Zur Ästhetik und ortsspezifischen Cinematizität der GIFs
Weiße Blüten zittern im Wind vor einem unscharfen malerischen Hintergrund. Ihr Zittern findet ein Echo im Flattern einer Flagge, Supermans roten Umhang oder einer weißen Gardine, die eine Vase mit Blumen umschmeichelt. Der Wind zeichnet Nebel- oder Wolkenbewegungen, animiert einzelne raschelnde Gräser, zerzaust die langen Haare einer jungen Frau oder streichelt sanft über die Blätter eines aufgeschlagenen Buchs. In anderen Bildern ist es der Regen, der ein Spiel aus unermüdlichem Fließen entfaltet und das traurige Gesicht umschmeichelt. Immer wieder ziehen filigrane Lichtensembles in einer zunächst unscheinbaren Bildecke die Aufmerksamkeit auf sich. Wasser-, Glas- oder Metalloberflächen spiegeln die Umgebung und lassen die Lichtreflexe auf sich tanzen. Ein Finger hebt kaum merklich an und verdichtet die Welt auf eine einzelne Geste.
Diese Beschreibung der kontingenten Momente, der Poetik des Sichtbaren und des Zaubers der flüchtigen Bewegungen hätte einer der vielen klassischen Filmtheorien der ,Enthüllungʻ (vgl. Turvey 2008) entstammen können, die das Spezifische des Films in seiner Fähigkeit gesehen haben, der sichtbaren Realität Zufälle, unbeabsichtigte Details und das Geheimnis der Bewegung selbst zu entlocken. Dennoch entstammen die Gegenstände dieser Beschreibung einer anderen, einer postkinematografischen Zeit. Es handelt sich dabei um Cinemagraphs und Reaction-GIFs, um zwei Unterarten der GIFs. Der Begriff Post-Cinema adressiert die Veränderungen von Film und Kino im Zuge der Digitalisierung und betrachtet sie aus einer Paradoxie heraus: Er behauptet die Verwischung ihrer Konturen innerhalb der medientechnischen Konvergenzen und mithin ihre Abschaffung als einzigartige Technologie. Zugleich postuliert er, dass ihre medialen Prinzipien einen zentralen Referenzpunkt neuer Medien darstellen und in verschiedenen Formen der digitalen Bewegtbilder beständig reaktualisiert werden (vgl. Elsaesser 2008: 55f.; Manovich 2001: 78–88). Die visuelle Kultur des Computerzeitalters ist in ihrer Erscheinungsweise dominant filmisch und in der Logik mathematisch (vgl. Manovich 2001: 180). Nicht selten ist ihre Erscheinungsweise sogar prä- und frühkinematografisch, wie dies auch bei den GIFs der Fall ist. Diese knüpfen an die frühe Faszination für die bloße visuelle Bewegung und für die einzigartigen Atmosphären des Kinematografischen an.
Diese Nähe zum Film lässt sich als eine Form der „Cinematizität“ (Geiger/Littau 2013) begreifen. Cinematizität behauptet keine essentialistisch-puristische Medienspezifizität des Films, sondern betont bereits durch die Wortkonstruktion aus Bewegung (cinema, kinesis) und Suffixen der Zugehörigkeit (-ic, -tic, -ique, -icus etc.) ein unreines, intermediales Beziehungsgefüge aus Affinitäten und Distanzen, Spuren, Anleihen und Anklängen des Filmischen in anderen visuellen Medien, Künsten und kulturellen Erzeugnissen (vgl. ebd.: 3). Cinematizität geht damit von der Instabilität, Transformierbarkeit und Durchlässigkeit der Medien füreinander aus. Durch das „cinematic ‚feelʻ“ und „cinematic trace“ (ebd.: 2f) wird dabei weniger ein mimetisches Verhältnis zu einem vorgängigen stabilen Medium etabliert, vielmehr wird durch die Anleihen erst eine spezifische und historische Kontur des Filmischen sichtbar.
Obwohl GIFs derart Ästhetiken der bloßen Bewegung und der zufälligen, Aufmerksamkeit fesselnden Details aktualisieren, wird angesichts der vielfältigen aktuell beobachtbaren Möglichkeiten, Cinematizität herzustellen, die Bezugnahme auf sie allerdings erklärungsbedürftig. Diese Ästhetik lässt sich ohne die Berücksichtigung der ortsspezifischen Präsentation und Zirkulation der GIFs auf digitalen Plattformen, deren digitale Objekte beständig um die Aufmerksamkeit des vernetzten Subjekts konkurrieren und es in digitale Ökonomien verstricken, nicht verstehen. Die cinematische Ästhetik der GIFs entspricht, so die zu entfaltende These, bestens den Erfordernissen des ,Plattform-Kapitalismusʻ (vgl. Srnicek 2017). Dazu gehört der Tausch der kostenlosen Plattform-Dienstleistungen gegen die Aufmerksamkeit und Zeit der Nutzer*innen, die u. a. werberelevante Daten des eigenen Onlineverhaltens generieren. Während sich ästhetisch demnach eine Kontinuität des/zum Filmischen beobachten lässt, rückt das ,Wo?ʻ neue Formen der Ökonomisierung des Visuellen in den Vordergrund. Insofern aber die Vernetzung und Verteilung und nicht etwa der Übergang von Korn zu Pixel die eigentliche Zäsur des digitalen Bildes darstellen (vgl. Gerling/Holschbach/Löffler 2018: 8), lassen sich an den GIFs auch die Konturen der neuen Machtstrukturen ablesen, die die Relokalisierungsbewegungen des Filmischen und Kinematografischen bereits deutlich durchziehen.
