Ein Portfolio des Reenactment-Projekts Aufstand aus der Küche
Im Zentrum unseres Reenactment-Projekts Aufstand aus der Küche steht die Auseinandersetzung mit der Videoarbeit SEMIOTICS OF THE KITCHEN (USA 1975) der US-amerikanischen Künstlerin Martha Rosler.1 Was können wir von feministischer Video- und Performancekunst der 1970er Jahre lernen, wie können wir sie uns anders zugänglich machen und wie ihr progressives Potenzial neu aktivieren? Wie eignen wir uns historische Arbeiten körperlich, handelnd und insbesondere gemeinschaftlich an und wie bringen wir dabei neues Wissen hervor? Die Abfolge der Abbildungen in der Chronologie ihrer Entstehung verdeutlicht wesentliche Aspekte unseres performativen und medialen Forschungsprojekts, das wir in immer neuen Formaten an Theatern und in Ausstellungsräumen präsentieren und dabei fortführen. Die produzierten Bilder – Videostills und mehrfach belichtete Fotografien – stellen mit Performances für die Kamera die ersten visuellen Konzeptualisierungen einer jeweils aktuellen Schwerpunktsetzung vor. Anliegen unseres Projektes ist die Entwicklung von Strategien, um geschlechterspezifische Rollenverteilungen und Zuschreibungen, die sich in Bildern von Körpern, in Gesten und Posen manifestieren und fortschreiben, nicht nur aufzudecken, sondern potenziell zu dekonstruieren und neu zu entwerfen.
Die Abbildungen 1–3 zeigen jeweils Ankündigungsmotive für verschiedene Veranstaltungen im Rahmen unseres Projektes, an dem wir gemeinsam seit 2014 arbeiten, und für das wir unser je spezifisches Können/unsere Arbeitsbereiche: Szenografie und die materielle Dimension von Kunst (Mareike Hantschel), Dramaturgie und Forschung (Lucie Ortmann) und Fotografie und Film (Katrin Ribbe) vernetzen.
Während auf Abb. 1 Posen aus Roslers Videoarbeit zu sehen sind, die unverändert von verschiedenen Frauen eingenommen werden, zeigen die Abb. 2 & 3 unsere Neuschreibungen von SEMIOTICS OF THE KITCHEN mit dem Fokus auf zeitgenössischen Verhältnissen von Lohn- und Reproduktions- oder Carearbeit. Die Küche bleibt dafür als symbolisch aufgeladener und nach wie vor umkämpfter Ort der (Re-)Produktion im privaten Raum die ‚Kulisse‘. Auf Abb. 2 überlagern sich vorbereitende Küchenarbeit und anschließende repräsentative Arbeit im Rahmen eines Festtags. Wir setzten uns mit der Zuspitzung von Haus- und Küchenarbeit an Festtagen auseinander: Ist die Küche ein Backstagebereich und das Wohnzimmer die Bühne? Und welche (geschlechterspezifischen) Rollen nehmen wir wo, wann und wie ein? Abb. 3 stellt eine Simultaneität von Reproduktionsarbeit, Lohnarbeit und Repräsentation mit Gesten der (politischen) Macht her. Neben Fragen nach Multitasking und Überarbeitung interessierte uns, welche Bilder von Reproduktions- und Carearbeit oder von Familie im Rahmen von Politik oder von einzelnen Politiker*innen hergestellt und eingesetzt werden. Und welche Bedeutungen zum Beispiel die Zuschreibung der Mutterrolle auf Angela Merkel hat. In Ergänzung zu Roslers Video bezogen wir auch anderes visuelles Material aus der Zeit, etwa Herlinde Koelbls Das deutsche Wohnzimmer (1980) und Marianne Wex’ „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse (1979) sowie ausgewählte aktuelle Pressebilder mit in das Projekt ein.
