Die auditive Dimension des US-Spielfilms nach 9/11
Die terroristischen Anschläge des 11. Septembers 2001 gelten, das ist ein Konsens des bisherigen interdisziplinären Diskurses, als zentral bildliches Ereignis. Verwiesen wird zum einen auf die visuelle Wirksamkeit der in symbolträchtige Bauten einschlagenden Passagierflugzeuge, der explodierenden und brennenden Architekturen, schließlich der einstürzenden Hochhaustürme. Vom unwirklichen Bild herabstürzender Menschenkörper einmal ganz zu schweigen. Dieser „visuellen Kriegserklärung“ (Metz/Seeßlen 2002: S. 19) folgt zum anderen der seither weltweit wütende „Bilderkrieg“ (Paul 2005). Parallel gilt auch die mediale Auseinandersetzung – nicht nur mit diesen Ereignissen der Zeitgeschichte – als visuell dominiert. Mit der auditiven Analyse des US-Spielfilms über die Ära nach 9/11 zeigt sich im Folgenden, dass das Verständnis einer reinen „Visual History“ (Paul 2006) hinsichtlich des Kinos zum Terror und Gegen-Terror1 der jüngsten Zeitgeschichte unzureichend und mitunter kontraproduktiv ist. Umgekehrt erreicht die Soundscape des fiktionalen Films eine Bedeutungsebene, die diejenige des Bildes nicht alleine ergänzt, sondern infrage stellen und sogar überwinden kann.
Der Film beginnt mit einem langen Schwarzbild. Nach der kurzen Texteinblendung, das Folgende basiere auf „first hand accounts of actual events“, sind zunächst schwer verständliche Ausschnitte verschiedener Funksprüche zu hören. Fast zeitgleich mit der zusätzlichen Einblendung „September 11, 2001“ lässt sich nach rund zehn Sekunden mit der Flugkennung „United 93“ erstmals ein Begriff klar einordnen. Bei wieder vollkommen schwarzer Leinwand setzt sich die fast anderthalbminütige Toncollage weiterer Funk- und Telefonausschnitte fort. Teilweise stark verrauscht, mitunter unterbrochen oder ineinander übergehend, sind Ausdrücke wie „hijacked“, „cockpit“, „planes“, „crashed“, „World Trade Center“ und „I love you“ zu vernehmen. Eine Frau schreit verzweifelt. Weitere Stimmen zeugen vom dramatischen Verlauf der Ereignisse: „I’m gonna die“, „It’s so hot“, schließlich „Oh my God“. Die Tonspur blendet aus.
Der Prolog des Spielfilms ZERO DARK THIRTY (USA 2012) unter der Regie von Kathryn Bigelow ist ästhetisch vergleichsweise radikal, der Verzicht auf die vertrauten Katastrophenbilder frappierend.2 Außer der textlichen Orientierung, die den Gegenwartsbezug des Films etabliert, erfolgt die einleitende Rekapitulation der 9/11-Anschläge rein auditiv. Diese starke Konzentration auf die Tonspur hat zweierlei Implikationen: Einerseits begünstigt sie das affektive Miterleben des Unglücks aus der Perspektive der Betroffenen. In der Rezeption erscheint die Collage im Sinne Michel Chions in einer akusmatischen Wesenhaftigkeit (Chion 1984), die deren Wirkung gerade durch die visuelle Abwesenheit der Sprecher gesteigert wird. Die Immersion wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die einzelnen Stimmen (bei entsprechendem Lautsprecher-Setup im Kino/Heimkino) aus unterschiedlichen, auch rückwärtigen Richtungen kommen und den Zuhörer somit förmlich umgeben. Andererseits wirken die Ausschnitte durch die eher schlechte Tonqualität, das emotionale Timbre der Sprache und die einschlägigen Begrifflichkeiten zwar durchaus realitätsnah, sind als solche jedoch nicht verifizierbar. Dass hier Aufzeichnungen tatsächlicher Kommunikation am 11.09.2001 zu hören sind, lässt sich allenfalls aus dem Protest Angehöriger der Opfer gegen die Verwendung der Mitschnitte (Cieply 2013), also abseits des Films selbst schließen. Zudem handelt es sich merklich um eine Montage, also um eine selektive Zusammenstellung einzelner Fragmente. Der Eindruck des Dokumentarischen konkurriert insoweit mit der erkennbaren medialen Modulation des Prologs.
