Der exzentrische Filmkörper und Paolo Sorrentinos IL DIVO
Dass gerade das Lachen das auszeichnende Merkmal des Menschen sei, der Mensch gar ein homo ridens, ist eine Position, die innerhalb der philosophischen Anthropologie besonders Helmuth Plessner prominent vertreten hat. In seinem Text über das Ausdrucksverhalten des Menschen von 1941 schreibt er:
„Merkwürdigerweise befasst sich unsere Vorstellung von den menschlichen Monopolen auch noch mit zwei Ausdrucks- ja Ausbruchsweisen von elementarem, nicht entwicklungsfähigem Charakter: Lachen und Weinen. Kein Hinweis auf ihre Nützlichkeit und vielfach gefühlte Anstößigkeit kann uns davon abbringen, dass ein Wesen ohne die Möglichkeit des Lachens und Weinen kein Mensch ist.“1
Dass Plessners philosophische Anthropologie im Blick auf das Lachen (und Weinen) auch als Teil einer medienphilosophischen Ästhetik im Allgemeinen und des Kinos im Besonderen lesbar ist, ist die leitende Perspektive der hier zu entwickelnden Überlegungen.2 Meine These lautet: Lachen kann eine Bewegung des Filmmediums selber sein! Indem der Film eine eruptiv wirkende Szenerie bei gleichzeitiger Aussetzung eindeutiger Sinnzuschreibungen präsentiert, nimmt das Filmmedium selbst eine Spaltung zwischen seiner materiellen Basis (Sound, Farblichkeit, Kadrierung, Darstellung) und seiner zeichenhaften Bedeutungshaftigkeit vor. Plessner hat in seiner Phänomenologie des menschlichen Lachens ein derartiges Auseinandertreten von physischen und semiotisch-kulturell geprägten Körperaspekten als dessen definierendes Charakteristikum beschrieben, an dem sich zugleich die Verfasstheit des Menschen insgesamt ablesen lasse.
Nach dem Plessner’schen Modell wird hier also die Ontologie von Filmen hinsichtlich ihrer entzweiten Existenz im Modus des lachenden Zusammenbruchs zu untersuchen sein. Von einer entzweiten Existenz filmischer Körper lässt sich analog zum Menschen deshalb sprechen, weil auch der Film eine Verkörperung von Bedeutung performativ darstellt und damit ebenfalls über ein Spannungsverhältnis materieller und geistiger Aspekte zueinander konstituiert ist. Dass diese Aspekte auch unversöhnt auseinanderfallen können, ist das Charakteristische am lachenden Ausbruchsverhalten auch des Films.
Die Auffassung, dass speziell ästhetische Gebilde in geistig-materielle Pole antinomisch auseinanderfallen, hat bereits Adorno innerhalb der philosophischen Ästhetik für die Kunst – speziell für die Musik und Literatur - vertreten. Anstatt jedoch eine hierarchisierende Unterordnung des Sinnlich-Materiellen unter das vermeintlich immateriell Geistige dabei zu denken, betont Adorno gerade die Unhintergehbarkeit der Entzweiung ästhetischer Gebilde. Sie bilden ihm zufolge dadurch eine eigene Form von Geistigkeit aus, als ihre Bedeutung allererst aus der Konfiguration von Material entspringt. Ästhetische Gebilde sind demnach durch ihre immanente Spannung sinnhaft und nicht deshalb, weil sie zu einem ihnen letztlich äußerlich bleibendem schönen oder reflexiven Denken anzuregen vermögen. Aus dieser Sicht betrachtet hat der Film dadurch ein ästhetisch spezifisch geistiges Wesen, als auch sein Material auf wahrnehmbare Weise konfiguriert ist, d.h. seine inszenierten Einstellungen und Szenen montierte Sinneinheiten ergeben, die in der Rezeption vervollständigt werden. In solch sinnstiftender Konfiguration und Refiguration des Materials durch den Rezipienten kommt es zu jener körperlich-geistigen Doppelnatur, die Adorno als die unhintergehbare Antinomie des Scheins sämtlicher ästhetischer Gegenstände beschreibt:3
„Schein sind die Kunstwerke dadurch, dass sie dem, was sie selbst nicht sein können, zu einer Art von zweitem, modifizierten Dasein verhelfen; Erscheinung, weil jenes Nichtseiende an ihnen, um dessentwillen sie existieren, vermöge der ästhetischen Realisierung zu einem wie immer auch gebrochenen Dasein gelangt. Identität von Wesen und Erscheinung jedoch ist der Kunst so wenig erreichbar wie der Erkenntnis von Realem. Das Wesen, das in die Erscheinung übergeht und diese prägt, sprengt sie stets auch; was erscheint, ist durch seine Bestimmung als Erscheinendes vor dem Erscheinenden immer auch Hülle.“4
Im Blick auf Plessner zeigt sich nun, dass bei ihm die zentralen Bestimmungen des lachenden Ausdrucksverhaltens zwar nicht die von Wesen und Erscheinung sind. Gleichwohl ist sein Ansatz der Adorno’schen Auffassung ästhetischer Identität darin nahe, als auch für Plessner Identität zu einer dynamisch herzustellenden Balancierung von unvereinbaren Eigenschaften und Momenten wird. Identität ist demzufolge immer im Werden. Seine Begriffe dafür sind die der Abständigkeit bzw. Exzentrizität des Menschen. Der abständige Mensch zeichnet sich dadurch aus, ein Körper zu sein und einen Körper zu haben, zu dem er sich verhalten und zu dem er Abstand nehmen kann. Zwischen Körperhaben und Körpersein ist der Mensch ein gespaltenes Wesen, das auf eine stete Ausbalancierung dieser vom Auseinanderfallen bedrohten Pole besorgt sein muss. Somit trägt Plessner von vorneherein eine Art dramatischer Theatralität in das Selbstverhältnis des Menschen ein. Eben deshalb kann für ihn auch an anderer Stelle das Verhältnis des Schauspielers zu seinen Rollen als Modell für das Selbstverhältnis des Menschen überhaupt dienen.5 Mit der Fokussierung auf die prozesshafte Ausbalancierung unvermittelbarer Aspekte seiner selbst wird der Mensch für sich bereits zu einer Bühne, die er bespielen und betrachten und die er doch nie ganz verlassen kann. Streng genommen, rückt damit die Frage menschlicher Identität auch bei Plessner schon in einen ästhetischen Horizont, auch wenn er sie selbst nicht zu einer ästhetischen Angelegenheit erklärt.6