GIF, als Abkürzung für Graphic Interchange Format, bezeichnet in der Populärkultur die Ästhetik und Praktik der kurzen, animierten und geloopten Bewegtbilder, die seit über 30 Jahren die Netzwelt bevölkern. GIFs waren vernetzte Bilder, noch bevor die Vernetzung zu einem durchgreifenden Phänomen der digitalen Bilder avanciert ist und in der Kopplung aus Internet, Mobiltelefon und (Bewegt-)Bild die visuellen Praktiken redefiniert hat. Die postkinematische vernetzte Kultur setzt dabei vielfach auf Kürze, Kompaktheit sowie Kompression und zieht eine Reevaluation der vielfältigen Formen der „compact cinematics“ (vgl. Hesselberth/Poulaki 2017: 2f, Herv. im Original) nach sich. Lev Manovich hat vor zwei Jahrzehnten prophezeit, dass die digitalen Bewegtbilder vorzugsweise die Form der kurzen Loops annehmen und als solche früh- und präkinematografische Prinzipien wiederbeleben werden (vgl. Manovich 2001: 314–322). Sobald sie auf kleinen Bildschirmen und Mobiltelefonen zu kursieren beginnen, werden technische Parameter wie Bandbreite, Dateigröße und Prozessorleistung relevant (vgl. ebd.: 317). Der Loop ermöglicht die Maximierung des Fragmentarischen und dehnt die Mikrotemporalität aus wenigen Sekunden in die potenziell unendliche Dauer aus. Zugleich gehören kurze Formen – von SMS über Twitter zum YouTube-Clip – insgesamt zu dominanten Kommunikationsmodi des vernetzten Subjekts und entsprechen den Dynamiken der von N. Katherine Hayles diagnostizierten Hyperaufmerksamkeit in den digitalen Medien. Anders als Tiefenaufmerksamkeit ist sie durch „multiple Informationsflüsse, Flexibilität beim raschen Wechsel zwischen Informationsströmen, Empfänglichkeit für Umweltstimuli, eine niedrige Schwelle zur Langeweile“ (Hayles 2011: 213) gekennzeichnet.
Anfänglich waren GIFs nicht für Animation und Bewegung vorgesehen. Als Containerformat konnte ein GIF zwar mehrere Bilder beinhalten, dies zielte aber zunächst darauf, Speicherplatz zu sparen und redundante Informationen zu eliminieren. Eingeführt wurde GIF im Jahre 1987 von CompuServe, einem der damals größten Informationsnetzwerksysteme. Der Standard 87 A wurde als Farbformat definiert und auf Modularität sowie Interoperativität zwischen verschiedenen Plattformen ausgelegt. Im Jahre 1989 modifizierte CompuServe die Spezifikationen und ermöglichte u. a. Bildtransparenz und Loops. Mitte der 1990er Jahre machten davon Browser wie Netscape Navigator 2.0 Gebrauch und trugen – genauso wie die leichte Implementierbarkeit des Formats auf Webseiten – zur Popularisierung der GIFs bei (zu allen diesen Spezifikationen vgl. Eppink 2014: 299).
GIFs kennen verschiedene Formen, Gebrauchsweisen und Phasen wechselnder Popularität. In den 1990er Jahren prägten sie mit dem berühmten tanzenden Baby und dem Dancing Girl, den kitschigen animierten Sternchen, der schwarz-weißen Clip-Ästhetik und dem kanonischen ,Under Constructionʻ-Zeichen das Erscheinungsbild des frühen Internets und der damit verbundenen Amateurästhetik. Sie entwickelten sich in der Zeit vor der starken Kommerzialisierung des Netzes und bildeten einen Teil der ,digitalen Folkloreʻ (vgl. Lialina 2009). Zu den heutigen Äquivalenten der kanonischen Zeichen wie ,Under Constructionʻ gehören die transparenten Zähl-GIFs, die Informationen über die Besucher der Webseiten sammeln, und die zahlreichen Buffering-GIFs, die sich aus Kreisen, kreisenden Punkten oder Sanduhren aufbauen.
Zu den aktuell populärsten Formen zählen die Cinemagraphs und Reaction-GIFs, die – wie ein DR.-WHO-GIF veranschaulicht – auch hybride Formen kennen. Den Reaction-GIFs dienen kurze Szenen, Gesten oder mimische Momente aus Serien, Fernsehsendungen und vor allem aus Filmen als Ausgangsmaterial, welches geloopt und wie ein Emoticon verwendet wird. Das Ausgangsmaterial erfährt dadurch eine Dekontextualisierung, gewinnt an Polysemie oder wird ins Komische gesteigert. Cinemagraphs sind dagegen, phänomenal betrachtet, Standbilder mit Elementen geloopter (Mikro-)Bewegungen. Nicht selten wird auf sie als ,Living Photosʻ rekurriert. Technisch gesprochen, können Cinemagraphs sowohl durch Animation von Standbildern als auch durch Subtraktion der Bewegung aus Videos oder Filmfragmenten gewonnen werden – entweder in Photoshop oder mithilfe der zahlreichen konkurrierenden Apps. Das Bildmaterial kann selbst hergestellt sein oder Filmen entstammen. Anders als viele GIF-Arten streben Cinemagraphs eine Kontinuität der Loops an und verbergen Anfang und Ende der Bewegung zugunsten eines Eindrucks der Unendlichkeit. Neuerdings greifen GIFs auch die immersiven Effekte des 3D-Kinos auf, indem sie das Bildfeld durch weiße Balken aufteilen und als eine überschreitbare Oberfläche markieren. Sie führen die Versuche mit der 3D-Ästhetik stereoskopischer GIFs fort, bei denen das Bild mit der Alternation der Perspektiven spielt.