In seiner Haupthandlung erzählt ZERO DARK THIRTY von der Jagd der US-Geheimdienste auf Osama bin Laden. Vor dem hinlänglich bekannten Filmende, der Tötung des mutmaßlichen Drahtziehers der 9/11-Anschläge im Mai 2011, reicht die Exposition ein volles Jahrzehnt zurück zur ursprünglichen Tat. Dass die Erinnerung an die Katastrophe ausgerechnet die im bisherigen Mediendiskurs derart dominanten Bilder des Tages ausspart, kann unterschiedlich bewertet werden. Zunächst ist es ein Zugeständnis an die visuelle Übermacht nicht nur des 11. Septembers selbst, sondern jeglicher medialer Repräsentation des Ereignisses. Gerade indem nur der Sound des Terrors angeboten wird, evoziert dies die bewusst abwesende Bilderflut umso vehementer vor dem geistigen Auge (vgl. Randell 2010: S. 141f.).
Andererseits bietet ZERO DARK THIRTY zur vornehmlich visuellen Erinnerung eine Alternative und wechselt im Zuge dessen sogar den Fokus des Repräsentierten: Zu hören sind nicht etwa Flugzeugturbinen oder krachende Hochhausfassaden, sondern menschliche Zeugnisse, deren bildliche Entsprechung schlicht nicht vorhanden ist. Gerade im Fall der tatsächlichen Opfer der Anschläge stellt der Prolog insofern ein – wenigstens teilweise dokumentarisches – Vermächtnis, eine Art akustische Gedenktafel dar. Bezeichnenderweise wird der Protest der Hinterbliebenen explizit mit dem Kontext der späteren Filmhandlung (die Folter) begründet und richtet sich nicht gegen die Zitation an sich. Gleichzeitig erfüllt die Auftaktsequenz eine dramaturgische – und womöglich ideologische – Funktion, nämlich die filmimmanent wie realgeschichtlich zentrale Motivation für die Ergreifung der Tatverantwortlichen. Wenn sich der Film eingangs gänzlich der Opferperspektive verschlägt und das zudem auf der maßgeblich emotionalen Ebene des Zitats bekanntermaßen Todgeweihter, ist das für die Konstellation der nachfolgenden Handlung folgenschwer, wie sich noch zeigen wird.
Dass die Anschläge vom 11. September eine gewichtige auditive Dimension aufweisen, führt nicht erst ZERO DARK THIRTY vor. In der Tat ist bereits das 9/11-Ereignis selbst auch – oder sogar ursprünglich – als „auditory event“ zu verstehen, da das ungewöhnlich laute Dröhnen des ersten Unglücksflugzeuges, American Airlines 11, von vielen Primärzeugen in Manhattan zunächst und vielfach bereits vor dem Einschlag akustisch wahrgenommen wurde (Fisher/Flota 2011: S. 3). Für alle anderen Rezipienten der Anschläge, die große Mehrheit also, begleitet der unablässige, lange notgedrungen unpräzise Kommentar der Moderatoren, Reporter, Experten und Augenzeugen die Bilderflut. Der Klang des Terrors und der verbalisierten Erklärung bildet somit von Anbeginn einen wesentlichen Aspekt der direkten und indirekten Teilhabe an 9/11.
