Gegen Ende des Films ERDE von Nikolaus Geyrhalter (A 2019) werden wir an einen Ort geführt, an dem sogenannte Zivilisation in Gestalt der Rohstoffindustrie auftritt, die ebendiese Zivilisation sowohl befeuert als auch gefährdet. Mit Luftaufnahmen nähern wir uns dem offenen, nackten und grauen Terrain des Ölfelds von Fort McKay, das wie aus einer anderen Welt und sehr irdisch zugleich erscheint. Das kanadische Abbaugebiet ist einerseits so riesig, dass die Ruine von keinem Drohnenbild in ihrer ganzen Ausdehnung erfasst werden kann. Von oben bis zum Horizont gesehen gibt es keine Zeichen organischen Lebens. Schwer vorstellbar, dass diese Szene auf der Erde spielt, auch wenn der Filmtitel es so ankündigt. Andererseits sehen wir eine gewöhnliche, alltägliche Arbeitsumgebung, in der Menschen und Maschinen Erdreich bewegen, Bodenschätze fördern und das lokale Ökosystem, zu dem auch Indigenes Land gehört, kontaminieren. Fort McKay ist die letzte Etappe auf dieser filmischen Tour zu den überwiegend menschengemachten Erdbewegungen, der letzte Beweis für die Leitthese des Films: „Täglich werden 60 Millionen Tonnen Oberflächenmaterial durch Flüsse, Winde und andere Naturkräfte bewegt. Der Mensch bewegt 156 Millionen Tonnen Erde täglich und ist damit der entscheidende geologische Faktor der Gegenwart.“ Wir verstehen diese Worte, die im Vorspann auf einem Standbild erscheinen. Doch trifft es eine andere Verständnisebene, wenn wir sehen und begreifen, was diese Worte bedeuten, und auch zu verstehen beginnen, was dies für die Gegenwart und Zukunft der ‚Menschheit‘ und für den Planeten, auf den sie als geologische Kraft einwirkt, bedeutet. Geyrhalters ‚langsames‘ Kino der Plansequenzen fängt das im Unterschied zum geologischen Erdzeitalter rasante Abbautempo in Echtzeit ein. Wir sehen, wie ganze Flotten von Kipplastern den Aushub befördern. Am Boden, aus der Nähe gesehen, ist das Tempo der Erdumwälzungen schwindelerregend. Von Weitem könnte man die Lastwagen für fleißige Ameisen halten, die eine Landschaft direkt vor unseren Augen transformieren. Dynamit, das Standardmittel für den Erdaushub, sorgt im Film für die häufigen und fast verzögerungslosen ‚Money Shots‘ von Erde oder Marmor, die nun für immer aus ihrem angestammten Platz herausgebrochen sind.
Wir sehen also in Echtzeit zu, wie Millionen Jahre alte Erdschichten freigelegt, durcheinandergewirbelt und damit beseitigt werden. Während zu Beginn des Films die alarmierenden täglichen Zahlen genannt werden, erteilt Geyrhalter am Ende Jean L’Hommecourt das letzte Wort. Sie ist Umweltberaterin und Angehörige der First Nations und kann auf der Schotterstraße zum Ölfeld mit dem Auto nur bis vor die Absperrung fahren; der Zugang zum Gelände ist Unbefugten verboten. Die Absperrung signalisiert das Ende der Straße, des Films und möglicherweise der Welt. L’Hommecourt sagt, unsere Welt werde zu einer „menschengemachten Erde“. Das letzte Bild, das zurück zum Ölfeld mit seinem hoffnungslosen Grauen führt, bekräftigt ihr düsteres Urteil.
Geyrhalters Kino der Zerstörung wirkt niederschmetternd, nicht nur wegen der entblößten Landschaftsruinen. In den Interviews mit Menschen, die in Abbaugebieten in Nordamerika und Europa arbeiten, fördert der Regisseur bei den vielen Arbeiter*innen einiges an Gewissensbissen und noch mehr an Freude zutage; die Zuschauer*innen sind implizit in die Zyklen des Rohstoffabbaus mit eingebunden. Vor dem Hintergrund einer gewaltigen Großbaustelle im kalifornischen San Fernando Valley, einst baumbestanden und von Tieren bevölkert, auf der nun alles dem Erdboden gleich gemacht wird, erklärt ein Bauführer sein Verhältnis zu seinem Job: „Wenn mich eine Frau in der Bar fragt, was ich arbeite, kann ich ihr ehrlich in die Augen sehen und sagen: ‚Ich versetze Berge‘. Natürlich glaubt sie mir nicht, aber genauso ist es. Mein Job ist es, Berge zu versetzen.“ Wiederholt wird im Film vom erotischen Appeal solcher Erdarbeiten gesprochen (in der Szene im italienischen Carrara vergleicht ein Baumaschinenführer den Aushub mit einer Entjungferung des Berges). Doch wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass die im Planeten klaffenden Löcher unseren Lebensstandard in Nordamerika und Europa speisen, auch jenseits lebhafter Barszenen. Der Bauführer entwirft ein Zukunftsbild für dieses Baugebiet: „Es soll eine Wohnsiedlung geben. Es soll Industriefläche für Lagerhallen und Unternehmen geben, und Schulen, Parkanlagen, Straßen und Einkaufszentren ... Und vielleicht wird genau hier an dieser Stelle ein Kino stehen. Wer weiß? Wir bauen eine neue Stadt.“ Und mit neuester Technik „gibt es keine Grenzen“, um auf der Erde etwas zu bewegen. Insofern als die Grundlage der Zivilisation nun das Versetzen von Bergen ist, anstatt mit ihnen oder auf ihnen zu leben, steht laut Dipesh Chakrabarty „unser Vermögen, als geophysikalische Kraft zu agieren, mit vielen Formen des modernen Lebensgenusses in Verbindung“ (2021: 11). Er kommt zu dem Schluss, dass wir als eine Menschheit mit ‚geomorphologischer Wirkmacht‘ das geologische Zeitalter nicht mehr von täglicher Arbeit und täglichem Vergnügen getrennt betrachten können. (Ebd.) Geyrhalters Plansequenzen halten mit dem täglichen Werk geomorphologischer Veränderung Schritt – diese Ästhetik der Synchronisierung von Zeitlichkeiten ist darauf angelegt, uns in einer Weise fassungslos zu machen, die wir bisher nicht kannten.
