Feministische Filmtheorie weitergedacht am Beispiel von TWISTER
T-W-I-S-T-E-R. Am Anfang war das Wort. Im Vorspann formieren sich die Buchstaben des Titels aus dem aufgewirbelten Staub des Tornados und werden im selben Augenblick, lautstark und gewaltmächtig, wieder hinweggefegt. Der Titel vollzieht wovon er spricht. Er ist lesbar als kinematografischer Crashkurs in die Sprechakttheorie Austins – Austin in 20 Sekunden. Oder, mit Derrida, als Äquivalent der différance, der „ereignishaftesten aller Äußerungen" (Derrida 1988: 311) welche, diesmal mit de Man gesprochen, zugleich „predigt" und „praktiziert" (De Man 1988: 45).
Der Film TWISTER (USA 1998, R: Jan de Bont) ist ein Film des zeitgenössischen Hollywoodkinos, dessen Hauptattraktion in der Zurschaustellung computergenerierter Tornados besteht. Der Film gehört dem Subgenre des Katastrophenfilms an, welches in den neunziger Jahren mit sensationellen Flutwellen, überdimensionalen Raumschiffen die ganze Stadtteile überdachen, orkanartigen alles verschlingenden Stürmen oder kochenden Lavaströmen ein Massenpublikum erreichte. Die Gewaltmacht mit der die Bilder und Sounds dieser Filme den Zuschauer überwältigen, ihre Superlative (Size does matter!) sowie visuelle- und akustische Opulenz kann es, sofern die Filme gut sind, in jeder Beziehung mit einer Wagner Oper aufnehmen. Die Präsenz der Bilder und Töne dieser Filme muss von einfachen Deutungen des Films als Zeichensystem oder Text unterschieden werden, denn sie entfaltet ihren Ereignischarakter nicht primär in einer Textualität, sondern an Orten. Dabei ist das Multiplexkino nur die Herberge für die Körper, die in einem somatischen Genießen den eigentlichen Ort des kinematografischen Ereignisses ausmachen. Bei der Beschäftigung mit Katastrophenfilmen wie INDEPENDENCE DAY (USA 1995, R: Roland Emmerich), VOLCANO (USA 1997, R: Mick Jackson), ARMAGEDDON (USA 1998, R: Michael Bay), DEEP IMPACT (USA 1998, R: Mimi Leder), TWISTER (USA 1998), THE PERFECT STORM (USA 2000, R: Wolfgang Petersen) oder THE DAY AFTER TOMORROW (USA 2004, R: Roland Emmerich) primär von den Plots auszugehen, verfehlt den Witz der Filme aber, wie Isabella Reicher und Drehli Robnik es treffend formulierten, „bloß die spektakulären Komponenten zu betonen, führt auch nicht sehr weit" (Reicher/Robnik 1996: 13f).
Der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Ereignis soll im folgenden ausgehend von TWISTER und in Rekurs auf die feministische Filmtheorie der siebziger Jahre skizziert werden. Welche Verschiebungen ergeben sich, wenn wir die Zurschaustellung des weiblichen Stars im klassischen Hollywoodkino am Leitfaden von TWISTER betrachten? Welche Rückwirkungen ergeben sich für eine feministische Perspektive wenn eine digital erzeugte Naturgewalt den Platz des weiblichen Stars einnimmt?1 Welche Verbindung läßt sich herstellen zwischen dem neuen (digitalen) Kino und einer dekonstruktiv-feministischen Perspektive, die das Geschlecht (gender) als performative Position konzipiert?
Es ist der Verdienst der Feministischen Filmtheorie der siebziger Jahre einen Schritt über die einfache Frauenbild-Kritik hinausgegangen zu sein und den Fokus auf die Strukturen und Tiefenstrukturen der diese Bilder hervorbringenden Systeme verschoben zu haben. Diese Verschiebung von der Frauenbildkritik zur Feministischen Filmtheorie verlief unter Bezugnahme auf die Psychoanalyse ebenso wie auf die, zu dieser Zeit gerade im Aufwind begriffene, strukturalistische Semiologie. Die Filme, an denen der neue Zugang zur Frage der Geschlechterdifferenz exemplarisch vollzogen wurde, waren Filme des klassisch narrativen Hollywoodkinos. In den neunziger Jahren kommt es zu einer weiteren Verschiebung. Die umfassende Kritik der Repräsentation von Geschlecht, die bis dahin neben der feministischen Filmtheorie auch die feministische Literaturwissenschaft und später die Kunstwissenschaft beschäftigt, wird nun eigens selbst auf den Prüfstand gestellt. Unter anderem unter dem Stichwort „dekonstruktiver Feminismus" (vgl. Vinken 1992 sowie Butler 1990) wird der Bezugnahme auf die Repräsentation ein „Geschlechteressentialismus" zur Last gelegt. Denn um repräsentierbar zu sein, muss das Geschlecht weiblich bzw. männlich als solches benennbar existent sein. Anstatt von einem vordiskursiven, d.h. bestehenden, biologisch verfassten Geschlecht männlich bzw. weiblich auszugehen, wird das Geschlecht von hier aus als Ereignis seiner Stellung in einem System (z.B. dem der Sprache) denkbar. Das Geschlecht (gender) ist nicht schon da und kann betrachtet werden, sondern es wird stets von neuem hervorgebracht, es zeigt sich, es ereignet sich.
