Für ein selbstbewusstes FotoKino
"Yi heißt im Chinesischen eins und ist auch der erste Eintrag im Wörterbuch; Yi Yi heißt soviel wie Individualität. Das Yi wird dargestellt durch einen einfachen horizontalen Strich. Legt man zwei dieser Striche übereinander, dann heißt das zwei, meint aber die Art und Weise, in der ein Individuum mit dem anderen verbunden ist." (Worthmann 2001, 41)
Der Begriff 'Yi Yi' in Edward Yangs gleichnamigem Film steht für das Analoge und für die Wiederholung, bleibt aber kein abstraktes Prinzip. Es erfährt vielmehr seine Personifikation in Yang Yang, dem namentlichen Alter Ego des Regisseurs.
Yang Yang ist ein kleiner Junge, der einer systematischen und philosophischen Tätigkeit nachgeht: Er fotografiert. Dabei hat er sich einem seriellen Vorgehen verschrieben. Yang Yangs Interesse richtet sich auf das Unsichtbare, das sich dem technisch unausgerüsteten, individuellen Auge entzieht. Dahinter verbirgt sich jedoch keine Metaphysik, sondern das Interesse an konkreten Dingen und ihrer Wahrnehmung. Zunächst fotografiert Yang Yang Mücken. Seine Fotoserie beweist, dass diese so klein und vor allem so beweglich sind, dass das träge menschliche Auge sie nicht fassen kann. Nicht einmal das verlängerte Auge der Kamera vermag sie zu fixieren. Die Fotoreihe lässt lediglich unspezifische Wohnungsecken oder Flurwände erkennen. Das Labor, in dem der kleine Fotograf seinem seriellen Experiment nachgeht, präsentiert sich im fotografischen Bild, das die reale Existenz der Mücke beglaubigen soll, lediglich als Versuchsrahmen, dem das Objekt der Analyse entweder entwischt oder in dem es zum Verschwinden kommt.
Yang Yang macht nun den Schritt vom Tier- zum Menschenversuch. War ihm bei seiner ersten Versuchsanordnung die Wiederholung als genuin fotografisches Problem in den Blick geraten, so kommt nun das mediale Problem des Analogen hinzu. Dem kommt Yang Yang durch eine ungewöhnliche Perspektive auf die Spur, die ihrerseits den Kern eines weiteren Problems trifft: das unserer Selbstwahrnehmung. Der kleine Junge nimmt nämlich mit der Kamera systematisch Hinterköpfe auf. Wie in der deiktischen Gebrauchsweise der Personalausweise und Verbrecherkarteien das „en face“ die Identität von Porträt und Person indizieren soll (und damit sowohl den apparativen wie ästhetischen Konstruktionscharakter wie auch die Nachträglichkeit des fotografischen Bilder leugnet), so macht Yang Yang mit derselben Konsequenz die blinden Flecken dieser Systematik dingfest. Er weist nach, dass jedem Gesicht sein Hinterkopf fehlt. Yang Yangs Grundfrage ist daher nicht nur eine kategorische und systematische, sondern zuallererst eine anthropologische. Er prüft kritisch die Bedingungen und Grenzen der primären sensorischen Körpererfahrung als Medium der Selbstvergewisserung. Und er tut dies mit Hilfe der sekundären Körpererfahrung durch den technischen Apparat. Er stellt fest, dass zwischen dem Körper als wahrnehmendem Sinnesorgan und dem Körper als wahrgenommenem Pendant ein Verhältnis von Kohärenz und Differenz zugleich besteht. Dasselbe gilt für die Relation der analogen Bilder von Fotografie und Film zu ihren Vor-Bildern. Wir „besitzen“ unseren Körper und können ihn dennoch nicht in seiner Gesamtheit sehen. Die Fotografie und der Film sind direkter Abdruck des Aufgenommenen und sind dennoch raumzeitlich und mimetisch von diesem getrennt.
Yang Yang hat so mit dem Fotoapparat das adäquate Medium für seine Erkundungen in Sachen Mensch gefunden. Der Verbund von Körper und Fotografie potenziert das ontologische Dilemma beider Wahrnehmungsinstanzen. Sie werden als Medien einer disparaten, vermittelten und vermittelnden Welterfahrung zum eigentlichen Thema von Yang Yangs Bildproduktion.
