Sans toi.
Ohne dich sang Corinne Marchand 1961 als Cleo in Agnès Vardas CLEO DE 5 À 7.1 Als wir 2018 mit der Arbeit an dieser Ausgabe begonnen haben, war sie noch da: Agnès Varda. Jetzt – 2019 – kommt es uns vor, als sei über Nacht ein Teil feministischer Bewegung Geschichte bzw. Filmgeschichte geworden. Mit dem jüngsten Verschwinden der Generation feministischer Filmemacher*innen, zu der auch Barbara Hammer oder Carolee Schneemann gehörten, geht uns etwas verloren, das nie eine Selbstverständlichkeit war: Dass es Frauen* mit Kameras gab. Wo stehen wir ohne sie und wie stehen wir da?
Wenn es nach dem Dresscode für den roten Teppich in Cannes geht, jedenfalls immer noch auf High Heels; High Hopes gibt es aber auch: die Hoffnung auf große Veränderungen in der Industrie und im Festival. Gleichzeitig sind die Gegenbewegungen in Form eines neuen Antifeminismus vernehmbar. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Ausgabe. Als wir sie planten, verspürten wir eine Dringlichkeit uns zur politischen Gegenwart zu verhalten, für das einzutreten, was uns derzeit angeht. Ebenso erging es unseren Autor*innen. Wo die Beiträge die aktuelle politische Lage zum Anlass ihrer Texte wählen, vertiefen sie sich oft gleichzeitig in historische Materialien oder blicken zurück auf den Feminismus der 1970er Jahre – das Verhältnis von Feminismus und Film ist auch ein geschichtliches und zeigt den langen Weg der kritischen Auseinandersetzung.
Dass die Texte mit historischem Material in die Tiefe gehen, macht sie nicht zu Apologeten einer vergangenen Zeit. Der Fokus auf die Geschichte der feministischen Filmwissenschaft geht vielmehr mit einer Methodenreflektion einher: Was können uns diese Theorien heute immer noch sagen? Viele Beiträge, etwa von Julia Bee, Elena Meilicke, Anja Michaelsen oder Katja Müller-Helle, schaffen den Brückenschlag – sind zugleich historisierend und aktualisierend – und gehen damit über eine Reproduktion aktueller Aufregung weit hinaus.
Dabei ergeben sich neue Fragen: Wie lassen sich Differenzen versammeln, ohne sie aufzulösen? Ist es möglich afropessimistische und -optimistische Perspektiven zusammenzuziehen? Wie kann eine nicht-repräsentationale Betrachtung des postmigrantischen Films aussehen? Die nah am filmischen Gegenstand entwickelten Lektüren und filmanalytischen Passagen zeigen nicht allein die methodischen Möglichkeiten der feministischen Filmwissenschaft, sondern sie gehen auch eng mit den Materialien von damals in Kontakt, bergen es und stiften kulturhistorische Bezüge: Etwa zur Geschichte der dffb, wie die Beiträge von Priscilla Layne oder Jan Mollenhauer. Dabei wird Filmmaterial zum Teil aus der Versenkung gehoben – etwa Auma Obamas ALL THAT GLITTERS von 1992 – oder vom Rand ins Zentrum gespielt wie die campige Opern-Verfilmung im Text von André Wendler oder die Low-Budget-Softcore-Erotika im populären Hongkong-Kino der 1970er Jahre bei Cecilia Valenti.
Wenn etwas neu ist an diesem Feminismus, dann vielleicht wie viele Blickachsen sich mittlerweile darin kreuzen: Priscilla Layne, die als US-Amerikanerin über Schwarzes Kino in Deutschland schreibt, Jan Mollenhauer, der über Männer und Filme in Ausstellungen nachdenkt, André Wendler, der darüber reflektiert, wie Schwule über Feminismus forschen, Elena Meilicke, die einen Meisterdiskurs enteignet, indem sie eine Kamerafrau, Hélène Louvart, selbst zur Meisterin kürt. Grundsätzlich erlauben sich alle Texte Perspektiv- und Dispositivwechsel, satteln um von vor zu hinter der Kamera, oder zur installativen Form, wie bei Julia Bee. Anja Michaelsen bringt dieses Anliegen, das mit dem Begriff der Intersektionalität vielleicht am besten beschrieben ist, auf den Punkt: Nicht ums Verwerfen geht es, aber ums neu Justieren angesichts blinder Flecken.
Mareike Hantschel, Lucie Ortmann und Katrin Ribbe führen ganz praktisch vor, wie sich das etwa in Form eines Reenactments gestalten kann. In ihrer Aneignung von Martha Roslers Semiotics of the Kitchen aktualisieren sie, was Ulrike Hanstein historisch verfolgt: das Arbeiten im Kollektiv und was diese Form der Interaktion politisch in Aussicht stellt. Nicht zuletzt realisieren Eileen Rositzka und Christine Lötscher diese Möglichkeit der Kollaboration im gemeinsamen Schreiben.
Abschließend sei uns als Redaktion noch eine Bemerkung erlaubt: Das Bilden von Netzwerken, das Schreiben von Briefen oder Emails, das Zueignen und Widmen, Anfragen und Antworten verstehen auch wir politisch: Dank gebührt daher unserem Gegenüber, den Autor*innen, Gutachter*innen und Leser*innen für das Austauschen von Ideen, das Äußern von Bedenken und die Bereitschaft auf Kritik zu reagieren.
Avec toi.
Friederike Horstmann, Daniela Wentz, Linda Waack
Redaktionelle Mitarbeit: Sophie Holzberger