Somatische und textuelle Projektionen der Kinoleinwand.
TWO SIDES TO EVERY STORY von Michael Snow (1974) ist eine filmische Rauminstallation: In der Mitte des Raumes hängen zwei weiße Platten von der Decke, die lichtundurchlässig sind. Jeder Fläche steht ein Filmprojektor gegenüber, der auf sie projiziert. Auf die eine Fläche wird ein Film projiziert, der eine Szenerie zeigt, die vom Film des anderen Projektors synchron von ihrer Rückseite her gezeigt wird. Während also auf der einen Fläche z. B. das Gesicht einer Person zu sehen ist, findet sich auf der anderen Fläche das ihres Hinterkopfs.
Snow kommentiert das herkömmliche Kino-Dispositiv, indem er es konterkariert, indem er der Projektionsfläche eine zweite hinzufügt, gewissermaßen die Fläche der Leinwand in Oberfläche und Unterfläche aufspaltet. Diese Schauanordnung verhindert eine gleichzeitige Wahrnehmung der projizierten Filme, sie fordert zum Umherschweifen im Raum, um die Leinwände herum, auf. Über eine solche Veränderung der Kinoleinwand wird das Kino an einem anderen Ort – dem Kunstraum –, qua seiner Übertragung dorthin, thematisierbar.
Seit den 1980er Jahren kann man verstärkt Versuche einer Theorie des Kinos erkennen – einer Theorie also, die den Film diesseits des kinematografischen Settings wahrnimmt. Mit der Hinwendung zum Kinoraum verbinden sich grosso modo drei Implikationen: Es ist ein spatial turn,1 der die Spezifika der Apparatur der Kinematografie in Augenschein nimmt; es ist eine Wende hin zum Film als massenkulturellem Phänomen,2 d.h. zur Historizität des Kinos als Emblem kapitalistischen Freizeitverhaltens; und es ist nicht zuletzt eine Wende zur körperlichen Wahrnehmung des Films,3 zum Leiblich-Affektiven.
Von der Kinoleinwand zu sprechen, heißt, einerseits an diesem Diskurs einer solchen Kinowissenschaft4 zu partizipieren, heißt, die Kinematografie zum Objekt des Erkenntnisinteresses zu haben. Doch gleichwohl wird den Paradigmen des Raums und der Fülle leiblicher Wahrnehmung mit der Leinwand eine Topografie der leeren Fläche gegenübergestellt.
In den Diskursen zum Kino erscheint die Leinwand als peripherer Topos.5 Wohingegen die Projektion neuerdings gesteigertes Interesse findet – gerade in Ausstellungen im Kunstraum6 –, bleibt die Leinwand in einem kinowissenschaftlichen Unternehmen marginalisiert. Und ohne Projektion scheint die Rede von der Leinwand auch hinfällig zu sein, ist sie doch nur ein »weißes Rechteck«, um mit Kasimir Malewitsch zu sprechen,7 oder das kleine Weiße (in Anlehnung an Coco Chanel).
Die Nicht-Berücksichtigung der Leinwand in einer Theorie des Kinos mag ihrer Unscheinbarkeit in der Filmwahrnehmung korrespondieren. Denn selbst im Zustand der Nicht-Projektion ist die Leinwand in der Regel nicht zu sehen: Ihr Stoff ist verdeckt vom Stoff des Vorhangs. Öffnet sich der Vorhang und erscheint die Leinwand, dann ist sie bereits ihrer Funktion als Projektionsfläche zugeführt und verschwindet mit den projizierten Bildern des Films. Dann also, wenn die Leinwand erscheint, ist sie bereits in Gebrauch, da, wo die Leinwand Leinwand ist, da verschwindet sie gleichsam wieder. Ihr Leinkörper ist Leihkörper.
Die filmische Performance JA/NEIN (1968) von Ernst Schmidt jr. entfaltet sich in zwei Räumen: Auf die Kinoleinwand wird ein Film projiziert, der eine Kinoleinwand und einen sich öffnenden und wieder schließenden Vorhang vor der Kinoleinwand zeigt. Synchron hierzu wird der Vorhang vor der Kinoleinwand im Kino, in dem jener Film projiziert wird, ebenso mechanisch geöffnet und geschlossen. Auf die leere Leinwand wird verwiesen, indem sie verdoppelt wird; doch erst über die Vorhänge, erst in der Differenz von Erscheinen und Verschwinden zeigt sich die Leinwand. Ohne Projektion kommt indes auch hier die Leinwand nicht aus.
