielmehr essayistisch auf spezifische historische Konstellationen, in denen das Verhältnis einer Mediendifferenz von Fotografie und Film virulent wurde. Ziel ist es, die unterschiedlichen Inszenierungen dieses Medienwechsels und die zugehörigen Argumentationen für eine aktuelle Beschäftigung mit dem fotografischen und filmischen Bild fruchtbar zu machen. Abschließend will ich auf den Gebrauch der Fotografie in den Filmen SUNRISE (1927), LES 400 COUPS (1959) und MEMENTO (2000) eingehen, die ihrerseits die Fotografie als spezifisches "Argument" verwenden und damit einen postkinematografischen Möglichkeitsraum etablieren.
Untersuchungen, die das Verhältnis von Film und bildender Kunst thematisieren und visualisieren, sind in den Printmedien zur bildvergleichenden Darstellung immer auf den Gebrauch von Filmstandbildern angewiesen. In dieser Konstellation des Vergleichs unterschiedlicher Werke wird deutlich, dass die klassischen Werke der bildenden Kunst in der fotografischen Reproduktion als Werkeinheit mehr oder weniger "originalgetreu" wiedergegeben werden können, während der Film hierbei nur durch ein Still sozusagen als pars pro toto erfasst wird. Als in der Frühzeit des Kinos die ersten kurzen Filme der Brüder Lumière nur aus einer einzigen Einstellung einer unbewegten Kamera bestanden, mag diese Reduktion des bewegten Bildes auf ein einzelnes Standbild weniger ins Gewicht gefallen sein, als zu Zeiten, in denen ein Film aus mehreren Hunderten von Einstellungen sich zusammensetzte. Allerdings lassen sich ihre Konsequenzen für die wissenschaftliche Beschäftigung bereits in dieser Frühzeit festmachen.
Ein anschauliches Beispiel für einen solchen Bildvergleich liefert Heinrich Dilly in seinem Buch Ging Cézanne ins Kino?. Dillys Bildvergleich stellt den Kartenspielern von Cézanne ikonografisch ähnliche Standbilder aus einem Film der Gebrüder Lumière gegenüber. In seiner Untersuchung geht er den historischen Spuren einer gegenseitigen Beeinflussung Cézannes und der Brüder Lumière nach, um sie schließlich alle als nicht verifizierbar zu verwerfen. Dennoch entdeckt Dilly während seiner Recherche in Aix en Provence im Jahre 1996 mehr als ein altes Kino mit dem Namen "Cinéma Cézanne". Er skizziert die überzeugende Kraft des methodischen Bildvergleichs als ikonografisches Phantasma der Kunstgeschichte. Und es ist dieses Phantasma, welches den Leser gewinnt und einen Möglichkeitsraum der künstlerischen Begegnung von Malerei und Kino erst entstehen lässt.
Für dieses Verfahren reproduziert Dilly in seinem Buch Filmstandbilder aus dem Film der Lumière ebenso wie die Gemälde Cézannes. Allerdings belässt er es nicht bei der üblichen Gegenüberstellung der Bilder. Er inszeniert die Standbilder des Films vielmehr als Bildfolge wie bei einem Daumenkino am rechten oberen Rand jeder ungeraden Buchseite, während sich die Reproduktionen Cézannes auf den geraden Seiten (16, 18 und 20) befinden. Diese Anordnung respektiert nicht nur den Film in seiner zeitlichen Struktur des Bewegungsbildes und eröffnet einen analytischen Blick auf die fotografische Bildfolge, sie erlaubt auch einen Blick auf das bewegte Bild des Films als Daumenkino. Schließlich – so könnte man meinen – liefert es gar eine Synthese zwischen zwei unterschiedlichen Bildvorstellungen, die in der Falz des Buches zusammenlaufen.