Sie gehören allesamt zu der zutiefst ambivalenten Kultur der Partizipation, in der ehemalige Konsumenten als kollaborative Produzenten der kulturellen Erzeugnisse fungieren und aktiv an der Gestaltung, Definition und Verbreitung der Medieninhalte teilnehmen (vgl. Jenkins/Ford/Green 2018: S. 2). Bestehende Inhalte werden dabei enteignet, recycelt, neue kreiert und weitergeleitet. GIFs werden über unzählige Social-Media-, Blogging-Plattformen und Nachrichtendienste wie Tumblr, Reddit, Twitter, Instagram, Facebook, Snapchat oder WhatsApp1 verbreitet, während mit Giphy und Tenor eigenständige Datenbanken und Suchmaschinen für GIFs eingeführt wurden. Insofern GIFs darauf ausgelegt sind, endlos zu zirkulieren und mobil zu sein, können sie zu einer Spielart der „poor images“ (vgl. Steyerl 2009) gezählt werden. Diese sind durch die Werte der Dateigröße definiert: Schnelligkeit, Intensität und Verbreitung – und man könnte ergänzen: die Zahl der Klicks, Loopingrunden und Likes – sind wichtiger als hohe Bildqualität oder Autor*innenschaft (vgl. ebd.: 7).
GIFs konstruieren ihre Cinematizität zuallererst durch die Bewegung.2 Bewegung erschöpft fraglos weder den Spielraum der möglichen Ansatzpunkte Cinematizität herzustellen, noch lässt sich behaupten, dass Bewegung für die Medialität des Films reserviert wäre. So stellen etwa auch Video und Fernsehen Bewegtbilder dar. Dennoch war es nicht Bewegung, an der sich ihre Identitätssuche historisch entzündet hat, sondern eher Aspekte wie Distanzüberbrückung, Live-Charakter oder Serialität beim Fernsehen (vgl. u. a. Engell 2012: 27–37, 16–19) bzw. Instantaneität der Bildwiedergabe und narzisstische Spiegelhaftigkeit beim Video (vgl. u. a. den kanonischen Aufsatz von Krauss 1976). Für das Selbstverständnis des Films spielte die Bewegung dagegen durch die ganze Geschichte hindurch und in unterschiedlichen Konstellationen eine wichtige Rolle. Entsprechend hat Tom Gunning an die Signifikanz der Bewegung nicht nur in klassischen Filmtheorien, sondern auch für eine Theorie des digitalen Films erinnert (vgl. Gunning 2012: 49f). In Resonanz mit dem Konzept der Cinematizität als Feld unreiner Affinitäten betont Gunning die Historizität, aber auch die Promiskuität der Mediendefinitionen des Films inmitten kompetitiver Medienumgebungen und wechselseitiger Anleihen (vgl. ebd.: 47f). Bewegung stellt einen solchen historischen, nicht-essentialistischen Bezugspunkt für die Cinematizität der GIFs dar. Sie wird zelebriert und atmosphärisch spezifisch eingebettet. Für diese Einbettung sind ebenfalls die Prinzipien der Loops und der Details ausschlaggebend. Sie alle tragen dazu bei, dass die Bewegung in den GIFs sich zwischen einem überschüssigen und einem enthüllenden Charakter aufspannt.
Die ästhetische Autonomie der Bewegung und ihre geloopte Form rücken die GIFs zunächst in die Nähe der Früh- und Präkinematografie. Unter dem Stichwort ,cinema of attractionsʻ (vgl. Gunning 2006) haben Filmhistoriker u. a. die Bewegung als besondere Erlebnisform des frühen Films herausgestellt und die filmtheoretische Dominanz der Narration relativiert, während das verwandte Konzept ,cinématographie-attractionʻ (vgl. Dulac/Gaudreault 2004) die Argumente auf die optischen Spielzeuge des 19. Jahrhunderts ausdehnt. Die Bewegung als solche und die Dramatisierung der Transformation der Standbilder in Bewegungsbilder stellten demnach eine zentrale Faszination dar (vgl. Gunning 1995: 118). Zugleich knüpfen die GIFs mit der geloopten Form an die cinematische Attraktion der optischen Spielzeuge wie Phenakistiskop, Zoetrop, Praxinoskop und Mutoskop an (vgl. auch Eppink 2004: 298), in denen Sequenzen von Bildern durch radial oder zirkulär angeordnete Loops animiert werden und nicht zuletzt die Wiederholung, Rotation und Kürze der Bewegung zur Attraktion beitragen (vgl. Dulac/Gaudreault 2004, o. S.). Neben dem Loop, der noch in Edisons Kinetoskop zum Tragen kam, teilen die GIFs mit den optischen Spielzeugen auch den Modus der individualisierten, körpernahen Rezeption. Vielfach historisieren sich GIFs selbst und schreiben sich explizit in die Geschichte der präkinematografischen Bewegtbilder ein, indem sie auf historisches Bildmaterial der optischen Spielzeuge zurückgreifen oder ihre Funktionsweise reinszenieren.
GIFs in allen Varianten zeugen von dem Eigenwert einer bewegten Sichtbarkeit. In den Cinemagraphs wird die Rolle der Bewegung dramatisiert, indem sie im Bild isoliert und als eine Ästhetik des Überschusses entfaltet wird. Vor dem Hintergrund eines ansonsten stillen Bildes wird die Bewegung, häufig sogar Mikrobewegung, als ein herausgehobenes Detail präsentiert. Dieses soll die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die stereografischen GIFs, auch wenn sie eine 3D-Ästhetik suggerieren wollen, zeichnet das Ausspielen der bewegten Objekte im Bild gegen die Bewegung des gesamten Bildes aus, die mit steigender Geschwindigkeit die Sinne zunehmend unangenehm innerviert und überfordert. In 3D-GIFs wird häufig, ähnlich wie in Cinemagraphs, mit dem Kontrast zwischen bewegten und unbewegten Bildpartien gearbeitet, wobei die Bewegung der Objekte vorrangig dem Betrachter entgegenkommend orientiert ist und die Form der ,hyperhaptischen Visualitätʻ (vgl. Ross 2012) inszeniert, bei der im 3D-Film durch visuelle Mittel wie räumliche Tiefe und negative Parallaxe der Tastsinn angesprochen wird. Selbst Reaction-GIFs, deren Besonderheit zuerst in der Rolle der Affekt- und Emotionsdarstellung zu suchen wäre, bekräftigen die Rolle der Bewegung, indem sie die Affekte durch subtile wie übertriebene Motilität des Gesichts, des mimischen und gestischen Spiels und seltener des gesamten Körpers vermitteln.