Die synchrone Anordnung in ERDE dient nicht einer Darstellung von Erd- oder Grabungsgeschichte, auch wenn der Aushub Jahrmillionen alte Bodenschichten freilegt. Sie dient dazu, die tägliche Bewegung von Gestein und Erdreich aufzuzeigen und dem Publikum die Landschaftsruinen, die ansonsten vielleicht verborgen blieben, vor Augen zu führen. Eine Filmkritikerin erkennt in diesem Filmprojekt einen großen Optimismus: „Nur ein Idealist lädt sein Publikum ein, die Welt so genau und eingehend zu betrachten, wie er es tut, indem er daran erinnert, dass wir nur dann überhaupt eine Chance haben, die Welt zu retten, wenn wir sie sehen – wirklich sehen – wie sie ist“ (Dargis 2022). Dieses Verhältnis zwischen Sehen und Retten steht im Zentrum eines Anschauungsunterrichts und einer Einstellung zu den Kräften der Industriekultur. Entsprechend bietet der Film kaum auch nur einen flüchtigen Blick auf etwas, das als Natur oder als etwas Bewahrenswertes gelten könnte. Am nächsten kommen wir dem Blick auf einen Wald in einem Diorama im Museum von Gyöngyös, das im Rahmen der Nachbildung einer möglichen prähistorischen Welt Sumpfzypressen zeigt. In ERDE begegnen uns nicht die in unserer Gegenwart weltweit gefährdeten Ökosysteme, sondern die Rohstoffindustrie, die zum größten Gefährder überhaupt geworden zu sein scheint. Im Film werden die gezeigten Orte nicht als Ausnahme, sondern quasi als die Regel dargestellt. Auf unserem Planeten ist die Erde, die durch menschliche Industrie zu großen Teilen umgewälzt wird, nicht mehr natürlich; sie ist eine sichtbar gemachte Variante von Bill McKibbens Buch Eaarth. In der Beschreibung der extremen Bedingungen, die der Klimawandel mit sich bringt, hält McKibben die Umbenennung unseres Planten für angebracht: Der zusätzliche Vokal ‚a‘ steht für die düstere Erkenntnis, dass wir uns auf unbehaglichem Terrain bewegen: „Die Erde, wie wir sie kannten – die einzige Erde, die wir je kannten –, ist verschwunden“ (2010, 2011: 27), und die rasende Umwälzung von Gestein und Erdreich sollte nicht als Fortschritt angesehen werden. „Wir lassen das Buch Genesis rückwärts laufen, wir ent-schöpfen“ (Ebd.: 25–26). Insofern lässt sich ERDE als eine moderne Ent-Schöpfungsgeschichte betrachten – eine Vision des Planeten in einer Zeit, in der die industriellen Fähigkeiten, Erde zu verschieben, alle angelegten Systeme planetarer Stabilität hinter sich lassen. Die Menschheit ist dabei zu einer geomorphologischen und auch theologischen Kraft geworden; das Kino reagiert mit einer Ästhetik der Langsamkeit auf die profanen Zeitlichkeiten dieser ‚Großen Beschleunigung‘.1
ERDE dokumentiert die Apotheose von Erdverschiebungen als Maß eines beschleunigten, ent-schöpfenden menschlichen Unternehmungsgeistes in der Ersten Welt am Kipppunkt des Anthropozäns – dem Punkt, an dem die begrenzten Ressourcen zu Ende gehen, während die Kulturen, die aus ihnen ihren Wohlstand beziehen, kaum Anstalten machen, zu entschleunigen. Um Geyrhalters Umweltbotschaft zu verstehen, müssen wir geläufige Vorstellungen revidieren, die es im Zuge der Großen Beschleunigung erst möglich gemacht haben, derart große Teile des Planeten zu verschlingen. Wir müssen den früheren Blickwinkel umkehren, der dazu einlud, den Planeten nicht als Natur, sondern als Ressource zu betrachten, arbeitende Maschinen nicht als Zeichen der Zerstörung, sondern als Symbole des Fortschritts – und nicht die der Erde zugefügte Gewalt als Fehler, sondern die Gegebenheiten auf der Erde, die sich vom Menschen nicht formen lassen wollen. Betrachtet man ERDE als eine filmische Meditation über den heutigen Stand in Sachen Erdbewegung, gibt es dazu eine Art Prequel, das uns zurück in die 1960er Jahre führt, als die Große Beschleunigung einsetzte. Die Aussicht auf die Umschichtung riesiger Mengen Erde als neues Betätigungsfeld für das amerikanische Nuklearprogramm und als Grundlage für den Aufbau der Nachkriegswelt wurde in jener Zeit beworben und gefeiert. Ich möchte es einen Mythos nuklearer Schöpfung nennen, und das Kino stand im Zentrum dieses politischen Anschauungsunterrichts.
‚Project Plowshare‘ (1957–1973) war ein Nuklearprogramm, für das sich der Physiker und Nobelpreisträger Edward Teller und die US-amerikanische Atomenergie-Kommission zur Entwicklung einer ‚friedlichen‘ Nutzung von Kernexplosionen einsetzten. Während des 16-jährigen Bestehens von ‚Plowshare‘ beaufsichtigte die Atomenergie-Kommission 27 Atomtests, deren Zweck es war, Erde zu verschieben, die Topografie zu verändern und unterirdische Hohlräume zu schaffen. Die Bewegung von Erdreich mit nuklearen Mitteln wurde als das zu betretende Neuland für massive Infrastrukturprojekte und den Rohstoffabbau gepriesen. Die Massenvernichtungswaffe Atombombe zielte nun auf die Erde selbst, wenn sie als Hindernis für menschliches Wachstum galt. In diesem Sinne versuchte man mit dem Programm, die Assoziation der Bombe mit Kriegstechnik und einer Bedrohung allen Lebens auf der Erde dahingehend zu verändern, dass man den Blick auf die Erde selbst lenkte, die den Nachkriegswohlstand bedrohe. ‚Plowshare‘, die Marke dieses Nuklearprogramms, bezieht sich auf das Buch Jesaja 2:4, das von einer Transformation der Dinge für eine neue Friedfertigkeit unter den Menschen spricht: „Dann schmieden sie Pflugscharen aus
ihren Schwertern / und Winzermesser aus ihren Lanzen; man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, / und übt nicht mehr für den Krieg.” (O' Neill 1994: 25) Nuklearwaffen wurden zu Gartenwerkzeug umgedeutet; die Lehre vom Krieg gegen Nationen wurde nicht ins eigentliche Anpflanzen umgemünzt, sondern in die Umgestaltung des Planeten. „Die große Kunst, die ich als geographical engineering bezeichne“, so Teller, soll „die Welt nach eurem Vergnügen formen und, ja, die Felsen brechen, damit sie ihre Schätze freigeben.“ (Ebd.: 89. Hvh. i. O.) Die nukleare Pflugschar sollte erdumwälzende Aushubprojekte in bis dahin unvorstellbarer Größenordnung zur Schaffung von Fertig-Häfen, Schifffahrtskanälen und Bergpässen ermöglichen, was nur einen Bruchteil des Zeit- und Kostenaufwands konventioneller Bauweisen erfordern würde. Triumphierend und mit nur einem Hauch messianischen Eifers verkündete Edward Teller im Heft Popular Mechanics: „Wir werden Wunder vollbringen.“ (Teller 1960: 97)