Dilly gelingt mit dieser Inszenierung zweierlei: Erstens zeigt er die Grenzen historischer Rekonstruktion angesichts des Kinos auf, dessen Spuren sich aufgrund seiner spezifischen Ereignisstruktur nur bedingt mit Hilfe der Fotografie rekonstruieren lassen. Zweitens führt Dilly eine Analogie zwischen dem kunsthistorischen Verfahren des Bildvergleichs und dem Prinzip des Films als zeitlicher Bildsequenz und Narration ein. In dieser Analogie wird das wissenschaftliche Verfahren in die Nähe einer Filmaufführung gerückt. Auch wenn Dilly dies in seiner Schrift nicht weiter ausführt, so ist doch die Anordnung seines Buches als Montage von Bild und Text explizit auf diese Grenzüberschreitung (von der Wissenschaft zur Filmkunst) angelegt. Im Buch wird damit eine Art Vestibül in Szene gesetzt, ein Äquivalent für die Eingangshalle eines Kinos. Die Anordnung verweist also nicht auf eine belegbare Vergangenheit, wie es eine Fotografie täte, (die eine Begegnung von Cézanne und den Lumières zeigen könnte,) sondern auf einen Möglichkeitsraum, der ungesehen bleibt, wie ein Raum zwischen den Einstellungen eines Films. Das Verfahren kommt hierin also eher einer Beschwörung bzw. einer Phantasie gleich, die die Existenz einer beweisenden Fotografie (oder eines dokumentarischen Films) imaginiert.
Das Forschungsergebnis präsentiert den kunsthistorischen Bildvergleich explizit als Sonderform einer fotografischen Bildfolge und implizit als kinematografische Sinnproduktion – und gibt die kunsthistorischen Thesen schließlich als "Kino-Thesen" zu erkennen. Das Kino, welches Dilly entdeckt, ist folglich nicht das konkrete "Cinéma Cézanne" in Aix-en-Provence (welches Dilly in seinem Text als Bezugspunkt wählt), sondern das Kino als Diskursform. Das Kennzeichen des kinematografischen Arguments ist dabei eine "falsche" Spur. Und die "falsche" Spur ist das Kennzeichen von Filmstandbildern. Denn anders als die einfache Fotografie verweisen Filmstandbilder nicht nur auf eine Spur des Vergangenen, sondern auch auf Möglichkeitsräume der Zukunft und Gegenwart (vgl. Pauleit 2004b, 123–134). Während Dilly seine Argumentation also einerseits streng kunsthistorisch fasst, um am Ende seine Arbeitshypothese der gegenseitigen Beeinflussung von Cézanne und der Brüder Lumière zu negieren, so dekonstruiert er andererseits genau diesen kunsthistorischen Rahmen mit Hilfe seiner kinematografischen Anordnung. Dreh- und Angelpunkt dieses Verfahrens ist allerdings nicht mehr die Fotografie, sondern die spezifische Form der Filmstandbilder, die sich von der Fotografie und ihrer historischen Beweiskraft durch einen zweiten Index und Möglichkeitsraum unterscheidet.
Aus einer anderen Perspektive beschäftigt sich Siegfried Kracauer mit der medialen Differenz von Fotografie und Film. In seinem Aufsatz Die Photographie von 1927 baut er sein Argument auf die vergleichende Betrachtung zweier Fotografien auf: Die eine zeigt 'die' Filmdiva, die andere 'die' Großmutter. Der Unterschied zwischen diesen Fotografien besteht darin, dass es sich bei der Filmdiva um eine aktuelle Fotografie aus dem Jahr 1927 handelt, bei der Großmutter um eine historische von 1864. Die aktuelle Fotografie, so Kracauer, "leistet Vermittlerdienste". Die historische Fotografie dagegen "ist komisch und furchtbar zugleich". Aber – so Kracauer – dem Foto der Diva steht grundsätzlich das gleiche Schicksal bevor, wie dem der Großmutter, wenn es veraltet. Während Dilly seinen Bildvergleich im kunsthistorischen Argument wie einen narrativen Film montiert, so zeigt Kracauer seinen Bildvergleich zwar wie eine Parallelmontage, ohne sie jedoch auf eine filmische Synthese dieser Einstellungen anzulegen.
Im zweiten Schritt des Arguments analogisiert Kracauer die Erfindung der Fotografie mit dem historistischen Denken: "Die Photographie bietet ein Raumkontinuum dar; … Dem Historismus geht es um die Photographie der Zeit. Seiner Zeitphotographie entspräche ein Riesenfilm, der die in ihr verbundenen Vorgänge allseitig abbildete." (Kracauer 1927: 24)
Die Analogie von Fotografie und Historismus als "Riesenfilm" deutet an, worum es Kracauer geht: nämlich nicht um eine Unterscheidung von Fotografie und Film, sondern um eine Umwertung der ihnen zugeschriebenen Bildformen mit dem Ziel, sie aus dem Verhältnis zum Vergangenen heraus zu lösen. D.h. Kracauer arbeitet mit zwei unterschiedlichen Bildbegriffen, die nicht an die Medien Fotografie und Film gebunden sind. Der eine ist historistisch geprägt und durch sein Zeugnis des Vergangenen definiert. Der andere steht im Zeichen des "Spiels" und macht die Elemente des Bildes für die Gegenwart und Zukunft neu verfügbar –, eröffnet also einen Möglichkeitsraum im Sinne von Traum und Psychoanalyse. Die Überlegungen Kracauers sind dabei durchaus paradox, wenn er das fotografische Prinzip (den Verweis aufs Vergangene) gleichzeitig aufheben will und in einer anderen Weise (als Möglichkeitsraum) fortzuschreiben versucht.