Auf Webseiten wie Flixel, einem App-Anbieter für professionelle Cinemagraphs, bleibt etwas von der frühen Faszination für das In-Bewegung-Setzen spürbar. Beim Aufrufen der Webseite werden die Bilder nicht sofort animiert. Die Bewegung wird nach einer gewissen Ladezeit, häufig erst durch aktives Scrollen auf der Webseite oder das Klicken auf das Bild in Gang gesetzt. Dieser betonte Übergang erinnert an frühe Projektionspraktiken der Lumière-Filme, wie sie Tom Gunning (vgl. 1995: 118) beschrieben hat. Aber auch Kracauer hat den kontrastiven Einsatz von Bewegung und Reglosigkeit zu den filmspezifischen Arten der Bewegungsdarstellung gezählt (vgl. 1964: 74f). Der Kontrast, den er als „Bewegung im Entstehen“ bezeichnet, macht die „Bewegung als ein wesentliches Element der äußeren Welt und damit auch des Films“ (ebd.: 74) deutlich. Dies schränkt er nicht auf fotochemisch aufgezeichnete Bilder ein, vielmehr bemerkt Kracauer auch zu den zeichenbasierten Animationen: „Was uns zu diesen Filmen hinzieht, ist das Wunder der Bewegung an sich. Es gibt ihnen einen filmischen Anstrich“ (ebd.: 96).
Während Flixel die Verwandlung vom Standbild zum Bewegtbild betont, bauen die Cinemagraphs – und auf eine vergleichbare Weise auch 3D-GIFs – insgesamt auf dem Spannungsverhältnis zwischen Bewegung und Stasis auf, wodurch die auf Bewegung aufbauende Cinematizität noch einmal bekräftigt wird: Denn traditionellerweise werden Film und Fotografie über Bewegung und Stillstand voneinander abgegrenzt (vgl. Diekmann/Gerling 2010; Metz 2003: 218–220; Stewart 1987), was mit Blick auf andere Bewegtbildmedien wie etwa Fernsehen nicht der Fall ist. Cinemagraphs führen Elemente der filmischen Bewegung in den fotografischen Stillstand ein. Nicht selten geschieht das bei Bildern, die Codes der fotografischen Schnappschüsse oder der Genres wie Stillleben oder Modefotografie aufweisen. Durch das Animieren lediglich ausgewählter Bilddetails in Cinemagraphs und ganzer Bildobjekte in 3D-GIFs wird das Spannungsverhältnis intensiviert, weil Bewegung und Stasis nun gleichzeitig in einem Bild erscheinen. Konzentriert auf ein Detail oder Objekt wird Bewegung zum Überschuss des Standbildes und zur eigentlichen Attraktion.
Die anfängliche Suspension der Bewegung auf Webseiten wie Flixel stimuliert einen suchenden und antizipierenden Blick, der durch die Wiederholung zu Lerneffekten führt. In vielen GIFs antizipiert ein solcher Blick „das flüchtig Vorübergehende, das rasch Vergängliche“ (Kracauer 1964: 85), die Zufälligkeiten und Winzigkeiten der materiellen Welt, die für Kracauer zu den Affinitäten filmischer Enthüllung zählen. Noch vor jeder Handlung sollen genau diese die Zuschauer*innen in den Bann ziehen und sich in ihre Erinnerung einprägen (vgl. ebd.). Unzählige GIFs zeigen solche filmischen Affinitäten: Wasserwellen, vorüberziehende Wolken, Lichtspiele der Großstadtstraßen oder der Natur, das Rascheln der Baum- wie Buchblätter im Wind. Sie schöpfen die ästhetische Autonomie der bewegten Sichtbarkeit aus. Die hierbei involvierte Cinematizität betont, noch bevor großformatige Realismuskonzepte aufgerufen sind, schlicht die aisthetischen, historisch bewunderten Kapazitäten des Mediums, die Fähigkeit zum Sichtbar- und Wahrnehmbarmachen des Bewegten. Dem ,cinema of attractionsʻ nicht unähnlich, impliziert für Kracauer die Enthüllung der materiellen Welt auch den Eigenwert des Zeigens und Darstellens vor Bedeuten (vgl. ebd.: 78f). Die Kleinigkeiten und Details der materiellen Dinge sind „auch Entdeckungen neuer Aspekte der physischen Realität“ (ebd.: 79). In GIFs, die sich den flüchtigen bewegten Eindrücken und Details verschreiben, zeigt sich auf eine nahezu auratische Weise „das winzige Fünkchen Zufall, Hier und Jetzt, […] mit dem die Wirklichkeit den Bildcharakter gleichsam durchsengt hat“ (Benjamin 1963: 50).
