Theatrale Inszenierung und filmische Mise en Scène in Filmen von Mara Mattuschka und Ulrike Ottinger
Dass Film und Theater, filmische Mise en Scène und theatrale Inszenierung in unterschiedliche Beziehungen treten und sich in einer Vielfalt von medialen Formen verbinden können, ist in der Intermedialitätsforschung verschiedentlich untersucht worden.1 Im Kontext der Forschungen zu Archivprozessen der Aufführungskünste haben mich zunächst die Varianten filmischer Transformation von (performativen oder theatralen) Aufführungen interessiert, die sich ausgehend von der dokumentierenden Aufzeichnung beobachten lassen. Die vorfilmische Realität, auf die in diesen Fällen referiert wird, ist eine spezifische Form der Mise en Scène vor der Kamera: eine theatrale oder performative Aufführung, die für einen anderen Präsentationsmodus als den filmischen erarbeitet wurde und die den Kontext ihrer Herkunft und deren eigen-artige künstlerische Konventionen und Zeichensysteme mitbringt (Büscher 2017). Die auf dieser besonderen Konstellation basierende Schichtung verschiedener Ebenen von Sichtbarkeit und deren Verschiebung zueinander, auf der die Zirkulation von Bildern (von Aufführungen) beruht, habe ich an anderer Stelle bereits versuchsweise als mediale Verkleidung, Maskierung, Maskerade bezeichnet (Büscher 2017).
In Umkehrung der Perspektive – nicht mehr von der Aufführung aus betrachtet, sondern vom Film – ergab sich für mich die Frage: Was könnte Filmemacher_innen an einer deutlich als theatral markierten Inszenierungsweise interessieren?
Es wird dabei um Filme und Videos gehen, in denen ungewohnte2 vorfilmische Inszenierungen die Referenz bilden. Sie sind durch eine Artifizialität des Spiels, der Sprache und Sprechweise, der Bewegungsweisen und -formen des Körpers und durch auffallend gestaltete Kostüme und Masken gekennzeichnet. Dabei interessieren das Konzept und die Praxis des Filmemachens, die hybride Elemente, Elemente aus differenten künstlerischen Feldern, verbinden und damit Realitätseindruck und Wirklichkeitseffekt (Kirsten 2009) des Films irritieren. Den Begriff der Maskierung und Maskerade möchte ich analytisch weiterführen und die Brauchbarkeit dieser begrifflichen Setzung diskutieren.
Schon der filmtechnische Begriff der ‚Maske‘ (Travelling Matte)3 verweist auf das ‚compositing‘, auf das Zusammensetzen verschiedener Teile zu einem Gesamtbild, das durch Abdecken und Überlagern entsteht. An Arbeiten von Filmmemacher_innen, in deren Werkbiografie sich eine starke Verbindung zu bildenden oder performativen Künsten findet (aber nicht nur bei ihnen), lässt sich das, was ich als Maskierung/Maskerade verstehen möchte, über den filmtechnischen Begriff hinaus erweitern. Es handelt sich um Schichtungen verschieden kontextualisierter künstlerischer Techniken und Gestaltungsparameter, die verhüllen und enthüllen, unterbrechen und ‚denaturalisieren‘, was in den Rezeptionsweisen verschiedener Künste als ‚transparent‘ in die Wahrnehmung der Zuschauer_innen eingegangen ist bzw. nicht mehr beachtet wird. Die quasi naturalisierten oder konventionalisierten Herstellungs- und Sehweisen werden durch Kontextverschiebungen von einem medialen Gefüge (Theater/Performance) zum anderen medialen Gefüge (Film) befragt und irritiert, ihre Selbstverständlichkeiten zur Kenntlichkeit verfremdet.
Schaut man unter dieser Fragestellung auf die Arbeiten der zur Wiener Avantgardefilm-Szene gehörenden Künstlerin Mara Mattuschka, so lassen sich einige der genannten Aspekte präzisieren. Nachdem sie in den 1980er und 1990er Jahren selbst (u.a. als ‚Mimi Minus‘ – ihrem Alter Ego) vor der Kamera performt und in ihren Filmen Techniken der filmischen Animation verwendet hat4, arbeitet Mattuschka seit 2004 mit dem Wiener Choreografen Chris Haring und der Gruppe Liquid Loft zusammen. In dieser Kooperation entstehen ihre jüngeren Filme.