Zwischen Körpersein und Körperhaben kann auch beim Film eine Lücke klaffen, die prozessual überbrückt werden will, wenn er als eine ästhetische Größe zu sich kommen will. Die Leibgeistigkeit des Kinofilms ist im Verhältnis zum menschlichen Körper gewissermaßen noch gedoppelt: Es gibt die Leibgeistigkeit einerseits horizontal auf der Ebene des Leinwandgeschehens. Das ist jedenfalls plausibel zu behaupten, wenn wir Adorno folgen, für den ja die Konfiguration von Material bereits zu jenem „Geist“ führt, der die materielle Basis überschießt und dabei in ein neues ontologisches Register überführt. Dieser bedeutungsstiftenden Konfiguration von Material entspricht beim Film die Montage. Es gibt die Leibgeistigkeit im Kino aber auch noch tangential, im Verhältnis des Leinwandgeschehens zur ebenfalls leib-seelischen Doppelidentität des Publikums. Innerhalb des Raums zwischen Leinwandgeschehen und Publikum kommt es ja erst zu jener affektiv-kognitiven Co-Montage des sich einbringenden und einfühlenden Publikums, das dem Filmganzen seine spezifische ästhetische Präsenz und Lebendigkeit verleiht.
Diese grundlegend erfahrungsästhetischen Überlegungen zur Filmästhetik sollen im Folgenden um den Aspekt einer medienästhetischen Analyse des Lachens erweitert werden.
Um am filmischen Material konkretisieren zu können, was unter einem „lachenden Film“ zu verstehen ist, wird ein zeitgenössischer, italienischer Film über den Politiker Giulio Andreotti als Referenzfilm aufgerufen. Er heißt IL DIVO (deutsch: Der Göttliche), stammt aus dem Jahre 2008 und wurde von dem italienischen Regisseur Paolo Sorrentino geschrieben und inszeniert. IL DIVO ist trotz seiner Zuordnung zum Biopicture ein Gattungshybrid. Da IL DIVO selbst eigentlich gar nicht lustig ist, geht es nicht um die Frage, wie es der Film anstellt, dass der Zuschauer über ihn lachen muss. Es ist vielmehr der Film, der uns anlacht, ohne uns jedoch zu verraten, welche Sinndiskrepanz oder welcher Unsinn es denn genau ist, der ihm diesen Wissensvorsprung uns gegenüber ermöglicht, der ihn selbst zum Lachen bringt. Das filmische Lachen bleibt in IL DIVO eher sardonisch, rätselhaft, geradezu bedrohlich zum Teil. Es stellt sich ein, während wir als Zuschauer den mafiotisch-pittoresken Winkelzügen der Hauptfiguren zu folgen versuchen, welche das Zentrum der politischen Macht Italiens unter der Regierung Andreottis darstellen. Die Darstellung des Machtzentrums funktioniert in IL DIVO aber paradoxerweise gerade so, dass weder das Politische der gezeigten Interaktionen noch die Verstrickungslogik der Macht tatsächlich greifbar würden. Der Film tut mit den Mitteln der Einblendung von Namen, Fakten und Zahlen geradezu so, als ob er mit Hilfe akribischer Recherchen im Nachhinein aufzuklären versuchte, was unaufklärbar bleibt und nur als Mythos überhaupt funktioniert: Das mafiotische Machtprinzip. Während er auf der Ebene der Diegese durchgehend in besagtem Sinne so tut „als ob“, wird der Film seinem Rhythmus nach immer mehr zur Farce, wo er zu Szenenfolgen von nummernrevueartiger Façon Zuflucht nimmt. IL DIVO gibt sich der Geste nach als ein politischer Film, dem sich de facto das Politische ständig entzieht. Wenn man ein Motiv benennen wollte, welches das Lachen von IL DIVO auslöst, so wäre noch am ehesten dieser unauflösbare Widerspruch ein Kandidat dafür.
Auch Plessner geht in Übereinstimmung mit dem Gros der Komiktheorien und Analysen des Lachens davon aus, dass eine unauflösbare und dennoch zur Reaktion zwingende Unstimmigkeit oder Unsinnigkeit jedem Lachen zugrunde liegt. Das Lachen des Films ist aber gerade nicht motivisch-diegetisch dingfest zu machen. Es geht in diesem Aufsatz vielmehr um das mediale Lachen als ein phänomenologisch beschreibbares Verhalten einer materiellen Instanz, des Films eben, insofern er seine eigene mediale Körperlichkeit in den haptischen, akustischen, visuellen und sprachlichen Dimensionen aufführt und gerade in ihrer Zersplitterung als seine Konstituenten reflektiert. IL DIVO führt seine mediale Zeitbasiertheit als eine prozessuale Eigenkörperlichkeit vor, die sich rhythmisch ständig selbst unterbricht und dergestalt entzweit. Das mediale Lachen gelingt IL DIVO also dadurch, dass er an einigen Stellen seines Fortlaufs seinen erzählerischen und Montage-Rhythmus überraschend so erschüttert, dass seine hybride Einheit auseinanderzubrechen droht. Die Selbstspaltung als Lachen nimmt im Film zum Teil die Formen von akustischen oder rhythmischen Ausbrüchen an, wie wir es aus Filmen von Jacques Tati kennen, und die auch beim lachenden Menschen zur Vibration des ganzen Körpers gehören. Als Farce wird es ihm möglich, den Zuschauer in seine paradoxalisierenden Irritationen so einzubeziehen, dass dieser selbst mal abgetrieben, dann wiederum immersiv verstrickt zum ambivalenten Leihkörper des Films wird, ohne selbst zu lachen.7
Indem wir als geistig-körperlich mitschwingende Kooperationsinstanz des Films fungieren, erleben wir die Momente der eruptiven Selbstunterbrechungen als ein medienimmanentes Lachen, das im Fall von IL DIVO weder figuren- noch handlungsbasiert ist. Es wird vielmehr als eine zeitlich de- und restrukturierende Selbstentzweiung seiner Dramaturgie erfahrbar, die sich zwischen Leinwandgeschehen und Publikum zur verkörperten Wahrnehmung einer uneindeutigen Identität formiert. Das medienästhetische Lachen, das dabei diese uneindeutige Identität expressiv quittiert, ist seiner Funktion wie seiner Form nach Ausdruck des filmischen Humors und nicht identisch mit dem physisch-entlastenden Lacheffekt, den Komödien in der Abspaltung des Zuschauers von sich gemeinhin evozieren. Für die Wahrnehmbarkeit seiner Erschütterung leihen wir gleichwohl auch IL DIVO unsere Somatik, unsere Kinästhesie und unsere Erwartungen, und werden so zur spürbaren Innenseite seiner sicht-, hör- und fühlbaren Körpergeistigleit.