Mit der sogenannten friedlichen Bombe hielt eine Neubestimmung von Atomwaffen, der Geomorphologie des Planeten und des theologischen Unterbaus für die Diplomatie des Kalten Krieges Einzug. Der Historiker Dan O’Neill erklärt, wie dieses nuklear-linguistische Regime von Mitgliedern der Atomenergie-Kommission propagiert wurde. Atombomben waren nun ein Werkzeug zur „Korrektur eines leicht fehlerhaften Planeten“ und zur „Behebung dessen, was ein Versehen der Natur“ war (O' Neill 1994: 25); dies bezog sich auf all jene lästigen Orte der Welt, die sich dem Willen des Menschen noch nicht ergeben hatten. Wasserstoffbombentests hatten bereits Inseln im Südpazifik verschwinden lassen und ganze Völker vollkommen heimatlos gemacht.2 Ein derart unumstößlicher Nachweis für die Wirkung der Waffen wäre nun der Ausgangspunkt für Explosionen, die den Planeten lebenswerter machen würden: „Wir werden die Erdoberfläche so gestalten, wie es uns gefällt“, bemerkte Teller. (O' Neill 1994: 25) Im Zuge des nuklearen Wettrüstens im Kalten Krieg kann die Hinwendung zur ‚friedlichen‘ Nutzung von Kernexplosionen durchaus als ein Trick angesehen werden, um unter dem Deckmantel der Gestaltung von Infrastruktur weiterhin Waffen zu testen, doch sie diente auch dem geopolitischen Zweck, die Geografie des Planeten zu verändern. Im Zentrum des Plowshare-Programms stand das Vorhaben, als Ersatz für den Panamakanal einen neuen Schifffahrtskanal nuklear freizusprengen, da Dekolonisationsbewegungen diesen wichtigen Handelsweg zu destabilisieren drohten; zudem gab es Pläne, durch nukleare Sprengungen Öl aus Schiefer und Ölsanden abzubauen, unter anderem in Fort McKay, Kanada, um in einer Zeit des sowjetischen Einflusses im Nahen Osten die fossile Unabhängigkeit Nordamerikas zu sichern.3 Die öffentliche Kampagne für das Plowshare-Programm setzte also auf eine veränderte Gefühlslage, was die Bombe und ihren Einsatz betraf, wie auch auf eine Neuausrichtung des Verhältnisses des Menschen zum Planeten. Insbesondere zielte das Programm darauf ab, Kernexplosionen und gewaltige Infrastrukturprojekte als normale, alltägliche Phänomene in die maximale Nutzung der Topografie als Ressource einzubauen.
Während er das 'geographical engineering' vor Menschen und Gemeinden rund um die Welt bewarb, witzelte Edward Teller: „Wenn Ihr Berg an der falschen Stelle steht, schreiben Sie uns eine Karte.“ (O' Neill 1994: 88) Dieser Satz, ein geistreicher Einzeiler, von Teller mit gekonnt trockener Miene an das Publikum gerichtet, stellte einen deutlichen Bruch mit dem Diskurs in den Anfängen des ‚Nuklearismus‘ dar. Als Robert J. Oppenheimer, der Architekt des Manhattan-Projekts, Zeuge der Stichflamme der ersten Atombombe in New Mexico wurde, zitierte er aus der Hindu-Schrift Bhagavad Gita, um seine Ehrfurcht angesichts der beispiellosen Weltzerstörungskraft zum Ausdruck zu bringen: als ob „das Licht von tausend Sonnen am Himmel plötzlich bräch‘ hervor zu gleicher Zeit.“ (Aravamudan 2006: 146) Als der so beschriebene Blitz zur ständigen blitzartigen Ausstrahlung wurde, zitierte Oppenheimer den Gott Krishna und übertrug dessen charismatische Autorität auf sein eigenes Werk: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.” Oppenheimer eröffnete das nukleare Zeitalter durch den Diskurs über das von Srinivas Aravamudan so genannte „Hindu Sublime“, einer „transidiomatischen“ Mischung aus religiöser Reinheit und „Nuke-Speak“, das der Atomwaffe kosmische Bedeutung und „exponentielle völkermordende Kraft“ (143–44) zuschrieb. Durch die Zusammenführung der neuen Wissenschaft mit alten Weissagungen des Hinduismus und heroischer Gewalt kam das „Hindu Sublime“, das Erhabene im Hinduismus, wie Oppenheimer es praktizierte, einer „Vermischung von Physik und Metaphysik“ gleich. (Ebd.) Zwölf Jahre später folgte Edward Tellers Programm. Anstelle des Erhabenen im Hinduismus wird nun das Alte Testament herangezogen, und das Kosmische weicht der Banalität einer Verkaufsmasche. Eine komplett umgewandelte, potenziell bergfreie Landschaft liegt nur einen Anruf entfernt.
Auch wenn die Atomenergie-Kommission mehrere Tests durchführte und viele Millionen Dollar in das Plowshare-Programm investierte, wuchs das 'geographical engineering' letztlich nicht über das vorgesehene Testgelände hinaus. Die Bevölkerung und die lokalen Behörden waren zu Recht besorgt wegen des radioaktiven Austritts, des Verlusts heimischer Arten und der Gefahren für Indigenes Land und Indigene Lebensweisen (Land, das für Atomtests und Experimente außerhalb des Geländes stets ins Auge gefasst wurde), insbesondere nachdem frühe Tests sehr viel mehr Strahlung freigesetzt hatten als vorhergesagt.4 So blieb der Film, genauer gesagt: der in den Jahren 1963/64 entstandene Werbefilm PLOWSHARE der Atomenergie-Kommission, um das Bild von Tellers Welt zu vermitteln, zu propagieren und nicht zuletzt zu archivieren.5
Ich möchte untersuchen, wie die geografische Beschaffenheit der Erde in diesem Programm neu gedacht wurde und welche Rolle der Film in dieser Geschichte spielte, die sich weit über das Testgelände und die absurde Zeit nuklearer Diplomatie hinaus auswirkte. Die Filme der Atomenergie-Kommission im Rahmen des Plowshare-Projekts verschieben den Fokus von Terror-schaffenden Atombomben auf die Terra-schaffenden Fähigkeiten des neuen Anwendungsgebiets.6Alle Unzugänglichkeiten der Natur werden umgedeutet zu logistischen Problemen, die durch Kernexplosionen lösbar seien. Der Film kadriert die Natur als etwas, das stört, und in einem toxischen Prozess werden sofortige Erdarbeiten ins Bild gesetzt, die unmittelbare Ergebnisse versprechen. Es findet eine merkwürdige Angleichung von Geopolitik und Ästhetik statt, die sich um eine geringschätzende Phrase gruppiert: „ein kleiner Fehler“. Die Erdoberfläche wird zum Ziel dieser nuklearen Fantasien aus der Ära des Kalten Krieges, und der Film dient hierbei als ein Medium, das jedes Gelände dem Wahrheitsanspruch dieser Fantasien der Einebnung unterwirft.