Die Rezeption ihrer Arbeiten, soweit sie sich in Texten niedergeschlagen hat, lässt sich entsprechend diesen beiden Phasen verfolgen: die Autorinnen, die in den 1980er und 1990er Jahren über die Filmarbeit Mattuschkas schreiben (Hein 1988; Preschl 1989; Klippel 1994; Blümlinger 1995) stellen dabei einige Merkmale heraus, die eine Basis für meine Idee der Maskierung und Maskerade bilden.
Für eine frühe filmische Arbeit (SCHULE DER AUSSCHWEIFUNGEN, 1986) beschreibt Mattuschka im Gespräch mit Brigit Hein ihre Praxis der Kombination verschiedener künstlerischer Techniken und die darauf basierenden Schichtungen:
Dann haben wir den Film Bild für Bild, also mit einem Einzelbildprojektor, projiziert und wieder mit 16 mm aufgenommen. Beim Abfilmen wurde der Bildausschnitt teilweise verändert, und der Film wurde teilweise koloriert. Der Film wurde mit einem Spiegel auf eine Glasplatte projiziert. Darauf wurde ein Stück Reispapier gelegt, und auf dieses Papier konnte man noch eine Folie legen für die Zeichnungen. So sind auch die ausgeschnittenen Ameisen auf die Folie gelegt und dann mit dem Filmbild jeweils zusammen aufgenommen worden. (Hein/Mattuschka 1988: 10)
Neben der Schichtung von Bildmaterial unterschiedlicher Herkunft gehört auch die spezifische Behandlung der Bewegung vor und mit der Kamera zu ihrem künstlerischen Repertoire, indem durch Einzelbildmontage Bewegungsabläufe zerhackt, segmentiert, rhythmisiert und in ihrem Fluss gestört werden (Klippel 1994: 128). Maskieren, Schminken des Gesichts, Grimassieren sind Teil ihrer Performances vor der Kamera wie auch filmische Verzerrungen aller Art, durch starke Auf- oder Untersicht, schräge Kadrierungen usw.
Ihre vielen Gesichter entziehen sich fortwährend klassischen Repräsentationsformen, verschwinden, verändern und verhüllen sich. Das Visagieren, Maskieren oder grotesk überzeichnete Schminken führt Mimi Minus in zahlreichen Filmen und Variationen vor, wobei die Transformationen ihres Gesichtes Unterschiedliches bezeichnen [...]. (Blümlinger 1995: 272)
Noch bevor Mara Mattuschka in Kooperation mit Choreograf und Tänzerinnen zu anderen Formen der Mise en Scène vor der Kamera kam, ist das Spiel mit multiplen Identitäten, mit dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Ich und dem Anderen, die Verwirrung von Genderkonstruktionen (Preschl 1989: 97) ein Effekt und Gegenstand von Mattuschkas Filmen.
Maskieren vor der Kamera im wörtlichen und praktischen Sinne spielt eine ebenso wichtige Rolle wie das Zerlegen, Zerhacken und Rhythmisieren von Bewegung vor und mit der Kamera – beides wesentliche Elemente, die den ‚Realitätseindruck‘ des Films unterbrechen, eine auf ‚continuity‘ angelegte filmische Narration durchstreichen. Das ironische Spiel mit Konventionen der Gestaltung, das Handgemachte und Rohe dieser Animationsfilme (Blümlinger 2013: 89) ist Teil eines experimentellen Umgangs mit dem Filmischen und weist die Idee, dass Film auf dem indexikalischen Charakter des Fotografischen beruhe, in ihre Schranken.