Insofern die Attraktionskonzepte eine Eigenständigkeit der bewegten Sichtbarkeit gegenüber der narrativen Entfaltung betonen, weisen sie eine Affinität zu exzess- und überschusstheoretischen Ansätzen des Films auf, wie sie etwa mit Barthes’ ,stumpfen Sinnʻ (vgl. 1990), Kristin Thompsons ,cinematic excessʻ (vgl. 1986) und mit Jean François Lyotards Konzept des ,Acinemaʻ (vgl. 1986) vorliegen. Der stumpfe bzw. der dritte Sinn überschreitet bei Roland Barthes die informativen und symbolischen Ebenen des Films (vgl. 1990: 47ff). Er ist erratisch, gehört zum Bereich des Beiläufigen, der Details und des scheinbar Unnützen (vgl. ebd.) – eine Barthes’sche Wiederaufnahme der Diskurse der Enthüllung und Kontingenz. Solche Details dienen nicht dazu, die Handlung voranzubringen, die Figuren näher psychologisch zu charakterisieren oder eine bestimmte Bedeutung zu vermitteln (vgl. ebd.: 49). Sie sind bloß da. Thompson hat Barthes’ Überlegungen aufgegriffen und den stumpfen Sinn zu einer Theorie des filmischen Exzesses erweitert. Exzessiv ist dabei alles, was mit den vereinheitlichenden Strukturen des Films, seiner motivierten und ökonomischen Narration, kontrastiert (vgl. Thompson 1986: 130f). Das Exzessive wird dabei nicht zuletzt im Materiellen verankert und fungiert als Gegennarrativ (vgl. ebd. 132, 134). Auch bei ihr können besondere Details der bildinternen Relationen, des Stils, des Dekors, der Maske, der Mise-en-scène oder der Oberflächen zu Trägern des Exzessiven werden. Entscheidend ist, dass diese Details eine gewisse narrative Unmotiviertheit aufweisen und funktionslos sind. Es handelt es sich hierbei wie bei den GIFs weniger um eine Überfülle, ein Exzess an Details, als vielmehr um Detail als Exzess. Während weder Barthes noch Thompson die Rolle der Bewegung für die Überschüssigkeit der Details herausstellen – ganz im Gegenteil enden Barthes’ Überlegungen zum stumpfen Sinn mit einem unbewegten Film Still (vgl. 1990: 64–66), einer besonderen „kleinen Form“ (vgl. Pauleit 2010: o. S.)3 –, sind es bei Lyotard dagegen die Extreme der Immobilisierung und der übermäßigen Bewegung, die die vereinheitlichenden Tendenzen des Films überschreiten (vgl. 1986: 351). In allen drei Modellen wird Exzess damit als Frage des Teil-Ganzes-Verhältnisses gedacht.
Diese überschuss- und exzesstheoretischen Konzepte helfen, die Rolle der Details in den GIFs herauszuarbeiten. Vor ihrem gemeinsamen Hintergrund wird deutlich, inwiefern in den GIFs gerade die Bewegtheit der Details die Überschüssigkeit und Attraktion darstellt. GIFs haben ein enges Verhältnis zur Frage der Details auf zwei eng miteinander verknüpfte Weisen. Zunächst stellen GIFs häufig selbst ein Fragment oder ein Detail eines größeren Ganzen – genauer eines Bewegtbildes – dar. Viele GIFs vollziehen eine Präsentierung der Bewegung und verdichten sie zum Detail als Exzess, indem sie dekontextualisierend arbeiten. Auf populäres Material zurückgreifend, wird hier eine Szene aus dem narrativen, signifikativen und kausalen Kontext des Ausgangsmaterials herausgelöst. Nicht selten handelt es sich um eine körperliche Bewegung oder um ein mimisches Detail von Menschen oder Tieren. Befreit von der ursprünglichen Einbettung wird der Fokus auf die sinnliche Dimension der Bewegung verschoben. Derart entfalten GIFs ihrerseits eine eigenständige Ästhetik der bewegten Details, indem durch die geloopte Wiederholung und Bewegung von ausgewählten Bildpartien eine Akzentuierung von Details stattfindet. Eine kurze Tanzeinlage, ein Gang durch ein Restaurant oder ein Kopfschütteln verlieren in der Repetition ihre Motiviertheit, Zielgerichtetheit und Funktion in dem sensomotorischen Handlungsschema (vgl. Hagman 2012). Sie zeigen stattdessen, um mit Lyotard zu sprechen, die Bewegung als das, was sie ist: „a simple sterile difference in an audiovisual field“ (ebd.: 350; Herv. im Original). Selbst in den auf die Kommunikation der Affekte angelegten Reaction-GIFs verliert die sinnliche Autonomie der Bewegung nicht an Wert. Vielmehr löst sich die kommunikative Schicht in der Wiederholung immer wieder zugunsten der bloßen Entfaltung der Bewegung auf.
Demnach werfen GIFs sowohl produktions- als auch werkästhetisch die Frage nach der Überschüssigkeit der Details auf. Im ersten Fall stellt sich die überschüssige Eigenständigkeit nicht nur dadurch her, dass Bewegung aus einem narrativen Gefüge herausgelöst und autonomisiert wird, vielmehr kann die ,Exzessivitätʻ der Details auch als Selektionsprinzip zum Tragen kommen. Thompson – der gewissen Schwierigkeiten, narrative Funktionslosigkeit bestimmen zu können, bewusst – hat das Exzessive am Ende ihres Textes auch als eine Frage einer unorthodoxen, subjektiven Filmsichtung interpretiert (vgl. 1986: 140f). Das Überschüssige wird dabei weniger auf der Seite des ästhetischen Werks allein gesucht, sondern in der Beziehung der Betrachter*innen zu diesem verankert. Eine unorthodoxe Filmsichtung interessiert sich weniger für die Nachverfolgung der diegetischen Welt als für die Zerstreuung der Wahrnehmung hin zu subjektiv fesselnden Details. Die individuell auffälligen Momente im audiovisuell Dargebotenen können laut Thompson zu Praktiken des Recycelns und zu eigener ästhetischen Tätigkeit führen (vgl. ebd.: 141). Diese relationale Wendung des Überschüssigen ist für die Beschreibung der GIFs als Teil der Online-Bildkultur überaus interessant, denn hierbei überlagern sich Ästhetiken und Praktiken. Gerade beim Rückgriff auf bestehendes Ausgangsmaterial, wie in dem Dave!-GIF, können die zum überschüssigen Detail stilisierten Szenen, Gesten und Bewegungsabläufe derart auch als Materialisierungen eines solchen unorthodoxen Blicks verstanden werden. Für die anderen Nutzer*innen präsentieren sich diese als ephemere Überschüsse des Sichtbaren, deren Träger die Bewegungen sind. Das Filmische wird dabei als Atmosphärisches ins Postkinematografische verlängert.
