Performances der Zuneigung, Zueignung und Verbundenheit
In einem Interview führt die US-amerikanische Künstlerin Susan Mogul die Besonderheiten ihrer Arbeitsweise auf ihre Erfahrungen im Feminist Studio Workshop des Los Angeles Woman’s Building zurück:
I was in consciousness-raising groups. There was so much going on that was about developing relationships with the camera, with colleagues, with people in the everyday world. I was learning all those ways of working – performing and observing and self-examination, which is what consciousness-raising was about – that have all stayed with me. (Juhasz/Mogul 2001: 188)
Einerseits kann Moguls Selbstaussage als autobiografischer Bericht gelesen werden. Sie schildert das Erlernen einer in sozialen Handlungsfeldern verorteten ästhetischen Praxis. Der Text gibt Auskunft über feministische Bildungskonzepte in den Künsten, die seit den frühen 1970er Jahren in Kalifornien durch persönliche Ressourcen, institutionelle Orte und aktivistische Organisationsformen an Kraft und Reichweite gewonnen hatten. Andererseits kann Moguls Selbstaussage als performative Äußerung aufgefasst werden. Das Sagen exemplifiziert und beglaubigt unter den Umständen des Interviews die Methode des Consciousness-Raising. Der Akt der Äußerung bekräftigt, dass das Sprechen über persönliche Erfahrungen ein bedeutungsvoller Beitrag in einer Verbundenheit stiftenden, Analyse und Erkenntnis ermöglichenden Interaktion sein kann.
Ich möchte das Stichwort ‚developing relationships‘ aufnehmen und an Verfahren des Feminist Art Movement die ausgehandelten Beziehungen zwischen Selbstbeobachtung und Performance, zwischen Videopraktiken und Kommunikationsprozessen, zwischen der emotionalen Kultur des Consciousness-Raising und den Organisationsprinzipien sozialer Netzwerke untersuchen. Gegenstand meiner Auseinandersetzung ist der von Mogul, Pam MacDonald und Sheila Ruth gemeinsam produzierte FEMINIST STUDIO WORKSHOP VIDEOLETTER (USA 1975).1 Meine Betrachtung sucht die Rolle der Videokamera bei der Hervorbringung von Verbundenheit und bei der Affirmation von Zugehörigkeit näher zu bestimmen. Mit den Ausdrücken ‚Zuneigung‘ und ‚Zueignung‘ möchte ich eine affekt- und handlungsorientierte Beschreibung vorschlagen für die Ausrichtung künstlerischer Verfahren auf ein gemeinsames und gemeinschaftsbildendes Tun.2 Das betrifft – zusammengefasst unter dem Stichwort ‚Zuneigung‘ – das emotionale Verhalten, das in Formen der Zuwendung, Verbundenheit und Kollaboration im Produktionsprozess anschaulich wird. Den Ausdruck ‚Zueignung‘ verwende ich für die eingeschriebene Adressierung sowie für die Interaktion, die der ‚Videobrief‘ als ein gewidmetes Geschenk und als auf dem Postweg zugesandte Nachricht in Aussicht stellt. Das Zusammentreffen von politischen Emanzipationsbewegungen, feministischer Kunst und Video-Arbeitsprozessen möchte ich mit Blick auf die verkörperten Performances des Engagements und auf die Beziehungstechniken untersuchen, die sich an der Schnittstelle von Kunstwelt und aktivistischer Praxis in den 1970er Jahren ausformten.3 Meine Analyse des FEMINIST STUDIO WORKSHOP VIDEOLETTER befasst sich mit der konkreten Gebrauchsweise von Video und den durch technische Übertragungen vermittelten Beziehungen des Austauschs. Aufzeigen möchte ich die Verschränkungen zwischen feministischen Anliegen, dem alternativen Modus der Produktion und der durch die analoge Videotechnik ermöglichten Ästhetik des Teilens und Beteiligens.