Ohne dem Komödiengenre zuzurechnen zu sein, arbeitet IL DIVO gleichwohl mit komischen Elementen an eben jenen Stellen, an denen er seinen Rhythmus sowie seine Rahmenhandlung aufbricht. Dabei spielt IL DIVO exakt jene Logik des Lachens auf sich selbst bezogen performativ durch, die Plessner auf den lachenden Menschen bezogen als Ausdruck von Desorganisation und als ein Problematischwerden von Identität analysiert. Changierend zwischen Politthriller, Satire, Historienfilm und theatralem Drama problematisiert IL DIVO spielerisch die Grenzen der Genres und wird dabei in seiner Identität opak: Er katapultiert sich über seine farceartigen Ausbrüche in die Dimension eines postdramatischen Kinos.8 Der Begriff des ‚postdramatischen Kinos‘ existiert zwar meines Wissens noch nicht als eigener Gattungsbegriff für Filme. Er meint hier aber, in der Übertragung des eigentlich für das Theater der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelten Konzepts von Hans-Thies Lehmann eine Tendenz des Films dahingehend, die physischen und performativen Dimensionen gegenüber den narrativen Aspekten hervorzuheben. Die Ausbrüche von IL DIVO bleiben also nicht folgenlos für seine Identität, sondern perforieren diese gleichsam.
Was das Verhältnis von Ordnung und Chaos betrifft, das im Lachen nicht nur beantwortet, sondern auch verhandelt wird, so unterscheiden sich postdramatische Konzepte einer solchen Verhältnisbestimmung von dem, was Plessner mit seinem identitätsstiftenden Balanceakt zwischen Körper-haben und Körper-sein intendiert. Ein solcher Balanceakt stimmt ästhetisch eher mit klassischen Dramentheorien überein, wonach stets eine harmonische Einheit herzustellen ist. Denn Plessner stellt sich die Rückkehr des menschlichen Körpers aus der katastrophischen Selbstaufspaltung im Lachen durchaus so vor, dass sie zu einer versöhnten Einheit zurückführt, in der ein Ich wieder Herr im Hause und d. h. mit sich identisch ist. Die Hierarchisierung von Körpersein und Körperhaben ist im intakten Fall demzufolge so wieder hergestellt, dass ein Individuum auf berechenbare Weise seine Rollenübernahmen kontrolliert. Von solch einer souveränen Einheit will jedoch die Ästhetik seit der Moderne spätestens nichts mehr wissen. Entsprechend versteht sich das postdramatische Theater als eine Reaktion auf die Unmöglichkeit einer Auflösung der von Adorno eingeführten ästhetischen Antinomie. Ohne den Spagat länger versuchen zu wollen, die Inszenierung von Körpern einem texthaften Sinn unterzuordnen, verschreibt es sich deshalb, auf geradewegs trotzige Weise, der Hervorhebung der Materialität der Bühne sowie der darin interagierenden Bewegungen, Körper, Stimmen und Affekte. Den postdramatischen Charakter an einer theatralen oder eben auch filmischen Inszenierung zu betonen, zeigt jedenfalls an, dass keine Orientierung mehr an einer einheitlich aufgebauten Dramatik oder einem Plot besteht. Das, was durch das mediale Lachen dann noch unterbrochen werden kann, ist im postdramatischen Kino ebenso wie im Theater normalerweise selbst bereits etwas Uneindeutiges, Unabgeschlossenes.9 Ist im klassischen Genrekino die räumliche Distanz zum Zuschauerraum durch identifikatorische Strategien der figuren- und handlungsbezogenen Empathie illusionistisch überspielbar, so zeigt sich an IL DIVO, wie die Affektleitung zum Zuschauer, auch jenseits figuren- und handlungsbezogener Empathie, über komische Einlagen gebrochen und reflexiv werden kann. Die farceartigen Sequenzen wirken, trotz der uneindeutigen Genrezugehörigkeit des Films im Ganzen, dennoch wie fremdartige Einwürfe in den Erzählfluss und scheinen isoliert für sich zu stehen. Auch das bedingt eine Irritation in IL DIVO, die sich nicht versöhnen lässt.