Der US-Spielfilm zu den Anschlägen ergänzt diese auditive Erfahrung und Modulation zeitgeschichtlicher Vorgänge um eine Vielzahl weiterer Sounds. UNITED 93 (R: Paul Greengrass, F/UK/USA 2006), ein Film über das vierte am 11.9. entführte Flugzeug beginnt mit dem Gebet der späteren Attentäter in arabischer Sprache. Wenn auch nur für die Dauer einiger Sekunden, so setzt auch hier die Tonspur bereits vor dem ersten sichtbaren Bild ein. Signifikanterweise ist der Gebetstext – im Gegensatz zu den arabischsprachigen Dialogen – nicht untertitelt, allerdings sehr wohl mit bedrohlich wirkender Musik unterlegt (vgl. Creekmur 2010: S. 87, 89). Hier initiiert UNITED 93 einen Topos des US-Kinos, der sich in den Filmen zum Anti-Terror-Krieg fortsetzen wird: die vornehmlich akustisch geleistete religiöse Aufladung des terroristischen Akts. Im weiteren Verlauf der Handlung untermauert die Tonspur den dokumentarähnlichen Stil des Films und sichert durch die mehrfach sekundär (sicht- und) hörbare Original-Fernsehberichterstattung, die originalgetreue Geräuschkulisse und die improvisierten Dialoge den Eindruck der Realitätsnähe. Allerdings verrät der prägnante Einsatz des orchestralen Score den konstruktiven Modus der filmischen Fiktion. Ebenfalls ist in UNITED 93 der Schrei erstmals als ein zentraler Klang des Post-9/11-Kinos zu verorten: erstens der Schrei des Opfers, der ob der Brutalität der Terroristen schockierten Fluggäste, den die Anfangssequenz von ZERO DARK THIRTY aufgreift; zweitens der Schrei der Rezipienten beim Betrachten der Fernsehbilder, der die Integration der (echten) medialen Vermittlung von 9/11 in UNITED 93 in einer Szene im Flugkontrollzentrum hörbar begleitet. Auch die Zitation der Entführungsopfer findet sich in den – hier allerdings re-inszenierten – Telefonanrufen der Flugpassagiere bereits in diesem Film. Schließlich, in seinem allerletzten Moment, nimmt UNITED 93 die Aussparung des katastrophischen Bildes in ZERO DARK THIRTY vorweg: Den Aufprall des Flugzeuges ersetzt ein cut to black; das musikalische Crescendo klingt hingegen einige Sekunden nach. In der markanten Schwärze der Leinwand verbleibt der dissonante Ton als ästhetisches Signal der finalen Vernichtung.
Die Tonspur von WORLD TRADE CENTER (R: Oliver Stone, USA 2006) beinhaltet bereits vor dem Anschlag wiederholt Funkverkehr. Was zunächst als alltäglicher Kommunikationsweg der New Yorker Polizei erscheint und sich im bald eingetretenen Einsatzfall verschärft, hat in UNITED 93 seine Entsprechung in der Flugverkehr-Koordination via Funk. In WORLD TRADE CENTER funken die bald unter den Turmtrümmern verschütteten Protagonisten sogar dann noch weiter, als die Nachrichten bekanntermaßen keinen Adressaten mehr haben. Im Gegensatz zu UNITED 93 ist der Klang des eigentlichen Terrors hier zuvor durchaus hörbar, während die medial bekannten Bilder nicht re-inszeniert werden (vgl. Randell 2010: S. 146, 149): Den Einschlag von AA 11 erleben wir mit zwei Polizisten rein auditiv als dumpfen Knall; der aus der Perspektive der Rettungskräfte gezeigte Einsturz des Südturms verdankt im Wesentlichen der ohrenbetäubenden Tonspur seine Drastik, der Einsturz des Nordturms wird in der Dunkelheit der Trümmer im Grunde überhaupt nur noch klanglich nachvollziehbar.3 Ein harter Schnitt zur Stille nach dem Lärm verstärkt diesen Effekt umso mehr. Neben den verzweifelten Gesprächen der Verletzten durchbrechen abermals Schreie das latente Grollen in den Trümmerszenen – insbesondere die Schmerzensschreie des von Nicolas Cage gespielten, eingeklemmten Polizisten McLoughlin. Auch die Auflösung des Plots von WORLD TRADE CENTER, die Entdeckung der Verschütteten, erfolgt über Töne: das absichtliche Schwingen eines Eisenrohrs sowie schließlich die Hilferufe der Polizisten. Sowohl UNITED 93 als auch WORLD TRADE CENTER führen insofern bereits einen spezifischen Sound des 9/11-Terrors – meistenteils unter Aussparung der ikonischen Bilder – vor.
