Ein Einblick in die praktische Filmvermittlung
Auf der Filmhochschule wurden mir die Grundlagen des Filmhandwerks vermittelt: klare filmische Regeln und Formen des Erzählens, nach welchen gearbeitet werden sollte, wenn man später in der „freien Wirtschaft“ überleben wollte. Zugleich wurde immer wieder relativiert, dass es aber eigentlich darum geht, eine eigene Handschrift zu entwickeln, die einen von allen anderen Regisseuren unterscheidet. Diesen Spagat zu meistern, braucht Zeit, denn man kann nur allmählich begreifen, was für einen persönlich wichtig ist. Dieser Prozess ist wohl ein Leben lang nicht abgeschlossen. Doch wie soll man als Filmemacher sein filmisches Wissen weitergeben können, wenn es doch gerade darum geht, alle Regeln über Bord zu werfen und eigene Regeln zu definieren?
Das einfachste wäre, sich auf das Handwerk zu beschränken. Doch wie bei jedem Handwerk, erlernt man auch das praktische Filmemachen vor allem durch Routine. Die formalen Grenzen, die nur die Basis aber nicht die Essenz eines Filmes sind, sollen bei den Workshops, die ich gebe, nicht im Vordergrund stehen. Das Wichtigste ist für mich, bei den Jugendlichen Freude am Filmemachen zu erwecken. Ich möchte Ihnen den Film als ein neues Medium vermitteln. Sie sollen lernen sich damit auf eine für sie ungewohnte Art auszudrücken. Ich versuche den jungen Filmemachern eine Stimme zu geben, die so einzigartig sein soll, wie ihre Persönlichkeit. Gerade dies kann für Jugendliche eine neue Erfahrung sein.
Eines meiner Anliegen in der Filmvermittlung besteht darin, bei den Jugendlichen Mut zu wecken: Mut, sich filmisch auszudrücken, Mut, etwas von sich zu erzählen, auch wenn es noch so belanglos erscheint. Es geht um den Mut, kleine persönliche Geschichten zuzulassen, sie nicht zu manipulieren, sondern sie zu erzählen und daran zu wachsen. Dabei spielt es keine Rolle, ob am Ende eines Filmworkshops ein Dokumentar- oder Spielfilm entsteht. Das Entscheidende ist, dass das Erzählte authentisch ist und die Jugendlichen beschäftigt.
Oft entgegnen mir die Jugendlichen, dass ihr Leben langweilig sei und sie nichts Interessantes zu erzählen haben. Das mag vielleicht sogar auf den ersten Blick so erscheinen, aber gerade darin liegt für mich der Reiz dieser Projekte. In längeren Gesprächen, mit Einzelnen oder in der Gruppe, findet man mit jedem Jugendlichen ein Thema, das Stoff für einen Film bietet. Und manchmal ist es eben gerade das Thema „Langeweile“, welches die Jugendlichen am meisten beschäftigt. Es stellt sich dann die Frage, wie sie „Langeweile“ nicht langweilig darstellen können – das ist kein einfaches Unterfangen. Meine Hauptaufgabe ist es dabei, ihnen die Angst zu nehmen loszulegen und sie zu ermutigen viel auszuprobieren und zu experimentieren. Denn es sind die kleinen Geschichten, ihre Gedanken, ihre Träume und Wünsche, die sie ausmachen, sie einzigartig machen.