Die amerikanische Landschaft war immer Teil der Ikonografie und Etablierung der US-amerikanischen nuklearen Ideologie. Zum Atomtestgelände in Nevada bemerkt Peter Bacon Hales: „Die flachen Berge im Hintergrund, Kakteen, verstreut in einer lebensfeindlichen Sandwüste, die von brennender Sonne und blind machenden Sandstürmen heimgesucht wird“, besaßen alle Merkmale eines Hollywood-‚B Westerns‘ und der zugrundeliegenden Mythen vom Amerikanischen Exzeptionalismus. (2014: 35) Tatsächlich wurde das Gelände in Nevada zu einer Art Freiluft-Filmstudio, zum weltweit meistbombardierten und wahrscheinlich auch einem der meistgefilmten Orte in den USA. Objekte, Schrottürme und Kameras wurden sorgfältig im Explosionsgebiet platziert, um Atomwaffentests zu filmen, was zu den über 6000 Atomtestfilmen führte.7 Die Berge lieferten eine prächtige, würdige Kulisse – sie verliehen der Waffe einen Hauch natürlicher Größe. Den charakteristischen Atompilz begann man in einer „technoästhetischen Träumerei“, wie der Anthropologe Joseph Masco es nennt, mit der Topografie des Wilden Westens und einem Wunder der Technik zu assoziieren. (2006: 23) Das nur mittelhohe Gebirge beim Testgelände in Nevada bot den Vorteil, den Atompilz noch spektakulärer erscheinen zu lassen. Und der Fortbestand der Berge, die Tatsache, dass sie selbst jeden Test ‚überlebten‘, trug zu einem Sicherheitsgefühl bei: Wie hoch die Zerstörungskraft der Bombe für Material und Mensch, für japanische Städte und deren Zivilbevölkerung auch sein mochte – die Symbole des Wilden Westens würden das Nuklearzeitalter überdauern.
Mit dem Plowshare-Programm wurde eine neue Ikonografie geformt. Die Berge im Hintergrund dienten nicht mehr als Rahmen für Kernexplosionen, sondern sie gehörten zu den vorgesehen Zielen. Im Film PLOWSHARE lässt sich dies festmachen: Er lobt die Vorteile geografisch genutzter Kerntechnik in höchsten Tönen (ihre Sicherheit, Schnelligkeit und Kosteneffizienz) und präsentiert die Erde oder Teile der Erde als bedrohlich, unwirtlich und, mein Lieblingsadjektiv, ‚unfreundlich‘. Der Film formt unser ästhetisches Empfinden dahingehend, dass wir alle Bilder dessen, was man ‚Natur‘ nennen mag, unter dem Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit für menschliche Mobilität, Landwirtschaft und Gewerbe betrachten. Der Handel solle daraufhin überprüft werden, wo er durch die Natur ‚gefährdet‘ ist. Vier Stellen in diesem Film markieren den Übergang von einem leicht fehlerhaften Planeten zu einer Welt, die durch Atombomben eine freundlichere wird.
Der Vorspann montiert Ansichten, die uns eine Welt voller Hindernisse und noch ungehobener Potenziale präsentieren, und das nicht nur auf der Bildebene. Jede Einstellung weist eine Ton-Bild-Schere auf, begleitet von einem Kommentar, der uns auffordert, zu hören, was wir noch nicht sehen können. Der das Bild überlagernde Ton bietet in einer Art vertikaler Montage Ansichten eines Planeten, dessen zukünftiges Potenzial durch Kernexplosionen gehoben werden könne.
Eine Sanddünenlandschaft, gefolgt von einer zweiten Aufnahme ausgetrockneter, rissiger Erde, die von Geräuschen des Regens und fließenden Wassers begleitet wird. Eine einsame Hütte in einer Bergwelt ist untermalt mit dem Stimmengewirr einer Menschenmenge. Wir hören Zuggeräusche und das Tönen der Großstadt über Bildern einer trostlosen Bergkette. Das leise Tuten eines Schiffhorns kündet über Bildern einer schroffen, einsamen Bucht von der Betriebsamkeit eines Handelshafens. So verbindet die Eröffnungssequenz den Sound der Zukunft mit Landschaften, die wie in der Vergangenheit steckengeblieben wirken und einer störrischen Natur verbunden sind.
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die radikale Ästhetik des Ton-Bild-Verhältnisses. Wir sind an einen Voice-Over-Kommentar gewöhnt, der die Aussage eines Bildes beschreibt und dadurch prägt, und wir wissen, dass Ton zur Andeutung des filmischen Offs eingesetzt werden kann. In dieser Szene jedoch wird der Ton zu einem weiteren Montageelement und erinnert an Sergei Eisensteins Manifeste für die kontrapunktische Form des Films anstelle einer reibungsfreien Synchronisierung.8 Ton und Bild scheinen widersprüchlich oder vorübergehend verschoben. Der Vorspann endet mit der Einblendung des Filmtitels und einer neuen Möglichkeit der Nutzung von Atomexplosionen. Wir befinden uns jetzt im Testbereich in der Wüste und werden Zeug*innen einer Kernexplosion. Unterirdisch detoniert, wälzt die Bombe Erdreich um; die Zeitlupen-Bilder führen uns eine neue nukleare Gestalt vor Augen: kein Atompilz am Himmel inklusive der darauffolgenden Schockwelle, sondern eine Erderuption von unten. So inszeniert der Film ein ästhetisches Problem von Ton-Bild-Verhältnissen, dass durch die Explosionen beendet wird (weil damit die Montage-Sequenz endet), ohne es jedoch auszulösen.