Von dieser konzeptionellen Basis der ersten Phase ihrer filmkünstlerischen Arbeit kommt Mattuschka zur Kooperation mit dem Choreografen und den Performer_innen von Liquid Loft, deren Bewegungsrepertoire und -pattern sie ebenso interessieren wie die Behandlung von Sound in der Aufführung (Burger-Utzer 2017). Mattuschka sah in den Bühnen-Performances von Liquid Loft offenbar eine der Animation im Film verwandte Inszenierungsstrategie. Das Zerhacken, Fragmentieren und die Mechaniken des Posierens stören den Bewegungsfluss der auf der Bühne agierenden Körper, ähnlich wie Mattuschkas Techniken der filmischen Bildanimation die ‚continuity‘ des narrativen Bewegungsflusses irritieren und die visuelle Kontinuität aufbrechen (Blümlinger 2013: 88).
Weil sie in ihren jüngsten Arbeiten die Aufnahmetechnik gewechselt und sich gleichzeitig hinter die Kamera zurückgezogen hat, verändert sie auch ihre visuellen Strategien. [...] Die reflexiven Momente der Unterbrechung und des Innehaltens, der Wiederholung und Spiegelung werden auf der vorfilmischen Seite der Performance eingeleitet und durch die Mise en Scène (räumliche Anordnung, Perspektive, Kadrage, Licht), durch die Montage oder aber im Nachhinein digital akzentuiert. Die Vibration des Bildes ist nun nicht mehr dem Einzelkader geschuldet, sondern verlagert sich durch den apparativen Wechsel virtuell in einzelne Bildzonen und Wiederholungsschleifen. (Blümlinger 2013: 91)
Nach vier Kurzfilmen5, die in Kooperation mit Chris Haring und Liquid Loft entstanden sind und zwischen 15 und 30 Minuten dauern, haben Mattuschka und Haring 2013 mit PERFECT GARDEN einen ersten langen Spielfilm von 80 Minuten Dauer realisiert. Trotz narrativer Versatzstücke ist der Film vor allem eine Zusammenführung von drei unterschiedlichen Inszenierungsmodi, die sich immer wieder irritieren, unterbrechen und gelegentlich synchronisiert werden. Da sind das Spiel mit Körper und Raum vor der Kamera, die filmische Inszenierung selbst und die Soundebene, die deutlich ein ‚Eigenleben‘ führt.
Maskerade zeigt sich in den Filmen Mattuschkas als Schichtung und wechselseitige Distanzierung naturalisierender Darstellungs- und Rezeptionsweisen. Der Begriff wird zunächst da produktiv, wo die Darsteller_innen und Performer_innen in Filmen selbst mit Verkleidungen, Masken und auffallenden (exzentrischen) Kostümen arbeiten und wo gleichzeitig die Verhüllung, die Maskerade als Schichtung verschiedener Ebenen von Sichtbarkeit im Medium Film erscheint. In einem Verständnis, das die eine Ebene nicht für authentischer hält als die andere, ähnelt diese Relation der von Maske und Gesicht.
Dieses Verständnis von Maskerade hat eine Geschichte als Denkfigur sowohl im Genderdiskurs wie in den Postcolonial Studies.6 Maskerade wurde zu einem zentralen Stichwort der 1990er Jahre, um die kulturelle Konstruiertheit von Gender zu beschreiben.7 Dagmar von Hoff resümiert Bedeutung und Aneignung dieses Begriffs im Diskurs um Identität und Gender:
Hier ist es Judith Butler, die mit ihrem postfeministischen Maskeradekonzept den Aspekt des Parodistischen und Spielerischen formuliert hat. Dabei ist es vor allem die beständige Verschiebung von Zeichen in der subversiven Aneignung von Geschlechternormen (wie zum Beispiel in der Travestie), die einen Prozess der Deregulierung hervorbringt. [...]