Obwohl diese cinematische Ästhetik eine Kontinuität zu spezifischen Filmvorstellungen herstellt, dürfen die Unterschiede und der historische Abstand zu ihnen nicht übersehen werden. Sie helfen zwar die Cinematizität der GIFs zu erfassen, aber nicht zwangsläufig ihre Tragweite. Es gilt, den vernetzten Charakter der Cinematizität in Rechnung zu stellen. Die Ortsspezifik entrückt die Ästhetik der GIFs nicht nur den Problemen der modernen Kontingenz und des enthüllenden Realismus, sondern zuallererst auch der produktivitäts- und ökonomiekritischen Dimension der überschüssigen Bewegung. So rücken insbesondere Barthes und Lyotard ihre Konzepte in die Nähe der Gaben- und Verschwendungsökonomien. Der stumpfe Sinn ist eine Instanz der Verschwendung, Verausgabung und Abschweifung. Barthes begreift ihn als „eine Aufwendung ohne Gegenleistung“ (1990: 61) und macht ihn nahezu zu einer Gabe des Filmischen. Lyotards Acinema fokussiert dagegen das Sterile, das Großzügig-Pyrotechnische der Bewegung und betont viel expliziter als Barthes die gesellschaftliche Brisanz der Ästhetik des Überschusses (vgl. 1986: 349–353). Steril ist bei Lyotard ein Gegenbegriff zum Produktiven – zu dem, was Werte schöpft, im ökonomischen Kreislauf zirkuliert und sich damit verwerten lässt (vgl. ebd.: 350).
GIFs scheinen aus dieser Perspektive wie die Umdrehung der bildökonomischen produktiven Verwendungsweise der Bewegung zu sein. Statt die überflüssige filmische Bewegung zu eliminieren, wird diese als autonomer, nutzloser Überschuss im Postkinematografischen zelebriert. Dabei wäre es verlockend, die ästhetische Verausgabung mit der postulierten partizipativen Gabenökonomie des Internets (vgl. Barbrook 1998) einfach kurzzuschließen und darin einen Bruch mit kapitalistischen Marktlogiken zu sehen. Wie kurzsichtig diese Lesart wäre, führt sehr eindrücklich ein BLADE-RUNNER-GIF vor Augen. Indem hier ausgerechnet eine Werbefassade zum cinematischen Moment ausgewählt wird, reflektiert sich das GIF auf subtile Weise selbst als ein Werbefilm. Zugleich erinnert es daran, dass auch die Werbung auf das medienästhetische Prinzip des Loops zurückgreift (vgl. Eppink 2004: 299).
Statt – in der Tradition der filmischen Exzesstheorien – einen Bruch mit ökonomischen Logiken anzunehmen, ist entsprechend zu fragen, wie die überschüssige Ästhetik der GIFs auf digitalen Plattformen in ihrem Stellenwert umcodiert bzw. ins Gegenteil verkehrt wird und inwiefern sie sogar zur Ästhetisierung des digitalen Kapitalismus beitragen kann. Die digitale Kommunikation ist längst zu einem umkämpften Markt geworden. Auch soziale Netzwerke und Plattformen, über die GIFs vorzugsweise kursieren, sind Gegenstand ausgefeilter Kommodifizierungsstrategien und zeugen von den Veränderungen der kapitalistischen Funktionsweise. Während sie, wie noch auszuführen sein wird, in Diskursen der Netzkritik und der sozialen Medien vielfach beschrieben wurden, bleibt in diesen Debatten die Medialität der Inhalte indessen unterbelichtet. Es scheint für die (ökonomie-)kritischen Zeitdiagnosen der vernetzten Medien irrelevant zu sein, ob hierbei Bilder, Töne oder Texte zirkulieren. Mit dem Fokus auf die Ortsspezifik der GIFs wird in diesem Aufsatz dagegen vorgeschlagen, die filmwissenschaftlich erarbeiteten Strategien und Ästhetiken der Cinematizität auf Netzdiskurse zu beziehen und gegenseitige Ergänzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Denn auch die Theorien des digitalen Films können die Vernetzung immer weniger ignorieren. Ortsspezifik – ursprünglich ein Konzept der Kunstgeschichte für eine Reihe installativer Arbeiten, die für einen bestimmten Ort hergestellt wurden und auf ihn Bezug nehmen – betont die Einbettung des audiovisuellen Materials in spezifische Umfelder, die sich durch eigene soziale Konventionen, Praktiken, Macht- sowie Wahrnehmungsstrukturen auszeichnen (vgl. McCarthy 2001: 2, 10–20). Dabei scheint die Aufmerksamkeit als Problem der Aisthesis eine fruchtbare analytische Scharnierstelle darzustellen, um die ortsspezifische Bedeutung der GIF-Ästhetik und d. h. die Rolle der überschüssigen bewegten Details im Umfeld der Plattformen als neuer Orte der Cinematizität aufzuzeigen.