Später im Film treten Menschen in den Bildrahmen, die von Mühen und harten Lebensumständen geplagt sind. In dieser kurzen, aber bedeutsamen Sequenz werden im Geist der Humanität des Kalten Krieges die Ziele der Kerntechnik identifiziert: In einem nicht näher bestimmten Teil der Dritten Welt müssen Menschen zu Fuß einen steilen Bergpass überwinden, um ihre Waren auf den Markt zu bringen. In einem Tal müht sich ein einsamer Bauer mit Esel und Pflug ab, um ein nicht kulturfähiges Stück Land zu bearbeiten. Der Logik des Films zufolge stecken diese Menschen wie auch die Natur, die sie zu überwinden haben, fest in den Fängen vergangener Zeiten. Kernexplosionen, so die Botschaft, werden sie in die Gegenwart katapultieren. Berge sind hier die Barrieren für den Zugang zu Märkten, Nahrung und Wasser. Und wieder endet die Sequenz beim Testgelände, wo eine Kernexplosion, so groß wie ein kleiner Berg, zeigen soll, wie der durch die Explosion entstandene Krater auch den Berg einfach dem Erdboden gleich machen könnte.
Im Universum des Plowshare-Programms, so vermittelt es diese Sequenz, ist menschliches Potenzial gleichbedeutend mit der Fähigkeit zum Geoengineering: „Den expandierenden ökonomischen und sozialen Bedarfen einer stetig expandierenden Bevölkerung nachzukommen, gelingt nur durch eine effiziente und ökonomische Bewegung großer Mengen Erde.“ Dieser Satz aus PLOWSHARE enthält die Logik, die uns direkt zum Film ERDE führt. Die Wiederholung des Adjektivs ‚expandierend‘ zur Beschreibung sowohl der steigenden Bedarfe von Menschen als auch ihrer steigenden Anzahl ist ein Ausdruck der exponentiellen Dynamik menschlicher Bestrebungen und erwarteten Wachstums gegen Mitte des 20. Jahrhunderts. Der einzige Weg, diesen wachsenden Herausforderungen zu begegnen, sei es, die Erde zu bewegen. Eine merkwürdige Aussage. Doch die gezeigten Bilder von Dürren und Nöten, so sehr sie auch auf eine andere (‚Dritte‘) Welt projiziert werden, sind in den Vereinigten Staaten vertraute Symbole der eigenen ‚Dust Bowl‘-Katastrophe. THE PLOW THAT BROKE THE PLAINS (USA 1936), der Dokumentarfilm von Pare Lorentz über die Dürren und Staubstürme in den Great Plains jener Zeit, kehrt die Argumentationslinie aus PLOWSHARE um. In Lorentz‘ Film wird ein großer Teil des einst fruchtbaren Landes Amerikas durch das immer weitere Vordringen amerikanischer Siedler in die großen Ebenen und die nicht nachhaltige Geschäftemacherei mit der Weizen- und Rindfleischproduktion zerstört. THE PLOW THAT BROKE THE PLAINS endet mit einem Aufruf zu maßvoller Bodenregeneration und einer Warnung vor weiterer Erschließung und Ausbeutung. PLOWSHARE hingegen macht das Gelände an sich für menschliches Leid verantwortlich und verspricht Wohlstand durch Eingriffe in das Kräftespiel der Natur.
Ebenso wie der Voice-Over-Kommentar mit seinem erdbewegenden Ultimatum überrascht, fällt auf, wie stark PLOWSHARE, ein High-Budget- und Farbfilm, die Wahrnehmung anhand von bewusst schlichter Bildkomposition prägt. Die Ästhetik der Landschaftsaufnahmen bewegt sich zwischen versperrter Sicht und so gewöhnlichen Bildausschnitten, dass sie nahezu nichtssagend sind (als ob es tatsächlich nichts zu sehen gäbe). Eine dynamischere Gestaltung des Framings und der Größenverhältnisse, zum Beispiel durch Diagonalen, ein Blick, der die Schönheit oder Erhabenheit der Landschaft vermitteln könnte, wird vermieden – zugunsten einer Bildkomposition, die von einem ausgedehnten, öden Vordergrund beziehungsweise horizontalen Linien gekennzeichnet ist. Hinzu kommt, dass der Blick in diesen Aufnahmen „unfreundlicher Gebiete“ keinen leichten Halt findet; es wird auch keine Perspektive geboten, aus der wir eine Landschaft betrachten können, beispielsweise von einem Berggipfel herab. Stattdessen verdeckt gerade der Berggipfel die Sicht, ebenso wie er den Weg zum Markt und das Fließen des so dringend benötigten Wassers versperrt. Der Blick auf das Pflügen – eine Umsetzung des Versprechens jener Phase nuklearen Denkens im Wortsinn – ist zu nah und zu klaustrophobisch, um es zu erfassen. Auf solchen Böden, wie sie uns im Film gezeigt werden, könnten die Bedarfe wachsender Bevölkerungen jedenfalls nicht gedeckt werden.
In einem dritten Akt erläutert PLOWSHARE die nukleare Lösung für zwei konkrete kartografische Probleme. Das erste ist ein etwa drei Kilometer langer Schnitt durch die Bristol Mountains in Kalifornien zum Bau einer Straße, die auf kürzestem Weg an die Küste führt, das zweite ist der Panamakanal. Ich möchte hier das erste Problem betrachten, da es dabei wieder um Atomexplosion auf dem US-amerikanischen Kontinent geht. In Reihen angelegte Kernexplosionen würden augenblicklich rund fünfzig Millionen Kubikmeter Erde und Gestein versetzen. In dieser munteren Szene werden nicht Ton und Bild zueinander in Kontrast gestellt, sondern Bilder übereinandergelegt: Mehrspurige Verkehrsstraßen – Autos, Züge und Lkws – legen sich über eine Luftaufnahme des Gebirges, mit dem Effekt, dass die Unterschiede zwischen Fotografie und Kartografie verschwimmen.
Bei diesen Einblendungen konkurrieren Gegenwart und Zukunft miteinander – eine Methode, die an die erste Charakterisierung des Testgeländes in New Mexico und Nevada durch die Atomenergie-Kommission als trostlos, nutzlos und daher (schon vor Beginn der Atomtests) entbehrlich, erinnert. Valerie L. Kuletz bezeichnet dies als einen „Wasteland-Diskurs“ und eine Kolonisierungsstrategie des amerikanischen „Nuklearismus“, durch die das Bild „einer Landschaft der nationalen Aufopferung, einer verzichtbaren Landschaft“, die lokale und insbesondere Indigene Nutzung und Bedeutung genau dieser Orte überlagere. (1998: 13) Es ist eine entweihende Sichtweise. Auch in dieser Sequenz gelten die Berge an sich nichts gegenüber den daraufprojizierten Unannehmlichkeiten, die sie für den Autoverkehr bedeuten. Für die angestrebte Verlegung von Straße und Zugstrecke ohne Gefälle oder Steigung würden 22 Kernexplosionen den Weg einebnen und um rund 25 Kilometer verkürzen.