Laura Mulveys Text „Visual Pleasure and Narrative Cinema" (Mulvey 1973-75) hat maßgeblich zur Einführung der Psychoanalyse in den Zusammenhang von Kino und Geschlechterdifferenz beigetragen und gilt als Schwellentext der Feministischen Filmtheorie der Siebziger Jahre. Die von Mulvey entworfene Geometrie basiert auf der Zuordnung von männlich/Blick und weiblich/Bild. In dieser exemplarisch anhand von Filmen des klassischen Hollywoodkinos entworfenen Geometrie des Kinos der Geschlechterdifferenz gilt der aktive männliche Blick als zentrale Kategorie. Er durchmißt den dunklen Kinoraum aus verschiedenen Richtungen. Marlene Dietrich in DER BLAUE ENGEL (D 1930) sitzt auf der Tonne und singt, von männlichen Blicken umgeben. Aus dieser speziellen Ordnung der Filme von Sternberg/Dietrich hat die feministische Filmtheorie bis in die achtziger Jahre ihre theoretische Geometrie abgeleitet. Das Bild/Blick Schema erwies sich als stabile Konzeption, die erforscht und vielfach variiert, verschoben und in jüngerer Zeit schließlich verabschiedet wurde.2
Das Kino der neunziger Jahre kennt keine singende Marlene, noch kennt es eine einfache Entsprechung für die Star Imagos des alten Hollywoodkinos. Nicht ohne Stolz präsentiert es aber eine neue Generation von Bildern, die nicht mehr filmisch hergestellt-, sondern per Computer errechnete und designte Effekte „Visual Effects" sind. Die Stars aus Filmen wie TWISTER, VOLCANO, DEEP IMPACT sind Naturphänomene ohne stabiles semantisches Geschlecht und insofern mit Marlene Dietrich, Greta Garbo und Marilyn Monroe nur bedingt vergleichbar. Was das neue mit dem alten Hollywood verbindet ist allerdings die explizite Zurschaustellung. Die Frage der Geschlechterdifferenz, die in den siebziger Jahren in unmittelbarer Referenz auf das Bild des weiblichen Stars entwickelt wurde, erfordert angesichts der geschlechtslosen Stars der neunziger Jahre (Lavaströme, Erdbeben, Wirbelstürme) eine veränderte Perspektive. Das Geschlecht ist nicht schon da und kann beobachtet werden.
In einem Interview aus dem Jahr 1994 bezeichnet Laura Mulvey rückblickend das Interesse ihres Textes Visual Pleasure and Narrative Cinema aus den Siebziger Jahren, als ein Interesse an der Vergeschlechtlichung (gendering) des Blicks im Hollywoodkino (Mulvey 1994). Vorbei an der hermetischen Vorstellung von Geschlecht, die der Text in weiten Teilen nahe legt und die im Diskurs um Mulveys Ansatz kritisiert wurde, rückt der Begriff „gendering" die Aufmerksamkeit auf den sichtbaren Prozeß der Vergeschlechtlichung, das Männlich-Werden des Blicks und das Weiblich-Werden des Bildes. Dieser Prozeß legt ein Verständnis von Geschlecht weniger als essentielle denn als performative Kategorie nahe. Eine Vorstellung, die insbesondere anhand von Judith Butlers Gender Trouble eine breite Öffentlichkeit erreichte und die, wenn auch umstritten, für die feministischen und Gender-Debatten der neunziger Jahre prägend gewesen ist. Eher beiläufig und im Schatten der großen These von der Bild/Blick Dichotomie, in der Mulvey die Frau dem Bild zuordnet, streift der Text das Moment der Zurschaustellung: „Die Präsenz der Frau ist ein unverzichtbares Element der Zurschaustellung (spectacle) im normalen narrativen Film, obwohl ihre visuelle Präsenz der Entwicklung des Handlungsstrangs zuwider läuft, den Handlungsfluß in Momenten erotischer Kontemplation gefrieren läßt" (Mulvey 1973-75: 37). Während der Terminus „woman as image" eine Bestimmung von Weiblichkeit im Sinne eines Status nahe legt - ein Bild-Sein wenn man so will - verweist „spectacle" auf das Bild-Werden der Frau, jenen performativen Akt, den der weibliche Star auf dem Weg zum Bild-Sein durchläuft. Aus der Perspektive der Zurschaustellung erweist sich die Verbindung Frau/Bild weniger als Erfindung der feministischen Filmtheorie sondern vielmehr als Effekt von „gendering" im Hollywoodkino.