In seiner Theorie des Films (1960) ist diese Verschiebung der Indexikalität im Untertitel dechiffriert: "Die Errettung der äußeren Wirklichkeit". Der Wirklichkeitsbezug des Films, den Kracauer hier im Sinn hat, bezieht sich zwar explizit auf die Fotografie, nicht aber auf den Index des Vergangenen. Seine Erläuterung des Errettungsgedankens ist dabei tautologisch: "Doch um uns die physische Realität erfahren zu lassen, müssen Filme wirklich zeigen, was sie zeigen" (Kracauer 1985: 389). Kracauers Realismus impliziert die Transformation des fotografischen Verweischarakters auf einen gegenwärtigen (oder zukünftigen) Raum, der sich in seiner Formulierung auf ein Pflichtgebot im Imperativ – auf ein Müssen – beruft.
Dieses paradoxe Ansinnen findet sich bereits im Text von 1927 und erklärt vielleicht, warum Kracauer seinem Essay die Ansicht der beiden Fotografien nicht hinzufügt, sondern gerade diese Zeugnisse – die historischen Spuren der Filmdiva und der Großmutter – verwischt. Von der Filmdiva erfährt man – wie aus einem Drehbuch – nur, dass sie verführerisch und dämonisch (gewesen) sei: "So sieht die Filmdiva aus. Sie ist 24 Jahre alt, sie steht auf der Titelseite einer illustrierten Zeitung vor dem Excelsior-Hotel am Lido. Wir schreiben September … Der Begleittext nennt sie dämonisch; unsere dämonische Diva …" (Kracauer 1927: 21).1
Die Anordnung von Kracauers Essay zeigt zumindest eine Parallele zu Dillys Buch: Es gibt nicht genügend Beweisstücke, die man im Sinne einer historischen Rekonstruktion leicht zu einer Geschichte zusammensetzen könnte. Allerdings ist Kracauers Strategie der von Dilly geradezu entgegengesetzt. Während Dilly – wenn auch spielerisch – den Historiker als Detektiv gibt, der alle verfügbaren Beweise zusammenträgt (Fotos, namentlich gekennzeichnete Kinokarten etc.), so hält Kracauer absichtlich Beweismittel zurück, um uns auf eine andere Fährte zu locken. Kracauers Text verweist also weniger auf historische Fotografien, sondern zum einen auf die Bewegung des Films, in der die einzelne Fotografie verschwindet und zum anderen auf die Phantasie seiner Leser, die es dennoch ermöglicht, sich sowohl die Fotografie 'der' Großmutter, als auch die 'der' Filmdiva ins Gedächtnis zu rufen.
Bildtheoretisch stellt Kracauer damit klar, der Film entsteht im Kopf des Zuschauers. Mit dem Verweis auf die Diva belegt er aber gleichzeitig, dass der Film nicht ohne die Fotografie zu haben ist und weiter, dass das Auftreten des Films zurückwirkt auf die Fotografie und dass jener das Bildverständnis von dieser durchwirkt und verändert. Dieser Wandel des Bildes stattet die Fotografie nicht nur mit den Potenzialen des Films aus. Er begreift das Bild (auch das fotografische) als Transformation und Prozess. Ausgehend vom technischen Verfahren der Fixierung entwickelt sich durch das Einwirken des Films ein dynamisches Verfahren, das "den Fluss des Lebens" zeigt, wie es Kracauer in seiner Theorie des Films formuliert.