Das Wort „Farce“ stammt vom lateinischen „farcire“ ab, was so viel bedeutet wie „spicken“, „füllen“, „hineinstopfen“.10 Ursprünglich stammt der Begriff aus der Küchensprache und bezeichnet dort eine aus verschiedenen Zutaten bereitete Füllung für Fleisch- und Fischgerichte. Als ästhetisches Element und als Genre ist es dann erstmals im Kontext mittelalterlicher Mysterienspiele nachgewiesen worden. Die Farce bezeichnete zu der Zeit komische Zwischenspiele im Rahmen erbaulicher religiöser Darbietungen. Sie steht aber auch für komische Unterbrechungen, die ganz genreunabhängig auftreten können und also nicht ans Komödienformat gebunden sind. Als derartige, zwischen den Genres migrierende, komische Elemente fungieren die farceartigen Einlagen auch in IL DIVO.11
Blickt man nun auf den Film als Medium einer affektiven Verkörperung von Bedeutung in der Zeit, so lassen sich seine Selbstunterbrechungen als expressive Eruptionen seiner zeitlich strukturierten Körperlichkeit deuten. Der Rhythmuswechsel, der mit den eruptiven Momenten der farceartigen Unterbrechungen einhergeht, ist auch dem menschlichen Lachen immanent. Etymologisch ist das Wort „Lachen“ ein Schallwort, das auf das onomatopoetische „hlah.ja“ zurückgeht. Dort, wo ein Lachen erklingt, tritt es bekanntlich als stoßartig artikulierte Silbenfolge „hahaha“ auf, das potenziell den ganzen Körper in den Lachrhythmus mit einbeziehen kann.12 Strukturelle Merkmale des Lachens sind vor allem: Syntaktische Isoliertheit, Rede unterbrechende Rhythmisierung und außersprachliche Expressivität. Diese drei Merkmale, welche die Funktion des Lachens für den menschlichen Körper bestimmen, sind direkt auf die farceartigen Interjektionen unseres Referenzfilms übertragbar. In den farceartigen Sequenzen werden die Darstellungsgehalte ebenfalls syntaktisch isoliert, insofern als bildliche oder logische Verknüpfungen zum Vorher und Nachher unterlaufen werden. Eine unterbrechende Rhythmisierung ist durch diese Sequenzen zugleich geleistet, als sie in ihrer diegetischen Isoliertheit aus dem Erzählfluss heraustreten. Und expressiv sind diese Sequenzen, sofern sie wie enigmatische Impulse wirken, die jedoch keiner eindeutigen Auflösung entgegenstreben.
Zentral ist für die Übertragung von Plessners anthropologischer Konzeption des Lachens auf das Filmmedium, dass er das Lachen grundlegend als ein körperliches Ausdrucksmedium der bedeutsamen Sorte denkt sowie die Anerkennung dessen, dass auch Filme spezifische Medien der Verkörperung von Bedeutungen sind. Was Plessner unter „Körper“ versteht, fällt dabei in durchaus unterschiedliche Bestimmungen auseinander, die hier produktiv gemacht werden können.
„Unser Körper dient bald als Instrument des Handelns, bald als Verständigungsmittel beim Sprechen und durch Gesten, bald als Resonanzfläche der Gefühle. Die jeweilige Bewandtnis verlangt vom Menschen, dass er in irgendeiner dieser Formen ein entsprechendes Verhältnis zu ihr findet.“13
Das Lachen entsteht dann in solchen Situationen, in denen eine Unverhältnismäßigkeit auftritt, die uns in ein ambivalentes Verhältnis zu ihnen zwingt.
„In allen diesen Lagen spielt eine merkwürdige Verschränkung von Anziehung und Abstoßung, von Mehrsinnigkeit, ein Antagonismus emotionaler oder rationaler Art eine entscheidende Rolle.“14
Dem Lachen kommen folglich mehrere Bestimmungen zu: Es ist der affektive Vollzugsmodus einer außer sich geratenden Körper-Geist-Einheit und tritt als demonstrativ körperliche Aktion an die Stelle einer ausbleibenden Aktion oder Handlung. Der affektiven Färbung nach scheint Plessner beim Lachen noch zusätzlich einen gewissen Triumph über die Unsinnigkeit der auslösenden Sachlage mitschwingen zu sehen, einer Unsinnigkeit, die das Lachen immerhin noch kontert. Der Konteraspekt ist besonders wichtig an dieser Beschreibung für unseren Zusammenhang. Lachen erscheint darin als aggressiv, sofern es zurückstößt, was sich andrängt. Speziell dieses Moment macht das Lachen zu einem rhythmisierenden Ausbruch aus linearen, narrativen Zeitordnungen. Wörtlich umschreibt Plessner es als einen Gegenstoß gegen andrängenden Unsinn. Dieser gegenrhythmische Aspekt verweist auf die Fundierung des Lachens in einem physiologischen Aufruhr und einer mit ihm einhergehenden muskulären Kontraktion. Insofern wird eine lachende Zeitstörung selbst affektiv erlebt, ohne per se in eine bestimmte, objektgerichtete Emotion übersetzbar zu sein. Eine explosible Lage führt zu einer Gegenexplosion des Körpers, der immerhin die dabei aufeinander bezogenen Kräfteverhältnisse eines unkontrollierbaren Außen und eines ebenso unkontrollierbaren Affekts noch auf die Bühne seiner theatralen Selbstspaltung holt. Dieser zuletzt genannte exzentrische Bühnenaspekt ist es, mit dem wir auf eine ästhetische Qualität des Lachens selbst stoßen, eine Qualität, die eben nicht nur den komischen Ursachen des Lachens zukommt.15
Lachen ist demzufolge mehr und etwas anderes als ein bloßer Gefühlsausdruck, der – wie z. B. das Schreien vor Wut – auf ein Motiv oder eine innere Gefühlslage hin transparent zu machen wäre. Lachen stellt sich ein, als eine Reaktion auf ein Weder-Noch. Wir lachen, Plessner zufolge, wenn wir weder gefühlsmäßig noch intellektuellagieren können. Weil sich dergestalt das Lachen als eine Verhaltensform eigener Ordnung der Ordnung des Denkens und des Fühlens gleichermaßen überhebt, bezeichnet Plessner das Lachen als Grenz- und Katastrophenreaktion. Wenn wir unter dem Zwang stehen, reagieren zu müssen, ohne zu wissen wie, dann übernimmt der lachende Körper gewissermaßen stellvertretend für die entscheidungsfähige, intentionale Instanz in uns, die Antwort. Dissoziiert wird dabei die biologisch determinierte Seite, die wir sind, von der kulturell und Geist bestimmten Seite unserer Identität, die wir haben.16