In dieser brüchigen Tiefendimension des Körpers als Zeichen eines prekären Selbst-Bewußtseins und der analogen Medien als Zeichen eines kontingenten Körpers wird Yang Yangs Fotografie zum Prinzip Yi Yi. Das heißt, dass die Doppelung, die in der primären Referentialität zwischen Foto und Fotografiertem aufscheint, konsequent in das weiterführende Prinzip der Serie mündet. Zunächst vollzieht sich dies, indem Yang Yang einem ersten Element, dem Hinterkopf, ein zweites, dessen Fotografie, in der Weise beifügt, wie sich der erste horizontale Strich dem zweiten im chinesischen Wörterbuch hinzugesellt, oder wie der Signifikant dem Signifikat in okzidentalen Zeichentheorien zugeordnet ist: als bedeutungsstiftende Doppelung, die Identität – wenn auch eine zutiefst prekäre – hervorbringt. Diese Identität weist sich im selben Zuge jedoch als zweideutig aus. So meint Yi Yi "eins und eins" und eröffnet eine additive serielle Struktur, die unendlich fortsetzbar ist, es kann aber auch "eins, und zwei" bedeuten und eine permutative Reihe initiieren. Die Relation zwischen erstem und zweitem Glied einer (Bedeutungs)Kette wird so als polyvalente Beziehungsstruktur deutlich. Sie ist nicht nur durch die Verbindung ihrer Teile, sondern auch durch deren Trennung voneinander geprägt. Genau in diesen Intervallen eröffnen sich verschiedene Formen ihrer syntaktischen Verknüpfung und der Bedeutungen, die diese den Teilen verleiht. So entsteht die paradoxe Funktion der Herstellung von Identität durch Differenz. Diese Paradoxie ist dem abendländischen Zeichensystem, dem Yi Yi und den analogen Medien gleichermaßen eigentümlich.
Gerade diese primäre Kontingenz im Verhältnis von Körper und Ich, Körper und Fotografie produziert den Zwang zur permanenten Schließung der Divergenz, die jedoch nie gelingen kann. Das macht Yang Yang zum Serientäter.
Auf den ersten Blick steht Yang Yang mit seinem Verfahren, systematisch Hinterköpfe aufzunehmen, der wissenschaftlichen Körperfotografie nahe, kreiert er doch eine Reihe von Bildern, die in derselben Absicht gemacht sind, die das gleiche Sujet haben und die mit Hilfe der Kamera die gleichen ästhetischen Rahmenbedingungen aufweisen. Seine fotografische Reihe ist prinzipiell gesehen eine offene Serie. Sie ist in der sequentiellen Folge unendlich erweiterbar, solange es Fotoapparate und so viele Menschen es gibt. Die Serie der Hinterköpfe tendiert zugleich jedoch in der primären Tiefendimension von Fotografie und Fotografiertem zur Beschließung, denn potentiell könnte zu jedem menschlichen "en face" ein passendes "en arrière" entstehen. Doch Yang Yang geht es keineswegs um eine ergänzende Physiognomik (wie Lombroso und der medizinisch-kriminologischen Fotografie). Ihm geht es um die Möglichkeiten und Grenzen unserer menschlichen Wahrnehmung und damit um den unhintergehbaren Riss zwischen dem "en face", das wir zumindest im Spiegel selbst bestätigen können, und dem "en arrière", das wir nur durch ein vermitteltes und vermittelndes Bildverfahren visuell wahrnehmen können. Es handelt sich dabei um einen aus der anthropologischen Unzulänglichkeit des Auges resultierenden medialen Riß. Im engeren Sinne ist es der raum-zeitliche Sprung, der das Foto im Gegensatz zum Spiegel immer schon als ein nachträgliches und unbewegliches Bild ausweist, so dass Gesicht und Hinterkopf visuell nie zusammenpassen können. Die serielle Struktur Yang Yangs bringt daher ans fotografische Licht, dass es nur eine unendliche Reihe von unabschließbaren Körperbildern geben kann, denn sie sind weder mit Hilfe des menschlichen Auges noch mit der des Fotos eindeutig rekonstruierbar. In seinem seriellen Vorgehen entdeckt Yang Yang so die wahrnehmungstheoretische Prämisse des menschlichen Körpers als eines Körpers in Teilen und des analogen Körperbildes als eines ebenso lückenhaften Konterfeis. Seine seriellen Körperfotografien machen ihn damit zum analytischen Anthropologen im Medium der analogen Bilder. (Yang 2001)
Die Effekte der Unübersichtlichkeit und des Fragmentcharakters von Körpern/Bildern, die sich Yang Yang durch sein Experiment erschließt und die ihn gleichzeitig zur Produktion immer neuer Fotos drängt, wendet der Regisseur Edward Yang in seinem Film jedoch in eine durchaus versöhnende soziale Verwendungsweise der Fotografie. Denn die Aufnahmen, die der kleine Fotograf von vielen Personen ohne deren Blickkontrolle macht, gibt Yang Yang den Fotografierten als Geschenk zurück: als Anschauungshilfe für etwas, das sie real niemals sehen können, und das doch physisch untrennbar mit ihnen verbunden ist. Aus dem Befund einer Unzulänglichkeit der Körpers als Ort visueller Selbstwahrnehmung macht er eine geglückte Gabe, restituiert er doch den Menschen etwas, das schon immer zu ihnen gehört hat und das ihnen dennoch visuell nicht zu eigen ist. (Wittmann 2001) Die versöhnliche Geste ist aber keine der medialen Schließung, sie geschieht vielmehr im Bewußtsein der Kontingenz des Körpers und des analogen Körperbildes und macht das Geschenk zum Akt der Weitergabe dieses Wissens.