Martha Rosler entlarvt den privaten Raum wiederholt, wie sie selbst festhält, als militarisierte Zone – zentral in ihrer Serie von Fotomontagen House Beautiful: Bringing the War Home (1967–72, 2004). Sie beschreibt im Kontext von SEMIOTICS OF THE KITCHEN weiter, wie die Reproduktionsarbeit der Hausfrau die diversen Armeen der Zukunft heranzieht (Rosler 2011). Dass Reproduktions- und Carearbeit wesentlicher Teil, ja Voraussetzung der kapitalistischen Arbeitsorganisation sind und nicht als Tätigkeiten zu begreifen, die ‚natürlich‘ aus Liebe und Fürsorge übernommen werden, betont zeitgleich das International Feminist Collective, das insbesondere durch die Kampagne 'Wages for Housework' bekannt wurde. Heute zahlen in den USA finanziell erfolgreiche Männer ihren Ehefrauen, die für Haushalt und Kindererziehung sorgen, einen 'Wife Bonus' und reproduktive Tätigkeiten werden zunehmend auch als Dienstleistungen organisiert und privatisiert, was die Frage nach ihrem ökonomischen Wert verschärft. Heutige Aktivist*innen argumentieren, dass die Forderung nach Lohn für Hausarbeit nicht dazu führt, dass Arbeit unter den Geschlechtern gerechter aufgeteilt wird, weil sie keine Gleichwertigkeit der Arbeit herstellt. Stattdessen fordern sie, beispielsweise im Rahmen der Vier-in-Einem-Perspektive, eine neue Aufteilung von Zeit für Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, Arbeit für das Gemeinwesen und Zeit für sich. Trotz vieler Veränderungen seit den 1970er Jahren wird der Großteil reproduzierender Arbeit immer noch von Frauen geleistet und geschlechterspezifische Zuschreibungen sind in den verschiedenen Feldern der Arbeit weiter aktiv.
In der circa 6-minütigen schwarz-weißen Videoarbeit SEMIOTICS OF THE KITCHEN performt Martha Rosler ein Alphabet von und mit Küchenutensilien beginnend mit „a“ wie apron (engl. = Schürze) und transformiert in einem Bewegungsablauf deren alltäglichen Einsatz. Rosler greift die Gegenstände einzeln, benennt sie, und führt eine Handlung mit ihnen aus, die ihren Gebrauch parodiert oder aggressiv umdeutet. Die letzten Silben von U bis Z ordnet sie keinen Gegenständen zu: Gabel und Messer in der Hand formt sie mit ihren Armen die Buchstaben nach, spricht sie laut aus und endet schulterzuckend, mit einer auffordernd-fragenden Geste. Zu Beginn des Videos hält Rosler eine Tafel in die Kamera, auf der „Semiotics of the Kitchen. ©75 M. Rosler “ steht. Rosler bezieht sich in SEMIOTICS OF THE KITCHEN auf „television images of the kitchen“ (ebd.), d.h. auf Kochshows wie von Julia Child oder andere Repräsentationen von Hausfrauen in Werbung und Fernsehen, die eine ‚Lifestylisierung‘ der Küche vorantreiben. Ernst und streng blickend konterkariert sie gängige (weibliche) Fernsehauftritte und wählt außerdem in der Umsetzung bewusst Low-Tech – ihre Fähigkeiten im Umgang mit dem Medium waren bereits wesentlich elaborierter. Das Video ist ohne Schnitte, mit einer Aufnahme, gedreht und beinhaltet lediglich einen langsamen Zoom-Out. Uns hat insbesondere die Haltung von Martha Rosler in der Ausführung der Performance in SEMIOTICS OF THE KITCHEN fasziniert. Oft werden ihr Auftreten und die Art der Gesten mit Aggression, Wut und Gewalt in Verbindung gebracht. Für uns liegt die Qualität ihrer Performance in den spezifischen Verbindungen von Ernsthaftigkeit und Ironie/Parodie, von Genauigkeit und dem, was Rosler in Bezug auf ihre Arbeit „rough-and-readiness“ (Caruth 2011) genannt hat. SEMIOTICS OF THE KITCHEN ist von Martha Rosler grundsätzlich für eine Präsentation in Ausstellungen konzipiert. Diese hat auf einem Bildschirm zu erfolgen, wobei der Sound aus Lautsprechern kommen soll. Kopfhörer sind nicht erlaubt.2