Exzentrisch sind wir menschlichen Wesen demzufolge deshalb, weil wir auch einen Körper haben, zu dem wir uns reflexiv verhalten können. Und es ist dieser Aspekt der Abständigkeit menschlicher Identität, der sie so prekär sein lässt, weil Identität demzufolge nichts Festes, Statisches ist. Identität erscheint als ein Phantasma, das wir im Verhältnis zwischen Körperhaben und Körpersein stets aufs Neue aushandeln und austarieren müssen. Lachen ist jedoch bei Plessner zuletzt eine explosive Bühne für ein negativwertiges Geschehen: Die Katastrophe des Verlustes an rationaler Kontrolle, Handlungsorientierung und Symbolisierungskraft tue sich darin kund und anonymisiere das Individuum. Lachende machten sich mit anderen gemein, indem sie sich von sich selbst und von ihrer Hilflosigkeit angesichts widersinniger Lagen im Lachen distanzieren würden.17
Ohne diesen spezifisch subjektzentrierten Zug ins Heroische und Katastrophische mitmachen zu müssen, ist hier eine andere Spur zu verfolgen. Könnte es nicht sein, dass gerade das Berühren der Grenze des Sinns und der Überstieg in den Unsinn jene Schwelle bezeichnet, auf der das Lachen und das Komische direkt ineinanderspielen? Ist das Lachen nicht selbst die andere Ordnung eines körperlich-motorischen Verhaltens, das den Unsinn selbst noch in einen rhythmischen Affekt zu transformieren vermag, der sich im Leben als körperlich-geistige Erschütterung und im Kino als Affektbild ästhetisch goutieren lässt?18
Wo gelacht wird, wird keine andere Wahrnehmung gemacht, keine Aktion ausgeführt, kein Gedanke gedacht. Das Lachen ist eben pace Plessner nicht bloß eine Antwort auf ambige Lagen, sondern seinerseits eine eigenständige Verhandlungsinstanz von Ordnung und Chaos. Es ist dies insofern, als das Lachen selbst jeden Sinn und jede sinnvolle Beziehung zu Assoziationen auslöscht, indem es einem expressiven Moment isoliert zur Präsenz verhilft und dessen Kontext abstößt.
Die lachende bzw. farceartige Relativierung von Sinn, die sich im physisch erlebbaren Gegenstoß einer Darstellung gegen das an sie Grenzende äußert, lässt sich ästhetisch als rhythmischer Ausbruch der Zeichen aus einer Zeichenordnung herauslesen, die direkt in die Ordnungslosigkeit einer wilden Affektivität hineinführt. Auch der Zuschauer fällt mit den farceartigen Einlagen in IL DIVO in das sardonische Filmlachen mit ein, ohne einen Sinn ausfindig machen zu können, zu dem diese Brüche wiederum hinführen würden. Gerade diese zeitaffektiven Momente der Irritation und der Sprachlosigkeit in IL DIVO deute ich als filmische Repräsentationskritik, die nicht belehrend ist, vielmehr selbst zu einer lustvollen Präsenz treibt. Nimmt man das Filmmedium, wie es meist geschieht, bloß als ein Repräsentationsmedium, so wird es ausschließlich als Zeichensystem gelesen, das auf Bedeutung hin transparent werden soll. Dann steht es stets für etwas anderes, für etwas, das es selbst nicht ist: für eine These, eine Aussage, eine Ideologie oder ein Weltbild. Nimmt man den Film hingegen in seiner Medialität unmittelbar auf und ernst, so ist seine Mutimedialität und physisch greifbare Materialität nicht zu reduzieren auf Bedeutung. Die Überfülle einer materiellen Präsenz wird erfahrbar und eben nicht bloß eine filmische Symbolik decodierbar.
Diese wahrnehmbare Präsenz ist in IL DIVO als filmische Kontraktion, als Rhythmusverschiebung, als Stolpern des Sinns und der narrativen Ordnung von Raum und Zeit genießbar. Die Verfahren des Aushebelns von sprachlichem und logischem oder auch psychologischem Sinn, die sich im Kontext eines semiotischen Mediums wie dem Film Bahn brechen, erweisen sich mithin als die ästhetischen Faktoren, an denen sich ein anderes als nur katastrophisches Verhältnis von Körperhaben und Körpersein zeigt. Ich beschreibe es hier als mediales Lachen, dessen Spaltungslogik nicht automatisch eine ideale Einheit präsupponiert, deren Auseinanderbrechen noch dazu als per se krisenhaft bewertet werden müsste, wie es Plessner für den menschlichen Körper denkt. An diesem Punkt gilt es die Stütze bei Plessner abzuwerfen und der Eigenlogik des filmischen Lachens zu folgen. Da die ausbrechenden Sequenzen in IL DIVO jedoch in den Rahmen einer gewissen minimal narrativen Ordnung eingebettet sind, bleibt die Frage: Was passiert mit der opaken Einheit des Films im Ganzen angesichts seiner lachenden Exzesse in seinen farceartigen Ausbrüchen?
Kommen wir zurück auf den oben erwähnten Bezug der Farce zur Küche und den gestopften Braten, so können wir jetzt sagen: Die medialen Lacher in IL DIVO hebeln nicht den Sinn oder den finsteren und dunklen Ton des ganzen Films aus, der immerhin von einem korrupten und letztlich zynischen Machthaber und -system handelt. Aber die farceartigen Unterbrechungen würzen das Ganze und geben einen Geschmack von Leichtigkeit ab, die den Film insgesamt humorvoll erscheinen lassen und ihn unter den stets auch aufklärerisch angelegten Biopictures zu einem Vertreter seines Genres machen.