Die gelungenste Gabe jedoch ist, dass Yang Yang mit seinem seriellen Verfahren dem Film sein fotografisches Dispositiv zurückgibt. Dies geschieht in einer Szene, in der sein Vater die ganze Fotoserie der Hinterköpfe in den Händen hält und mit ihnen zu spielen beginnt: zunächst macht er einen Fächer aus ihnen, dann schiebt er sie wieder zusammen, um sich jedes einzelne Foto in einem immer rascheren Zeittakt anzuschauen. So entsteht fast der Eindruck des Spielkartenmischens, mit einem signifikanten Unterschied: die Karten werden nicht vorne weggezogen, um dann den Stapel von hinten wieder aufzufüllen. Yang Yangs Vater nimmt vielmehr das jeweils oberste ganz weg. Es verschwindet aus dem Kader, so dass am Schluss die taschenspielerartige Bewegung beim letzten Hinterkopffoto unvermittelt zu einem Halt kommt. Durch den Blick des Vaters und dessen Handhabung der Fotos werden die Hinterkopfansichten, diese ikonischen "Antigesichter", wie in einer kintoppartigen Rückwärtsbewegung animiert und dann arretiert. (Barthes, 1980) In dieser Einstellung sind nur die Hände des Vaters zu sehen. An die Stelle seines Kopfes und damit seines Auges hat sich die Filmkamera gesetzt, und wir sehen aus deren subjektiver Perspektive auf das Spiel der Fotos. Der Regisseur hat so durch die Bild-im-Film-Konstellation eine mediale Staffelung in Szene gesetzt, die in einen medialen Selbstkommentar umschlägt. Wir werden uns dadurch der filmischen Konstruktion einer Blickachse bewußt, die ausgehend von unserem scheinbar körperlosen Auge durch die transparente Kamera direkt auf die Figuren und Dinge des Films trifft, ohne eine physische Instanz zu markieren. Indem wir am Ende dieser unsichtbaren Perspektivschichtung jedoch gleichsam arretiert werden und an dem zum diegetischen Gegenstand gewordenen Foto Yang Yangs innehalten, wird der Fluss des filmischen Sehens unterbrochen, und wir sind mit statischen Bildern konfrontiert, die uns sowohl medial als auch durch ihr Sujet der Hinterköpfe in unsere Position im Kinosaal zurück katapultieren. Sie verankern unser Auge wieder in einer körperlichen Instanz und lassen die Zwischenpositionen, die zum Zweck illusionistischer Bildproduktion zum Verschwinden gebracht werden, wieder in den Blickhorizont treten. Von Yang Yangs Fotografien ausgehend, beginnen wir etwa die realen Hinterköpfe der Zuschauer vor uns im Kino wahrzunehmen, zu denen uns die Gesichter fehlen. Und wir werden auf die Kamera als Leerstelle für den Kopf des Vaters bzw. das Auge des Filmemachers aufmerksam. Damit wird Yang Yang zu einem Komplizen René Magrittes.