Dort, wo die Leinwand doch Gegenstand der Reflexion in der Filmtheorie wird, zeigt sich, dass nicht nur der Film, sondern auch die Theorie die Leinwand beleiht. Anhand von filmwissenschaftlichen Texten neophänomenologischer Provenienz einerseits und aus dem semiotischen Feld andererseits können dort – eher am Rande – artikulierte Positionen zur Leinwand eingesehen werden. Während mit Laura Marks, die mit der Leinwand die Taktilität der Haut assoziiert, der kinematografische Raum entlang somatischer Schemata durchmessen wird, findet sich bei Thierry Kuntzel – ausgehend von Freuds Idee des »Wunderblocks« – die textuelle Konnotation der Leinwand als Tafel.
Laura Marks’ The Skin of the Film (2000) versucht im Anschluss an die Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys eine Analyse des Films unter dem Begriff einer ›Haptic Visuality‹. Sie betont gegenüber dem Primat des Optischen und dem des Blicks die Synästhesie der Wahrnehmung im Allgemeinen und des Films im Besonderen. Dem Haptischen bzw. Taktilen kommt darin eine besondere Aufmerksamkeit zu. Film – so Marks – wird nicht in erster Linie kognitiv rezipiert, sondern körperlich-sinnlich wahrgenommen. Das Verhältnis von ZuschauerIn und Film beschreibt sie als mimetisches und »as an exchange between two bodies«.8 Mit dem haptischen Verhältnis zweier ›Körper‹ verbindet sich die Haut als sensitive Oberfläche. Marks geht zu Beginn auf den Titel ihres Textes ein und signifiziert ihn wie folgt:
The title of this book, »The Skin of the Film«, offers a metaphor to emphasize the way film signifies through its materiality , through a contact between perceiver and object represented. It also suggests the way vision itself can be tactile, as though one were touching a film with one’s eyes: I term this haptic visuality. Finally, to think of film as a skin acknowledges the effect of a work’s circulation among different audiences, all of which mark it with their presence.9
Bezogen auf das kinematografische Setting kann Marks’ Rede vom Film als Haut dahingehend weitergedacht werden, die Kinoleinwand als Haut des Films (was ihrem Titel »The Skin of the Film« entspräche) zu konnotieren. Den Körpern der ZuschauerInnen im Kino stünde der Körper des Films gegenüber, dessen Sensitivum die Leinwand wäre. »Rather than witnessing cinema as through a frame, window, or mirror, the viewer shares and performs cinematic space dialogically.«10
Eine Diskussion der Begriffe der Metapher und der Materialität, wie sie von Marks – indes nicht in einem systemischen Zusammenhang – angeführt sind, möchte ich noch aufschieben, um mich zunächst einer anderen Metapher der Leinwand zu widmen. Diese findet sich in Thierry Kuntzels »Notizen über den filmischen Apparat« (1975).
Schon im Titel von Kuntzels Aufsatz findet sich die Verschiebung von Freuds »Notiz über den Wunderblock« (1925). Zunächst also eine kurze Wiedergabe von Freuds Text: Der ist vom Versuch bestimmt, das Funktionieren des psychischen Apparats zu veranschaulichen, ein Modell dafür zu finden; nachdem Freud das Schreiben auf einem Blatt Papier und das auf einer Tafel als Modelle verworfen hat, kommt ihm ein Kinderspielzeug, der Wunderblock, zupass. Ohne diesen im Detail zu beschreiben, bleibt festzuhalten, dass Freud in ihm eine Metapher findet, wie der psychische Apparat sowohl neue Wahrnehmungen aufnehmen, als auch gleichsam Spuren, Erinnerungen früherer Wahrnehmungen, behalten kann.11
Kuntzel nun ist es darum bestellt, ein adäquateres Modell für den psychischen Apparat zu finden. Er entdeckt ihn in der Kinematografie:
Der filmische Apparat besteht aus einer Art Tafel – der Leinwand, die, aus welchem Material auch immer (Baumwolle, Asbest, Gummi, Metall), gleichmäßig weiß ist – und einem Filmstreifen.12
Kuntzel fährt fort, dass nicht das Ritzen eines Stils, sondern ein bloßer Lichtstrahl die Leinwand berührt, und dass deren Aufnahmefähigkeit grenzenlos ist. »Es genügt das Ausschalten der Projektorlampe, damit die Oberfläche der Leinwand von neuem aufnahmefähig ist.«13 Kuntzel stellt sich schließlich Freud vor, wie dieser aus dem filmischen Apparat »die Metapher eines anderen [Apparats]«14 [Hervorhebung: D.G.] – dem der Psyche – hätte machen können. Kuntzel also blendet die auf Textualität beruhende Metapher des Wunderblocks auf die Kinematografie über. D.h., dass er mit dem Kinodispositiv als Metaphorisierung der Psyche keine Abkehr vom Moment der Schriftlichkeit verbindet: Vielmehr wird das Kino selbst im Modus der Schrift und hierbei die Leinwand als Tafel signifiziert.