Wir alle sind täglich professionell produzierten Bildern ausgesetzt – technisch perfekt aufbereitet und sounddesigned. Die Jugendlichen schauen hauptsächlich Hollywoodproduktionen oder aufwändige Musikclips auf Youtube und werden nun zum ersten Mal mit ihrem selbstgedrehten, oft etwas holprigen Filmmaterial konfrontiert. Sie müssen lernen, Bilder anders zu lesen, und verstehen, dass nicht ein technisch perfektes Bild gedreht werden soll, sondern ein inhaltlich relevantes. Sie müssen lernen, eine ihren persönlichen Fragen adäquate Form zu finden, die meist anders ist als die Inszenierungsformen, die sie aus dem Fernsehen und den Hollywoodproduktionen kennen. Der Standpunkt bestimmt die Form des Erzählens und Filmens. Als Vermittler versuche ich den Fokus des Schauens darauf zu richten. Darum wird alles gedrehte, ungeschnittene Material zusammen gesichtet. Die Jugendlichen lernen meines Erachtens am meisten wenn sie mit ihrem selbst gedrehten Material konfrontiert werden. Sie merken dabei ziemlich schnell, was funktioniert und was nicht. Sie sehen, wenn ein Bild viel zu kurz zu sehen ist, wenn zu schnell geschwenkt oder gezoomt wird. Und sie sehen vor allem ziemlich schnell, ob das gedrehte Material interessant ist oder nicht. Und interessant ist nicht ein technisch perfektes, schönes Bild, sondern der Moment oder die Geschichte, die erzählt wird. Die Jugendlichen stellen fest, dass Menschen am interessantesten sind. Viel interessanter, als Dinge. Und sie merken auch, wie schwierig es ist, dem Protagonisten gerecht zu werden, wie schwierig es ist, Menschen in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, ohne dass sie sich durch die Kamera beobachtet fühlen, oder wie schwierig es ist, Laienschauspieler so zu inszenieren, dass sie ‚echt‘ und ‚natürlich‘ wirken.
Nach einiger Zeit stellen sie nicht mehr Fragen nach einem schönen Bild, sondern Fragen zu den gefilmten Personen. Sie merken, dass ein persönliches Bild, mit dem sie sich identifizieren können, viel spannender ist als die Technik der Darstellung und dass es nicht darum geht, perfekte Bilder zu haben, sondern solche, die ihrer Haltung entsprechen, ihrem persönlichen Standpunkt. Diesen zu finden, stellt für mich die Hauptaufgabe meiner Filmworkshops dar. Eigentlich ist es ähnlich, wie bei persönlichen Projekten. Man stellt sich immer wieder die Frage nach dem „warum“. Warum will ich etwas erzählen? Warum ist das interessant?
Einen Film zu drehen bedeutet, sich Zeit zu nehmen, – und vor allem Arbeit. Das merken auch die Jugendlichen ganz schnell, wenn sie ihr Material sichten. Ich spüre sofort, wenn die Jugendlichen nur gefilmt haben, weil sie es mussten. Und noch viel wichtiger, sie merken das selbst auch. Denn das Material lügt nicht. Die Kamera ‚drauf halten‘ kann jeder, aber sich Zeit nehmen, konzentriert zuhören und zusehen, das muss erst gelernt werden.
Als nächster Schritt folgt, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden zu können. Beim Dokumentarfilm kann man unbeschränkt viele Aufnahmen machen, in der Hoffnung, dass dann schon etwas Interessantes dabei ist. Deshalb gebe ich den Jugendlichen immer einen zeitlichen Rahmen, wie viel Rohmaterial sie maximal aufnehmen dürfen. Für die Produktion eines Spielfilms hingegen müssen sie vor dem Dreh genau wissen, was in der Szene erzählt werden soll, um sie beim Dreh auch beurteilen zu können. Bei beiden Filmformen steht das Beobachten im Vordergrund. Die Jugendlichen müssen lernen sich in den Zuschauer zu versetzten, Entscheidungen zu treffen und einen Standpunkt zu haben. Dieser bestimmt die Form des Films, von der Kameraführung bis zum Schnitt.
Ich glaube dementsprechend, dass es für die Jugendlichen eminent wichtig ist, ihren Film selbst gemacht zu haben. Natürlich sind die Grenzen zwischen Anleitung und selbstbestimmter Entscheidung immer fließend, zumal ich selbst auch möchte, dass die Filme gut werden. Doch wenn ich zu sehr in den Entstehungsprozess des Films eingreife, glauben die Jugendlichen, dass sie nur für mich als Workshopleiter arbeiten – sie wollen mich beeindrucken. Sie identifizieren sich dann aber viel zu wenig mit ihrem Film, um auch später auf ihn stolz sein zu können.
Das Wichtigste in den Workshops ist die Freude am Experimentieren. Für mich bedeutet dies, bei den Jugendlichen die Lust zu wecken, etwas zu erzählen, so dass sie am liebsten die Kamera gar nicht mehr aus den Händen geben wollen. Das gelingt nicht immer, aber wenn es gelingt, dann habe ich mein Ziel erreicht.