Aufmerksamkeit ist zu einer zentralen Kategorie der Internetdiskurse und der digitalen Ökonomie avanciert. Aus unterschiedlichen Perspektiven – des Marketings wie der kritischen politischen Ökonomie – wird mithin eine Ökonomie der Aufmerksamkeit postuliert (vgl. Terranova 2012: 1). Auch wenn die Diagnose einer eigenständigen Aufmerksamkeitsökonomie auf nicht ganz unproblematischen Annahmen beruht und der Stellenwert ihrer Postulate vielfach Fragen aufwirft (vgl. ebd.: 3; Crogan/Kinsley 2012: 4–9)4, ist die Ökonomisierung der Aufmerksamkeit evident und schlägt sich in bestimmten Praktiken nieder. Sie fungiert als ein Komplement der Information bzw. der Informationsmenge, der gegenüber sie als eine knappe Ressource erscheint und als solche diskursiv und praktisch wirksam wird (vgl. Terranova 2012: 2f; Crogan/Kinsley 2012: 4, 8). Aus der Perspektive der Plattformanbieter*innen und User*innen gleichermaßen wird die Aufmerksamkeit nicht nur als knapp, sondern auch als messbar imaginiert. Aufmerksamkeit wird dabei gemessen durch Daten und Metadaten, die Onlineaktivitäten hinterlassen (vgl. Terranova 2012: 4). Sie schlägt sich anschaulich in der Anzahl der Klicks, Downloads, Likes, Views, Follower, Sharings etc. nieder. Die Warenförmigkeit der Aufmerksamkeit kann sich dabei sowohl in Form von Celebrities-Status als auch in Form von verkaufbarer Werbung äußern (vgl. ebd.). Als solche ist die Aufmerksamkeit eine zentrale Größe dessen, was Srnicek (2017) als Plattform-Kapitalismus beschrieben hat. Ihr Stellenwert und ihre Messung erschließen sich erst vor dem Hintergrund einer konkreten Monetarisierbarkeit.
Srnicek hat die Plattformen – von Google über Facebook, YouTube, Instagram und WhatsApp bis hin zu Amazon und Uber – nicht nur zu zentralen Akteuren der Ökonomie des 21. Jahrhunderts erklärt, sondern mithin einen Plattform-Kapitalismus diagnostiziert: Dieser basiert in erster Linie auf der Extraktion und Verwertung von Daten, die von einem Nebenprodukt zu einer zentralen Ressource avanciert sind (vgl. Srnicek 2017: 39, 41). Plattformen sind digitale Infrastrukturen, die zwei oder mehreren Parteien eine Interaktion ermöglichen und als Vermittler zwischen unterschiedlichen Gruppen fungieren (vgl. ebd.: 43). Dadurch haben sie einen privilegierten Zugang zu verschiedenen Arten von Daten, die durch Onlineaktivitäten anfallen. Plattformen sind dabei von Netzwerkeffekten abhängig, d. h. ihr Wert und ihr Erfolg steigt mit der Anzahl der User, womit auch eine Tendenz zur Monopolisierung der Userdaten einhergeht (vgl. ebd.: 45). Plattformen entwickeln deswegen Strategien, um Anreize für Nutzer*innen zu schaffen, sie für ihre Dienste zu gewinnen (vgl. ebd.: 46) und auch neue Arten der Datenzufuhr, etwa durch unzählige kostenlose Angebote, sicherzustellen (vgl. Zuboff 2019: 102f). Spätestens hier stellt sich film- und medienwissenschaftlich die Frage, inwiefern audiovisuelles Material – wie GIFs – und seine medienästhetischen Prinzipien spezifische, aufmerksamkeitswirksame Anreize für Plattformtätigkeiten darstellen und inwiefern Plattformen sowie ihre ökonomischen Imperative audiovisuelles Material gemäß ihren Erfordernissen ihrerseits (re-)strukturieren.5 Denn in Zeiten des vernetzten Sehens prägen Plattformen zunehmend unseren Zugriff auf Bewegtbilder – vom Film über cinematische Kurzformen zu Serien.
Auch wenn Aufmerksamkeit für alle Plattform-Arten, die Srnicek differenziert (vgl. 2017:49), eine Rolle spielt, ist sie für Werbeplattformen, zu denen die meisten GIFs unterstützenden Onlinedienste zählen, unverzichtbar. In Ermangelung verkaufbarer Güter und Dienstleistungen sind sie gezwungen, werbebasierte Einnahmen zu generieren und sind auf Netzwerkeffekte sowie auswertbare Useraufmerksamkeit und -daten unvergleichbar angewiesen. Plattformen wie Google und Facebook, zu deren Tochterunternehmen YouTube, Instagram und WhatsApp zählen, waren zentrale Vorreiter bei der Etablierung des auf datenbasierenden Geschäftsmodells (vgl. Zuboff 2019: 9, 22f). Mit Zuboff (vgl. ebd. 8–12) lässt sich ergänzen, dass diese Geschäftspraktiken der Plattformen nicht einfach neue Formen der Ökonomisierung darstellen, sondern dass die Datenextraktion dezidiert auf Überwachung aufbaut, sie zunehmend normalisiert und mit aggressiven Strategien ausbaut.
Proprietäre Plattformen haben die Kommunikation neu definiert, nicht nur indem sie flexible und vermeintlich kostenlose Formen der Teilhabe – zu denen GIFs prominent gehören – hergestellt haben, wie Apologeten der Partizipationskultur betonen, sondern indem sie neue Formen der ökonomischen Auswertung implementiert und die Bereiche der ökonomischen Verwertung ausgedehnt haben (vgl. Langlois/Elmer 2013: 2). Indem die Nutzer*innen GIFs produzieren, teilen und anschauen, schöpfen sie in der partizipativen Kultur des Internets Wert mit ihren Daten und ihrer Aufmerksamkeit. Letztere werden in Werbeeinnahmen verwandelt: Das Aufhalten auf Webseiten wird u. a. durch Tracking-Cookies und Zählpixel, zu denen auch die transparenten GIFs gehören, verfolgt und ausgewertet. Nicht selten geht es darum, Nutzerprofile über verschiedene Webseiten hindurch zu erstellen, um personalisierte, in Rhetoriken der Relevanz verklausulierte Werbung anzubieten. Analysiert werden alle Aspekte des kommunikativen Akts selbst – angefangen vom Profil des Nutzers, seiner Kontakte, seines Lese-, Schau- und Interaktionsverhaltens auf Webseiten, Zeitstrukturen der Interaktion und des Konsums, Vorlieben, Auswahl und Kontext des Inhalts etc. (vgl. ebd.: 2f). Die Nutzer*innen sind aber nicht nur die Zielscheibe der Werbung, sondern machen auch selbst Werbung – zuallererst für sich, aber auch für die Anbieter – etwa, indem Inhalte einer Plattform verlinkt werden. Die Teilhabekultur der Prosumenten, die nicht zuletzt visuell und postkinematografisch orientiert ist, stellt damit eine freiwillige Mitwirkung an der eigenen informationellen Überwachung und Auswertung dar.