Auch bei Kuntzel begegnet einem der Begriff der Metapher. Und erneut ist er mit Materialität verknüpft. Als Metaphorik verstehen denn auch Marks wie Kuntzel ihre Assoziationen der Leinwand – als Haut und als Tafel. Die Leinwand wird hier wie dort als Gewand theoretischer Paradigmen – Somatik und Semiotik – verwendet. Haut und Tafel sind Übersetzungen, bildliche Übertragungen der Leinwand. Lässt sich aber ein – materieller – Zusammenhang dieser metaphorischen Techniken zur kinematografischen Technik der Projektion stiften?
An eben jenem Wunderblock aus Freuds Text führt Jacques Derrida eine Lesart von Metaphorizität ein, in »Freud und der Schauplatz der Schrift« (1966), die sich gegen die Vorstellung von Metaphorik im Sinne einer Übersetzung eines ursprünglichen, selbstidentischen Objekts wendet. Den Wunderblock, den Freud zur Darstellung der Funktionsweisen des psychischen Apparats benutzt, eignet eine Materialität und eine körperliche Handhabung.
Die Metapher als Rhetorik oder Didaktik wird hier nur durch die feste Metapher möglich, durch die nicht ›natürliche‹ und historische Erzeugung einer nachträglichen Maschine, die sich der psychischen Anordnung hinzufügt, um ihre Endlichkeit zu ergänzen.15
Die Supplementarität des Wunderblocks erkennt Derrida als ursprüngliche, insofern jene Apparatur erst die Darstellung des psychischen Apparats ermöglicht. Die Metaphorizität muss sich hier nicht mehr der Frage nach ihrer Adäquatheit stellen. Vielmehr generiert die Metapher als Apparatur eine Möglichkeit der Beschreibung der Psyche. Die Metapher wird bei Derrida nicht mehr verstanden als bildhafte Rhetorik, die lediglich einen Vermittlungsdienst zwecks besseren Verständnisses des auf sie bezogenen Objekts leistet.
Dem Objekt der Leinwand eignet im Gegensatz zur Freudschen Psyche selbst eine irreduzible Materialität. Durch den Vorhang im Kino scheint sie als geheimnisvoller Ort konstruiert zu werden. Gleichfalls bleibt sie blankes Ding. Das, was Derrida in seiner Konfiguration der Metapher an dieser auszuschließen versucht – das Moment der bildlichen Übertragung – ist ihr technisches und wesenhaftes Konstituens: qua Projektion der Filmbilder.
Die metaphorischen Übertragungen, die Bildgebungen von Haut und Tafel, das Ersetzen der Leinwand durch Tafel und Haut lassen sich als theoretische Projektionen auf die Leinwand fassen. Fungieren Haut und Tafel also als Projiziertes einerseits, fungieren sie andererseits selbst als das Ding, auf das sie anhaltend projizieren. Sie werden zu Statthaltern der Leinwand ebenso wie in ihrem metaphorischen Lichte die Leinwand zu einem anderen Objekt wird.
Die Überlegungen zum kinematografischen Dispositiv treiben die Überlegungen zum Begriff und zur Praxis der Metapher weiter. Derridas Konzeption der Metapher kann nicht deduktiv auf das Verhältnis von Tafel, Haut und Kinoleinwand bezogen angewandt werden; sie erfährt eine nochmalige Wende – einen turn – , eben weil die Frage nach der bildlichen Übertragung, die Derrida zu bannen sucht, hier techne ist, hier der traditionelle rhetorische Begriff der Metapher materialisiert sich findet.