Wir haben im Rahmen des Projekts Roslers Video als ein Tutorial, also eine filmische Gebrauchsanleitung, aufgegriffen und es als konzeptuelles und choreografisches Werkzeug genutzt, um eingeübte, geschlechterspezifische Verhaltensmuster und Posen neu zu erlernen, fremde zu erobern, und dabei das Machtgefüge von Rollen aufzulösen und neu zu vermessen. Die Rezeption und Produktivmachung von SEMIOTICS OF THE KITCHEN in einer aneignenden oder fortschreibenden Weise ist sehr verbreitet – immer wieder tauchen auf YouTube, wo es auch diverse Mitschnitte der Originalarbeit zu sehen gibt, neue Versionen auf.3 „Everyone hated that piece for a long time“ (ebd.), hält Rosler fest, doch seit den 1990er Jahren schickten ihr Dozent*innen zahlreiche Aufzeichnungen von Reenactments ihrer Studierenden. Als SEMIOTICS OF THE KITCHEN dann erstmals auf YouTube hochgeladen wird, wollenVertreter*innen ihrer Galerie das Video löschen lassen. Doch Rosler belässt es bewusst auf der Plattform und dadurch zugänglich. (Rosler 2015) Es ist die einzige Videoarbeit von ihr, die auf diese Weise öffentlich verfügbar ist. Ihrer Arbeit inhärent, so Rosler über ihre Entscheidung, sei die Aussage „You can do it“ (ebd.) und in diesem Sinne scheint sie Adaptionen dieser Arbeit zu befürworten, sich aber auch nicht besonders für sie zu interessieren. Die Videoarbeit von 1975 fügt sich mit ihrer spezifischen Form ideal in gängige Formate heutiger YouTube-Videos ein, was ihre dortige Präsenz mit diversen Mitschnitten und Adaptionen, ihr ‚viral gehen‘ sicher mit ausgelöst hat.4
2003 lädt Iwona Blazwick, damalige Direktorin der Whitechapel Gallery in London, Martha Rosler ein, SEMIOTICS OF THE KITCHEN für das Programm A Short History of Performance – Part II (18.–23.11.2003), kuratiert von Andrea Tarsia, zu reenacten:
I was invited to “re-perform” the work […], but I didn't want to do that, so I did something else: I converted this work to another form – a collective performance, with 26 women, rather than a single performance and as a live performance rather than a video work. It did, however, become a video work subsequently, in 2010, when I edited the footage we shot in 2003. (Cielątkowska 2014)
Rosler entscheidet sich für das Format eines Vorsprechens, für das sie eine öffentliche Ausschreibung macht, auf die sich 26 Frauen, darunter professionelle Schauspielerinnen, aber auch Kunststudentinnen und Kuratorinnen melden und ausgewählt wurden. (Lugo 2011) Zunächst weist Rosler die Teilnehmerinnen in die Arbeit ein. Anschließend verfährt sie wie folgt:
They were given a script and had to do a rotating performance […]. It was like an audition in television show. The performance was shot in a studio inside Whitechapel Gallery. It was done with three women each round, each woman performed several letters or ‘symbolic actions’. These women were recorded and broadcast live on the television screen in the gallery. Rosler took another six years to “play around”, and edit the footages. (Javanalikikorn 2010–2011: 53)
2011 wird Martha Roslers dokumentarisches Video SEMIOTICS OF THE KITCHEN: AN AUDITION (USA 2011) erstmals am Electronic Arts Intermix (EAI) in New York gezeigt. Im Nachgespräch berichtet sie, dass sie zunächst „annoyed and outraged“ auf die Anfrage der Whitechapel Gallery nach einem Reenactment im Rahmen eines Projekts über Performancegeschichte reagierte (Caruth 2011). Denn für sie war offensichtlich, dass es eine Arbeit für die Kamera, für einen Fernsehmonitor, war. Sie befürchtete auch, dass eine „re-performance“ eine Art „nasty, stage-managed quality“ (ebd.) einnehmen würde. Bereits 2007 notiert Alexandra Clark nach einem öffentlichen Gespräch mit Martha Rosler in der Reihe Talking Art an der Tate Modern in London:
Martha Rosler was adamant that she hadn’t intended to perform this piece herself, but from this, she put out a request for female actors/performers to audition and then proceeded to record the chosen performers reciting this piece to the camera. Whether this was her idea, or she felt pressured to deal with the interest in this piece of work, it is planned to be revealed in the near future.