Diese Auffassung vom Bild impliziert, dass Film und Fotografie nicht nur realistisch abbilden, sondern dass sie eine umfassendere Wirklichkeit beschwören. Die fotografischen Aufnahmen weisen dann über die physische Welt hinaus und zwar dank eines Zusammenspiels von Psyche, Traum, Spiel und physischer Realität. Auch dieses Verfahren wird als fotografisches gedacht, nur verweist es nicht mehr auf Vergangenes, sondern auf einen Möglichkeitsraum und im Sinne der "Errettung der physischen Realität" auf den "Fluss des Lebens". Worauf Kracauers Bildverständnis abzielt, ist die Verbindung von Fotografie und Film (und Zuschauer) zu einem genuinen foto-filmischen Bildkomplex.2 Dort wo Dilly die verführende Montage von Bildern als kinematografische Illusion verwirft und damit letztlich an einem "historistischen" Verständnis auch der Fotografie festhält, setzt Kracauer auf die Anordnung des Kinos, d.h. auf ein Zusammenspiel von Fotografie (und Ton), Filmapparatur, leerer Leinwand und Phantasie des Zuschauers, in dem die einzelnen Fotografien verschwinden und behauptet dennoch ein auf die Wirklichkeit bezogenes fotografisches Bildverständnis beizubehalten.
In der Gegenüberstellung der Positionen von Heinrich Dilly und Siegfried Kracauer spiegeln sich nicht nur ideologische und bildtheoretische Gegensätze. Sie handelt auch von der Institutionen- und Diskursgeschichte von bildender Kunst und Kino, die selbst dem Wandel unterliegt. Auffällig bleibt dennoch Kracauers früher Bruch mit dem klassischen Verständnis der Fotografie als Zeugnis des Vergangenen, auf dessen Basis er seine einseitige Parteinahme für den Film aufbaut. Während der Kunsthistoriker Dilly sozusagen bis in die 1990er Jahre dem klassischen Bildverständnis der Fotografie die Treue hält. Die Unvereinbarkeit dieser Positionen resultiert also aus zwei unterschiedlichen Bildbegriffen, die beide einen Anspruch auf die Wirklichkeit erheben.
Dass beide Positionen besser miteinander vereinbar sind, als gemeinhin angenommen, mag eine Probe aufs Exempel zeigen, die Dillys Strategie auf die Diva von Kracauer anwendet. Überträgt man also den detektivischen Impuls Dillys und forscht nicht nach jener imaginären Fotografie, die bei der Lektüre Kracauers in unserer Phantasie die Spur einer realen Erfahrung aufsteigen lässt, so muss man sich (wie Dilly) auf den Konjunktiv beschränken: Die Filmdiva könnte die Schauspielerin Margaret Livingston gewesen sein. Der Film von 1927, in dem sie eine dämonische Diva spielt, könnte Murnaus SUNRISE – A SONG OF TWO HUMANS gewesen sein. Kracauers Beschreibung, "Die Ponny-Frisur, die verführerische Pose des Kopfes und die zwölf Wimpern rechts und links …", würde dieser Vermutung zumindest nicht widersprechen.
SUNRISE erlebte am 23. September 1927 seine Welt-Uraufführung im New Yorker Time Square Theatre – und die Uraufführung in Deutschland folgte am 17. November im Berliner Capitol. Kracauers Essay wurde genau zwischen diesen Uraufführungen am 28. Oktober 1927 in der Frankfurter Zeitung publiziert. Die folgenden Indizien sprechen ebenso für Margaret Livingston als Filmdiva: Kracauer entnimmt seine wenigen Hinweise auf die Filmdiva dem Begleittext einer Illustrierten und nicht einer eigenen Filmerfahrung. SUNRISE konnte er in Deutschland noch nicht gesehen haben, aber die Werbung für diesen Film lief bereits und nicht nur Kritiken von der New Yorker Uraufführung waren schon in Umlauf, sondern auch die Vorabberichterstattung von Murnaus großem Hollywood-Projekt.
Zweites Indiz, Kracauer wiederholt die Formulierung aus der Zeitung "unsere dämonische Diva" gleich zweimal in seinem Text. Die Charakterisierung der Illustrierten oszilliert zwischen einer Rolle im Film und der Schauspielerin (und verweist damit bereits auf zwei unterschiedliche Realitätsebenen). Im Zusammenhang mit dem Film SUNRISE erhält diese Beschreibung zudem eine komische Note, da Margaret Livingston Amerikanerin ist und nur in Murnaus Film eine Großstädterin mimt, die es – glaubt man der literarischen Vorlage – in die ostpreußische Provinz verschlagen hat.3 Zudem wurde das Szenario in den Hollywood-Studios eigens nachgebaut – hat also mit unserer Wirklichkeit (derjenigen der Weimarer Republik) kaum etwas zu tun.
