INTIMATE CONFESSIONS OF A CHINESE COURTESAN
AI NU/INTIMATE CONFESSIONS OF A CHINESE COURTESAN (HK 1972) ist ein fengyue pian, ein Wind-Mond-und-Blumen-Film. Hinter der euphemistischen Übersetzung verstecken sich Low-Budget-Softcore-Erotika, die etwas gerade nicht durch die Blume sagen wollen, sondern zum ersten Mal im populären Hongkong-Kino Sex und Nacktheit explizit zeigen (vgl. Tan 2003: 83).1 Die 1970er Jahre waren eine erste Blütezeit des Fengyue-Genres aufgrund des Desinteresses der britischen Zensur, die eher über politische – pro- oder antikommunistische – als über pikante Filme wachte (vgl. Kei 1984: 86). Auch war noch keine Altersbeschränkung eingeführt worden,2 sodass die Filmzensur damals über keine rechtliche Grundlage verfügte.
Zu den Pionieren des Genres gehörte der Regisseur Li Han-hsiang. Er drehte in den Siebzigern für das Produktionsstudio der Shaw Brothers nicht nur elegante Huangmei-Operninszenierungen, sondern auch viele weniger salonfähige Wind-Mond-und-Blumen-Filme (vgl. Theo 1984, Yau 2010). Chor Yuen, der Regisseur von INTIMATE CONFESSIONS OF A CHINESE COURTESAN, war wie Li Han-hsiang ein Regiestar der Shaw Brothers. Innerhalb seines genreübergreifenden und inzwischen leider etwas in Vergessenheit geratenen Oeuvres stellt INTIMATE CONFESSIONS einen skandalösen Höhepunkt dar. Die Mischung aus Sexploitation und Wuxia 3, eher ungewöhnlich für Fengyue-Filme, sowie ein fataler French Kiss zweier Frauen, untermalt von Pink Floyds psychedelisch-abstraktem Sound, machten INTIMATE CONFESSIONS 1972 sofort zum Kassenhit. Im Zentrum der Geschichte steht eine sadomasochistische Beziehung zwischen einer Bordellbesitzerin mit Martial-Arts-Skills und der Titelheldin Ai Nu, einem attraktiven, aber rebellischen Neuankömmling. Räumlich spielt INTIMATE CONFESSIONS also in einem Bordell, das als Architektur der Unterdrückung, als Festung ohne Außen inszeniert wird, zeitlich ist der Film in der halbmythischen und diffusen Vergangenheit eines prämodernen Chinas der Kaiserzeit angesiedelt. Als prächtiger Kostümfilm in einen „oriental flavor“ (vgl. Fu 2008: 9) eingetaucht, fügt INTIMATE CONFESSIONS sich gut in das Produktionsprofil der Shaw Brothers ein: Ab den 1960er Jahren strebte das Studio an, ein mandarinsprachiges panchinesisches Kino zu gründen, das der chinesischen Diaspora als Projektionsfläche für ihr nationalistisches Zugehörigkeitsgefühl dienen sollte. (vgl. Fu 2008: 12–15)4
Die spezifischen Raum- und Zeitkoordinaten des Films sind aber nicht nur innerhalb einer produktionsstrategischen Logik zu betrachten. Vielmehr verschränkt sich der Ort des Films – ein Bordell im spätkaiserlichen China, als isolierte und zwanghafte Architektur, wo eine Frau, gewalttätig der Außenwelt entrissen, ihre ersten gleichgeschlechtlichen Erfahrungen macht – diskursanalytisch mit einer in der chinesischen Historiografie rekurrierenden These: Die weibliche Homoerotik 5 sei eine ‚natürliche‘ Konsequenz der patriarchalischen Trennung der Lebensbereiche der traditionellen chinesischen Gesellschaft in einen weiblichen (inneren) Raum und einen männlichen (öffentlichen) Raum. Das forcierte Zusammenleben der Frauen in einem männerzentrierten Haushalt würde deren gleichgeschlechtliche sexuelle Anziehung natürlicherweise steigern (vgl. Sang 2003: 46)6 – so die rückblickende Beschreibung der Sexualpraktiken im alten China, die den Sapphismus innerhalb einer polygamen Ehe nicht allein aufs Private reduziert, sondern als stabilisierendes gesellschaftliches Phänomen interpretiert. Der Sinologe Robert van Gulik beschrieb 1961 in seiner bahnbrechenden Studie Sexual Life in Ancient China, wie weiblicher gleichgeschlechtlicher Sex den Ehemann nicht nur von seinen sexuellen Verpflichtungen entlasten würde, sondern die Ehe auch vor dem Fremdgehen der Frau schützen sollte. (vgl. van Gulik 1961: 48, 109, 163, 274, 302).7 Frappant ist, wie die Frage nach weiblicher Agency in Guliks Analyse phallozentrisch außer Acht gelassen wird: Das gleichgeschlechtliche Begehren der Frau bleibt dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr untergeordnet, wird zu diesem als notwendige temporäre Ersatzhandlung gedacht.
