Die No 23: Film Credits und Listen in den Künsten wirft die Frage nach einer materialbezogenen, an Formen der Produktion orientierten Beschäftigung mit Besetzungs- und Namenslisten im Schnittfeld von Film, Literatur, Theater und Bildender Kunst auf.
Film Credits und Listen enthalten die Namen der Mitwirkenden und sind in den darstellenden Künsten ebenso anzutreffen wie in der Literatur und in Festival- oder Ausstellungskontexten. Historisch teilweise bis in die Frühzeit der jeweiligen Künste zurückzuverfolgen, bezeugen sie Aufführungen und künstlerische Produktionen und sind als empirische Quellen der Geschichtsforschung ebenso geschätzt wie als rare Überlieferungszeugnisse. Ihre vielfältigen Formen unterliegen Moden, Stilen oder Regelwerken, wobei das Gestaltungsspektrum von schmucklos wirkenden Aufzählungen bis zu schriftbildlich oder audiovisuell aufwändig designten Exemplaren reicht. Im Sinne von Paratexten ergänzen Film Credits und Listen künstlerische Produktionen, gestalten deren Rezeption und sind zugleich „nur ein Behelf, ein Zubehör des Textes“ (Génette 1987, 391). Ob als Abschnitt in einem Impressum, als Plakat, als Einlegeblatt oder als (audio-)visuelles Bewegtbild – medial vielgestaltig und insgesamt heterogen sind Film Credits und Listen nicht zuletzt dynamische Versammlungen in Raum und Zeit, die zwischen Künsten und Gesellschaft, aber auch zwischen (darstellenden) Künsten, Literatur und Film vermitteln.
Anstatt die Namenslisten der Mitwirkenden als dokumentierende Notationen einer künstlerischen Produktion zu fassen, gehen die Beiträge von Film Credits und Listen in den Künsten von Leerstellen und Lücken in Besetzungslisten aus und es spielen sowohl die materiell-zeitlichen Dimensionen eine Rolle, als auch die Frage, inwiefern Besetzungslisten Relationen zwischen Werk/Autor*innenschaft, Produktion und Rezeption freilegen können. Diese Perspektive auf Film Credits und Listen schließt an neo-materialistische Diskurse an, die Materialität in dynamischem Sinne zu fassen suchen (Barad 2007, Hoppe 2017). Filmphilologische Ansätze, die Film Credits in den 1990er bis 2000er Jahren im Sinne von Paratexten untersuchten (Betancourt 2019, Böhnke/Hüser/Stanitzek 2006), werden um Dimensionen der Materialität von Schriftträgern und Aufzeichnungspraktiken erweitert.
Die Listen-Materialien der Beiträge von Film Credits und Listen in den Künsten sind dementsprechend vielgestaltig und reichen von Besetzungsbüchern des Schauspielhauses Düsseldorf, deren Materialität und Gestaltung sich als aufschlussreich bezüglich konkreter künstlerischer und institutioneller Praktiken, aber auch vergessener Künstler*innen erweisen (bei Sascha Förster); über Objektschilder, die in Louise Lawlers „Writers Should Be Well Paid“ und Kirsten Pieroths „Untitled (loan)“ reflektiert werden und das Beiwerk als Werk erscheinen lassen (bei Tobias Vogt); über literarische- und Alltagslisten, wobei neben Goethes Taschenkalender auch Einkaufslisten einfließen und deutlich wird, inwiefern die Form der Liste im Hinblick auf die grundlegenden Kulturtechniken des Lesens und Schreibens entsprechend interessante Implikationen birgt (im Beitrag von Cornelia Ortlieb); bis hin zu lebenden und gesprochenen Besetzungslisten in Filmen von Sacha Guitry, Jean-Luc Godard und Agnès Varda, in welchen die Stimmen und Portraits der Darsteller*innen Präsenzeffekte eines Schaffensprozess erzeugen (bei Winfried Pauleit). Daneben geben die Beiträge Einblicke in audiovisuelle Schriftkulturen früher Schwarzer Kinematografien, wobei post-/dekoloniale und feministisch-neomaterialistische Theorien mit medien- und filmwissenschaftlichen Anliegen verknüpft werden (bei Tullio Richter-Hansen); fragen nach den ästhetisch-politischen Beziehungen von Film Credits und Blacklists anhand von Steve McQueens audiovisueller Installation „END Credits“ (bei Sophie Hartleib); beleuchten die Epistemologien von Film Credits im Kontext der Postkolonisierung des Weltraums anhand des Kurzfilmprogramms ONE SKY (bei Bettina Papenburg); oder betrachten die Film Credits eines Forschungsfilms des deutschen Ingenieurs Ludwig Prandtl, dessen wechselnde Vor- und Abspanne als ‘Kontaktzonen’ zwischen dem Filmmaterial und den Orten, Institutionen und Personen, die seiner habhaft wurden, rekonstruiert werden (im Beitrag von Sarine Waltenspül und Mario Schulze).
Film Credits und Listen in den Künsten fasst die Ergebnisse des Workshops „Besetzungslisten in den Künsten: Materialität und Temporalität“ und der Vortragsreihe „Film Credits und Listen – Materialität und Temporalität“ zusammen, die im November 2023 organisiert von dem Projekt „Rest of Cast. Film Credits as Spatiotemporally Dynamic Assemblies“ des EXC 2020 „Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective“ an der Freien Universität Berlin stattfanden.
Wir danken allen Beteiligten, vor allem den Autor*innen für ihre inspirierenden Beiträge. Für die vielgestaltige und tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung und Umsetzung der Publikation geht unser Dank an Matthias Hagel (Redaktionsassistenz) und Laura Oldenbourg (Webseite). Für produktive Gespräche und den Denkraum im Cluster danken wir den Kolleg*innen der Research Area 2: Travelling Matters.
Sabine Nessel, Sophie Hartleib und Cornelia Ortlieb
Barad, Karen (2007) Meeting the Universe Halfway. Durham/London: Duke University Press.
Betancourt, Michael (2018) Title Sequences as Paratexts. Narrative Anticipation and Recapitulation. London and New York: Routledge.
Böhnke, Alexander / Hüser, Rembert / Stanitzek, Georg (Hg.) (2006) Das Buch zum Vorspann. „The Title is a Shot“. Berlin: Vorwerk 8.
Génette, Gerard (1987) Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/M.: Campus.
Hoppe, Katharina (2017): “Eine neue Ontologie des Materiellen? Probleme und Perspektiven neomaterialistischer Feminismen“. In: Christine Löw et al (Hg.) (2017) Material Turn. Feministische Perspektiven auf Materialität und Materialismus. Leverkusen: Barbara Budrich.