Dabei dürfte die Faszinationskraft des Strukturmodells Maskerade nicht zuletzt darin liegen, dass sich in diesem Feld von Körper, Schleier, Fetischismus, ‚Verkleidung‘, Travestie etc. die zentralen Oppositionen westlicher Kulturdiskurse – Sein und Schein, Wahrheit und Täuschung, Identität und ihr ‚Mangel‘ – überkreuzen. Die Rekonstruktion des Verhältnisses von Maskerade und Geschlechterdifferenz in unterschiedlichen historischen Zeiträumen sowie ihre Funktion in literarischen Texten ermöglichen die Dechiffrierung kultureller Einschreibungsprozesse, die sich in der Maskerade als ordnungsstiftend und irritierend zugleich offenbaren. (von Hoff 2010: 15–18)
Die Verschiebung von Zeichen, die Irritation dessen, was als naturalisierte Eigenschaften behauptet und durchgesetzt worden ist, die Überkreuzung und konstruktive Verkehrung von Evidenz und exaltierter Inszenierung – in solchen Aspekten erscheint mir eine begriffliche Parallelisierung produktiv. Die mehrstellige „mise en scène“ (Diekmann 2013: 16) als ‚interplay‘ zwischen filmischen und theatralen Inszenierungsmodi macht die Konstruiertheit und Konstruktionsweise des Filmischen deutlich und befragt dessen Sichtbarkeiten. Gelegentlich verbindet sich diese Befragung – wie bei den Arbeiten von Mara Mattuschka oder von Ulrike Ottinger – mit der von Geschlechterkonstruktionen.
Lässt man die fiktionalen Filme von Ulrike Ottinger Revue passieren, von ihrem ersten Spielfilm LAOKOON & SÖHNE (BRD 1972/73) bis z.B. zu JOHANNA D'ARC OF MONGOLIA (BRD 1988), so spielen exaltierte Kostüme und Masken, Körper ins Groteske verzerrende Requisiten-Gebilde, Inszenierungen bunter Artifizialität, vielfache Referenzen an (nicht nur theatrale) Aufführungsformate eine auffallende Rolle, so dass es naheliegt, Ottingers Arbeiten im Kontext des Verhältnisses von Theatralität und filmischen Modi der Mise en Scène zu diskutieren. Verwandlung ist hier aber nicht nur Inszenierungsform, sondern auch Thema: ein Wandeln zwischen den Genres, zwischen den Geschlechtern, das Wandeln der Figuren und Schauspielerinnen zwischen den unterschiedlichsten Personae.
Tabea Blumenschein – Partnerin in den ersten Filmen als Darstellerin und Verantwortliche für Kostüm und Maske – ist z.B. im 1975 fertig gestellten Film DIE BETÖRUNG DER BLAUEN MATROSEN als Sirene, Hawaiimädchen und junger Vogel inszeniert, als ständig Verwandelte, und sie glänzt in farbenprächtigen Gewändern, aufwendigem Federschmuck und exzessiven Schminkmasken. An den Fotoserien zu Blumenschein, die immer auch zum ‚Bildarchiv‘8 Ottingers gehören, wird in besonderer Weise Maskerade als Zirkulation von (Selbst-)Bildern sichtbar.
Ihr Gesicht wird zu einer Fläche, in der sich die Maskeraden des Selbst mit den Projektionen des Betrachters vereinen. Unzählige Weiblichkeitsbilder und einige versprengte von Männlichkeit scheinen in ihrem Antlitz, ihrem Körperbild und Kostüm auf, ohne ein Original erscheinen zu lassen. (Sykora 2001: o.S.)
Immer wieder sind es die Persönlichkeiten der Darstellerinnen, ihre Selbstinszenierung im öffentlichen Raum und die Referenz darauf, die Ottinger durch deren Besetzung in ihren Filmen aufruft, die – neben den für die Filme neu erfundenen Maskeraden – eine Schichtung von Personae sowie deren Fluidität produziert. So etwa, wenn sie mehrfach mit Veruschka von Lehndorff arbeitet, die als Fotomodell in den 1960er Jahren Karriere machte, im Film BLOWUP von Antonioni 1966 als solches besetzt wurde und zu einer Persönlichkeit der popkulturellen Szene geworden war. In Ottingers Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück Clara S. für die Theaterbühne (1983 Stuttgart) spielte sie den Dichter Gabriele D’Annunzio und in Ottingers Film DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE (BRD 1984) die Titelfigur.
