Diese Ausgabe geht im Kern auf Beiträge zum Symposion „Kamera-Kriege: Moderne Kriegsführung und filmische Gedächtnispolitik" zurück, das im Juni 2003 in der Kunsthalle Wien stattfand. Veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, organisiert von Siegfried Mattl und Drehli Robnik, erörterte das Symposion audiovisuelle Inszenierungen und Medialisierungen moderner Kriegserfahrung, mit Akzent auf der politischen Dimension kultureller Wahrnehmungen und Gedächtnisbildungen.
Die Kopplung „Kamera-Kriege" meint ein Nahverhältnis, bei dem die Kamera Kriege nicht zeigt, ohne sich (mit)bestimmend auf sie auszuwirken. Die Kamera als Parameter und Bestimmung von Krieg wäre dabei eher in Richtung etwa der heute geläufigen „embeddings" zu denken – „Einbettungen" von Kameras in Kriegshandlungen, von Öffentlichkeiten in intermediale Kriegsbilder und vice versa – und weniger als ein Kadrieren, ein Erfassen und Einrahmen, von Krieg. Ein solches Verständnis der Kamera als einfassender „Kammer" würde das Bild der „Kabinett-Kriege" in den Sinn rufen, jene vormoderne Erfahrung formalisierter, „gehegter" Kriegsführung, mit welcher Kameras heute kaum konfrontiert sind. Vielmehr ist die wechselseitige Durchdringung von Krieg und Kamerabild Aspekt und Symptom der modernen Erfahrung unbegrenzten Krieges: des totalen Krieges als Entfesselung der Vernichtungspotenziale von Volksmassen in der national definierten „ersten Moderne" wie auch des „ausgefransten" (Michael Ignatieff) oder „sich selbst führenden" (Herfried Münkler) Krieges, der in der global verfassten „zweiten Moderne" asymmetrisch und ohne Massenmobilisierung verläuft.
Der Flyer zum Symposion „Kamera-Kriege" war in verschiedenen Details als bildliche Verdichtung von Aspekten medialer Kriegserfahrung in der postnationalen Moderne lesbar (und zum Teil auch so gemeint). Das Sujet zeigt die Verpackung von – 1991 in Caorle, Italien, gekauften – Soldatenfiguren, die als Kinderspielzeug dienen. Die Bezeichnung dieser Krieger als „Friedenstruppen" („truppe per la pace") bringt zum einen auf den Bild-Punkt, was Hardt und Negri in „Empire" als die Revitalisierung des vormodernen Konzepts des „just war" diskutieren: Zum einen führen Friedenstruppen jenen „bellum justum", wie der Westen ihn heute nicht als Instrument zwischenstaatlichen Interessensabgleichs, sondern als Medium der Durchsetzung unmittelbar „gerechter" Ziele (Frieden, Freiheit von Terror, Welt ohne Angst...) mit oder ohne UNO-Mandat verstanden wissen will. Zum anderen haben uns die 1990er Jahre mit Kriegen und Kriegsbildern im Film und Fernsehen konfrontiert, die militärische Gewaltakte zur bloßen Polizeiaktion, geläufig als „Intervention", banalisieren, im Sinn jenes „just war", „bloß Krieg", welches die Spielzeugfunktion der abgebildeten Truppen indiziert.