An den bilderlosen Prolog von ZERO DARK THIRTY schließt sich direkt die erste Folterszene des Films an. Dies ist als kausale Verknüpfung von Aktion und Reaktion auf ideologischer Ebene bedeutsam, zumal der Nexus auch auf der Tonspur expliziert wird. Das Geräusch des Öffnens und Schließens einer schweren Stahltür läutet den Beginn der eigentlichen Filmhandlung ein und veranschaulicht gleichzeitig das Eingesperrtsein des Verdächtigen. Während die extradiegetische Filmmusik das Geschehen nur äußerst dezent akzentuiert, dominieren die Schreie des Gefolterten (Reda Kateb als Neffe des mutmaßlichen ‚Chefplaners‘ der 9/11-Anschläge, Khalid Scheich Mohammad). In der hallenden Atmosphäre des schäbigen Raumes stellen das Stöhnen und der akustische Protest des Delinquenten den Effekt der Folter wesentlich drastischer dar als die eher unauffällige Bildsprache.
Als CIA-Agent Dan (Jason Clarke) den Verdächtigen in einer späteren Szene – direkt nach der Folter durch diegetisch kurz hörbare Rockmusik – noch bestialischer demütigt, artikuliert dieser seinen physischen wie psychischen Schmerz noch lauter brüllend. Auch das gewaltsame Verhör eines weiteren Verdächtigen (Yoav Levi als ranghohes al-Qaida-Mitglied) ist von dessen Stöhnen und – durch das Waterboarding gedämpfte – Schreie geprägt. In dieser Hinsicht diffundiert der einst von Chion konstatierte „screaming point“ als narratives Ziel (Chion 1984: S. 74-79) nunmehr in die Gesamtheit der filmischen Ästhetik, die also nicht länger direktional auf einen Schrei hinausläuft. Gegenüber Chions auf die weiblich-passive Exklamation konzentriertes Verständnis relativiert sich hinsichtlich der zumeist männlichen Folteropfer nunmehr auch die Genderspezifik des filmischen Schreis. Wenn der Zugriff der Armee-Sonderheit auf das Anwesen bin Ladens am Ende von ZERO DARK THIRTY dennoch vom schrillen Protest weiblicher Familienangehöriger begleitet wird, stellt das eine Ausnahme im gegenwärtigen Kino dar. (Die lange Schlusssequenz ist durch ihre Dunkelheit, die oft an eine faktische Unkenntlichkeit grenzt, auch insgesamt von einer zentral auditiven Dynamik.) Die qualvollen Laute der Verfolgten und Gefolterten antworten somit im Spielfilm auf die Schreie der auch zu Beginn von ZERO DARK THIRTY zitierten 9/11-Opfer. Darüber hinaus wird den sonst überwiegend unhörbaren Opfern des Anti-Terror-Krieges eine – wenn auch weitgehend sprachlose – Stimme gegeben.
Die Tonspur von ZERO DARK THIRTY bestimmt daneben dreierlei: Zum Ersten ist dies der Sound des terroristischen Akts, zumeist als krachende Detonation eines Sprengsatzes. So findet etwa die Explosion des Linienbusses in London (2005) im Film primär auditiv statt, da das Fahrzeug durch einen Baum verdeckt ist. Zum Zweiten untermauern die sekundär in die Spielfilmhandlung integrierten (von diegetischen Monitoren abgefilmten) Fernsehaufnahmen, etwa Ansprachen George W. Bushs und Barack Obamas, den zeithistorischen Kontext oftmals eher hör- als sichtbar, wenn auch vergleichsweise unterschwellig. Zum Dritten fällt die zweifache Äußerung des muslimischen Gebetsrufs „Allahu akbar“ auf, einmal als Ruhestörung der Protagonistin Maya (Jessica Chastain), ein anderes Mal im unmittelbaren Vorfeld des Suizidattentats in einem US-Camp in Afghanistan (2009). In beiden Fällen ist der Ausspruch negativ konnotiert. Diese einseitige, oft stigmatisierende Verwendung entspricht ebenfalls einer Tendenz des amerikanischen Spielfilms der Ära nach 2001 (Creekmur 2010: S. 87-904).
