Filmpädagogik und [Dekonstruktion] von Geschlechterklischees, kopaed: München 2008. Ein Buch zur Medienbildung von Sebastian Schädler
Bildung ist von Bildern geprägt. Das Bild, was unsere Vorstellung von Bildung gegenwärtig bestimmt, ist der Missbrauch von Kindern: Szenen von Gewalt und sexueller Nötigung heften sich an die Institutionen der Erziehung und ihre Vertreter. Bildung lässt sich kaum noch ohne Gewalt und Missbrauch denken. Interessant daran ist allerdings, dass unsere Vorstellung von Bildung, die Bilder der Gewalt, die mit der Bildung in Verbindung stehen, solange ausblenden konnte. Heribert Prantl merkt zurecht an: „Es ist bezeichnend, dass zwei Jahrtausende lang ‚Frau Grammatika‘, also die Symbolfigur für Schule und Unterricht, mit der Rute in der Hand gezeigt worden ist“ (SZ 10.04.2010).
Genau an dieser Stelle nimmt Sebastian Schädler mit seinen Überlegungen zur Medienbildung seinen Ausgangspunkt. Er untersucht Bilder, die von Bildungsprozessen Zeugnis ablegen oder aber von verschütteten Aspekten ästhetischer und politischer Erfahrung künden. Seine Beispiele stammen aus der Hochkultur, und aus dem Alltag, aus der Kunst und aus dem Fernsehen. Zu seinen Vorlieben gehören nicht zuletzt die Geschlechterklischees, die uns in fast allen Bildern begegnen. Der Autor nimmt sich in seinem Buch beispielhaft die Verfilmungen des Schneewittchen-Märchens vor. Er untersucht aber nicht nur, wie dieses Märchen zwei Jahrhunderte lang in Text, Bild und Film unser Denken der Geschlechter in zahlreichen Variationen bestimmte. Er zeigt vielmehr auch, wie man sich diese Bilder aneignen und wie man die Kraft der Bilder kreativ und emanzipativ wenden und anwenden kann. Schädler aktualisiert mit seinem Ansatz aber nicht nur ein Vorhaben der 1970er Jahre, dass unter dem Motto „Sehen lernen“ eine allgemeine ästhetische und politische Bildung im Sinn hatte, die später unter dem Begriff der Medien- und Bildkompetenz in ähnlicher Weise zu einem der zentralen Begriffe der Medienpädagogik wurde. Er formuliert vielmehr auch eine Kritik an allen überzogenen Erwartungsphantasien in Sachen Bildung, insbesondere an denjenigen, die sich auf eine Bildung ohne Bilder – oder nur auf eine Bildung durch „gute“ Bilder – verlegen. Um seine Kritik plastisch darzustellen, mündet die Arbeit in fünf Filmclips auf einer DVD. Darin wird das Märchen Schneewittchen umgeschrieben – oder dekonstruiert. Nicht die Auseinandersetzung zwischen Schneewittchen und ihrer Stiefmutter bildet in der Neufassung den zentralen Plot, sondern die Begegnung zwischen Girl und Boys, zwischen Schneewittchen, den Zwergen und dem Prinzen. In diesem Filmteil überflügelt eine „befreiende“ künstlerische Praxis die Bildungsansprüche, indem sie die Bilder seziert und neu zusammensetzt.
Eines der interessantesten Bildbeispiele stammt dann nicht aus dem Schneewittchen-Märchen, sondern von Jacques Derrida: Es handelt sich um die legendäre Postkarte von Platon und Sokrates, die Derrida seinem Buch Die Postkarte voranstellt. Während Derrida aber mit diesem Bild den Vorrang der Schrift vor der Rede zu beweisen sucht (auf dieser Postkarte schreibt Sokrates und Platon steht hinter ihm), und dabei auch das grundlegende Verhältnis von Lehrer und Schüler thematisiert, spürt Schädler einem zweiten Bild nach, das Derrida nur am Rande erwähnt: eine Fotografie von Erich Salomon aus dem Jahr 1930. Diese Fotografie stellt den Missbrauch der Jugend durch die Erziehungsinstitution aus, indem sie den Nacken eines Studenten vor dem Zeigefinger des Professors fotografiert. Eine Einwilligung ins „Schlimmste“, wie Derrida schreibt, und gemeint ist die erzwungene Einwilligung der Jugend in Holocaust, Faschismus und Krieg, die in diesem Bild lesbar wird.
Schädler, Sebastian (2008) Filmpädagogik und [Dekonstruktion] von Geschlechterklischees. München: kopaed.