Der Film schaut zurück auf die Theorie, mit der er konfrontiert wird und ändert diese darin, wurde weiter oben behauptet. Wie sich verselbständigende Affektbilder in ihrer Mehrdeutigkeit den Charakter des Komischen mit dem des Lachens in sich zusammenführen, kann im Anschluss an eine kurze Synopsis des Films anhand von vier Szenen aus IL DIVO konkretisiert werden.
Der Film spielt Anfang der 90er Jahre in Rom und handelt von der siebten und letzten Amtszeit des italienischen Politikers Giulio Andreotti als Ministerpräsident. In Paolo Sorrentinos Film erscheint Andreotti als raffinierter Imperator und unberührbare Eminenz im Zentrum eines verschwörerischen Machtzirkels. Dargestellt wird er von Tony Servillo in einer überstilisierten Form, die mit dem betonten Buckel, übertrieben abgeklappten Ohren, in seiner marionettenhaften Haltung und bleichen Mimik an NOSFERATU erinnert. Sein weniges, innerdiegetisches Sprechen ist stets leise, die Sätze meist apodiktisch-ironisch. Sie sind eher ein Flüstern und Raunen als ein lebendiges Sprechen. Einen inneren Monolog stellt Sorrentino seinem Protagonisten zur Seite, ohne ihn dadurch jedoch als Figur zugänglicher zu machen. Andreotti bleibt das unergründliche Gravitationszentrum des Films, die leere Mitte gewissermaßen, um die herum alle anderen Personen und Räume wie sekundäre Attribute wirken. Und trotz begleitender Untertitel, in denen die Namen und Funktionen der vielen, mit Andreotti verschworenen Figuren, für den Zuschauer aufgeführt werden, folgt der Film seinem ganzen Aufbau nach keiner linearen Geschichte. Eher verfährt Sorrentinos Filmsprache nach dem Prinzip des Gossip: Die Art wie Kausalzusammenhänge im Film dargestellt werden, sind als Vermutungen, Assoziationen des Filmemachers, als nicht nachweisbare Unterstellungen in großen Parallelmontagen inszeniert. Der Film zeichnet dabei eher eine Choreografie der Macht und der machtvollen Rituale nach, die vor allem kinästhetisch greifbar präsentiert werden und dabei zugleich enigmatisch bleiben.19 Anhand von vier kurzen Ausschnitten aus dem Film lassen sich die vorgenannten Bemerkungen veranschaulichen.20
Szene 1: Timecode: 00:09:54-00:11:53
In der ersten Szene befinden wir uns zusammen mit Andreotti und seiner Sekretärin in seinem Regierungszimmer und schauen aus einem Fenster auf einen Hof herunter, auf dem die Gefolgschaft von Andreotti einfährt. Andreottis Sekretärin kündigt angesichts des ersten Autos, das wir zu sehen bekommen, „Gewitterwolken“ an. Das Bild wird nun zur Rampe für die fünf männlichen Figuren, die nacheinander in extremer Zeitlupe auf den ansonsten leeren Innenhof des Regierungspalastes einfahren. Sie werden der Reihe nach gezeigt, wie sie in der Mitte des Hofes ihre Limousinen anhalten. Die Kamera fixiert jede Bewegung und jeden Schritt der einzelnen Figuren, von denen sich jede in komischer Manier typisiert präsentiert: Der Eine flankiert von zwei großen, schönen Frauen, der Nächste mit extrem sportlichem Auto, der darauf Folgende mit schwerem Gewicht und drohender Miene, der Vierte mit christlicher Robe und der Fünfte als verwirrter Skeptiker. Durch den Ton werden die Protagonisten der Szene, zusätzlich zur Zeitlupe, paradox gerahmt und ausgestellt zugleich. Zu hören ist ein dräuender, dumpfer Hintergrundton, der die ganze Szene über durchläuft und die einzelnen Auftritte akustisch verknüpft. Gegen diesen dunklen Sound setzt der Film ein außerdiegetisches Pfeifen an, das aufmüpfig und wie ein markierender, frecher Ruf klingt, ohne aber einer Person oder Instanz überhaupt zuzuordnen zu sein. Es ist definitiv aber ein vom Menschen erzeugter Pfiff, der aus der Richtung des Publikums zu kommen scheint. Jede einzelne Figur, die im Bild auftritt, wird sozusagen von „uns“ angepfiffen, oder aus einem Off des Leinwandgeschehens zumindest, von dem nicht klar ist, worauf es verweist. Und als ob die Protagonisten im Film den Off-Ton hören könnten, reagieren sie mit skeptischen Blicken, direkt in die Kamera schauend, obwohl sie ja gar keine Tonquelle ist. Oder sie reagieren mit einer ambivalent zwischen den inner- und außerdiegetischen Bezugsräumen changierenden, fragenden Interjektion: „Hä?“, oder so wie der Vatikanvertreter, indem er die Hand, die er zunächst noch verdeckend vor das Gesicht hält, in der Zeitlupe wegzieht und sich sozusagen noch einmal extra dem Kamerablick zur Ansicht freigibt. Hier wird das Element des Beiseitesprechens der klassischen Komödie von den Schauspielern weg, ins akustische Off verlegt, wodurch ein Raum im Raum entsteht, der paradoxerweise doch keinen Ort hat. Die deiktische Funktion der Pfiffe besteht darin, jede auftretende Figur gewissermaßen mit- und anzuzählen, für uns als Publikum, das vielleicht eingeweiht werden soll, in den Zirkel der Macht. Damit wird die Schwelle zum Publikum komplizenhaft übertreten, obwohl doch der Film diese Schwelle materialiter eigentlich nicht übertreten kann. Auch die innerdiegetischen Töne – die etwa beim Zuschlagen der Autotür entstehen –, sind nicht realistisch gemischt, sondern übertrieben und hallen scheinbar noch in ein Jenseits des Bildes hinüber, von dem nicht klar ist, ob es dasselbe sein soll, wie das Off des Pfeifens, oder das der einsetzenden Musik. Hier klafft sehr anschaulich das Körpersein und Körperhaben des Films auseinander, das für das Lachen als konstitutiv erörtert wurde.