Wie funktioniert das? Auf welche Weise erzeugt ein Film die konnotative Verbindung Frau/Bild? Wie sieht das aus, wenn ein Film ein Geschlecht männlich oder weiblich als Effekt der Zurschaustellung nahe legt? In THE BAND WAGON (USA 1953, R: Vincente Minnelli) wird das Bild-Werden in einer Fotopose ironisch vorgeführt. Wie bei Mulvey beschrieben, korrespondieren auch hier Zurschaustellung und Unterbrechung der Narration. Der Film erzählt die Geschichte von Tony Hunter (Fred Astaire), einem Star von gestern, den heute kaum einer mehr kennt. Bei einer Begegnung mit der prominenten Ava Gardner (Ava Gardner) verbleibt Fred Astaire in der Charakterrolle des vergessenen Stars. Ava Gardner, die gleich in mehrfacher Hinsicht als Star fungiert - z.B. indem sie als Gaststar im Film unter ihrem eigenen Namen auftritt - wird in dieser Szene einmal mehr zum Star, indem sie zwischen Konversation und Pose hin und her wechselt. Der inszenierte Wechsel - hier zwischen Charakter und Star3 - ist buchstäblich mit dem Bild-Werden der Frau verbunden, einer Fotografie, die die Fotografen nicht von Fred Astaire schießen, sondern von Ava Gardner. Was der Film THE BAND WAGON aus dem Jahr 1953 bereits diskursiv verhandelt, entstammt dem Repertoire des klassischen Hollywoodkinos. In DIE BLONDE VENUS (D 1932, R: Josef von Sternberg) wechselt Marlene Dietrich zwischen der Rolle der Wiegenlieder singenden Mutter und dem Showstar im Smoking. Der Wechsel zwischen Charakter und Star verläuft hier parallel zum Wechsel zwischen Geschlechterrollen. Anhand der Zurschaustellung als Performanz, in deren Nähe unzweifelhaft auch Mulveys Gedanke des „gendering" anzusiedeln ist, werden die starren Kategorien Geschlecht und Star als Effekte lesbar.
Der Name „Twister", abgeleitet von „to twist" - drehen, losdrehen, abschrauben aber auch verdrehen, verbiegen, verzerren, entstellen, ist die amerikanische Bezeichnung für „Tornado". Aus meteorologischer Sicht entsteht ein Tornado in der Differenz 4, im Zusammentreffen von kalter trockener und feuchtwarmer tropischer Luft. Die kalte Luft stürzt nach unten während gleichzeitig warme Luft spiralförmig nach oben schießt und kondensiert. Die aufsteigende Luft gerät durch starke Aufwinde in Kreisbewegung und es bildet sich ein Wolkenschlauch. Durch den aufgesogenen Staub und die Kondensation von Wassertropfen wird der schlauchförmige Wirbel, der bis zum Boden reicht, sichtbar. Ein solcher „Rüssel", wie der Wirbel umgangssprachlich auch genannt wird, umfasst nur einige hundert Meter. In diesem engen Bereich erreicht der Aufwind Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 160 Km/h, und die Luft rotiert mit einer Geschwindigkeit von 300 bis 500 Km/h um das Wirbelzentrum herum. Berührt der Luftschlauch den Boden, reißt er alles in die Höhe, was auf seinem Weg liegt, und trägt es kilometerweit mit sich.