Das Ende des Films kehrt wieder zum Ausgangspunkt zurück. Auf dem Testgelände in Nevada bricht bei dem Atomtest mit dem Codenamen Sedan in Zeitlupe die Erde aus dem Krater; es ist die bis dahin größte einzelne Kernexplosion auf dem Gebiet der USA. Dabei stechen Schmelze und die heiße Glut atomarer Wärmeenergie unter den triumphalen Klängen von Harfen und Trompeten durch eine aufsteigende Sandblase.
Auf dem Testgelände für das „friedliche Potenzial von Kernexplosionen“ blendet der Film aus und löst sich als Schlusssequenz in einer Reihe offenbar banaler Alltagsbilder auf: eine vielbefahrene, vielspurige Autobahn, eine riesige, gut bewässerte Anbaufläche, ein geschäftiger Seehafen und eine durch felsiges Gelände gelegte Ölpipeline. Die gezeigte Detonation erschüttert keine Welten. Im Gegenteil: Sie sorgt für Infrastruktur, Agrarwirtschaft und Handelswege. Filmtechnisch wird diese befriedigende Aussicht dadurch unterstützt, dass die Explosion Ton und Bild synchronisiert und das auf die Natur gelegte Bild von der Industrie am Ende übergeht in ein Bild von der Industrie als Natur. Anders als am Filmanfang sind diese letzten Einstellungen dialektische Bilder, wobei die Kernexplosion den Eingriff oder die transformative Kraft darstellt. So radikal es im Hinblick auf die gezeigte atomare Gewalt sein mag, ist das dialektische Bild zugleich vollkommen vertraut, banal und gewöhnlich. Es wirkt nun nicht schockierend oder aufrüttelnd, sondern verspricht einen sofortigen, sanften und reibungslosen Übergang von widerspenstiger Natur zu Handelsplätzen. Herausgestellt werden soll in dieser Sequenz: Was auch immer an diesen funktionalen Orten einmal gewesen ist, gleichen sie nun den normalen, zugänglichen, ich möchte fast sagen: langweiligen amerikanischen Landschaften gegen Mitte des letzten Jahrhunderts. Doch in Bezug auf die Aushubprojekte sollen die Bilder eine nuklear geformte, glänzende Zukunft zeigen.
Das Projekt Plowshare setzte das Wettrüsten mit anderen Mitteln fort, auch als Instrument im Kampf um Ressourcen, der den Nachkriegswohlstand und die freie Marktkultur Amerikas antrieb. Der Film zeigt die funktionelle Ästhetik der Geopolitik im Kalten Krieg, die wiederum Teil einer längeren Geschichte ist. Jarius Victor Grove erklärt in seinem Buch Savage Ecology, wie die Rückkopplungsschleife zwischen europäisch-amerikanischem „globalem Denken, globaler Expansion und globaler Zerstörung“ zu einer planetarischen „Homogenisierung“ führte (2019: 36). „Die Geopolitik“, schreibt er, „träumt von einem flachen Planeten“ (7). Er führt uns vor Augen, inwieweit der Appell des Films an einen nuklearen Humanismus – durch zahlreiche Anspielungen auf „die ganze Menschheit“ und „alle Nationen“ als Nutznießer von Atombomben und darauf, dass alle Menschen gleichermaßen einer unfreundlichen Natur unterworfen seien – eine politisch aufgeladene Universalitätsrhetorik ist, in der Absicht, Politik und Differenz zu begraben. Er sei damit sozusagen der Gipfel einer europäisch-britisch-amerikanischen imperialen Logik, die „Orte zu ununterscheidbaren Räumen verflacht“ hat (42).
Bemerkenswert ist, wie sehr sich der Film PLOWSHARE von früheren Atomtestfilmen bis zu den 1950er Jahren unterscheidet. Ein typisches Merkmal dieser früheren Filme ist die Gegenüberstellung von Vorher- und Nachher-Szenen als Maßstab für die Zerstörungskraft der Atombombe. In dem Zivilschutz-Film OPERATION CUE (USA 1955) steht auf dem Testgelände eine Nachbildung eines amerikanischen Hauses, komplett eingerichtet und bewohnt von gut gekleideten Modellpuppen, die wie in Alltagsszenen auf dem Sofa sitzen oder im Bett liegen. Als die Bombe explodiert, sehen wir mit Entsetzen, wie diese Welt sofort in Flammen aufgeht.9 OPERATION CUE bewegt sich von behaglicher Häuslichkeit hin zur Vernichtung. PLOWSHARE dagegen möchte ein anderes Gefühl für Vorher und Nachher vermitteln. Der Film beginnt auf unwirtlichem Terrain und bietet kleine Einblicke in die Katastrophe (Dürre, unpassierbare Berge). Nach der Explosion werden banale Highway- und Hafenszenerien gezeigt – eine völlige Umkehr: von Zerstörung und Abbau zum Aufbau, von Ausweglosigkeit zu Funktionalität. PLOWSHARE macht die Banalität zum erwünschten Resultat gegenüber einer Natur als feindlicher Kraft, die mit Atombomben bezwungen werden kann. Die Bombe löscht keine feindliche Bevölkerung aus, sondern verspricht, ihr Leid zu mildern.
Hier soll gezeigt werden, dass die natürliche Umwelt in dieser zweiten, ‚friedlichen‘ Phase des Nuklearzeitalters voller kleiner Katastrophen oder Fehler steckt, die durch die Bombe korrigiert werden können. Die Natur ist jetzt der Feind. Wie kommt es, dass man sich, zumindest in den USA, innerhalb eines Zeitraums von rund fünfzig Jahren von „Purple Mountains Majesty“ (ein Zitat aus dem Song America The Beautiful, dessen Text eine Adaption des 1895 veröffentlichten Gedichts Pikes Peak von Katharine Lee Bates ist) hin zu Bergen als unbedeutende und lästige Erscheinung bewegt? Diese Frage soll nicht unterstellen, dass der Film PLOWSHARE die allgemeine Sicht der Menschen auf die natürliche Umwelt oder gar die generelle Bereitschaft der US-Regierung zur Veränderung der Topografie zusammenfasst. Und doch liefert das Plowshare-Programm der Rohstoffindustrie sowie den Landerschließungs- und Infrastrukturprojekten ein Narrativ und eine Form, die kennzeichnend für die Nachkriegszeit sind und mit der Großen Beschleunigung im Anthropozän assoziiert werden. Ist dies – neben allem anderen, was es für den Planeten und das Leben darauf bereithält – eine ästhetische Revolution?