Szene 2: Timecode: 00:14:22-00:15:40
Das Pfeifen aus dem Off der vorangegangenen Szene wird in dieser Anschlusssequenz erkennbar in eine musikalische Komposition eines Flötenspiels überführt und so in die außerdiegetische Musik der Szene thematisch aufgenommen.21 Doch diese Musik wird wiederum durch einen anderen Ton unterbrochen: Dieses Mal hören wir, ohne das dazugehörige Wesen zu sehen, ein lautes Miauen einer Katze. Es kommt ungefähr aus derselben Position, nämlich aus der Richtung unseres Zuschauerraums, wie das Pfeifen in der vorherigen Szene. Auch dieses Mal reagiert die Figur Andreotti, die gerade eine Treppe im Regierungspalast hinaufgeht, auf das Pfeifen und holt damit das eigentlich zunächst im Off verortete Miauen in seine diegetische Welt hinein.
Die Musik verhält sich in einer komischen Doppelung zur Figur Andreottis, indem sie, seine Irritation untermalend, selbst über das Katzengeräusch verstummt. Dann setzt die Musik mit der erneuten Bewegung Andreottis wieder ein und nun untermalt sie den feierlichen Einzug des frisch im Amt bestätigten Ministerpräsidenten auf dem Weg zu seiner Festivität melodisch. Doch plötzlich hält Andreotti abrupt ein zweites Mal inne. Die Musik verstummt wiederum abrupt ganz. Und die Kamera springt direkt aus ihrer dynamischen Seitenfahrt heraus und ruckartig frontal vor Andreotti. Im Gegenschuss und in Großaufnahme sehen wir ihn nun einer weißen Katze frontal gegenüberstehen. Stumm bleibend, aber mit einer knappen autoritären Geste eines Klatschens in die Hände, will Andreotti die Katze verscheuchen. Statt sich zu bewegen, starrt das Tier zurück. Die schwarzen Pupillen ihres einen grünen und anderen blauen Auges vergrößern sich auffallend in der Nahaufnahme. Doch man kann diese Formierung des Schwarzen in ihren Augen auch figurativ lesen, nämlich so, als spiegelte sich in ihren Augen Andreotti selbst, als eine anschwellende Dämonengestalt. Dass dies von der Andreottigestalt selbst innerhalb der Szene so wahrgenommen wird, verrät ein Seitenblick zu einem der stummen Wächter, der als Zuschauender des Geschehens durch den strengen Seitenblick Andreottis zum Wegsehen gebracht wird. Die Situation wirkt auch in der direkten Gegenüberstellung der beiden ungleichen Gestalten fast duellartig. Als Andreotti zum dritten Mal in die Hände klatscht und dabei selbst körperlich angestrengt wirkt, schleicht die Katze fast demonstrativ langsam davon. Die Kamera gibt die Perspektive auf den Raum wieder frei und wir sehen, dass sie seinen Weg gar nicht versperrt hätte. Es ist eine Sequenz, die in ihrer grotesken Rätselhaftigkeit, Betonung von Unverhältnismäßigkeiten sowie in ihrer Abgeschlossenheit wie ein Film im Film wirkt und in diesem Sinne das komische Element einer unterhaltsamen Zwischennummer annimmt, die zugleich das syntaktische Isolierungsmoment des Lachens vorführt.
Szene 3: Timecode: 00:42:59-00:43:22
Zunächst ist das Bild leer, wir sehen nur in einem unscharfen Bildausschnitt ein trübes Fenster. Es ist ein Bild im Bild, das aber noch bespielt werden muss. Die Figur des PR-Mannes betritt die Szene. Die Kamera ist in Nahaufnahme auf seinem Gesicht, das von der Seite zu sehen ist. Er blickt sodann den Kopf drehend, direkt in die Kamera, mit einem allerdings ambivalenten Ausdruck. Ein halbes Lächeln gelingt ihm gerade noch. Dann springt die Kamera mit dem nächsten harten Schnitt schon weit von ihm weg und gibt den Blick auf einen langen Gang frei, an dessen Ende und zur Kamera hingewandt, die vormals groß aufgenommene Figur klein wirkend zu sehen ist. Dieser harte Schnitt von der ganz nahen Einstellung zur weiten Entfernung lässt den Zwischenraum zwischen der Kamera und der Figur kontrahieren. Dieser Kontraktion des Bildes selbst wird nun im Bild physisch begegnet. Aus der Ferne rennt die Figur plötzlich auf die Kamera zu und schreit dabei laut. Dergestalt verkleinert sie den neuen Abstand zur Kamera, den vorher der Apparat durch besagten Schnitt, in unsichtbarer Geschwindigkeit, aufgespannt hatte. Die Figur verkleinert den Abstand zur Kamera nun also in dem Tempo ihrer organischen Bewegung. Und kurz bevor die Figur die Kamera fast umrennt, deren subjektive Perspektive wir einnehmen, fängt sie sich gerade noch ab, kommt knapp vor der Kamera zum Stehen. Der PR-Mann kommentiert nonverbal nochmals seine knappe Zurückhaltung gegenüber der Kamera, indem er sich durchs Haar streichend vor dieser theatral aufbaut, um dann seitwärts abzutreten. In diesem Moment wird die Kamera umcodiert, von einem vormalig attackierten Aufnahmegerät, das ins Publikum durchzureichen scheint, zu einem Spiegel für die Figur, die damit jene imaginäre Schwelle zum Publikum wieder aufzieht, die kurz davor noch eingerannt zu werden drohte. Hier bekommt der dargstellte Raum eine geradezu muskuläre Qualität, in dem kontrahierenden Hin und Her zwischen Figur und Kamera. Und der Schrei der Figur untermalt die exzessive physische Entladung der Szene, von der sie nicht nur darstellend handelt, sondern die sie, bis in das Detail der vom rennenden Körper bedrohten Kameraposition, im Gesamtrhythmus des Films auch selber ist.