Der Film TWISTER macht sich die Sogwirkung des spezifischen Unwettertyps zueigen, indem er einzelne Versatzstücke aus unterschiedlichen Diskursen – metaphorisch gesprochen - einsaugt und bei einer passenden Gelegenheit wieder abgibt. In diesem Sinne „durchgearbeitet" wird zum Beispiel der Film THE WIZARD OF OZ (Viktor Fleming, USA 1939), in dem die kleine Dorothy, gespielt von der jungen Judy Garland, von einem Wirbelsturm überrascht und in ein Traumland versetzt wird. Die Art und Weise, in der TWISTER hier auf das klassische Hollywood der dreißiger Jahre zugreift, läßt sich nur annähernd mit Verweis auf den Intertext (Kristeva) oder das „Verdichten und Verschieben" (Freud) beschreiben. Einzelne Elemente bzw. Figuren aus THE WIZARD OF OZ werden aufgenommen, so zum Beispiel Dorothys Hündchen Toto, welches unter dem Namen Toby auch in TWISTER der Liebling eines kleinen Mädchens ist. Oder Objekte wie z.B. eine Kuh und ein Motorboot, die der Twister einsaugt und wiederausstößt und die in THE WIZARD OF OZ (USA 1939) ebenfalls vom Sturm getrieben, durch die Luft gewirbelt werden.
Im Hinblick auf die Durcharbeitung von Diskursen läßt sich auch auf Jo und Melissa, die beiden zentralen Frauenfiguren des Films, verweisen. Im Unterschied zu Jo der Tornadojägerin, die dem Twister möglichst nah kommen will, ist Melissa vom Anblick und der Potenz des Tornado überfordert und reagiert mit Angst und Abwehr. Bei der Jagd auf den Twister im roten Chevrolet nimmt Melissa den Platz auf dem Rücksitz, hinter Bill und Jo, ein. Als sich der Wagen schließlich im Kern des Tornados befindet und die Kuh vor der Windschutzscheibe vorbeifliegt, führt Melissa per Handy ein Beratungsgespräch mit einem Klienten. Komplett überfordert vom Potential des Tornados, erweist sich die promovierte Psychologin Melissa als Ebenbild der feministisch-psychoanalytischen Filmtheorie der siebziger Jahre, die Steven Shaviro als phobisch und distanziert in Bezug auf Bilder beschreibt.5
Auf der anderen Seite, lässt sich mit TWISTER an die feministische Filmtheorie anknüpfen. Der Film präsentiert einen Wirbelwind der, zumindest auf dem Cover der Videocassette, neben Helen Hunt und Bill Paxton unter dem Namen „Twister" als Star des Films aufgeführt wird. Die Beine von Marlene Dietrich, die einst die Massen (angeblich Frauen wie Männer) in Bann zogen, kehren in TWISTER wieder. Auf den Plakaten, die für die Filme des alten bzw. neuen Kinos werben, ist die Schnittmenge von Bein und Twister eine Diagonale, die als Blickfang fungiert und nebenbei - gelesen als doppelter Schrägstrich (Doppel-Slash) auf das Zeitalter des Computers, des digitalen Kinos verweist. Die Tonne von Marlene in DER BLAUE ENGEL taucht in TWISTER ebenfalls wieder auf. Nicht in Gestalt eines Weinfasses, sondern aus Metall, als Tornadofrühwarnsystem, sicher nicht zufällig mit Namen Dorothy - wobei wir wieder bei THE WIZARD OF OZ angelangt wären.
Als Re-Lektüre des Kinos betrachtet, spielt die Anfangssequenz von TWISTER auf die Ära des Katastrophenfilms der siebziger Jahre an, die mit dem Erfolg des Flugzeugkatastrophenfilms AIRPORT aus dem Jahr 1969, von George Seaten, ihren Anfang nimmt.6 Neben der Jahreszahl 1969, die als Versatzstück dieser vergangenen Ära des K-Films plötzlich wieder auftaucht, ist hier die Unmöglichkeit, den Tornado in Aktion zu zeigen, markiert. Die (angebliche) Unmöglichkeit des analogen Filmbilds, die Gewaltmacht eines Twister auf die Leinwand zu bringen. Was in den damaligen Katastrophenfilmen metaphorisch umschrieben wurde - in Lacans Worten „verziffert" - wird heute, so legt uns das Filmbeispiel nahe, eigens selbst zur Schau gestellt. Die Kellerluke als metaphorisches Bild von der Gewaltmacht des Tornados aus den siebziger Jahren wird von einem (computeranimierten) Tornado hinweggefegt. Am Ende des Films werden die Tornadojäger zu Gejagten. In einem Holzverschlag, der vorübergehende Zuflucht bietet, schnallen sie sich an das Eisengestänge einer Wasserleitung. Als der Twister den Holzverschlag mit sich fortreißt, hält allein das Gestänge mit den zwei Gejagten stand. Aus den Jägern und Beobachtern des Tornados, die diesem immer näher kommen wollten, sind Gejagte geworden, die im Zentrum des Tornados, angeschnallt an einen imaginären Kinosessel, die