Das Verbannen weiblicher Homoerotik in einen femininen Innenraum ist ein zentrales Moment der chinesischen Geschichtsschreibung und findet sich in INTIMATE CONFESSIONS als filmische Rückprojektion eines alten Chinas widergespiegelt. Das private Boudoir, in dem Ai Nu und ihre Herrin Chun Yi zum ersten Mal Sex haben, ist ein laszives und geheimnisvolles Frauenreich.8
Durch Bettvorhänge, die von Dienstmädchen – den namenlosen Hütern der Liebe – geöffnet und geschlossen werden, dringt hier eine spähende Kamera ein. Sie schwenkt in der Horizontalen nach rechts, zoomt auf die sich küssenden Gesichter, bis eine Unschärfe die Frauenfiguren überhöhend entkörperlicht und die Lust das Sehen vernebelt. Das Kameraauge ist dabei keiner der Figuren zuschreibbar, fällt mit keinem einordnenden innerdiegetischen Blick zusammen. Wenn man so will, wird der Liebesakt der Frauen sowohl dem Blick der Kamera voyeuristisch exponiert als auch dem fremden, feindseligen heterosexuellen Außen der Zwangsprostitution und Folter entzogen. In INTIMATE CONFESSIONS steht die Inszenierung von weiblichem gleichgeschlechtlichem Sex hinter verschlossenen Türen nicht nur im Dienst skopischer männlicher Zuschauerlust, sondern verschränkt sich zugleich mit einer für den Film grundlegenden Dialektik von Geheimnis und Offenbarung, von Wissen und Nichtwissen im Umgang mit weiblicher Sexualität. Das abtrennte Boudoir rückt in seiner Funktion als Refugium – als ,closet‘ – in den Vordergrund. Das Politische des Films betonend, könnte man fragen, ob Ai Nu und Chun Yi denn eine anderen Wahl gehabt hätten, als sich versteckt im Boudoir zu lieben – ein Gedanke, der sich wiederum um die filmische Diskursivierung historischen Wissens bemüht und dabei die repressive Natur der vormodernen chinesischen Gesellschaft bezüglich weiblicher Homoerotik reflektiert (vgl. Sang 2003: 46–48).9
Auch wenn man filmimmanent argumentiert und nah am filmischen Erzählen bleibt, lässt sich die sexuelle Identität der beiden Frauen als verschwiegene Leerstelle10 beschreiben, die in der Sprache noch keine feste Kategorisierung gefunden hat. So geht der Film an dieser Stelle nolens volens historisch akkurat vor, da die Kategorie der ,Lesbe‘ im alten China noch nicht existierte. Sie ist eine Hervorbringung der Moderne und ein Importprodukt der neueren westlichen Sexualgeschichte (vgl. Sang 2013: 99–160).