Szene 4: Timecode: 00:48:30-00:49:12
Nicht nur die Erstarrung von Lebendigen ist zum Lachen, wie Bergson hervorhebt, auch das Gegenteil ist es, die Verlebendigung und Verselbständigung von Dingen. In dieser Szene kommt ein Skateboard surrealerweise in die Szenerie hineingefahren und eine Art Spalier bildet sich an den Seiten des Ganges entlang, durch den es hindurch fährt. Das Publikum im Bild scheint ehrerbietig seinen geisterhaften Lauf durch den langen Gang zu beobachten, der seinerseits geradezu zeitlich dadurch verlängert wird, als sich die Kamera zur Bewegung des Skateboards retardierend verhält. Endlich am Ende des Ganges angekommen, hebt das Skateboard plötzlich ab und fliegt, in eine Bombe verwandelt, heraus, in ein Außerhalb des Raumes und eine ungewisse Zeit, wo es ein Auto zur Explosion bringt. Zeit und Raumorientierung sowie Logik und Realismus werden restlos außer Kraft gesetzt und in eine völlig unverbundene Exzessivität und in Bilder der Zerstörung überführt. Diese Bilder der Zerstörung werden aber insofern bildlich umgewertet, als sie in Zeitlupe das brennende, durch die Luft eher schwebende als fallende Auto als Schauwert präsentieren. Das Lachen des Films ist hier wiederum in der Geste versteckt, einem Gegenstand widersinnigerweise eine Art protagonistischen Auftritt zu schenken, den die innerhalb der Szene anwesenden Menschen, wie von Geisterhand gesteuert, beglaubigen. Der Film spielt hier mit einem Kippmoment zwischen Unheimlichkeit und Leichtigkeit, in dem Aktionen und Reaktionen vorgeführt werden, die keinem Subjekt und keiner Handlungslogik mehr zu gehören scheinen. Ein entpersonalisierter Aktionsraum von Spiel und zerstörerischer Verwandlung wird aufgebaut, der zugleich in seiner Folgenlosigkeit für das weitere Geschehen des Films irritiert.
Eben dieses verunsicherte Wissen liefert die Grundlage für den Gossip – mit dem Unerklärliches spekulativ umkreist wird, ohne Erklärungen zu liefern. Es ist, wie erwähnt, das Erzählprinzip dieses Films, der mehr zeigt, als er kohärent sagen kann.
Die vier Szenen spielen die Logik der Farce und die mit Plessner beschriebene Phänomenologie des Lachens in unterschiedlichen Hinsichten durch. Die erste Szene organisiert eine Arhythmik durch das demonstrative Auseinandertreten von Bild und Ton und somit eine Selbstspaltung des filmischen Körpers, die auch das Lachen kennzeichnet. Die zweite Szene bricht aus der narrativen Zeitordnung aus, indem sie eine Sequenz isoliert und zu einer enigmatischen Zwischennummer ohne Anschluss macht. Darin instantiiert sie das Moment der syntaktischen Isolierung, die jedem Lachen eigen ist. Die dritte Szene betont die expressive Physiologie des filmischen Raumes, den sie in eine kontrahierende Zone zwischen Kameraposition, Zuschauerposition und Darsteller treibt. Diese Strategie der Selbstunterbrechung entspricht dem erschütternden Moment der außersprachlichen Expressivität des Lachens. Die vierte Szene schließlich folgt mit der Animation von Unlebendigem (dem Skateboard) einerseits dem klassischen Register des Komischen. Dieses ergänzt sie andererseits aber um die Facette der Unheimlichkeit, da das animierte Wesen ein Bild der Zerstörung nach sich zieht, das auf unbestimmte Weise dem animierten Ding als dessen Wirkung zuschreibbar wird. Diese heimliche Kausalität macht das Bedrohliche der Szene mit aus und dieses unerklärliche Wirken von mehr oder weniger bösen Mächten färbt zugleich den atmosphärischen Ton des filmischen Humors insgesamt. Dieser äußert sich in den eruptiven Momenten aller genannter Szenen als sardonische Qualität des Lachens von IL DIVO.
Um die bisherigen Ausführungen nochmal auf Plessner zurückzuführen und in einer Art Fazit abzuschließen: Das gegenüber der Opazität seines Themas hilflose Lachen des Films über eine Macht, die er erfolglos erzählerisch dingfest zu machen versucht, ist am Ende womöglich doch noch der verbleibende Triumph des Films gegenüber seinem Sujet. Und: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Adorno, Theodor (1979) Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften Bd. 7, Frankfurt am Main, 2003.
Grün, Clemens (2001) Kennzeichen und Typen der amerikanischen Filmfarce: Buster Keaton und W.C. Fields, München.
Kubitz, Peter Paul/Gerlinde Waz/Rüdiger Zill (Hrsg.) (2009) Zum Lachen, Potsdam.
Lehmann, Hans-Thies (2005) Postdramatisches Theater, Frankfurt am Main.
Martin, Silke (2009) »Die Sichtbarkeit des Tons im Film – Akustische Modernisierungen des Films seit den 1920er Jahren«, Dissertation, Bauhaus-Universität, Weimar.
Plessner, Helmuth, »Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens« (1941), in: Ausdruck und menschliche Natur, Gesammelte Schriften Bd. 7, Frankfurt am Main, 2003.
Plessner, Helmuth (2003) »Zur Anthropologie des Schauspielers« (1948), in: Ausdruck und menschliche Natur, Gesammelte Schriften Bd. 7, Frankfurt am Main.
Rebentisch, Juliane (2003) »Theatralität« in: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main.
Siegel, Marc (2006) »Gossip ist fabelhaft«, in: Texte zur Kunst, Heft 61, Berlin.
Voss, Christiane (2006) »Filmerfahrung und Illusionsbildung. Der Zuschauer als Leihkörper des Kinos«, in: ...kraft der Illusion, hrsg. Gertrud Koch, Christiane Voss.