Neben Spielfilm-Workshops leite ich seit einigen Jahren gemeinsam mit der Regisseurin Sophie Narr Dokumentarfilm-Workshops mit Jugendlichen.1 Aufgrund der Arbeitsteilung sind wir viel effizienter und können die Jugendlichen intensiver betreuen.
Die erste Frage ist immer die gleiche: Was ist ein Dokumentarfilm?
Die Jugendlichen wissen oft nicht, was damit gemeint ist. Sie denken an historische TV-Dokus oder Fernsehreportagen. Es muss ihnen erst einmal gezeigt werden, dass das Spektrum um einiges grösser und reicher ist. Für einen Workshop ist die Zeit eigentlich immer zu knapp. Daher ist es sinnvoll ein Thema zu wählen, welches die Jugendlichen nicht erst recherchieren müssen. Wir finden, dass sich persönliche Themen über Menschen und Orte, die ihnen wichtig sind, am besten eigenen. Deshalb versuchen wir, uns in Gesprächen und Filmübungen mit ihnen zusammen dem Thema anzunähern. Wir stellen ihnen viele Fragen, die wie folgt sein können:
- Was ist wichtig in deinem Leben?
- Wo hältst du dich oft auf?
- Welches sind die wichtigsten Menschen in deinem Umfeld?
Als nächstes folgt meistens der Dreh eines Selbstporträts.
All das gedrehte Material wird gesichtet und besprochen. Daher ist es wichtig die Jugendlichen beim Material einzuschränken. Sonst wird danach das Sichten zur Qual. Beim Sichten werden nicht nur die inhaltlichen Fragen besprochen, sondern auch gleich die technischen Fehler und die Fragen des Standpunktes. Ich hinterfrage, ob man versteht, was erzählt werden soll, oder wie man es besser aufnehmen könnte. Oft wird zu schnell geschwenkt zu oft gezoomt oder die Kamera zu früh ausgemacht. Diese Kleinigkeiten zu diskutieren, hilft die Qualität der Aufnahmen beim Hauptfilm zu verbessern. Die Jugendlichen müssen vor allem lernen, Geduld zu haben und zuzuhören.
Mit diesen Erkenntnissen geht’s ans Konzept für den Hauptfilm. Jeder schreibt für sich auf, was er drehen will und macht eine Einstellungsliste.
Die Liste dient dazu, sich beim Drehen an das Konzept zu erinnern und hoffentlich nichts zu vergessen. Bei unseren Dokumentarfilm-Workshops drehen die Jugendlichen immer alleine. Sie nehmen die Kamera mit nach Hause, führen diese selbst und stellen dazu Fragen an die Protagonisten. Meistens geben wir ihnen einen Anhaltspunkt, wie viel sie drehen sollen. Je nach Dauer des Endprodukts sollen am ersten Drehtag mindestens 20 Einstellungen gedreht werden.
Am nächsten Tag sichten wir gemeinsam das gedrehte Material und besprechen, was gut geklappt hat und was ev. noch mal besser gefilmt werden könnte. Meistens fehlen auch einige wichtige Einstellungen, die zum Verständnis des Films nötig sind. Die Jugendlichen vergessen zum Beispiel oft einen Ortswechsel zu erzählen und man versteht als Zuschauer nicht, wo was gedreht wurde. Mit den Erkenntnissen aus der Besprechung geht’s an den Nachdreh.
Auch dieses Material wird wieder gemeinsam in der Gruppe gesichtet und besprochen. Wenn nichts mehr fehlt, wird ein Schnittkonzept erstellt. Wichtig ist immer, mit welcher Szene der Film beginnen soll und mit welcher er endet. Ganz zum Schluss sucht jeder der Teilnehmer einen Filmtitel für seinen Film, den wir Workshopleiter im Anschluss an den Workshop nach ihrem Schnittkonzept schneiden werden.