Einmal jedoch wird Chun Yis sexuelle Orientierung im Film offen adressiert – von ihr selbst, als spontanes Geständnis gegenüber ihrem in sie verliebten treuen Helfer Bao Hu, der versucht hatte, sie zur Heteronormativität zu konvertieren: „Too bad I am not interested in men. Love is strange indeed! You love me but I love Ai Nu.“ Ai Nu aber liebt niemanden. Sie hasst nur: die Männer, ihre Peiniger. Aus Hass gegenüber einer als gewalttätig konnotierten männlichen Heterosexualität erfolgt eine Umleitung und Verschiebung von Ai Nus Begehren: vom Mann auf die Frau. Aus der Perspektive Ai Nus steht das gleichgeschlechtliche Begehren also in Opposition zur männlichen Heterosexualität und ist in ein Regime der systematischen Unterdrückung der Frau eingebettet – ob von einer Verschränkung von weiblicher Homosexualität und Feminismus die Rede sein kann, soll im Folgenden problematisiert werden. An dieser Stelle sei zunächst noch angemerkt, dass die Darstellung von Ai Nus sexueller Orientierung grundsätzlich offener und ambivalenter als bei Chun Yi ist. Denn Ai Nu schläft mal mit ihrer Herrin und mal mit Männern, wobei sie zu Letzterem wegen ihres Jobs verpflichtet ist. Sie scheint den lesbischen Sex zwar zu genießen, sich Chun Yi hinzugeben, bringt ihr aber auch Vorteile – sie wird deren Vertrauen gewinnen, Martial Arts lernen und zur privilegiertesten Konkubine aufsteigen.
Aus der Darstellung von Ai Nu lässt sich eine antiessentialistische Auffassung weiblicher Homosexualität herauslesen, die zum einen in der Abgrenzung zur Heterosexualität existiert und zum anderen situativ und ephemer bleibt. Eine so interpretierte flüchtige Homosexualität korreliert in INTIMATE CONFESSIONS mit einem spezifischen kinematografischen Verfahren der zeitlichen Manipulation, das an die für den gesamten Film zentrale Zeitform der Vergangenheit anknüpft und diesen inneren Vorgang mittels einer bestimmten filmtechnischen Figur wiedergibt: der Rückblende.
INTIMATE CONFESSIONS beginnt als Mystery-Thriller mit einem Mordfall. Der alte Meister Liao wird in einer Winternacht tot aufgefunden, seine Leiche ist sanft von Schnee bedeckt, und Ji, ein junger Polizist, soll nun ermitteln. In Schwarz-Weiß gefilmt, erscheint die Eröffnungssequenz auf den ersten Blick als Rückblende, die jedoch sehr enigmatisch daherkommt, frei von Erzählerstimme oder erinnerndem Subjekt. Wenn diese Szene später wiederholt wird, diesmal in Farbe, dann realisiert man nachträglich, dass dies genau genommen gar keine Rückblende war, sondern eine Vorausblende. Der Filmanfang wird sich als schicksalbestimmend erweisen, da er eine Nacht der Gewalt und des Mordes ankündigt. Genauer lässt sich hier von einer Vorzeitigkeit in der Zeitform des Futur II sprechen, insofern eine in der Zukunft abgeschlossene Handlung vorhergesagt wird: Jemand wird bald getötet haben.
Schicksalhaftigkeit und Fatalismus, dem Filmauftakt bereits eingeschrieben, bleiben auch die zentralen Zeitmodi der bevorstehenden Geständnisse der Konkubine.11 Durch mehrere Rückblenden, die uns in Ai Nus subjektives Gedächtnis hineinversetzen, fließt die Zeit linear und kausallogisch: Vergangene traumatische Ereignisse, durch Flashbacks vermittelt und in eine lineare Erzählweise eingebettet, werden zum Ursprung der Rebellion dieser Frau erklärt, die von einer trauernden Melancholikerin12 zu einer Kämpferin und Verkörperung feministischer Rache wachsen wird. Welche spezifische Thematisierung und Präsentation des Weiblichen das Narrativ der Resilienz13 – des Überlebens und des Abreagierens – in INTIMATE CONFESSIONS impliziert, möchte ich hier vertiefen.