I feel that this piece, SEMIOTICS OF THE KITCHEN, hangs over her. It lurks in the shadows, in the background of all her pieces that followed. […] And with this performance of SEMIOTICS OF THE KITCHEN, by other people, she can now put it to rest; it is out of her hands. “No more questions.” (Clark 2007)
Das gewählte und titelgebende Format der Audition verdeutlicht zunächst eine Relativierung der Bedeutung der Reenactments durch die 26 Teilnehmerinnen, denn diese werden so als Teil eines Vorsprechens gelesen, das vor der Durchführung einer Arbeit angesiedelt ist, also (noch) keine eigene Arbeit darstellt. Dabei hätte der Titel mit Betonung auf diesen Prozess auch Probe statt Vorsprechen lauten können. Der gewählte Begriff verweist deutlich auf ein Machtgefüge, denn bei einem Vorsprechen geht es um die Auswahl und die Bewertung durch eine dafür autorisierte Person beziehungsweise Jury. Rosler behält diesen in gewissem Sinne pejorativen Titel auch für die dokumentierende Videoarbeit bei. Allerdings beschreibt sie in einem Interview 2011 die gemeinschaftliche Arbeit mit den Teilnehmerinnen als sehr positiv:
There were different degrees of nervousness and professionalism. Working with the other women, they built up their confidence. At the end of the process, I really felt like we were giving a communal gift to the audience. (Lugo 2011)
Im Rahmen unseres Reenactment-Projekts wird Roslers SEMIOTICS OF THE KITCHEN in einer performativen und medialen Recherche unter Einbindung verschiedener Akteur*innen immer wieder neu nachvollzogen und zunächst in Anweisungen und Spielhandlungen überführt. Das gemeinsam generierte Material wird anschließend dokumentiert, um wieder in Bildmedien, Fotografie und Video transferiert zu werden. So entsteht als Teil des Projekts eine Sammlung von aufgezeichneten Reenactments und Adaptionen, auf die wieder neu zugegriffen wird. Unser Projekt besteht also zum einen aus einer Sammlung von für die Kamera produzierten Performances und Dokumentationsmaterial und zum anderen aus sporadisch stattfindenden salonartigen Veranstaltungen, in deren Rahmen jeweils vor Ort neue Versionen entwickelt und live vollzogen werden. Beide Arbeitsprozesse passieren in engem Austausch miteinander, entwickeln Material weiter und generieren neues. Während der Veranstaltungen zeichnen wir die gemeinsame Arbeit an den Performances noch nicht filmisch auf, damit eine Atmosphäre des Ausprobierens, des Experimentierens hergestellt wird – ohne den Druck oder die rechtliche Frage des Filmens der Teilnehmer*innen. Der Fokus während der Salons liegt stattdessen auf dem Erlernen und Ausüben von Skills und der Reflektion über eigene Posen und eingeübtes Verhalten. Unser Reenactment-Projekt geht also in einer forschenden Richtung weiter, wo Roslers eigenes Projekt SEMIOTICS OF THE KITCHEN: AN AUDITION angesetzt hat. Im Rahmen von Aufstand aus der Küche geht es um plurale Perspektiven unterschiedlicher Akteur*innen und diverse Aneignungen und Fortschreibungen. Trotzdem treffen wir in der Fortführung des Projekts kuratorische Entscheidungen, verwerfen generierte Ideen und verfolgen andere. Außerdem entscheiden wir genau, was letztlich visuell festgehalten beziehungsweise publiziert wird, in dem wir regelmäßig neue Performances für die Kamera aus dem im Entwicklungsprozess oder im Rahmen der Salons entwickelten Material produzieren.
Zuerst entstand im Rahmen des Projekts eine Sammlung von Videos von Frauen, die nach einer Einweisung in ihren eigenen Küchen Roslers SEMIOTICS OF THE KITCHEN nachstellten beziehungsweise neu aufführten. Im Rahmen des Entstehungsprozesses der Videos wurden diese Frauen darüber hinaus interviewt und die Gespräche aufgezeichnet. Diese Sammlung von Reenactments und Interviews wird stetig erweitert und soll in Zukunft, was die Akteur*innen angeht, diverser werden. Katrin Ribbe legte ein Video mit einem Splitscreen an (vgl. auch Abb 1), das vier Performerinnen gleichzeitig beim Vollzug des Reenactments zeigt.5 Der Splitscreen mit den simultan ablaufenden Aufzeichnungen verdeutlicht dabei die Unterschiede bei der Umsetzung und die divergierende Dauer, die jeweils benötigt wird. Bei der Auswahl handelt es sich um damalige Kolleginnen des Schauspiel Hannover aus den Bereichen Künstlerisches Betriebsbüro (Karin Becker), Dramaturgie (Kerstin Behrens, Lucie Ortmann) und Schauspiel (Susana Fernandes Genebra). Das Video zeigen wir als Arbeitsmaterial regelmäßig bei den Veranstaltungen von Aufstand aus der Küche.