Filmbeispiele:
Ich bin selbst auf dem Land aufgewachsen und wollte nichts sehnlicher als wegzuziehen. Somit ging es mir damals nicht anders als vielen Jungendlichen heute, insbesondere in den neuen Bundesländern. Ich frage mich oft, wie es wohl wäre, wenn ich vor Ort geblieben wäre, wenn ich den Betrieb meiner Eltern übernommen hätte. Mich faszinieren die komplett anderen Lebenswege denen ich begegne, die doch einen ähnlichen Ursprung haben.
Was gibt es schöneres als anderen Menschen zu begegnen, die von sich und ihren Leben erzählen. In der Woche eines Workshops kriegt man Einblicke in verschieden Leben. Auch wenn das nur knappe Einblicke sind, gibt es doch erste kleine Geschichten, die man weiterspinnen kann und die somit das eigene Leben bereichern.
Heute lebe ich in der Großstadt, um mich herum sind die meisten Menschen in der Kreativbranche tätig oder gar selbst Filmemacher. Ich bin von meinesgleichen umgeben und es gibt sehr wenige Überschneidungen in komplett andere Lebenswelten. Wenn ich für einen Workshop aufs Land fahre und sehe, wie die Menschen dort leben und was sie beschäftigt, bekomme ich nicht nur neue Eindrücke, sondern lerne auch viel über mein eigenes Leben. Diese Distanz hilft beim Drehbuchschreiben. Auch dort versuche ich, die Geschichte von Außen zu sehen und in verschiedene Perspektiven zu springen. Dieser Wechsel hilft, die Geschichte besser einordnen zu können und sich selbst nicht so besonders wichtig zu nehmen. Das ist sehr befreiend.
Ein wichtiges Moment meiner Filmvermittlungsarbeit ist der Umgang mit der Unbedarftheit der Kinder und Jugendlichen. Das war zu Beginn meiner Arbeit als Vermittler nicht so. Ich stelle mir oft viel zu viele Fragen, will alles schon perfekt in meinem Kopf zusammengesetzt haben, bevor ich mit dem Dreh beginne. In Gesprächen mit den Jugendlichen zu ihren Filmkonzepten, versuche ich sie auch davon zu überzeugen, sich vor dem Drehen Gedanken zu machen und sich Einstellungen, Szeneauflösungen u.a.m. zu überlegen. Doch sie stürzen sich oft ohne einen Gedanken in das Drehabenteuer. Man darf ihnen das nicht verübeln, drehen die meisten doch zum ersten Mal überhaupt einen Film. Sie kommen dann mit lückenhaftem Material zurück und ich denke beim Sichten, dass dies wohl nie einen kohärenten Film geben wird. Im Schnitt stellen wir dann oft fest, dass es gar nicht so wichtig ist, immer all das notwendige Material zu haben, sondern dass genau diese Leerstellen interessant sein können. Die Arbeit mit den Filmen der Jugendlichen zeigt mir, dass die mit Herzblut gemachten Filme erzählerische Ungenauigkeiten ohne Probleme verkraften, ja manchmal sogar daran gewinnen.
Ich versuche dieses Gefühl, diese Unbedarftheit in meine eigene Arbeit einfließen zu lassen, nicht zu versuchen alles zu erklären, alles perfekt auszuführen, sondern persönlich und auf eine eigene Art und Weise. So wie sie es uns in der Filmschule schon immer gesagt haben. Ich hätte nie gedacht, als ich begann Workshops zu leiten, gerade bei diesem Punkt von den Jugendlichen zu lernen.
Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass die Präsentation der Filme genauso wichtig ist, wie das Produzieren. Oft können sich die Jugendlichen nicht vorstellen, dass ihr Film überhaupt jemanden interessieren könnte und fragen sich, warum sie so viel Zeit dafür investieren. Umso mehr sind sie überrascht, wenn sie am Ende Applaus und Komplimente für ihre Arbeit bekommen. Sie verstehen erst dann, was sie eigentlich geleistet haben. Für mich als Vermittler gibt es kaum schönere Premierenmomente, als in die leuchtenden Augen der Kinder und Jugendlichen zu schauen, wenn ich ihnen eine DVD mit ihren eigenen Filmen übergebe. In dem Moment weiß man als Filmemacher genau, wie sich die Jugendlichen fühlen und welcher Stolz sie erfüllt. In dem Moment weiß ich auch, warum ich diese Arbeit so mag.