„Allahu akbar“ als verbales Signal des bevorstehenden Terrors beendet die erste Szene von UNITED 93 und leitet als wiederholter Ruf der Terroristen schließlich die eigentliche Flugzeugentführung ein. Auch in den ersten US-Spielfilmen, die sich direkt mit dem War on Terror auseinandersetzen, kündet das lautstarke religiöse Bekenntnis von der terroristischen Gefahr und wird somit auf seine Funktion als „sound of Islamic fundamentalism“ (Creekmur 2010: S. 87) reduziert. In THE KINGDOM (R: Peter Berg, D/USA 2007), RENDITION (R: Gavin Hood, USA 2007), REDACTED (R: Brian De Palma, CDN/USA 2007) und BODY OF LIES (R: Ridley Scott, UK/USA 2008) ist der muslimische Gebetsruf je dem Anschlag auf ein Compound in Saudi-Arabien, dem Suizidattentat auf einem nordafrikanischen Marktplatz, der Enthauptung eines US-Soldaten im Irak und der geplanten Exekution eines CIA-Agenten in Jordanien vorangestellt. Die zahlreichen Explosionen und langwierigen Schießereien in THE KINGDOM beziehen weite Teile ihrer Intensität aus dem penetranten Lärm der Actionszenen. Ein sowohl von amerikanischer als auch terroristischer Seite geäußertes verbales Racheversprechen bezeugt die fatale Zirkularität der Gewalt im (Anti-Terror-)Krieg. Auch die Sound Tracks von RENDITION und BODY OF LIES durchbrechen wiederholt heftige Detonationen terroristischer Bomben sowie die Schmerzensschreie brutal Verhörter und Gequälter. Obgleich sich REDACTED durch eine anfängliche Einblendung als nur „visuelles“ Dokument über ein von US-Soldaten verübtes Kriegsverbrechen ausgibt, erweist sich die Gesamtheit der unterschiedlichen, zumeist diegetisch gefilmten Perspektiven als auch auditiv komplexes Konstrukt. Insbesondere die Sprache der Soldaten und Iraker, deren arabische Dialoge (wie in sämtlichen Filmen dieses Abschnitts) zumeist untertitelt oder diegetisch übersetzt werden, begründet die Subjektivität der Sichtweisen. REDACTED unterscheidet sich von THE KINGDOM, RENDITION und BODY OF LIES, in denen ebenfalls die Multiperspektivität sprachlich expliziert wird, insofern, als hier westliche extradiegetische Musik (v.a. Händels Sarabande) – konterkarierend – zum Einsatz kommt, während in den drei anderen Filmen nahöstlich klingende Scores westlicher Komponisten die jeweiligen Schauplätze tonal verorten (vgl. Creekmur 2010: S. 86).
In BODY OF LIES, der den Widerstreit konventioneller und hochtechnologischer Kommunikation thematisiert, intensivieren zudem digitale Störgeräusche die verfremdeten Titel- und Abspanntexte sowie die vielfach auf Monitoren und leinwandfüllend sichtbaren Bilder der geheimdienstlichen Luftüberwachung. Die Rückkehr der Terroristen zur telefonischen Verständigung (das erste dabei abgehörte Wort wird durch seine mehrfache Wiederholung hervorgehoben) besiegelt zudem den – zumindest vorläufigen – Triumph der US-Geheimdienstler über die zuvor in analoge Kommunikationswege geflüchteten Antagonisten. Die prominente Verwendung von Störgeräuschen als Zeichen eingeschränkter medialer Vermittlung verbindet BODY OF LIES mit IN THE VALLEY OF ELAH (R: Paul Haggis, USA 2007).