Sammeln, Dokumentieren/Aufzeichnen und (Re)Inszenieren sind wesentliche Handlungsfelder unseres Projekts. Dokumentationen und Aufzeichnungen werden also in die weiteren Arbeitsprozesse einbezogen und legen diese dabei gleichzeitig offen. Die einzelnen Ausgaben des Projekts bezeichnen wir wie die Neuschreibungen von Dokumenten zum Beispiel Teil I_neu oder Teil I_neu_OB. Dokumentation und künstlerische Arbeit sind in diesen Prozessen oft nicht voneinander zu trennen, wie zwei Fotografien der für unterschiedliche Reenactments verwendeten Gegenstände von Katrin Ribbe hervorheben (Abb. 5 & 6). Der Tisch mit den ordentlich zurecht gelegten, den zur Anwendung zu bringenden Gegenständen ist auch im Video SEMIOTICS OF THE KITCHEN von Martha Rosler deutlich zu sehen und wesentlicher Teil ihres performativen Settings.
Insgesamt haben wir bisher vier Veranstaltungen im Rahmen des Reenactment-Projekts umgesetzt. Zwei fanden in Erfrischungsräumen des Schauspiel Hannover (Cumberlandsche Galerie) und des Theater Oberhausen (sogenannter Pool als Teil des Foyers) statt, zwei weitere in den Galerieräumen der damaligen Zentralidee in Hannover (Klewergarten 4 in Linden). Für alle Veranstaltungen ist das szenografische Setting von großer Bedeutung. Mareike Hantschel hat jeweils Raumanordnungen geschaffen, die studioartig Privaträume wie Küchen und Wohnzimmer skizzieren. 6 Diese umfassten zum einen Platz für Tätigkeiten und Arbeitstische, aber auch gemütliche Sitzgelegenheiten und Wände oder Regale für Bildmaterial. Für die Präsentation von visuellem und filmischem Material haben wir mit Overheadprojektoren, zahlreichen alten Fernsehern sowie mit Beamern und großen Leinwänden gearbeitet. Die Räume glichen also auch Laboren oder Arbeitsräumen, in denen wir diverses Material einer umfassenderen Recherche zu bestimmten Themen in Form von Mindmaps, Zitaten oder Ausschnitten aus Zeitungen sicht- oder lesbar machten. Dieses Material übertrugen wir in die räumliche Gestaltung, in dem Mindmaps auf Stoff gestickt, temporäre und bewegliche Wände als Vorhänge aus gesammelten, gespendeten Küchenhandtüchern genäht oder Stichpunkte mit Post-its an Fenster geklebt wurden. Das räumliche Setting sollte informieren und inspirieren.
Im Rahmen der Veranstaltungen haben wir mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Abläufen experimentiert und verschiedene Tradierungs- und Vermittlungsstrategien ausprobiert. In der ersten Version waren Besucher*innen beispielsweise noch nicht an der Gestaltung und Ausführung des Reeanctments beteiligt, ein Aspekt, der in allen weiteren Veranstaltungen zentral ist. Aufstand aus der Küche: Teil I haben wir für die Reihe Montagsbar am Schauspiel Hannover entwickelt und dabei wesentlich mit zwei Schauspielerinnen des Ensembles gearbeitet, Lisa Natalie Arnold und Sarah Franke, die schließlich eine eigene Version mit selbst gewählten Gegenständen live aufgeführt haben. Die Auswahl der Gegenstände aus den Bereichen Reproduktions-, Care- und Lohnarbeit sowie insbesondere Körperpflege und -optimierung, wurde mit den Schauspielerinnen gemeinsam getroffen und hatte zumeist einen persönlichen Hintergrund. Wir fungierten als Gastgeberinnen und Moderatorinnen und trugen ein grob Martha Rosler nachempfundenes einheitliches Kostüm von Hanna Rode. Die Veranstaltung gliederte die Beiträge nach einer alphabetischen Struktur und umfasste außerdem einen Expert*innenbeitrag des Kurators Maik Schlüter, der eine kurze kunsthistorische Einführung zu SEMIOTICS OF THE KITCHEN hielt, ein Element, das wir in den weiteren Ausgaben wiederholt haben.