Im Herbst 1973 nahm in Los Angeles der Feminist Studio Workshop seine Arbeit auf. Dieses unabhängige, von Judy Chicago, Sheila Levrant de Bretteville und Arlene Raven entwickelte Studienprogramm für Künstlerinnen war ein entschiedener Gegenentwurf zu den Bildungszielen, patriarchalen Strukturen und selbstbezüglichen Kunstauffassungen anderer Hochschulen der Zeit.4 Der Feminist Studio Workshop strebte eine interdisziplinäre, gemeinschaftliche und sozial vernetzte künstlerische Praxis an. Chicago, de Bretteville und Raven entwickelten somit eine Alternative zur individualistisch-unternehmerischen Logik des Kunstmarktes und den darauf ausgerichteten Arbeitsweisen bestehender Bildungsinstitutionen. In einer 1973 veröffentlichten Informationsbroschüre fassen die drei Gründerinnen ihre Vorsätze folgendermaßen zusammen: „The Feminist Studio Workshop is an experimental program in female education in the arts. Our purpose is to develop a new concept of art, a new kind of artist and a new art community built from the lives, feelings and needs of women“ (Chicago/de Bretteville/Raven 1973: o.P.). Der Feminist Studio Workshop war im Woman’s Building angesiedelt und damit Teil einer lebendigen Szene feministischer Initiativen, die mit ihrer aktivistischen und kulturellen Arbeit Öffentlichkeit und solidarische Formen der Gemeinschaft zu gestalten suchten. Das Gebäude in der South Grand View Street beherbergte neben dem Feminist Studio Workshop die 1972 gegründete Galerie Womanspace und weitere Ausstellungsräume, Theatergruppen, den Sisterhood-Buchladen, das Associated Women’s Press Center for Feminist Art Historical Studies und das Women’s Graphics Center.5
Für die Arbeitsweise des Feminist Studio Workshop war die Auffassung von Kunst als sozialem Prozess und kollektiver Handlungsform bestimmend. Das Studienprogramm wurde im weiteren Kontext der auf Teilhabe und Vernetzung abzielenden Aktivitäten des Woman’s Building als ‚cultural feminism‘, ‚educational feminism‘ und ‚experiential feminism‘ diskutiert (vgl. Brown 2011, Hale 2011, Lippard 2011, Rosler 1977, Wilding o.J.). Von den historischen Akteurinnen selbst und in nachträglichen kritischen Texten wurden die Übergänge zwischen künstlerischen Prozessen und politischen Interventionen, zwischen theoretischer Auseinandersetzung und dem Aufbau neuer Organisationsformen betont.6 Eine Verknüpfung zwischen diesen unterschiedlichen Bereichen leistete die auf sprachlicher Interaktion in Kleingruppen basierende Praxis des Consciousness-Raising.
Die Anfänge des Consciousness-Raising bestimmt Naomi Braun Rosenthal in drei überlieferten Modellen: „When the cell group format of the Old Left was combined with the ‚speak bitterness, recall pains‘ meetings of the Chinese Communists and the small group analysis sessions of the Civil Rights Movement, the particular ethos of consciousness raising emerged.“ (Braun Rosenthal 1984: 313) Kathie Sarachild stellte 1968 eine Anleitung zum Consciousness-Raising bei der First National Women’s Liberation Conference in Chicago vor.7 Mit der Veröffentlichung im Jahre 1970 wurden Sarachilds Text „A Program for Feminist ‚Consciousness-Raising‘“ sowie ein 1972 in der Zeitschrift Ms. abgedruckter ausführlicher Leitfaden zu Bezugspunkten für sich bildende Gruppen (vgl. N.N. 1972). Als Skripte (oder: event scores) für eine soziale Performance entwarfen die Texte eine Erkenntnismethode, die auf persönlichen Erfahrungsberichten und der gemeinschaftlichen politischen Analyse von Machtstrukturen und Privilegien beruhte. Die nicht unterbrochenen und nicht bewerteten Selbsterzählungen von allen Beteiligten wurden als Wissensformen anerkannt, aus denen sich theoretische Einsichten und konkrete Handlungspläne für soziale Veränderungen ableiten ließen. Beim Consciousness-Raising waren alle Anwesenden beteiligt an der Artikulation und Übertragung von Wissen.