Zurück also zur uneigentlichen Rückblende und zur Mordszene. „Hat der alte Meister die Nacht allein verbracht?“, fragt der Polizist. ,„Nein, Ai Nu war da“, antwortet der Butler. Ai Nu, dieser zweisilbige Name, der buchstäblich „Sklavin der Liebe“ bedeutet und der später oft geflüstert, geschrien, sogar gebetet wird, fällt hier zum ersten Mal. Ai Nu, die Verdächtige Nummer eins, wird in einem Wirbel aus Haar, Satin und Blumen als ekstatische Zeitlupenvision in Shaw-Scope (wach)gerufen.
In ihrem bonbonrosa Boudoir von devoten Dienstmädchen umsorgt, sitzt die edle Konkubine am Frisiertisch. Dann ein Zoom auf ihre verschleierten Augen im Spiegel, die sich in Unschärfe auflösen.
Dieser Blick in den Spiegel kündigt an, dass ab hier die Bekenntnisse der Konkubine beginnen – in einer ausgedehnten Rückblende, in der wir von Ai Nus Traumatisierung erfahren, als die rebellische junge Frau verschleppt und zur Prostitution gezwungen wurde.
Innerhalb dieser langen Rückblende aktualisieren sich immer neue Erinnerungsbilder, Rückblenden zweiten Grades sozusagen, die Ai Nus Gedächtnisarbeit vertiefen: Bilder der Gewalt, als schmerzvolle Freeze Frames abgespeichert, tauchen wieder auf, sowie Bilder der Liebe, die romantische Erinnerung an die erste sexuelle Begegnung mit Chun Yi. Wir kommen zum bereits beschriebenen Liebesakt: Hinter Organza-Vorhängen küssen sich Herrin und Sklavin ganz zart und bleiben dabei voll bekleidet – denn der weibliche Körper, der nackt gezeigt wird, gehört in INTIMATE CONFESSIONS nur jenen Darstellerinnen, die später beim Gruppensex wie austauschbare Requisiten erscheinen.
Neben dem Traumaursprung legen Flashbacks in INTIMATE CONFESSIONS auch vergangene libidinöse Ereignisse frei – der erste homoerotische Sex wird als subjektivierte Erinnerung dargestellt und an Ai Nus Augen vom Filmanfang lose diegetisch gekoppelt. Die Sexszene an Ai Nus Point of View zu verankern bedeutet, die lustvolle Analepse unter den sich erinnernden weiblichen Blick zu subsumieren, statt sie einem voyeuristischen und subjektlosen Kameraauge zuzuordnen.
Die Darstellung der Sexszene als Flashback, filmisch mit einem aktiv werdenden weiblichen Blick zusammenfallend, schließt kulturhistorisch an einen Topos der populären chinesischen Literatur an: In Schulmädchenromanen bilden rückblickend evozierte homoerotische Erfahrungen eine Konstante.14 Wie in einem teleologisch ausgerichteten Bildungsroman wird dort ein Anpassungsprozess durchlaufen, in dem sich eine tragische Mädchenliebe normativen Geschlechtsrollenbildern unterordnen muss: Aus einer Gegenwart der heterosexuellen Ordnung wird die homoerotische Eskapade als Zwischenstation auf dem Weg zur Integration der Frau in die Ehe bagatellisiert.