In den folgenden drei Veranstaltungen entschieden wir uns zu einer wesentlichen Einbindung der Besucher*innen. Mit ihnen als Teilnehmer*innen entwickelten wir jeweils das Skript eines Bewegungsablaufs mit neuen Utensilien aus den Bereichen Lohn- und Reproduktionsarbeit. Dafür gaben wir ein neues, von uns vorab entworfenes Set an Gegenständen vor: das Alphabet der Arbeit (vgl. Abb. 6 & 8).
Mit verschiedenen Beiträgen wurden die thematischen Schwerpunktsetzungen der jeweiligen Ausgaben des Projekts angerissen. Die Besucher*innen wurden nach und nach an das partizipative Element der Veranstaltung herangeführt, in dem etwa Texte aufgeteilt und gemeinsam gelesen wurden und in dem wir als nicht-professionelle Performerinnen an Aktionen ebenfalls mitwirkten. Beim Einlass haben wir jeweils bestimmte Kleidung oder Accessoires verteilt, die mit verschiedenen Bereichen von Arbeit verbunden sind (etwa Schürzen, Schutzhelme oder Jacketts), wodurch die Gruppe wiederum schnell aufzuteilen war. Wir als Gastgeberinnen trugen je nach Schwerpunkt ebenfalls Arbeits- oder festliche Kleidung. Schließlich folgten eine Einführung zu Martha Rosler und das gemeinsame Schauen von SEMIOTICS OF THE KITCHEN. Im Anschluss entwickelten kleine Gruppen der Besucher*innen einen spezifischen Einsatz, eine Handlung mit einem der Gegenstände. Diese Gruppen fanden sich, indem zu Beginn Zettel mit Buchstaben verteilt worden waren, um eine möglichst große Durchmischung der Teilnehmer*innen für die Arbeitsgruppen zu erreichen. Ihre Ergebnisse wurden in der alphabetischen Reihenfolge präsentiert. Wir hatten jeweils eine Schauspielerin eingeladen (Katja Gaudard in Hannover und Ayana Goldstein in Oberhausen), den Veranstaltungen beizuwohnen und sich diese Aktionen zu notieren und zu memorieren. Nach einer kurzen Pause haben die Schauspielerinnen die jeweils neue Version für das Alphabet der Arbeit, die im Rahmen der Veranstaltung von den Gästen generiert wurde, aufgeführt. Bei der Einbindung von professionellen Schauspielerinnen in die Veranstaltung spielte nicht deren schauspielerische Qualität der Interpretation eine Rolle, sondern das spezifische Handwerk, Gesten und Bewegungsabläufe schnell memorieren und wiederholen zu können. Wir unterscheiden die bisher gesammelten, aufgezeichneten Performances der Frauen in unserer Sammlung nicht von denen der Schauspielerinnen.7 Um neben den schriftlichen Notationen der Handlungsabläufe für unsere interne weitere Nutzung Dokumentationsmaterial zu haben, wurden die Schauspielerinnen gefilmt. Aus dem generierten Material der Salons in Hannover und in Oberhausen haben wir anschließend zwei Versionen entwickelt, die Katrin Ribbe erneut mit Katja Gaudard (Hannover) und Ayana Goldstein (Oberhausen) in ihren privaten Küchen gefilmt hat.