Das Plowshare-Programm startete 1957, zwei Jahre bevor die Studie Mountain Gloom and Mountain Glory von Marjorie Hope Nicolson veröffentlicht wurde. In ihrem Buch, das sich zeitlich in die Nähe der nuklearen Ideologie der Mitte des 20. Jahrhunderts mit ihren Plänen für den Planeten rücken lässt, stellt die Autorin ganz ähnliche Fragen in Bezug auf Berge und Landschaften in der englischen Lyrik und Prosa. Sie umreißt ihr Projekt wie folgt:
In den ersten 17 Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung trübte die Finsternis der Berge das menschliche Auge so sehr, dass Dichter*innen die Berge nicht einmal in jener vollen Strahlkraft betrachteten, an die sich unsere Augen inzwischen gewöhnt haben. Innerhalb eines Jahrhunderts – genau genommen innerhalb von fünfzig Jahren – hat sich all dies verändert. Die ‚Pracht der Berge‘ zog herauf und erschien dann in vollem Glanz. Warum? (1959:3)
Warum betrachtete die Dichtung des frühen 17. Jahrhunderts die Bergwelt mit einer solchen Geringschätzung? Michael Drayton, ein englischer Dichter des Elisabethanischen Zeitalters, versammelte folgende Lieblingsadjektive zur Beschreibung der Berge: ungastlich, trostlos, feindselig, unerbittlich, karg, hart, stolz, auch grob und „ohne jede Wonne“, wie „Warzen“ in der Landschaft (54). Die bald darauf folgende romantische Dichtung wurde von der Bergwelt hingegen zu „ungestümer Freude“ inspiriert: „Die rauen, zerklüfteten Steinriesen, die einmal der Bauschutt der Welt zu sein schienen“, wurden zum „integralen Bestandteil einer wilden oder feierlichen Natur“ und majestätischen Welt (15). Ein Begriff und somit die Erfahrung vom Erhabenen durch Betrachtung des Unendlichen hielt Einzug, ein ästhetisches Empfinden, hervorgerufen durch die aufkommende Geologie und geologische Zeitrechnung und durch eine neue Theodizee, die die neu entstandene Wissenschaft mit umfasste. Die Ästhetik des Unendlichen „überträgt die unermessliche Weite Gottes auf den interstellaren Raum, von dort auf terrestrisches Gebirge“ (273). Das Erhabene trat an die Stelle eines früheren Paradigmas, nach dem die unregelmäßigen Merkmale auf der Erdoberfläche als hässlich und die garstigen Berge als Gottes Strafe für unsere Sünden galten. Kamen diese düsteren Poeten in die Verlegenheit, unerbittliches Gelände zu durchqueren, empfanden sie Abscheu gegenüber dem unerschlossenen irdischen Bergland, das für sie die menschliche Degeneration und Gottes Zorn widerspiegelte. In der Schrift Telluris theoria sacra/The Sacred Theory of the Earth (veröffentlicht in den 1680er Jahren) postulierte Thomas Burnet, dass Berge und Höhlen die Topografie einer gefallen Welt, einer bösartigen Natur seien, die sich selbst nicht treu bleibe und nach der Apokalypse wieder glatt und geschmeidig werde. Auch die romantische Dichtung erschauerte, aber in einer Art ehrfürchtigen Gefallens daran, in den Bergen nicht die Schande nach dem Sündenfall zu sehen, sondern Zeichen einer höheren Macht, die ein Staunen vor dem Wunder und Gefühle der Freude auslösten. Edmund Burke ist ein typischer Vertreter dieses Denkens; für ihn lag in der Begegnung mit Bergen eine erhabene Verbindung zum Göttlichen. Victoria De Palma bewertet heute keine dieser Positionen als derart unverfälscht, nicht einmal als derart verschieden. Sich angezogen oder abgestoßen zu fühlen, war Ausdruck von Pracht wie Finsternis gleichermaßen, und beide Denkrichtungen hatten noch etwas gemeinsam: den Gebrauchswert der Natur. Die Finsteren besänftigte das Versprechen von den Bodenschätzen der Berge, während die glorreichen Romantiker die Berge als touristische Reiseziele zur Handelsware machten. (2014: 168–169)
Ich stelle hier zwei Thesen zu Bergästhetik und dem Nukleardiskurs im Film vor, die Nicolsons Untersuchung historisch gesehen zur rechten Zeit beleuchtet. Erstens: Es mag sein, dass der Film PLOWSHARE einer Zukunft entgegensieht, in der der Planet Erde im Namen der einsetzenden neoliberalen Wirtschaftsordnung von einer toxischen Industrie umgestaltet wird. Doch die darin verwendeten Adjektive sind auch ein Blick zurück in eine präromantische Vorstellungswelt von unserer Erde als einem, wie es bei Thomas Burnet heißt, „kleinen schmutzigen Planeten“ (Di Palma 2014: 144), der zu ebnen und zu glätten sei, um ihn dem Göttlichen anzugleichen. Nun die Worte von Glenn T. Seaborg, Vorsitzender der Atomenergie-Kommission, der sich 1971 für das nukleare Geoengineering ausspricht:
Die Erde bietet dem Menschen eine einzigartige und großzügige Heimat, doch ist sie für menschliche Bestrebungen nicht perfekt geeignet. Geeignete Häfen in Peru und Australien fehlen, was die Entwicklung drosselt. Über wertvollen Rohstoffen schichten sich hunderte Meter Gestein, riesige Vorkommen von Öl und Gas sind kaum erschlossen, gefangen in feinporigem Gestein. Das Wetter ist nicht so, wie wir es gern hätten, trotz der Opfergaben der Jahrtausende an die Götter und trotz vieler Tonnen Trockeneis- und Silberjodidkristalle. Bisher sind alle menschlichen Bemühungen, den Garten Eden wiederherzustellen, fruchtlos geblieben. Die Maschinen der Menschheit sind noch nicht stark genug, um gegen die Kräfte der Natur zu bestehen. (1971: 174)
Durch Beten kommt die Welt nicht in Ordnung, scheint hinter dieser Aussage zu stehen. Doch „die Technik hat jetzt genug Muskelkraft, um Berge zu versetzen“ (Ebd.). Hier zeigt sich ein interessanter ästhetischer Reibepunkt. Victoria de Palma schreibt über Thomas Burnets Finsternis, dass eine zu einer „gleichförmig glatten Kugel“ umgestaltete Welt wahrscheinlich – und selbst für Burnet – „ein wenig langweilig“ wäre (2014:148). PLOWSHARE fügt sich ein in die Vision einer langweiligen Zukunft, die sich zur Beschreibung von Landschaft die Sprache von der Unwirtlichkeit, den Fehlern und der Unfreundlichkeit der Natur aneignet und dadurch an ein vertrautes Gefühl von industriellem Fortschritt appelliert. Geschickt sagt der Film eine dystopische, überbevölkerte Welt befallen von Armut, Hunger und Durst voraus, eine Zukunft, die es zu vermeiden gelte. Und wenn ich dies auch nicht als eine Ontologie des Kinos bezeichnen würde, nutzt das Plowshare-Programm den Film als ein nicht erhabenes, nicht auratischen Medium, wie es der genannten Theorie Walter Benjamins entspricht. Material auf Film ist reproduzierbar, versendbar, entzaubert. In PLOWSHARE zerteilen Special Effects (Bild-Ton-Schere, gedehnte Zeit durch Überlagerungen und ein Schnitt, der Kausalität und Geografie kreativ herstellt) die Welt in ein Wirrwarr von Räumen und Zeitlichkeiten, das durch Kernexplosionen richtig und so vollkommen normal erscheint, dass uns diese Normalität fast ein wenig wie ein Wunder vorkommt.