Solch eine Relativierung weiblicher gleichgeschlechtlicher Liebe lässt die chinesische populäre Kultur als transkulturelles Phänomen erscheinen. Der Schulmädchenroman steht im Zusammenhang mit frühen Studien westlicher Sexualforschung, die Anfang des 20. Jahrhunderts in China zu zirkulieren begannen, darunter Havelock Ellis‘ Studies in the Psychology of Sex, wo ein Kapitel zur weiblichen Homosexualität den Titel „Temporary Homosexuality in Schools“ trägt (vgl. Ellis 1928: 216–219).15 Die Kopplung gleichgeschlechtlichen Begehrens an eine Semantik des Flüchtigen bestimmt nicht nur den Diskurs zur weiblichen Homosexualität im modernen China, sondern auch jenen, den INTIMATE CONFESSIONS im Hongkong der 1970er Jahre auslösen wird – wie in den Interviews mit den Darstellerinnen Lily Ho (aka Ai Nu) und Pei Ti (aka Chun Yi) zu lesen ist: „In Taiwan I knew nothing about homosexuality“, sagt Pei Ti. „I didn’t know such a thing existed. After making the film, I have learned a lot [...]“. Und weiter: „When a heartless man jilts a woman, and when she turns to homosexuality as an emotional surrogate, I personally think this is a very normal response. […] Human emotions and affects, it is very hard to say with certainty, don’t you agree?“ Gleichgeschlechtlicher Sex wird hier also als temporäres Refugium für sitzen gelassene Frauen hervorgehoben, als sekundäre Geschlechtsorientierung, zu der man, je nach Laune, switchen kann (vgl. Tan 2013: 86).16
Als eine Erfahrung, die sich nur im Nachhinein, a posteriori, beschreiben lässt, ist die weibliche Homosexualität auf Gedächtnisarbeit angewiesen, auf ein sich erinnerndes Subjekt, das innerhalb der Paarkonstellation eines Schulmädchenromans üblicherweise mit der Figur der Femme17 und nicht mit der des Tomboy zusammenfällt. So ist der Tomboy in der chinesischen Populärliteratur generell eine viel seltener vorkommende Figur, die, so vorhanden, aber ohne Gedächtnis bleibt (vgl. Martin 2010: 14). Auch in INTIMATE CONFESSIONS stammen die Erinnerungsbilder von Ai Nu, die als Charakter eher feminine als maskuline Genderrollen verkörpert. Mit ihrer perlweißen Haut und den mit Blumen verflochtenen Haaren kommt sie der Idee normativer Weiblichkeit nah, während ihre todbringende Schönheit, durch eitle Blicke in den Spiegel bestätigt, Assoziationen zur Femme fatale, also zu einem klassischen „projektiven, männlich kontrollierten Weiblichkeitsentwurf“ (vgl. Bovenschen 2003: 45), hervorruft.
Zugleich wird der weibliche Körper aber auch als ein erziehbarer gezeigt – einer, der nicht naturbiologistisch überdeterminiert ist: Ai Nu wird einem Erziehungsprogramm unterzogen, sie lernt von ihrer Masterin nicht nur im Bett, sondern auch draußen, im Innenhof des Bordells. Dort, wo Pirouetten im Schnee mit anmutiger Eleganz gedreht werden, wird ihr gezeigt, das Schwert mit höchstmöglicher Virtuosität zu führen.
Denn Chun Yi ist eine Martial-Arts-Expertin der besonderen Art: Sie besitzt die tödliche Kraft der ,Mandarin Duck Ghost Hand‘ (yuanyang guisho), die ihre Hände beim Töten in phallische Waffen verwandelt, um damit den Körper des Feindes tödlich zu penetrieren. Diese Frau mit Superkräften, dieses abjekte „Monströs-Feminin“ (vgl. Creed 1993), das den Geschmack von Blut genießt, lässt sich als ein fantastisches Kompositum aus männlichen, weiblichen und tierischen Eigenschaften beschreiben, die einen Positivismus der Geschlechter unterlaufen und das Weibliche hin zum Utopischen öffnen.
In der Erzählung markieren Ai Nus Erinnerungen an den Sex im Boudoir einen zentralen Wendepunkt, der das Herr-Knecht-Anerkennungsverhältnis zwischen den beiden Frauen umdreht und zugleich eine Verschiebung in der zeitlichen Ordnung des Films bedeutet. Unmittelbar auf die Liebesszene folgt die Schwarz-Weiß-Sequenz, die den Film eröffnet hatte, nun in Farbe. Sie signalisiert den Übergang der Erzählung von der Vergangenheits- zur Gegenwartsform. Von da an ist Ai Nu aus ihrer melancholischen Trauerarbeit aufgewacht: Nach ihrem ersten Mord hat sie keine Angst vor dem Tod mehr – wie sie Chun Yi sagt: „I relish the taste of blood“ –, um dann ihre Entfremdung als Knecht endgültig zu überwinden. Von der Melancholie also zur Tat – Ai Nu wird zur Kriegerin, die nur das eine kennt: Rache.