Der bedeutendste einer ganzen Reihe von Heimkehrer-Filmen zum Anti-Terror-Krieg5 lässt ebenfalls insbesondere Rauschen und dissonante Geräusche die Fehlerhaftigkeit von Digitalaufnahmen bezeugen, mit Hilfe derer der Protagonist der Handlung (Tommy Lee Jones) die Kriegserlebnisse seines Sohnes aufzuklären versucht. Mit Ausnahme einer kurzen Szene am Filmende wird das Kriegsgeschehen in IN THE VALLEY OF ELAH ausschließlich in Form dieser gestörten Medialität audiovisualisiert. Wesentlich subtiler fügen sich die fortwährenden, aber nur hintergründigen Original-TV- und Radioausschnitte in die Ästhetik des Films ein, zumal diese oftmals eher zu hören als zu sehen sind. Latent stellt sich somit ein beharrlicher Realitätsbezug der fiktiven Erzählung her. Auch die Schreie eines von den Soldaten gequälten Irakers haben lediglich in einer visuell kaum erkennbaren Videoaufnahme ihre Entsprechung und streichen mithin die Bedeutsamkeit des Tons im Gefüge der Inszenierung heraus.
Trotz der starken Konzentration auf die internen Konflikte eines Bombenentschärfungskommandos im Irak weist auch THE HURT LOCKER (R: Kathryn Bigelow, USA 2008) einige der auditiven Konstanten des zeitgenössischen Kriegsfilms auf. Zu hören sind erneut Schreie von Anschlagsopfern sowie Funkkommunikation, hier ergänzt um den subjektiven Ton des jeweiligen Entschärfungsexperten in der Isolation des Schutzhelmes. Die anfängliche, visuell durch extrem verlangsamte Makroaufnahmen herausgestellte Detonation klingt eher dumpf. Zumal die meisten späteren Sprengsätze entschärft werden können, bestimmen statt spektakulärer Explosionsgeräusche vor allem die dissonante, immer wieder zur Spannungssteigerung eingesetzte Filmmusik und eine beständige Geräuschkulisse aus überfliegenden Jets, Warnsirenen und einem zumeist arabischsprachigen Stimmengewirr die Tonspur von THE HURT LOCKER. Mit Sirenengeräuschen setzt auch der Sound Track von GREEN ZONE (R: Paul Greengrass, F/E/UK/USA 2010) über die ergebnislose Suche nach irakischen Massenvernichtungswaffen ein. Das nächtliche Bombardement Bagdads ist zunächst nur auditiv zu erleben. Der Klang von Explosionen und Gewehrfeuer tritt auch im weiteren Filmverlauf immer wieder dominant hervor, insbesondere im Zuge des langwierigen, in fast völliger Dunkelheit gefilmten Showdowns. Als die Protagonisten in GREEN ZONE ein US-Internierungslager besuchen, finden neuerlich die Schreie Gefangener als signifikanter Sound des Spielfilms zum Anti-Terror-Krieg Verwendung.
ZERO DARK THIRTY stellt 2012 eine vielschichtige Kulmination der auditiven Tendenzen des Post-9/11-Kinos dar. Im Zuge seiner Diegese, die das gesamte Jahrzehnt von 2001 bis 2011 umfasst, versammelt der Film sämtliche zuvor etablierten Töne des Terrors. In der Reihenfolge ihres Erscheinens in ZERO DARK THIRTY sind als wesentliche Sounds des US-Spielfilms zu Terrorismus und dessen Bekämpfung in der vergangenen Dekade demnach zu verstehen: das Geräusch zumeist tonqualitativ eingeschränkter Funk- und sonstiger Telekommunikation; das Zitat von Originaltönen der Zeitgeschichte, zumeist in sekundärer medialer Vermittlung; der Schrei als durchdringende Unmutsäußerung der Opfer des Krieges; der Gebetsruf als Zeichen der religiösen Aufladung der Vorgänge; schließlich der Knall heftiger Bombendetonationen als primärer Ton des eigentlichen terroristischen Akts.