War bisher die Rede von den Projektionen und dem Projizierten – von den bildlichen Übertragungen –, so bleibt die Frage, inwieweit sich der Bildträger Leinwand materiell fassen lässt. Wie also verhält sich das Material der Leinwand selbst zu den Materialien der Tafel und Haut? Blieben diese bisher voneinander spinnefeind getrennte Gebilde, so vermag die Materialität oder Stofflichkeit der Leinwand: die Leinwand als Gewebe, Tafel und Haut vice versa metaphorisch zu assoziieren und gleichsam die Frage nach der Nachträglichkeit der Leinwand als ursprüngliche (im Derridaschen Sinne) zu stellen.
Die Textilität umhüllt die Haut und enthält den Text, das Gewebe der Leinwand hält Körper und Text schon bereit. Im Gewebe der Leinwand verheddern sich sowohl das körperliche Hautgewebeals auch die Textualität, das Textgewebe. Tafel und Haut sind schon eingenäht in die Leinwand ebenso wie sie an ihren Spinnfäden erst hängen bleiben. Text und Körper findet man dort schon immer vor, wie sie sich dort erst einfinden. Es ist dies eine Spinnerei, und es eröffnet das Problem des Zueinanders im kinematografischen Ensemble von Leinwand, Film, Filmbild und Projektion.
Als eine Vernähung von Textlichkeit und Körperlichkeit und gleichsam Approximationen an die leere Leinwand lassen sich die Aktionen des Expanded Cinema der 1960er und -70er Jahre betrachten. Die Textualität stellt sich dort ein, weil die avantgardistische Bewegung Theorie (und darüber hinaus freilich Politik) in actu vorführt; vollzogen wird sie im Moment des Körperlichen, mit der leiblichen Wahrnehmung des Publikums wie dem Leibhaftigen der AktionskünstlerInnen. Expanded Cinema kann als Textproduktion mit dem Körper begriffen werden.
Nam June Paiks ZEN FOR FILM (1964) projiziert beinahe über eine Stunde belichteten Film. Auf der Leinwand ist ein leuchtendes Quadrat zu sehen nebst den Kratzspuren und Staubpartikeln, die sich auf der Filmspule festgesetzt haben. Kurz vor Ende der Projektion tritt Nam June Paik vor die Leinwand, und sein Körper wirft dort einen Schatten.
Das körperliche Erscheinen Nam June Paiks erlöst nicht nur von der körperlichen Anstrengung, die Dauer des bloßen lichten Vierecks zu ertragen, es lässt sich auch als Zitat zu René Magrittes »La reproduction interdite« (1937) lesen, auf dem der Blick in den Spiegel nicht das Antlitz, sondern den Rücken des Gespiegelten zeigt. (Bewiesen wäre mit Nam June Paik auch, dass die Leinwand kein Spiegel ist.)
In VALIE EXPORTs TAPP- UND TASTKINO (1968) flaniert das Kino auf der Straße: Die Performerin geht mit einem Kasten, den sie sich vor ihren Oberkörper geschnallt hat, umher und lässt PassantInnen durch zwei Öffnungen an der Vorderseite des Kastens, der mit Stoff verhangen ist, mit den Händen hindurch- und ihre nackte Brust anfassen.
Wo Nam June Paik eine radikale Entleerung der Leinwand und des kinematografischen Dispositivs vornimmt, ist in VALIE EXPORTs Performance das Kino noch Zitat, weil sie nur noch auf die Kinematografie verweist. Die Leinwand, auf der nichts zu greifen ist, wird konterkariert durch den Zugriff auf die weibliche Brust. Zitat und Brust, Textlichkeit und Körperlichkeit fallen zusammen.
Das Einbringen der Aktionen des Expanded Cinema firmiert nicht unter der Frage nach einer Transformation von Kino zur Kunst, sondern hinsichtlich einer Theorie des Kinos. Gerade weil sich die historische Schauanordnung des Kinos dort verschoben sieht, vermag in der Differenz ein Blick auf das Kino zu entstehen. Über dessen Übertragung kann an einer Theorie des Kinos partizipiert werden.