Indem Magritte die Spiegel-Illusion des Gemäldes zunächst durch seine naturalistische Malweise akzentuiert (und im Detail des spiegelverkehrten Buches auch durchführt), nur um sie (in den gestaffelten Hinterköpfen vor und im Spiegel) zugleich zu durchbrechen, versetzt auch er uns in unsere Position vor dem Bild zurück und sagt: "Die Leinwand ist die Leinwand" oder in seinem ureigenen Jargon: "Ceci n'est pas un miroir", und meint damit den gemalten Gegenstand im Bild und das Gemälde selbst. Genauso bringt auch Yang Yang mit seinen fotografierten Hinterköpfen die mediale Selbstreferentialität des Films hervor. Die Fotografie wird zum Instrument, das die Verschmelzung der verschiedenen Blickpositionen im Film rückgängig machen kann und sie wieder in eine Folge voneinander unterschiedener Instanzen zerteilt. Das „eins zu eins“ erweitert sich so zur Folge „eins, und zwei, und drei usw.“, die jeweils den in der Tiefendimension hinter einander gestaffelten Positionen des Zuschauers, des Filmemachers, der Filmfigur von Yang Yangs Vater und der Hinterkopffotografien entsprechen.
Edward Yang setzt diese Permutation darüber hinaus auch filmspezifisch, speziell in der Narration, um, indem er sein Motto YI YI. A ONE, AND A TWO als Rhythmisierung des Lebens bezeichnet, die dadurch entsteht, dass immer wieder neue Figuren in die Szenerie eintreten. Denn anders als die Fotografie vermag der Film in der Sukzession seiner durch Licht projizierten Bilder eine lückenlose Erzählung zu entwickeln. Sie ermöglicht eine Bild-Existenz der Figuren, die ein raum-zeitliches Äquivalent zur "Lebenszeit" suggeriert. Diese Illusion basiert nicht zuletzt auf dem in Bewegung versetzten und versetzenden analogen Medium des Films, der die aufgenommenen Personen als "real so Existierende" gleichsam "lebendiger" wiedergibt und also solche beglaubigt. Der Index des analogen Bildes stützt hier die Illusion der lückenlosen Kinobilder und deren Suggestion real gelebten Lebens.
Demonstrativ eingesetzte Formen der Wiederholung können diese Illusion beschwören und bestärken, sie aber auch brechen und den additiven Charakter des Films wieder hervortreten lassen. In Edward Yangs Film wird dies durch eine Folge nur leicht variierter Handlungen in Szene gesetzt. Der Erzählrahmen erstreckt sich zwischen Hochzeit und Begräbnis und legt auf den ersten Blick einen geschlossenen biologischen und rituellen Zeitzyklus zugrunde. Die zahlreichen Geschichten in den Geschichten eröffnen jedoch im Rahmen der Familiengenealogie eine schwindelerregende Folge von "Déjà vus". Väter wiederholen ihre eigenen amoureusen Jugenderlebnisse und merken, noch während sie dies tun, dass es nicht mehr dasselbe ist. Töchter erleben den gleichen Liebeskummer wie ihre Mütter und variieren deren Verhalten in oft nur minimalen Handlungen. Und auch Yang Yang tritt ausgerechnet mit seinen fotografischen Investigationen in die Fußspuren seines Vaters. Als skurriler Tüftler wird er innerhalb der Erzählung zu dessen Alter Ego, so wie er auf der medialen Ebene das Pendant des Regisseurs ist. Allerdings ist er auch innerhalb der Story ein Ebenbild "en miniature" und operiert in einem anderen, anachronistischen Medium, denn sein Vater ist ihm als Computerspezialist medienhistorisch weit voraus.
Spiegelungen, Wiederholungen, Invertierungen, das ist das Zauberspiel, mit dem der Film auch narrativ seriell arbeiten kann und mit dem er – ganz dem Motto des Yi Yi verpflichtet – Identitäten beschreibt, wie sie sich erst durch ihre Ähnlichkeit und Abweichung von anderen Individuen konstituieren. So wie das Bild-im-Bild-Verfahren von Yang Yangs Fotos im Film zur Metapher für die Funktion des fotografischen Dispositivs des Films wird, verweist auch das narrative Wiederholungsprinzip auf die syntaktische Verknüpfung der Wiederholung und Permutation als Strukturprinzip der Filmerzählung. Beide fungieren zugleich als Bestätigung der analogen Realitätsmacht des Films und als Irritation seines illusionistischen Zeitflusses. So rekurrieren die Einzelfotos der Hinterköpfe auf die Einzelkader des Films und den Schnitt, der sie voneinander trennt. Und so verweisen die wiederholten Lebensläufe auf die Reproduzierbarkeit der Projektion, die uns denselben Film wieder und wieder vor Augen führen kann, oder auf die filmischen Remakes, die – klassischen Mythenerzählungen vergleichbar – dieselben Geschichten stets von neuem erzählen. Genauso wenig jedoch, wie es Yang Yang mit seinen Serienfotos um Metaphysik geht, geht es Edward Yang mit seinem narrativen Wiederholungsprinzip um Fatalismus. Eher konfrontiert er uns in seinem Familienroman als Fortsetzungsroman mit einer performativen Verkörperungsstrategie, die noch im Zwang zur partiellen Bestätigung konventioneller Rollen immer auch deren Grenzen neu auszuloten vermag.