Der Aufstand der Frau gegen die patriarchalische Unterdrückung ist keine private Sache, sondern erfolgt kollektiv. Ai Nu befreit schließlich alle: Die Frauen, die im Bordellverlies festgehalten wurden, durchschreiten jetzt das Bild von rechts nach links und verschwinden im filmischen Off, während eine rabiate horizontale Parallelfahrt zeigt, wie Ai Nu einen Mann nach dem anderen hinrichtet. Im Rausch der Emanzipation, als das Ende der Männer immer näher rückt, macht Ai Nu ein aggressives Geständnis gegenüber Chun Yi: „I used love to take my revenge.“ Sie erklärt ihre Liebe zur Täuschung und ihren Orgasmus zur Inszenierung. „Now perhaps you have a glimpse of how repulsive you are!“, spuckt sie Chun Yi ins Gesicht.
Diese zynische Wendung am Filmende impliziert eine Entkopplung von Feminismus und Sex, Kampf und Begehren: Die Revolte gegen das patriarchalische Joch mündet in eine Revision des gleichgeschlechtlichen Begehrens, das als obsoletes Relikt aus einer Vergangenheit der weiblichen Unterdrückung erscheint. Das legt einen zentralen blinden Fleck von INTIMATE CONFESSIONS offen: die Emanzipation der Frau von der Affirmation ihres Begehrens abgekoppelt zu haben – diesem Missing Link werden sich Jahre später die Gender Studies (vgl. Rubin 2011, Sedgwick 1990) zuwenden.
Bovenschen, Silvia (2003) Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Creed, Barbara (1993) The Monstrous-Feminine. Film, Feminism, Psychoanalysis. London/New York: Routledge.
Deleuze, Gilles (1991) Das Zeit-Bild. Kino II. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Ellis, Havelock (1928) Studies in the Psychology of Sex. Vol 2. Sexual Inversion. Philadelphia: F. A. Davis.
Fu, Poshek (Hg.) (2008) China Forever. The Shaw Brothers and Diasporic Cinema. Urbana/Chicago: University of Illinois Press.
Halberstam, Judith (1998) Female Masculinity. Durham: Duke University Press.
Kei, Sek (1984) The Journey of Desires, in: Cheuk-to, Li (Hg.) Hong Kong International Film Festival Catalogue. A Study of Hong Kong Cinema in the Seventies. Hong Kong: Urban Council.
Martin, Fran (2010) Backward Glances. Contemporary Chinese Cultures and the Female Homoerotic Imaginary. Durham/London: Duke University Press.
Meilicke, Elena (2015) „Bounce Back. UNBREAKABLE KIMMY SCHMIDT“, in: Cargo. Film/Medien/Kultur, Nr. 28, Dezember 2015, S. 47–49.
Rubin, Gayle S. (2011) „Of Catamites and Kings. Reflections on Butch, Gender, and Boundaries“, in: dies. Deviations. A Gayle Rubin Reader. Durham/London: Duke University Press.
Sang, Tze-lan D. (2003) The Emerging Lesbian. Female Same-Sex Desire in Modern China. Chicago/London: The University of Chicago Press.
Sedgwick, Eve Kosofsky (1990) Epistemology of the Closet. Berkeley, Los Angeles: University of California Press.
Sommer, Mathew (2000) Sex, Law, and Society in Late Imperial China. Stanford: Stanford University Press.
Tan, See Kam (2013) „Memorialization, Melancholia and Melancholizing in Shaw Brothers’ fengyue (Erotic) Films“, in: Screen, Nr. 54, März 2013, S. 82–103.
Theo, Stephen (1984) Li Hanxiang’s Aesthetic of the Cynical, in: Cheuk-to, Li (Hg.) Hong Kong International Film Festival Catalogue. A Study of Hong Kong Cinema in the Seventies. Hong Kong: Urban Council.
van Gulik, Robert (1961) Sexual Life in Ancient China. Leiden: E. J. Brill.
Yau, Ching (2010) Porn Power: Sexual and Gender Politics in Li Han-hsiang’s Fengyue Films, in: dies. (Hg.) As Normal as Possible. Hong Kong: Hong Kong University Press.