Vor diesem Hintergrund erhält die Ästhetik des Überschüssigen und der überschüssigen bewegten Details eine neue Dimension. Sie legt Zeugnis von der Ortsspezifik der Bilder ab. Diese Ästhetik fügt sich bestens in die kompetitiven Strukturen der um Aufmerksamkeit heischenden Datenüberwachung ein, in denen soziale Aktivitäten einem generalisierten Werbeprinzip unterworfen sind. Sie lässt sich als Instrument lesen, die Aufmerksamkeit zu fesseln und antwortet so – mit Crary gesprochen – auf die Probleme der „Organisation, Selektion oder Isolation“ (2002: 30) der Wahrnehmung. Als solche impliziert die Aufmerksamkeit eine „unvermeidliche Fragmentarisierung des visuellen Feldes“ und geht mit einer „Aktivität der Ausschließung“ einher (vgl. ebd., Herv. im Original). Sie beinhaltet die Bedingungen für die eigene Grenze und Auflösung und geht kontinuierlich in Zerstreuung über (vgl. ebd.: 45). Die Kürze und die überschüssigen Details der GIFs verhandeln spannungsreich diese reziproke Wechselseitigkeit von Zerstreuung und Aufmerksamkeit, deren Beschleunigung Hayles (vgl. 2011) Diagnose der Hyperaufmerksamkeit zu beschreiben scheint: Die Kürze rechnet mit der Zerstreuung, mit der Fragilität und Limitiertheit der Aufmerksamkeit und damit schlicht mit der Dynamik und Flüchtigkeit der Wahrnehmung, während die überschüssigen Details und Bewegung sie zugleich rezentrieren und konzentrieren wollen. Sie erweisen sich als cinematische Instanzen, durch die in ein Umfeld des ,glanceʻ das Regime des ,gazeʻ reinstalliert werden soll.6 Ihre Ästhetik resoniert mit den Strategien der Isolation, wobei die bewegten Details als eine Form der Aufmerksamkeitslenkung fungieren. Die überschüssigen Details stehen somit auch im Dienst einer Kapitalisierung der Aufmerksamkeit, die sich in messbaren datengenerativen Onlineaktivitäten niederschlägt. Nicht zufällig sind gerade die Cinemagraphs von den Werbeleuten Kevin Burg und Jamie Beck entwickelt worden. Insgesamt hat die Werbebranche die GIFs für sich entdeckt. Bisweilen sind Werbe-GIFs nicht als solche erkennbar. Die Zerstreuung steht dabei keineswegs im Widerspruch zum Ökonomisierungspotenzial der Aufmerksamkeit. Sie ist vielmehr die Voraussetzung für den Wechsel der Aufmerksamkeit, die sich auf neue, weitere Produkte richten muss. „Es gehört zur kulturellen Logik des Kapitalismus, dass wir schnelle Verschiebung unserer Aufmerksamkeit von einem Ding aufs andere als natürlich akzeptieren.“ (Crary 2002: 33, Herv. im Original) Eine ausschließliche, eingefrorene Aufmerksamkeit für ein einzelnes Produkt setzt der Kapitalisierung zwangsläufig eine Grenze, die unter ökonomischem Diktat zu verhindern ist.
Die Ökonomisierung der Aufmerksamkeit im Plattform-Kapitalismus stellt derart eine der „Stationen im Fieberwahn des Modernisierungsprozesses“ (vgl. ebd.: 22) dar, in denen die Wahrnehmung kontinuierlich in wechselnden medialen Konfigurationen transformiert und neuen ökonomischen Zwängen ausgesetzt wird. Wie Crary mit Blick auf die neueren Bildschirmmedien bemerkt, ist für sie charakteristisch, dass hierbei die Fesselung von Aufmerksamkeit untrennbar von ihrer Überwachung ist, die dazu dient, die Daten in einem Feedbackprozess wieder dazu zu nutzen, das Aufmerksamkeitsverhalten zu modulieren (ebd.: 66f). In dem datenbasierten Plattform-Kapitalismus und der damit einhergehenden ökonomisch motivierten Überwachung geht es längst nicht mehr darum, lediglich Aufmerksamkeit für ein einzelnes Medienobjekt zu generieren, vielmehr gilt es, die Struktur der Aufmerksamkeit selbst zu verändern. Als Ausdruck der neuen Form der Ökonomisierung der Aufmerksamkeit zeugt die Cinematizität der GIFs damit von den spezifischen postkinematografischen Machtformationen, welche sich entlang vernetzter Small Screens und der durch Plattformen monopolisierten Sichtbarkeit konstituieren. Die in den Diskursen der Digitalisierung des Filmischen virulente Frage „Wo ist Film?“ (Hagener 2011:47) kann vor diesem Hintergrund nicht auf die Probleme der Onto-Topologie beschränkt bleiben. Wie die Ästhetik und die Ortsspezifik der GIFs zeigen, liegt die Brisanz der Frage vielmehr in den genuinen Machteffekten des Postkinematografischen sowie in seinem Beitrag zur Stützung der durchgreifenden Machtmechanismen vernetzter Gesellschaften.
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