Hätte Kracauer den Film Sunrise im Oktober 1927 schon aus dem Kino gekannt, dann hätte er möglicherweise eine Szene aus diesem Film in diesem Kontext nicht unerwähnt gelassen; denn sie spielt im Atelier eines Fotografen. Der Fotograf im Film portraitiert aber nicht die Diva, sondern die beiden anderen Hauptpersonen, das Paar (bzw. die two humans). Dass der Film das Leben zweier Menschen – als Menschen – in den Mittelpunkt stellt, hätte vom Ansatz her Kracauers Wirklichkeitsverständnis entsprechen können. Allerdings – und hier muss man der Wirklichkeit Tribut zollen – hatte Kracauer nichts für Murnaus Realisierung von Sunrise übrig – oder gerade mal einen Halbsatz, der ihn als Negativbeispiel einem anderen vorbildlichen Film gegenüberstellt:
"Aus hundert richtigen Beobachtungen entsteht ein Film, der zum mindesten die Wirklichkeit überzeugend spiegelt, [und dann zu Murnau] nicht aus Brettern gedichtete ostpreußische Dörfer mit gestellten amerikanischen Phantasiestädtchen zusammenbraut, wie es der arg verrannte Murnau in seinem Sunrise getan hat …" (FZ 18.1.1928, zit. n. Kracauer 1984: 406).
Es ist verwunderlich, dass Kracauer Murnaus Film so wenig schätzte, gibt sich dieser doch ausdrücklich als "Song", d.h. als Lied oder Singspiel zu erkennen. Thema des Films ist also nicht eine realistische Darstellung, sondern eher – auf die etymologische Bedeutung von Gesang anspielend – eine Prophezeiung. Gerade in der Prophezeiung (und im Spiel) trifft sich Kracauers Text mit dem Film Murnaus. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen einer Prophezeiung des Films durch einen Essay und einer Prophezeiung als Film.
Bei einer genaueren Analyse von SUNRISE zeigt sich, dass Murnaus Film auch eine medientheoretische Lektion enthält, die durchaus mit Kracauers Ansatz konkurrieren kann. Murnau fügt als selbstreflexives Element jene Episode in den Film ein, die im Atelier eines Fotografen spielt: Dieser wird durch seine direktiven Gesten als 'Kunstfotograf' eingeführt (und als Kunstfotografie mag Kracauer auch den ganzen Film wahrgenommen haben). Gekennzeichnet wird dies durch die übertriebenen Gesten bei der gestalterischen Arbeit an der Komposition und durch die Kulissen des Ateliers.
Auch der Fotograf arbeitet in dieser Episode mit einem Bildvergleich, in dem er zwei unterschiedliche Aufnahmen des Paares anfertigt, eine repräsentative und die einer küssenden Umarmung, wie man sie vom Happy-end des Kinos kennt. Die Szene gewinnt aber nicht aus dem Bildvergleich der Fotografien ihren theoretischen Anspruch, sondern lässt im unbefangenen Spiel der Protagonisten im Schutzraum Fotoatelier plötzlich die Möglichkeit des Todes aufblitzen: Im Bild der dekorativen Statue, die zu Boden stürzt und deren abgebrochenem Kopf, der nicht mehr gefunden werden kann, (weil er bereits zuvor fehlte,) aktualisiert sich das Vergangene für die Protagonisten gleich auf doppelte Weise. Zum einen befällt sie ein Schrecken ob des beschädigten Kunstwerks und dessen Symbolgehalt, zum anderen befällt sie ein Schrecken ob ihrer eigenen Geschichte, die sie kurz zuvor noch als Täter und Opfer eines mögliches Mordes hat einander gegenübertreten lassen.4 Um den Schrecken zu bannen und um den Schaden zu vertuschen, wird der Statue ein "falscher" Kopf aufgesetzt. Dieser Spielzeugkopf wird als "Bewegungsbild" in Szene gesetzt: Unter dem Druck der Montage schnellt plötzlich die Zunge aus dem Mund hervor. Während die Protagonisten beim Anblick des Fotografen eilig den Raum verlassen, wird dieser nun zum Zeugen eines bildtheoretischen Paradigmenwechsels vom Standbild zur Montage stilisiert. Der Film wird an dieser Stelle zu einem Lehrfilm: Er erklärt dem Fotografen (und den Zuschauern) die ästhetischen Qualitäten der Bild-Montage.