Vom Funkspruch als Indiz der Katastrophe, dem zitierten CNN-Bericht, dem Schrei des Fluggastes, dem „Allahu akbar“ der Terroristen (und dem hier musikalisch ersetzten Aufprall) in UNITED 93 führt die filmhistorische Linie zum originalen Funkverkehr-Zitat, dem Schrei der Anruferin, dem „Oh my God“ der Telefonistin und der terroristischen Explosion in ZERO DARK THIRTY. Die gerade akustisch stets hervorgehobene telekommunikative Verständigung und die bisweilen überhaupt nur hörbare Zitation anderer Medienerzeugnisse sind ein elementarer Bestandteil des Realitätsbezuges der Spielfilme. Die jüngste Zeitgeschichte wird somit auch und insbesondere auditiv repräsentiert. Andererseits deutet die Tonspur der Filme auf die konstruktivistische Funktionsweise des Post-9/11-Kinos hin. So geht die Integration von Originaltönen in den fiktionalen Film stets auch mit einer gezielten Auswahl, Beschränkung und (Neu-)Anordnung des Zitierten einher. Zudem erweist sich die Tonübermittlung in den Filmen vielfach als entscheidende Schnittstelle, aber eben oftmals auch als Schwachstelle der Kommunikation (BODY OF LIES, IN THE VALLEY OF ELAH), die nicht nur für die Filmfiguren, sondern ebenso für die Zuschauer- und Zuhörerschaft Unklarheiten und Leerstellen belassen kann. Der Schrei als ein charakteristischer Sound der filmischen Ära wiederum verleiht den Opfern des Anti-Terror-Krieges zwar eine sonst (auch medial) fehlende Stimme. Bezeichnend sind allerdings abermals die Grenzen dieses Hörbarmachens: Waterboarding erscheint auch deshalb als besonders schlimme Foltermethodik, da durch das Abdecken des Mundes selbst der akustische Protest im wahrsten Wortsinne erstickt wird und von einem Schrei nur noch bedingt die Rede sein kann (RENDITION, ZERO DARK THIRTY).
Der wertende Eingriff der filmischen Narration zeigt sich nicht zuletzt in der – vornehmlich auditiven – Verknüpfung terroristischer Gewalt mit religiösen Implikationen. Auch wenn die Aussparung des Knalls als Klang des eigentlichen Terrorismus-Aktes selten so prägnant ausfällt wie in UNITED 93, lässt sich resümieren, dass in der ‚Soundscape of Terror‘ weniger der Ton der Terror- und Anti-Terror-Maßnahmen selbst dominiert, sondern eher deren auditive Vorläufer und Folgen, deren Vorbereitungen und Reaktionen. Diese Verschiebung unterstreicht, dass der Post-9/11-Film weniger eine reine Repräsentation als vielmehr eine Ergänzung, Reflexion und Modulation der zeitgeschichtlichen Ereignisse leistet.
[T]he almost exclusive attention critics have paid to images (or language) in the ‚War on Terror‘ threatens to return to a once common neglect of the role of sound (including voice) in the production and reception of mass media [...]. (Creekmur 2010: S. 84; Herv. i. Org.)
Von der 9/11-Darstellung als sekundär sichtbares TV-Bild in UNITED 93 über die Substitution der Anschläge mit einem schematischen Symbol in THE KINGDOM und die allenfalls rein sprachlichen Verweise auf den 11. September in sämtlichen übrigen Spielfilmen zum Anti-Terror-Krieg schließt sich mit ZERO DARK THIRTY auch in dieser Hinsicht eine (film)geschichtliche Klammer: die finale Rückkehr zum auslösenden Moment der Epoche, nun allerdings als dezidiert bilderloses Ereignis. Gleich mit seiner ersten Szene mahnt ZERO DARK THIRTY insofern an, 9/11 und dessen mediale (Re-)Konstruktionen nicht alleine als visuelle Erscheinungen zu fassen. Der 11. September als zuerst oder gar ausschließlich bildliche Begebenheit ist somit als Mythos entlarvt, der sich, so steht zu vermuten, in der erschrockenen Sprachlosigkeit angesichts der Katastrophe gründet. Gemäß der Kritik Corey Creekmurs gilt Ähnliches für den Anti-Terror-Krieg, der als reiner „Bilderkrieg“ daher – medienwissenschaftlich geradezu reaktionär – nur unzureichend beschrieben ist, sondern sehr wohl auch einen Konflikt mit Tönen und über Töne – Stichwort: sprachliche Deutungshoheit – darstellt.