Mit den Beschreibungen der Arbeiten des Expanded Cinema wie den Lektüren zu Kuntzel und Marks und der daran anschließenden Frage nach dem Verhältnis von Materialität und Metaphorizität vermag eine mögliche Theorie der Leinwand innerhalb einer Theorie des Kinos erarbeitet werden. Eine solche Theorie der Leinwand muss die nachhaltige und doch nie bestehende Leere der Leinwand einbegreifen. Dies impliziert auch, dass die Projektionen (seien sie filmische, theoretische, künstlerische, psychologische oder die der ZuschauerInnen) keine ontische Essenz noch das Gewebe verunreinigen – die Leinwand trägt keine Narben oder Kreidespuren davon. Die ursprüngliche Nachträglichkeit der Leinwand bringt indes auch keine Körper und Texte hervor – holt sie nicht aus oder hinter sich heraus –; Körper und Texte erscheinen auf ihr – nicht aus einem Wesen jenseits der Projektion heraus, sondern aus dem Wesen als Projektionsfläche: als ursprüngliches Supplement der Projektion.
Dass die Leinwand den materiellen Grund des Erscheinens bildet und dass ihr Gewebe – im Englischen: fabric – vom Schein als gemachtem kündet – dies zu verfolgen, hieße schließlich, von Marks zu Marx zu kommen.16
In den ersten Kapiteln des Kapital, in der Analyse der Warenform und Wertform kapitalistischer Produktionsprozesse, fungieren »20 Ellen Leinwand«17 als Beispiel eines allgemeinen Tauschwerts in Gestalt eines bestimmten Gebrauchswerts gegenüber allen anderen Gebrauchswerten (dies leitet dann hinüber zur Bestimmung der Geldform). Diese Marx’sche Leinwand kann aus dem historischen Enstehungskontext heraus nicht die der Kinematografie sein; und doch weisen die »20 Ellen Leinwand« eben jene Eigenschaften der Leinwand in der Kinematografie auf: Ihre Materialität leiht sich anderen Materialien aus, ihr Gebrauchswert wird zum Tauschwert anderer Gebrauchswerte, ja schließlich erscheint ihr Gebrauchswert darin zu liegen, Tauschwert zu sein.
Diese Lesart der Marx’schen Leinwand im Sinne einer sich nachträglich einstellenden Kinematografizität des Kapital erhält indes erst darin eine weitergehende Bedeutung, als Marx die Kritik der politischen Ökonomie als eine Kritik des Scheins versteht, nicht als Kritik falschen Scheins, sondern als die des realen Scheins kapitalistischer Produktionsweise. Deren basales Element ist die Warenform, unter deren Regime die Gebrauchswerte nur noch wechselseitig als Tauschwerte erscheinen, real erscheinen (in der ganzen semantischen Doppelbödigkeit dieses Ausdrucks).
Inwieweit die Koinzidenz von Leinwand und Schein bei Marx mit dem Kino Struktur wird, inwieweit die Kinematografie eine Materialisierung und / oder eine Metaphorisierung des Kapital und des Kapital darstellt oder umgekehrt, dies bliebe zu sehen.
Ausstellungen
Jenseits des Kinos: Die Kunst der Projektion. Filme, Videos und Installationen von 1963-2005, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 29.09.2006-25.02.2007.
XScreen – Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebziger Jahre, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien, 13.12.2003 - 29.2.2004.
Marks, Laura (2000) The Skin of the Film. Intercultural Cinema, Embodiment, and the Senses, Durham, London: Duke Univ. Press
Derrida, Jacques (2003) »Freud und der Schauplatz der Schrift«, in: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 302-350 (1966)
Freud, Sigmund (2000) »Notiz über den Wunderblock«, in: Studienausgabe, Bd. 3: „Psychologie des Unbewußten“, Frankfurt a. M.: Fischer, S. 363-369 (1925)
Kuntzel, Thierry (2000) »Notizen über den filmischen Apparat«, in: Der Analytiker im Kino. Siegfried Bernfeld Psychoanalyse Kino, hrsg. v. Karl Sierek und Barbara Eppensteiner, Frankfurt a. M.: Stroemfeld/Nexus, S. 198-204
Marx, Karl (2005) Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, Marx/Engels Werke, Nr. 23, Berlin: Karl Dietz Verlag (1867)