Was Murnau hier ästhetisch vorweg nimmt, geht insofern über Kracauers Bildkonzept hinaus, als sich seine Vorstellung von Film zwar auch auf die Neuanordnung von fotografischen Elementen durch den Film stützt, sein Bildkonzept aber nicht ausschließlich am Studium der Natur festmacht, sondern auch alle anderen ihm verfügbaren Realitäten – einschließlich der bildenden Künste und des Theaters – einbezieht.
Jeder Spielfilm wird stets begleitet von zusätzlichen Fotografien. Dazu gehören die Schauspielerporträts wie in Kracauers Essay, aber auch Filmstandbilder. Filmstandbilder sind jene Fotografien, die von den Verleihern zusammen mit den Filmen in Umlauf gebracht werden. Sinn und Zweck dieser zusätzlichen Bilder ist die Werbung für den Film. Geworben wird aber auch mit Plakaten, Trailern und Kritiken. Die fotografische Werbung mit Filmstandbildern hat aber eine Besonderheit, weil sie den Eindruck erweckt, schon ein authentisches Stück des Films vorab zeigen zu können.
Nimmt man es genau, so verweisen Filmstandbilder nicht auf den Film, sondern auf einen Moment am Filmset, auf den Zeitpunkt ihrer Aufnahme. Darüber hinaus erscheinen Filmstandbilder als ein Paradebeispiel für Kracauers paradoxes Verständnis von Fotografie und Film. Neben dem Vergangenen antizipieren sie immer schon die andere Ordnung des Films. Diese Vorwegnahme gestaltet sich zudem als eine konkrete Transformation des Filmstandbildes in der Wechselwirkung mit dem Film, denn Filmstandbilder zeigen sich vor der Filmaufführung anders als danach. Die Kinoerfahrung schreibt sich in die Filmstandbilder ein, wie die Erlebnisse aus dem letzten Urlaub in die Urlaubsfotos – mit dem Unterschied, dass Kinogänger nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit reisen können. (Viele Filme erzählen davon, Z.B.: LA JETÉE von Chris Marker, aber auch TOTAL RECALL von Paul Verhoeven).
Ist aber der fotografische Index der Filmstandbilder einmal von seinem ursprünglichen Bezug zur Wirklichkeit auf den Film übertragen worden, so kann jeder Zuschauer dieses einmal erlebte Verfahren auch als fortdauerndes Spiel weitertreiben, als ein filmisches Assoziationsverfahren. Ein Film ist dann nach dem Abspann nicht zu Ende, sondern findet in den Filmstandbildern eine Aktualisierung und potenzielle Fortsetzung. Filmstandbilder verweisen dann (manchmal unbemerkt) auf zahllose Filmvariationen, die erheblich vom tatsächlichen Film abweichen, aber auch auf weitere Filme, die nur nicht – oder noch nicht – realisiert worden sind. Wie man sich das konkret vorstellen kann, erzählt François Truffaut in seinem Film LES 400 COUPS. Truffaut verlegt das Filmstandbild in den Film hinein und zeigt, wie sich Fotografie und Film als ein wechselseitig sich ergänzendes und bedingendes Medium verhalten.
Die Szene in LES 400 COUPS ist beiläufig. Auf den ersten Blick fügt sie sich gut in die Erzählung ein: Zwei Jugendliche eignen sich Dinge unrechtmäßig an, um ihre Adoleszenz mit Fetischen zu gestalten. Anders aber als beim Bezug zur Literatur, in der die Schreibmaschine zum Corpus delicti wird, verschwindet das Filmstandbild in dieser Szene einfach und taucht im ganzen Film nicht mehr auf. Das Filmstandbild wird von den beiden Jungen in einer Bewegung fortgerissen, und das Fotografische löst sich in dieser Bewegung auf.
Das Filmstandbild, welches mit dieser Filmszene korrespondiert, erzählt seine eigene Geschichte. Es zeigt zwei Jungen vor einem Filmstandbild von Ingmar Bergmans DIE ZEIT MIT MONIKA: eine kleine Zeitreise aus dem Paris von 1959 ins Stockholm von 1952, zu der wir uns als äußeren Rahmen als Zuschauer oder Lesende in unserer Gegenwart hinzudenken können. Auf dem Foto wird die Begegnung mit der Fotografie als Berührung inszeniert: rechts die zugreifende Hand des einen, links die Nase des anderen, die in den Bildraum des begehrten Standfotos hineinragt. Gegensätze sind im Spiel: Blicke, Geschlechtercodierungen, zwei unterschiedliche Bildräume: Paris im Winter, Stockholm im Sommer. Hochgeschlagene Mantelkrägen treffen auf heruntergelassene Bluse. Hier beginnt der Film des Zuschauers – mein Film – oder meine Erzählungen von Filmstandbildern.