Transgendering – in den Verwandlungen nicht nur der Darstellerin Veruschka von Lehndorff inszeniert – ist wesentlicher Aspekt von Ottingers Maskeraden und zeigt in seiner theatral markierten Oberfläche, dass die Schichtungen von Gender, von Schönheit und groteskem Körper9 Übergänge markieren, ständig mögliche Wechsel annoncieren – eben Mise en Scène sichtbar machen. Daraus wird, wie es Miriam Hansen für Tabea Blumenscheins Auftreten und ihre Maskeraden im Film BILDNIS EINER TRINKERIN (BRD 1979) feststellt, eben auch ein Vorzeigen, überdeutliches Zeigen der Mechanismen der Repräsentation:
Tabea Blumenschein's exquisitely bizarre fashion show in Bildnis einer Trinkerin engages both fetishism and cinematic voyeurism in a double move. By foregrounding the fetishistic character of her costumes, she parades them precisely for what they are: representations, signs, masks of femininity. (Hansen 2001/1984: 128)
In anderer Weise gelesen, lassen sich die exaltierten und exzessiven Maskeraden auch mit Fragen des Verhältnisses von Künstlichkeit und Natürlichkeit verbinden – ein Thema, das Ottinger für die BETÖRUNG DER BLAUEN MATROSEN explizit gesetzt hat.10 Es lässt sich einerseits mit der neuerlich von Juliane Rebentisch wieder aufgenommenen Diskussion um das, was Camp ist, sein kann und wie das Verhältnis zwischen Selbstinszenierung und Kreatürlichkeit zu verstehen wäre, in Zusammenhang bringen (Rebentisch 2013). Andrerseits lassen sich aus diesem Aspekt wiederum Fragen an Ottingers Darstellung von Landschaft, Natur und dem Anderen von anderen Kulturen in ihren Filmen gewinnen.
Wenn wir zum Beispiel die Zweiteilung des Films JOHANNA D'ARC OF MONGOLIA nehmen, so ereignet sich der erste, kürzere Teil des Films in verschiedenen Eisenbahnwaggons, in geschlossenen Räumen, deren theatrale Inszenierung deutlich hervortritt und ihren parodierenden Höhepunkt in einer erkennbar aus Pappmaché konstruierten Bahnhofskulisse findet. Zu Beginn markiert die Kamera mit einer fast geschlossenen 360-Grad-Bewegung die ‚closed community‘ dieser Reisegesellschaft mit dem da noch nur imaginierten Ziel des unbekannten fernen Ostens. Der zweite Teil – nach der Entführung der reisenden Touristinnen durch die Mongolen-Prinzessin und ihre Kämpferinnen – spielt in opulenter Weise nicht nur mit von Originalen inspirierten Kleidungen und (Fest-)Ritualen, sondern auch mit Landschaftsbildern. Dabei bedient sich Ottinger einer exquisiten Farbigkeit, auf Symmetrien und klassische Proportionalverhältnisse der Landschaftsmalerei referierenden Bild-Kompositionen, die die Landschaft öfter in Tableaux von großer Schönheit entrücken. Zum kunstvollen Bild geworden, verweisen die Landschaftsaufnahmen ebenso wie theatral markierte Szenarien oder offensiv maskierte Figuren auf den Aufnahmevorgang als Konstruktion.
Das gilt auch für die Schauplätze von Ulrike Ottingers so genannter Berlin-Trilogie, zu der neben den schon erwähnten Filmen BILDNIS EINER TRINKERIN und DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE noch FREAK ORLANDO (BRD 1981) gehört. Berliner Flughafen, Stadtszenen und Industriebrachen sind als Orte der Mise en Scène Hinweise auf vorfilmische Realitäten, deren Verweischarakter aber schnell irritiert wird durch das, was und wie es an ihnen stattfindet. Auch das hat Miriam Hansen überzeugend beschrieben:
Ordinary spaces are rendered strange by means of static extreme angle shots in which the character moves from close-up to long-shot distance or the reverse: throughout the film, this technique of spatial defamiliarization – combined with highly selective or entirely suppressed diegetic sound – will serve to transform authentic locations into theatrical platforms for the contradictory gestures of female desire. (Hansen 2001/1984: 125)
Aus einer Vielzahl weiterer Aspekte, die sich auf der Grundlage der Filme Ulrike Ottingers gewinnen ließen, möchte ich nur noch zwei weitere nennen. Der erste Aspekt ist: Das sehr umfangreiche Netz von Referenzen auf Filme und Filmgeschichte, Kunst, Theater und Musik, das die Arbeiten von Ottinger kennzeichnet, ebenso wie ihr Spiel mit Genre-Standards, kann man in dem hier versuchten Verständnis als Maskerade verstehen, als Schichtung von Bedeutungen und Rekombination von Bild-Motiven, die so ihre Konstruiertheit und die Möglichkeit von Verschiebungen zeigen. Schon in den Filmtiteln finden sich solche Verweisnetze (FREAK ORLANDO, DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE, JOHANNA D'ARC OF MONGOLIA).