Im Zeichen des „just war" wird auch die Gespaltenheit und Reflexivität gegenwärtiger audiovisueller Kriegerbilder am Flyersujet lesbar: Der Soldat ist stereotypischer Vietnam-Babykiller (oder zumindest Rambo) UND Friedensbringer zugleich. An seiner Figur spitzt sich das Heroische auf masochistische Erotik und ein obszönes „Zuviel" zu; gleichzeitig bedingt das hohe Maß an medialer Beobachtung von Kriegen reflexive Sorgen ums soldatische Image und notorische Brechungen am militärischen Effizienztelos, die vor allem dessen medienkulturelles Bild betreffen. Die Spaltung verläuft jedoch auch zwischen dem Realismusversprechen, das der forcierte Display geschundener Materie im Flyerbild (ebenso wie im heutigen Kriegsfilm) formuliert, und dem Identifizierungsspielraum von Macht- und Ohnmachtsfantasien, den das Logo „Fantastiko" (über dem Kopf des Soldaten) anzeigt: Gerade wo Krieg pur und echt im Bild sein will, ist er „fantastiko". Darüber hinaus ist die auffällige Falsch-Schreibung des italienischen Wortes mit deutschem „k" unschwer als Symptom der Krise nationaler Zeichen-, Bilder- und Gedächtnis-„Container" in der zweiten Moderne dechiffrierbar. Nicht zuletzt verweist das Motiv des Schreibfehlers als Parapraxis schließlich darauf, dass mit den postnationalen Entgrenzungen von Krieg (in der Zeit, im Raum, im krisenhaften Bild) eine Neu-Formulierung von Politik einhergeht, eine buchstäbliche Umschreibung: Das Wort „Gedächtnispolitik" auf dem Flyer wurde nämlich als „Gedächtnispolitk" geschrieben und gedruckt, durch einen Fehler, der – der Logik rückwirkender Kausalisierung gemäß – immer schon genau so gewollt war.
Gedächtnis kommt in Relation zu Krieg und Kamera ins Spiel als Aktivität (und Politik) immer neuer Erschließung, auch Umschreibung, vergangener Kriegserfahrungen; Gedächtnis meint hier jedoch auch Formen, in denen Gegenwarten, eben auch jene von Kriegen, im Anschluss, im Angeschlossen-Sein, an deren Bilder denkbar, in Medienöffentlichkeiten begreifbar werden. So untersucht Malte Hagener an Spielfilmen des „Dritten Reiches", wie der nationalsozialistische Medienverbund Kriegsalltag als sinnvoll und lebbar inszeniert. Die irreduzible Unsicherheitserfahrung einer von Fernsehkriegsbildern durchdrungenen heutigen Medienöffentlichkeit lotet Marc Ries „geoästhetisch" aus. Um unsichere Handlungsorientierungen von Soldaten in zeitgenössischen Interventionskriegsfilmen geht es bei Dominik Kamalzadeh und Michael Pekler. Der Krisenaspekt an neueren Kriegsinszenierungen Hollywoods ist bei Drehli Robnik unter dem Aspekt des Affektiven in der Neuperspektivierung des Zweiten Weltkrieges relevant, während Robin Curtis die Materialität und Phänomenalität von Kriegsfilmerfahrung aufs „viszerale" Moment der Empfindung hin konzipiert; die „dividuale", „morphogene" Körperlichkeit von Actionfilm-Kriegerinnen untersucht Michaela Ott in Vernetzung mit der Hybridität des gegenwärtigen Kinobildes, und auch Jan Distelmeyer fokussiert Körperbilder des Kriegsfilms, hier jedoch in Relation zum Flexibilisierungsethos der New Economy. Betont dieser Beitrag die am Vietnamfilm Hollywoods exemplarische Inszenierung von räumlicher Desorientierung, so macht Patrick Brunken an einem Raoul Walsh-Klassiker Inszenierungstaktiken deutlich, in denen Kriegserzählungen sich Handlungsraum schaffen und Kartografie kollektive Sinnvorgaben liefert. Hermann Kappelhoff schließlich konzipiert die Sinn- und Subjektivierungsspielräume klassischer und nachklassischer US-Kriegsfilme, in Abweichung von der Orientierung auf Aktion und Action, über melodramatische Ohnmachtserfahrungen und über das Soldatengesicht als Affektbild.
Drehli Robnik
Redaktion dieser Ausgabe:
Judith Keilbach, Michaela Ott und Drehli Robnik