Was Truffaut betrifft, so kommt er in der letzten Einstellung seines Films doch noch einmal auf das Filmstandbild zurück: Sie zeigt Antoine Doinel am Meer. Auf dem Gesicht des Jungen friert die Bewegung ein und verwandelt die Einstellung in einen Freeze Frame. Truffaut zeigt uns in dieser Einstellung doch noch – wenn man so will – das nun transformierte Beweismittel. Aus Bergmans Monika ist allerdings Truffauts Antoine geworden. Truffaut zeigt uns damit die "Nachstellung" einer Filmerfahrung, so wie später Cindy Sherman ihre UNTITLED FILM STILLS nachstellen wird. Allerdings macht Truffaut in seinem Möglichkeits(t)raum nicht an den Geschlechtergrenzen halt.
Diese letzte Einstellung weist ebenso zurück auf den gerade abgelaufenen Film von Truffaut, wie auf den Film von Bergman. Im fotografischen Sinn erinnert sie uns an den jungen Jean-Pierre Léaud in seiner ersten großen Rolle vor mehr als 40 Jahren. Auch der junge Kinogänger Antoine – so ließe sich resümieren – macht seinen eigenen Film. Und dieser ist mit der letzten Einstellung nicht zu Ende. Denn das Standbild weist auch voraus auf die noch folgenden Filme Truffauts, die die Geschichte von Antoine Doinel weiter erzählen: ANTOINE ET COLETTE (1961/62), BAISERS VOLÉS (1968), DOMICILE CONJUGALE (1970), L'AMOUR EN FUITE (1978/79).
Truffaut macht also weniger ein Argument, als dass er uns sein Standbild am Ende des Films wie ein Deleuze'sches Affektbild inszeniert und uns dabei ohne qualitativen Sprung ins Offene entlässt. Truffaut eröffnet damit ein interfilmisches Spiel. Das Filmstandbild markiert dabei die Schwelle von Film zu Film, d.h. es macht den einen Film im anderen sichtbar. Dies könnte natürlich auch mit Filmzitaten bewerkstelligt werden. Allerdings würden Filmzitate den Diskurs auf wirklich existierende Filme beschränken und auf einen Diskurs unter Filmemachern. Das Filmstandbild fungiert aber auch als Fragment nicht nur existierender, sondern eben auch möglicher und zukünftiger Filme. Damit öffnet es den Möglichkeitsraum, der nun auch die Zuschauer einschließt und das Filmische als Potenzial zeigt. Truffaut hat in dieser Perspektive (von Fotografie und Film) nicht nur eine Politik der Autoren, sondern auch den Möglichkeitsraum einer Politik der Zuschauer und Kinogänger mitbegründet.
MEMENTO lädt den Zuschauer ein zu detektivischer Aufklärungsarbeit, zur Rekonstruktion eines zweifelsfreien logischen Zusammenhangs, zu Spekulationen darüber, wie es wirklich gewesen ist. Man folgt dann einem literarischen Dispositiv (Es war einmal), um die Erzählung zu entschlüsseln oder einem fotografischen (Es ist so gewesen), um eine Rekonstruktion einer Wirklichkeit des Films vorzunehmen. Die Glaubwürdigkeit dieser Dispositive wird aber innerhalb des Films noch einmal in Frage gestellt, denn die Hauptfigur war vor seinem Gedächtnisverlust ein Versicherungsagent, der einen anderen Mann, der ebenfalls an Gedächtnisverlust litt, auf seine Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen hatte. Ausgehend vom Berufsbild ließe sich also ein Wechsel von der Beschäftigung mit Möglichkeitsräumen (Versicherungsagent) hin zu einer Beschäftigung mit dem Raum der Erinnerung (Fotograf) konstatieren. Der Film erscheint dabei als ein verschachteltes Konstrukt von Verweisstrukturen, das gerade die Sicherheit des fotografischen Dispositivs im Sinne der Rekonstruktion einer Vergangenheit im Grunde unmöglich macht.