Mit unserer Entscheidung, die Salons in studioartigen Kulissen von Küchen und privaten Räumen stattfinden zu lassen und die aufgezeichneten Videos wiederum in den eigenen Küchen zu filmen, arbeiten wir uns an strukturellen und an individuellen/persönlichen Aspekten ab. Zum einen erzeugt das Prinzip der Semiotik und die Wiederholung von choreografierten Abläufen eine Austauschbarkeit und macht einzelne Performerinnen zu ‚Stellvertreterinnen‘. In unserem Projektarchiv gehören zu den Videos allerdings die Mitschnitte der Interviews mit den Akteurinnen, die dort Stellung beziehen und so die unterschiedlichen Lebenslagen und Hintergründe der Teilnehmerinnen beleuchten. Diese Interviews sind aus Zeitgründen noch nicht zugänglich gemacht und vor ihrer Veröffentlichung müssten Einverständnisse eingeholt werden. Aus der Sammlung von Videos und Fotografien, den im Rahmen der Salons generierten Handlungsabläufen mit verschiedenen Gegenständen, den räumlich-installativen Elementen wie den Vorhängen aus Küchenhandtüchern oder den gestickten Mindmaps und umfassendem Recherchematerial entwickeln wir immer neue Formate, um das Projekt zu präsentieren und fortzuführen. Die Formate sind an der Schnittstelle von Ausstellung, Aufführung und Workshop angesiedelt. Als nächste Ausgabe unseres Reenactment-Projekts planen wir ein Format, das sich stärker am Medium der Ausstellung orientieren soll und unser generiertes, gesammeltes Material noch einmal anders aufbereitet und zugänglich macht. Zum Beispiel soll Besucher*innen ermöglicht werden, individuell und in freier Zeiteinteilung durch das Material zu navigieren. Im Rahmen einer Ausstellung würde es uns außerdem sehr interessieren, unser Projekt im größeren Kontext der erwähnten weiteren Aneignungen von SEMIOTICS OF THE KITCHEN zu verorten und dabei die Spannbreite zwischen Wiederholung und Neuschreibung der diversen Versionen zu vermessen. Zahlreiche Adaptionen lassen sich in den Kontext populärer referentieller Verfahren wie Sampling, Parodie, Zitat oder Hommage, die sich in digitalen Medien enorm verbreitet haben, stellen. Einige Versionen, wie die Barbie Stop Motion, werden sicher erst mit Kenntnis und im Abgleich mit Roslers Video lesbar, während andere, wie unser Projekt, versuchen, SEMIOTICS OF THE KITCHEN als analytisches wie spielerisches Werkzeug anzuwenden. Doch in welcher Weise, wenn überhaupt, wird das feministische und emanzipatorische Potenzial von Roslers Performance für die Kamera neu produktiv gemacht? Die Bezüge/Referenzen zwischen Martha Roslers Videoarbeit von 1975 und heutigen YouTube-Formaten wie Tutorials müssten unbedingt genauer untersucht werden und eine Rezeptionsgeschichte des Videos als filmische Gebrauchs- oder Handlungsanweisung wäre herauszuarbeiten.
Caruth, Nicole J. (2011) Gastro-Vision: Martha Rosler’s Kitchen Mise-en-Scène, siehe: http://magazine.art21.org/2011/01/21/gastro-vision-martha-roslers-kitchen-mise-en-scene/#.W-NI09VKiM8 (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Cielątkowska, Zofia Maria (2014) Art is heart and soul of any society. Interview with Martha Rosler (part one), siehe: http://archiwum-obieg.u-jazdowski.pl/english/31696 (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Clark, Alexandra (2007) Martha Rosler: Talking Art. Tate Modern, London, am 29.09.2007, siehe: https://www.a-n.co.uk/reviews/martha-rosler-talking-art/ (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Javanalikikorn, Haisang (2010–2011) PERFORMANCE | FOOD | IDENTITY in Contemporary Art (= Masterarbeit am College of Arts University of Glasgow), siehe: http://www.academia.edu/9051585/PERFORMANCE_FOOD_IDENTITY_in_Contemporary_Art_MLitt_Thesis_( (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Lugo, Cynthia (2011) Descriptive Systems: Martha Rosler, in: Joan's Digest. A Film Quarterly, Issue 1: Wet Faces, Herbst 2011, siehe: https://www.joansdigest.com/issue-1/article-8(letzter Zugriff: 01.04.2019).
Rosler, Martha (2011) Aufgezeichnete Einführung zu SEMIOTICS OF THE KITCHEN am Electronic Arts Intermix (EAI) (Video), siehe: http://www.eai.org/titles/semiotics-of-the-kitchen/video-intro (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Rosler, Martha (2015) im Gespräch mit Dorothy Allen-Pickard (Video), New York, September 2015, in: Another Gaze Journal, siehe: https://www.youtube.com/watch?v=EMxo_3Ppr8Y (letzter Zugriff: 01.04.2019).