Der zweite Aspekt ist, dass die Reise als narrative Bewegung und als Wahrnehmungsmuster (vgl. Nusser 2002) ein wiederholt auftauchendes Strukturprinzip von Ottingers Filmen ist. Eine filmische Form der Reise allerdings, die mit vielen Einzelbild-Kompositionen und harten Schnitten den unsichtbaren Fluss filmischer continuity irritiert und kein Eintauchen auf Dauer ermöglicht.
Auf allen genannten Ebenen der Maskerade des Filmischen durch die Elemente des Theatralen und des deutlich markierten Inszenierten ist der Effekt ein Durchstreichen des Realitätseindrucks von Film – und damit auch ein Affront gegen all die filmischen Versuche der Zeit, die mit der authentischen Wi(e)dergabe der sozialen Realität von Frauen argumentierten.
Ulrike Ottinger ist eine Künstlerin, die die Maskeraden des Filmischen und im Filmischen aus der Re-Inszenierung visueller Szenerien verschiedener Künste entwickelt. Auch wenn sie selbst gelegentlich für Theater inszeniert hat, ist die Theatralität ihrer Mise en Scène vor der Kamera nicht – wie es Mara Mattuschka tut – aus Bühnenarbeiten entwickelt. Ottinger arbeitet in der Konzeption und Vorbereitung, wie auch begleitend zu den Dreharbeiten, mit Zeichnungen und (gefundenen) Fotografien, was verschiedentlich auch in Ausstellungen ihrer Arbeiten gezeigt wurde.11 Auch hier zirkulieren Bildmaterialien, Szenen und Objekte durch verschiedene mediale Formate.
Joan Jonas, die Video/Medien- und Performancekünstlerin, deren Arbeiten wesentlich durch Intermedialität und das Schichten künstlerischer Techniken aus verschiedenen Feldern geprägt sind, sei zum Schluss zitiert:
I used the mask as a way of exploring female identity. This instantly took away facial expression and my identity. Masking both concealed and revealed possibilities of representation that may not otherwise have been possible for me. Hidden, I was in a private world that seemed open and magical. The particular mask of Organic Honey created a persona that seemed to be distinctly someone else. A mask here altered body language: I could add an erotic tone. I imagined playing roles like an electronic sorceress or a dog. I howled. I sang. I danced. I explored the place of women in history as outsiders – healers, witches, storytellers. The video monitor’s screen or the projected image was another mask for the construction and deconstruction of persona. Here there was also distance – even in the close-up. (Jonas 2003: 127)
Jonas’ nachträglicher Kommentar zu einer ihrer recht frühen intermedialen Arbeiten, nämlich der Organic Honey-Reihe12 führt weitere Aspekte von Maskierung/Maskerade in dieses Spiel mit den Konfigurationen und Materialien verschiedener Medien ein. Das Verhältnis von Maske/Persona und Video/Bild als Maske in einer live gezeigten Performance, die mit deren Verschränkung arbeitet, wäre eine weitere Konstellation zwischen theatralen und filmischen Inszenierungsmodi. Es zeigt sich, so meine Idee, dass das Strukturmodell – wie es von Hoff bezeichnet hat – der Maskerade für Fragen von Intermedialität weitere, noch produktiv zu machende Aspekte umfassen kann.
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