Der Film führt also neben der vergeblichen Rekonstruktion von Vergangenem eine andere Zeit- oder Modalitätsdimension ein. Nicht ohne Grund heißt die Hauptfigur Leonard Shelby, sprich: "shall be". Shelby symbolisiert die lautbildliche Verschiebung des fotografischen Dispositivs, dessen neuer Indexpfeil entweder eine Zukunft markiert – Leonard shall be = Leonard wird sein –, wobei der Indexpfeil in die Zukunft gewendet ist. Diese Lektüre korrespondiert mit der paradoxen Struktur des Films, der seine Geschichte vom Ende her erzählt – einer Anordnung, in der die Polaroidfotografien sich immer erst in der Zukunft decodieren lassen, woraus eine unauflösbare, schicksalhafte Welt entsteht.
Der Name Shelby lässt sich aber auch als Verschiebung der Verweisstruktur in Richtung eines Konjunktivs oder Imperativs lesen:5 Leonard shall be = Sein Name sei Leonard! Oder: Sei Leonard! Beide Varianten korrespondieren mit dem Motiv des Gedächtnis- und Identitätsverlusts der Hauptfigur, die sich nur noch über Indizien in einem niemals zweifelsfreien Möglichkeitsraum ihrer Existenz bewegt (Konjunktiv) und sich zum Selbsterhalt ständig neu als Leonard setzt bzw. setzen muss (Imperativ). Diese Selbstschöpfung wird mit der Polaroidfotografie inszeniert: Leonard erteilt sich selbst durch die Beschriftung der Polaroids ständig Befehle, z.B.: "Don’t believe his lies!" oder "Find him and kill him!".
Diese postmoderne Identitätskonstruktion entpuppt sich jenseits der filmischen Fiktion als ein medientheoretischer Paradigmenwechsel: Wenn die Fotografie die Garantie fotografischer Authentizität als Spur darstellt und im Film MEMENTO das Polaroid diesen Bezug im Sinne seiner Einmaligkeit noch auf die Spitze treibt, so erinnert der Film im Jahr 2000 noch einmal an die Zeit der fotografischen Medien: Fotografie und Film – und setzt ihnen damit ein Denkmal. Denn das Polaroid wird in MEMENTO nicht nur als Spur gezeigt, sondern auch in seinem fotografischen Bild-Werden. Zu Beginn des Films sehen wir diesem Bild-Werden zu, allerdings in einer kinematografischen Verkehrung: Wir sehen den Entwicklungsprozess rückwärts ablaufen. Das Polaroid verkörpert also nicht nur den fotografischen Abdruck, sondern zeigt sich als Miniatur der komplexen Anordnung des Fotografischen samt Dunkelkammer und Fotochemie. Und der Film schaut in einer zeitlichen Fahrt zurück, zunächst hinein in diese Dunkelkammer mit Sichtfenster und dann zurück zum Tatort. Fotografie und Film werden hier zunächst fotografisch analogisiert, in einer gemeinsamen Beschwörung des Gewesenen, die uns passender Weise einen Toten zeigt, einen toten Detektiv.
Wenn Kracauer in seinem frühen Aufsatz die Verbindung der Fotografie mit dem Film skizziert bzw. in Aussicht stellt, so könnte der Film Memento von Nolan einen vorläufigen End- oder Wendepunkt in dieser Geschichte der fotografischen Medien darstellen. Indem uns MEMENTO an die Zeit von Fotografie und Film als vergangene erinnert, verdoppelt der Film das fotografische Prinzip der Indexikalität: Das "Es-ist-so-gewesen" – ist gewesen, d.h. es gehört als fotografisches Paradigma der Vergangenheit an.
Gleichzeitig postulieren Film und Fotografie damit einen neuen postfotografischen und postkinematografischen Möglichkeitsraum, – denn Mr. Shelby bezieht seine Informationen zwar noch aus den Polaroids, aber nicht mehr aus dem fotografischen Prinzip des Indexikalischen, sondern aus ihren Anordnungen, die sich in einem unaufhörlichen Spiel immer wieder neu zusammensetzen lassen. Shelby – vom Alter wohl eher der Urenkel als der Enkel von Kracauer – wäre dann der Prototyp des neuen Medien-Paradigmas, dem die fotografische Basis, das "Es-ist-so-gewesen" trotz Polaroidkamera abhanden kommt, und der sich nur mehr in einem reinen Möglichkeitsraum bewegt.
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