Die zwischen 2006 und 2012 veröffentlichten US-Spielfilme verdeutlichen, dass auch der Begriff einer „Visual History“ eine nachteilige Verengung darstellt, wenn damit die Gesamtheit auch einer filmischen Historiografie erfasst sein soll. Geschichte macht das Kino ebenso sehr durch gesprochene Sprache, Töne und Klanglandschaften erfahrbar. In einer Privilegierung des bewegten Bildes gibt die Film- und Geschichtsforschung leichtfertig Indizien aus der Hand, die für eine umfassendere ‚Audiovisual History‘ fruchtbar gemacht werden können. Selbst im (weitgehenden) Einklang mit dem Visuellen verfehlen die Sounds of Terror ihre spezifische Geltung nicht, sondern fügen den Bildern schmerzverzerrter Gesichtszüge oder zerberstender Architekturen eine entscheidende Dimension hinzu. Auch und gerade die Störung des Sounds und durch den Sound, der damit verbundene, umso dringlichere Verweis auf die eigene Medialität des Audiovisuellen, zeugt von der eminenten Bedeutung der Tonspur. In der Abwesenheit bewusst ausgesparter oder schlicht nicht verfügbarer Bilder wird die affektive Wirksamkeit des Filmsounds schließlich in besonderem Maße deutlich. Wenn, wie es der Auftakt von ZERO DARK THIRTY vorführt, nach der Flut der Bilder der reine Ton als Referenz der epochenbildenden Katastrophe verbleibt, ist das Auditive sogar als das nachhaltigere geschichtliche Zeugnis im Spielfilm denkbar.
Chion, Michel (1984) La voix au cinéma. Paris: Cahiers du Cinéma; hier zitiert nach: Ders. (1999) The Voice in Cinema. New York: Columbia Univ. Press.
Cieply, Michael (2013): „A 9/11 Victim’s Family Raises New Objections to ‚Zero Dark Thirty‘“, in: New York Times, 22.02.2013, http://www.nytimes.com/2013/02/23/movies/9-11-victims-family-raises-obje... (01.09.2014).
Creekmur, Corey K. (2010): „The Sound of the ‚War on Terror‘“, in: Birkenstein, J.; Froula, A.; Randell, K. (Hg.): Reframing 9/11. Film, Popular Culture and the ‚War on Terror‘. New York/London: Continuum, S. 83-93.
Fisher, Joseph P.; Flota, Brian (2011): „Introduction – Greet Death: Post-9/11 Music and the Sound of Decay“, in: Dies. (Hg.) The Politics of Post-9/11 Music: Sound, Trauma, and the Music Industry in the Time of Terror. Surrey/Burlington: Ashgate, S. 1-10.
Metz, Markus; Seeßlen, Georg (2002): Krieg der Bilder – Bilder des Krieges. Berlin: Tiamat.
Paul, Gerhard (2005): Der Bilderkrieg: Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der ‚Operation Irakische Freiheit‘. Göttingen: Wallstein.
Paul, Gerhard (Hg.) (2006): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Randell, Karen (2010): „‚It was like a movie‘: The Impossibility of Representation in Oliver Stone's ‚World Trade Center‘“, in: Birkenstein, J.; Froula, A.; Randell, K. (Hg.): Reframing 9/11. Film, Popular Culture and the ‚War on Terror‘. New York/London: Continuum, S. 141-152.