Erstes Bild: 3 Körper, 2 Kameras, eine Brille. 3 Blicke, unterschiedlich ausgerichtet. Hände, Gesten, Griffe. Winfried Pauleit schiebt an einem Metallbügel eine Plattform, auf der ein Kameramann steht, ein zweiter folgt. Das Ganze wird von einer unsichtbaren Person und einer weiteren Kamera aufgenommen. Alles ist beschäftigt. Ein Zweck ist nicht zu sehen, f ´a(h)rt pour f´a(h)rt.
Nein, nochmal anders: Ein 60er Jahre `Schwarz-Weißes-Rauschen-Fernseh-Testbild´ in der Form eines Hemdes wird von zwei Kameraokularen verfehlt. Gefunden wird es jedoch von der dritten, unsichtbaren Kamera, die uns zeigt, was die anderen noch suchen mögen. Diese sind On, verhaften jedoch lieber im Off. Die Kamerafahrt als misslingende Kommunikation, als geglückte `méconnaissance´. Drei Körper spielen gegenüber der Technik eine (nur) tragende Rolle.
Weitere Bilder: Das Testbild/Winfried Pauleit verschwindet, nur ein Rest bleibt. Restbild: Fort! Die Arme der anderen Körper verändern ihre Lage: von hinten nach vorne, von vorne nach hinten, fast berühren sie sich. Aber dazu kommt es nicht. Können Körper sich im Bild berühren, oder gilt, wie schon zu biblischen Zeiten, das Berührungsverbot, `noli me tangere´? Die eine Hand öffnet sich, etwas ist geschehen, sie zeigt ein Halt!/Achtung!/Passt auf!/bloß langsam!. Ein Da!
Im Hintergrund Schrift. Anscheinend Kommandos: `Schritt´ und `fahren´. Ein Paradox: wie soll ein Schritt gefahren werden? Die Hände halten sich nicht daran, sie halten fest: die Kameras, die Hüfte, den Metallbügel.
Die Hand und der halbe Arm, die zum Testbild/Restbild/Winfried Pauleit gehören, halten sich auch nicht an den Text und dessen Anweisung. Sie fahren nicht, sie schieben an. Höchstwahrscheinich aber als Folge des Schritts, den der dazugehörende Körper macht – und noch einen, und noch einen. (Nie gleiche) Wiederholung, Fort und…
Da ist er wieder, mit Hemd und Sonnenbrille, fast alles andere ist fort. Es bleibt der Blick.
Als Winfried Pauleit in Bremen die Professur für Filmwissenschaft antrat, ging ich als sein Assistent mit. Wir pendelten in einer gemeinsamen Bewegung: In einem Zug, in einem fort: Fort/Da. Nur die „Ditsch Pizza-Zunge“ und ähnlich Untergründiges in Hannover HBF, als Unterbrechung.
Er hat mir gezeigt, erstens, was man mit Bildern alles machen kann: Sie z.B. als Ensemble von Zeichen sehen, die subjektiv interpretiert werden müssen, auch wenn sie scheinbar objektives zeigen (Körper, Dinge, Handlungen, Gefühle). Deren Ränder oft interessanter sind als das Zentrum, deren Motiv nur sehr selten hilft, das dazugehörende Motiv zu entschlüsseln. Die zeitbasiert sind, aber nicht allein in der Zeit funktionieren (Schritt/fahren). Die weniger gesehen als erfahren werden, z.B. durch Kamerafahrten oder KameraVerschiebungen. Die still stehen und doch in Bewegung sind oder – wie er in seiner Arbeit über Filmstandbilder zeigte, in Bewegung (ver)setzen.
Und zweitens, was Bilder alles mit einem machen können: psychische Instanzen, Emotionen und Affekte, ansprechen, erzeugen und verschütten, Körperflüssigkeiten produzieren, Hitze und Kälte. Nicht zuletzt: Bildungsprozesse in Gang setzen, anders als Text und Schrift, aber dennoch immer auch in Verbindung zu Text und Schrift: Textproduktion als Rahmen, als Fortsetzung des Filmischen mit schriftlichen Mitteln, Text als Montage, als Exploration, als On/Off, als Auswahl und Anordnung, als… Winfrieds Film/Texte als ästhetischer Genuss. Vor dem Film und `nachdemfilm´. Filmische Bildungsprozesse aber auch in der Verbindung zu anderen Bildern: es gibt kein erstes Bild, keinen Ursprung der Bilder, auch keine Linearität: Wenn es einen Lauf der Bilder gibt, dann nicht unbedingt als Flusslauf in klarem Bett, eher als Vorlauf, Nachlauf, Verlauf. Vielleicht auch als Überlauf, aber auch nicht als Bilderflut, vor der die Medienpädagogik traditionell warnt. Niemals.
Wer so mit Bildern und Texten filmisch arbeitet, schafft Wissen, betreibt Wissenschaft, ohne dieselbe als unumstößliche Autorität auf den Sockel zu heben. Denn oft ist es der Fleck, der Rest, der Sound, der Ton, das Ungestimmte, das Unstimmige, das das ganze Bild ausmacht, also: ins Dunkel zurückholt.
So ermöglichte mir Winfried Pauleit, nicht nur bei dieser Kamerafahrt, das Unmögliche. Was dazu nötig war: nicht viel. Drei Körper, drei Kameras, Schritt, fahren, ein Hemd – und ein Lachen zum Schluss.
(Alle Filmstills aus einem found-footage-Clip, entstanden in einem Seminar zu Beginn der Bremer Professur von Winfried Pauleit, genaue Herkunft nicht zu klären).