Katastrophe in Aktion miterleben. Der reale Zuschauer im Kino hat von hier aus beides: er wird mitgerissen und ist mehr oder weniger fähig, den Tornadorausch zu identifizieren oder zu lesen, was das Kino in den neunziger Jahren über sich zu sagen hat.7 Was TWISTER (und mithin andere Filme des Kinos der Visual Effects) mit jenem Hollywoodkino der dreißiger und vierziger Jahre verbindet, auf das auch Laura Mulvey sich einst bezogen hat, ist der Aspekt der Zurschaustellung. Die „Momente erotischer Kontemplation" (Mulvey 1973-75: 37), die das klassische Hollywoodkino noch heute beim Zuschauer hervorzurufen vermag, sind einer visuellen und akustischen Attacke auf den Zuschauerkörper gewichen. Marlene Dietrich als blauer Engel sitzt auf der Tonne und singt. Die feministische Filmtheorie hat diese Bilder des klassischen Hollywoodkinos als Bilder analysiert, die der männlichen Schaulust zuspielen. Die Zurschaustellung der Frau als Bild, von der die Filme des alten Hollywoodkinos zeugen, bietet Anknüpfungspunkte für die Betrachtung des neuen Kinos. Die Zurschaustellung von Visual Effects kennzeichnet nicht nur den Katastrophenfilm der neunziger Jahre. Entsprechend der Filme Josef von Sternbergs tritt dieser weniger an, um gelesen zu werden, sondern - und das wiederum unterscheidet ihn von den Sternberg Filmen - stellt selbstbewußt seine Unabhängigkeit von umständlichen Aufnahmeverfahren zur Schau. Gezeigt werden Bilder, die den Zuschauer nicht verführen, sondern attackieren wollen. Vom Ansturm der Bilder in den Kinosessel gedrückt, erstarrt der Zuschauer in einer lustvollen oder weniger lustvollen Passivität - einer aus der Sicht der siebziger Jahre weiblich konzipierten Position.
Neben den Ideen von Kino, die der Film verhandelt, formuliert er auch einen Kommentar zum Verhältnis zwischen Film, Feminismus und Ereignis. Entsprechend dem Verhältnis zwischen Film und Feminismus, das sich Anfang der neunziger Jahre von der Repräsentation zum Ereignis verschiebt, gibt es auch in TWISTER eine Veränderung der Beziehungsverhältnisse. Bill (Bill Paxton), ehemals Tornadojäger und jetzt beim Wetterbericht, will die Psychologin Melissa heiraten. Bevor es dazu kommt, triff er seine Ex-Frau, die Tornadojägerin Joe (Helen Hunt) wieder, in die er sich verliebt. In diesem Setting des Films – eine klassische Dreiecksgeschichte - nehmen Bill (Bill Paxton) und Joe (Helen Hunt), als Protagonisten des Films, die Plätze von Film und Ereignis ein. War die Beziehung zur Psychologin Melissa, für Bill mit der Arbeit im Fernsehstudio an der Wetterkarte verbunden, verbindet ihn mit Joe die Tornadojagd. Bill Paxton in TWISTER vollzieht damit, eine Verschiebung von Feminismus (Psychologin) zum Ereignis (Tornado). Die Message des Films TWISTER bestünde dem gemäß in der eindeutigen Parteinahme für das Kinoereignis.
Beckmann, Angelika/Bandstetter, Thomas/Kamalzadeh, Dominik/Loebenstein, Michael (Hg.) Fahren ohne Ende. Drei Reisen durch das zeitgenössische Actionkino: Speed, Twister und Die Hard III, in: Film und Kritik, Heft 4: Action, Action, Frankfurt am Main/Basel: Stroemfeld/Roter Stern 1999. S. 91-105.
Benhabib, Seyla/Butler, Judith/Cornell, Drucilla/Fracer, Nancy (Hg.) Der Streit um die Differenz, Frankfurt am Main: Fischer 1993.
Butler, Judith (1990) Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991.
De Man, Paul (1988) Allegorien des Lesens. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Derrida, Jacques (1967) Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976.
Derrida, Jacques (1988) Signatur Ereignis Kontext, in ders.: Randgänge der Philosophie, Wien: Passagen Verlag. S. 291-314.
Dyer, Richard (1979) Stars, London: British Film Institute 2001.
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Mulvey, Laura (1994) Durch das Kino aus ihm heraus. Interview von Stefanie Schulte Strathaus, in: Heaven Sent 13, Frankfurt am Main: Graben Verlag 1994. S. 78-83.
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Shaviro, Steven (1993) The Cinematic Body. Theory out of bound. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Schlüpmann, Heide (1998) Abendröthe der Subjektphilosophie. Eine Ästhetik des Kinos. Frankfurt am Main/Basel: Stroemfeld.
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