Zum Zweiten hält der amerikanische ‚Nuklearismus‘ an seiner eigenen Religiosität fest. Überträgt die Dichtung von der Pracht der Berge „die endlose Weite Gottes auf den interstellaren Raum und von dort auf terrestrisches Gebirge“, so übertrugen die Atomforschung und die Politik Gott auf den interstellaren Raum und von dort auf Waffen (Nicolson 1959: 273). Als US-Präsident Harry S. Truman die atomare Vernichtung Hiroshimas verkündete, verwandelte er die Wissenschaft der Zerstörung in eine Form der göttlichen Intervention: „Wir danken Gott, dass sie [die Bombe] zu uns gekommen ist, statt zu unseren Feinden, und wir beten, dass ER uns führen möge, sie in seinem Sinne und für seine Zwecke zu nutzen“ (Boyer 1994: 6). Der Historiker Paul Boyer stellt in weiten Kreisen eine große Akzeptanz fest, dass „die amerikanische Militärstrategie und der kosmische Plan Gottes übereinstimmten“ (1994: 211). Diese Komplizenschaft zwischen Theologie und staatlich geförderter, den Genozid fördernder Gewalt übersteigt, was man den Reiz des technisch oder industriell Erhabenen nennen würde, den Robert Oppenheimer mit seinem Zitat aus der Bhagavad Gita beim Trinity-Test ansprach. Die Atombombe ist mehr als nur ein großes Werkzeug, sie ist eine Vernichtungswaffe und für diesen Zweck vorgesehen. Die im Film PLOWSHARE dargestellte atomare Pracht nimmt für sich in Anspruch, nicht anderen Völkern, wohl aber dem Planeten den Krieg erklären zu können, und verkauft ein nukleares Ausgrabungs-Programm als biblisches Märchen. Dan O’Neill liefert erstaunliche Details zur nukleartechnischen Vision der Atomenergie-Kommission:
Kernexplosionen würden Meerengen aufstauen, um Meeresströmungen in die gewünschte Richtung zu lenken. Flüsse würden sie aufwärts fließen lassen. Atmosphärische Einschläge könnten Klima- und Wetteränderungen bewirken, entweder durch Wolken-Impfung oder Blockierung der Sonneneinstrahlung durch Staub. Sogar Erdbeben ließen sich in Störungszonen mit einer Serie kleiner präventiver unterirdischer Sprengschüsse zähmen (1994: 26).
Damit nicht genug. Letztlich könnten Nord- und Südpol von ihren Eishüllen befreit werden und neue, völkerverbindende Routen für den Seehandel freigeben. Die Sahara ließe sich durch sorgsam geplante Explosionen entlang der Straße von Gibraltar in landwirtschaftliche Flächen verwandeln. Der Meeresspiegel des Mittelmeers würde ansteigen und auch „auffrischen“, um diesen sonst nutzlosen Streifen Land zu bewässern. Gut, Venedig und andere Küstenstädte gingen dann vielleicht unter, aber man stelle sich doch einmal Nordafrika als neue Kornkammer der Welt vor (Ebd.). Es wirkt, als sei die Planung des globalen Handels eine Vorbereitung auf „die Wege des Herrn“: Eis wird verflüssigt, Wüstensand zu fruchtbarem Boden, jedes Tal wird angehoben, jeder Berg gekappt, alle Felslandschaften eingeebnet. In diesem Sinne waren die Ausmaße der von den Visionären des Plowshare-Programms erdachten planetaren Erneuerung tatsächlich biblisch und aufschlussreich. Der Film PLOWSHARE offenbart eine Vision einer postapokalyptischen Welt – nicht nach dem Zweiten Weltkrieg oder einem bevorstehenden nuklearen Dritten Weltkrieg, nicht einmal in den „Ruinen einer zerbrochenen Welt“ nach der Sintflut im Sinne von Thomas Burnets Telluris theoria sacra. Was am Ende des Films gezeigt wird, ist eine nach (und im Namen) der Atombombe vergiftete und eingeebnete Welt. Warum auf die Wiederkehr Christi warten, wenn es für die Kernenergie nur den Griff zum Telefonhörer braucht? Dies ist eine uns äußerst vertraute Vision der Postapokalypse.
Geyrhalters Film ERDE zeigt, wie die in PLOWSHARE vermittelte Vision der Welt mit ‚konventionellen‘ Mitteln umgesetzt wurde. Die verflachenden, monotonen und giftigen Auswirkungen des Erdumbaus gelten als Lösung für die sich ständig ausweitenden menschlichen Unternehmungen in Europa und Nordamerika. Ein Bulldozer-Fahrer sagt über seinen Krieg gegen die Natur: „Wir werden gewinnen.“ Doch was dort gegraben wird, ist keine menschliche Zukunft, sondern das Massengrab der Menschheit.10 Der Schrecken der weltbedrohenden nuklearen Ideologie als Kriegswaffe kehrte so in Form von landformenden Praktiken des Anthropozäns zurück.
Übersetzung des Textes und der Original-Zitate von Anna Hildegard Czinczoll.
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