Das als Gegenstand diegetisch im Film auftauchende Foto und die verkörperte Wiederholung erzählerischer Momente im analogen Bild des Films können also beide – wie in Edward Yangs YI YI – eine Selbstreflektion des Kinos hervorbringen, die gleichsam von zwei Polen her schaut: einmal von der statischen Fotografie her, welche die Tiefendimension des analogen Mediums als Zeichen eines Bezeichneten, das wirklich existiert hat, in all ihrer Paradoxie thematisiert, und einmal vom Erzählfluss des narrativen Films her, welcher durch die Wiederholung in der Handlung nicht nur eine Allegorie auf die eigene technische Reproduzierbarkeit schafft, sondern diese als Movens einer sich stets erneuernden großen – man könnte sagen mythischen – Erzählung zutage treten lässt.
Dass es immer ein gewagtes, partiell zum Scheitern verurteiltes und zugleich lohnendes Unterfangen ist, die beiden so unterschiedlichen und so verwandten Perspektiven von Foto und Kino zusammenzubringen, davon erzählt YI YI auf vielen Ebenen. Denn – so die Lektion Yang Yangs – wir können daraus keinen homogenen, alles vereinenden Blick synthetisieren. Was wir jedoch gewinnen können, ist ein gleichsam schielender Blick, in dem sich Konträres, Unvereinbares momenthaft kreuzt, um dann gleich wieder auseinanderzutreten. Und was wir noch gewinnen können, ist ein Körper, den wir beim Schauen wieder wahrnehmen und mit dem wir wieder sehen lernen, so dass zum Beispiel das HinterKöpfeSchauen zu einem hochreflexiven, politisch-analytischen Experimentierfeld und einem sehr vergnüglichen explorativen Alltagsspiel werden kann, wie uns viele junge KünstlerInnen heute zeigen.
Und dass uns allein die Versuche, beide Perspektiven von Foto und Kino filmkünstlerisch zusammen zu bringen, weit mehr zu sagen haben, als jeder Film oder jede einzelne Fotografie für sich, auch das vergisst Edward Yang nicht, uns mit auf den Weg zu geben. So sagt die Freundin von Yang Yangs Schwester einmal in einer Szene seines Films: "Seit es Kino gibt, sieht man drei mal mehr". Spätestens seit den fotografischen Versuchen Yang Yangs im HinterKöpfeSchauen wissen wir nun, dass sein Alter Ego, der Filmregisseur Edward Yang, damit eine ganz bestimmte Form des Kinos meint: das selbstbewusste FotoKino. Da sehen wir nämlich mindestens das eine und das andere und beide überkreuz. (Sykora, 2001)
Barthes, Roland (1989) Die helle Kammer, Frankfurt/Main: Suhrkamp TB
Yang, Edward: An Interview, http://www.yiyithemovie.com/intv.html
Sykora, Katharina: Yi Yi oder ein Bunny sieht rot. Verkörperte Serialität und das analoge Bild, in: Ausstellungskatalog: Monets Vermächtnis. Serie – Ordnung und Obsession, Hamburger Kunsthalle, Ostfildern-Ruit 2001, S. 53-58.
Wittmann, Barbara: Edouard Manets Poetik der Gabe, Vortrag gehalten am 24.3.2001 auf dem XXVI. Deutschen Kunsthistorikertag in Hamburg.
Worthmann, Merten: Hinter den Spiegeln. Das Leben und das Glück in Edward Yangs großem Film Yi Yi, in: DIE ZEIT, Nr. 25, 13. Juni 2001, S. 41.