Chicago hatte Consciousness-Raising-Gruppen bereits 1970 in ihrer Lehre am Fresno State College eingeführt (vgl. Wilding 1994: 34). Auch im Feminist Studio Workshop in Los Angeles hielt Chicago an dieser Arbeitsweise fest. Sie setzte Consciousness-Raising als Methode zur gemeinschaftlichen Themenfindung sowie zur Entwicklung von biografisch fundiertem künstlerischen Material ein (vgl. Brown 2011: 142). Die angeleiteten Prozesse der ästhetischen Produktion beruhten – so schildert es Faith Wilding – „on an analysis of the content of what we would today call socially constructed female experience as revealed through consciousness-raising, a tool used in the feminist political movement nationally“ (Wilding 1994: 35).
Bereits in den frühen 1970er Jahren wurde die Praxis des Consciousness-Raising immer wieder problematisiert. Kritisiert wurde beispielsweise, dass es sich um eine Freisetzung von Gefühlen handele, die das Selbst therapeutisch organisiere anstatt politische Veränderungen zu bewirken. Ein anderer Einwand war, dass die starke Betonung der gemeinsamen Erfahrungen von Frauen, die Vielfalt möglicher Selbstpositionierungen überginge.8 Im Wissen um diese Gegenstimmen überrascht bei der Lektüre von Sarachilds Programm zum Consciousness-Raising der differenzierte – und Verschiedenheit bedenkende – Aufruf zur Befragung von Machtstrukturen und Privilegien. Zudem ist in der Handlungsanleitung das Aussprechen und Teilen von persönlichen Erfahrungen eng auf die Weiterentwicklung feministischer Theorie, die Organisation neuer Gruppen und die Durchführung von öffentlichen Protestaktionen ausgerichtet. Dabei bezieht Sarachild in ihre Überlegungen zum politischen Handeln ausdrücklich medientechnische Verfahren der Vervielfältigung und Kommunikation ein:
II. Consciousness-raising Actions
A. Zap actions
1. Movie benefits, attacks on cultural phenomena and events, stickers, buttons, posters, films
B. Consciousness programs
1. Newspapers, broadsides, storefronts, women’s liberation communes, literature, answering mail, others…??
C. Utilizing the mass media (Sarachild 1970: 80).
Mit der Anweisung „Learning to ‚relate‘“ (ebd.) macht Sarachild ihre Auffassung geltend, dass Formen der Verbundenheit und des Zusammenhalts jenseits von Verwandtschafts- oder Machtbeziehungen Wege zu sozialen Veränderungen seien. Vielgestaltige Prozesse des Sich-in-Beziehung-Setzens sowie die Erkundung von Bedingungen der Interaktion und Kommunikation begründen Lucy Lippard zufolge die Selbstauffassung und die sozial vernetzte Struktur feministischer Kunst. Bezogen auf die ästhetischen Verfahren des Feminist Art Movement unterscheidet Lippard zwischen drei Modellen der Interaktion: „(1) group and/or public ritual; (2) public consciousness raising and interaction through visual images, environments, and performances; and (3) cooperative/collaborative/collective or anonymous art-making“ (Lippard 1995: 179). Lippard betont, dass diese künstlerischen Strategien im Besonderen in massenweise reproduzierbaren Formen wie Postern, Videos oder Publikationen ihre Umsetzung fänden, jedoch auch Arbeiten in traditionellen Gattungen prägten. Die Gemeinsamkeit der drei Modelle skizziert sie folgendermaßen: „These three models are all characterized by an element of outreach, a need for connections beyond process or product, an element of inclusiveness that also takes the form of responsiveness and responsibility for one’s own ideas and images – the outward and inward facets of the same impulse“ (ebd.).
Im Kontext des Feminist Studio Workshop verknüpfte die Methode des Consciousness-Raising künstlerische Arbeitsweisen mit aktivistischen Kommunikationsprozessen. Spuren der Gruppeninteraktion zeigen sich auch im Gebrauch von Video: biografische Erzählungen, persönliche Beziehungen, Vielstimmigkeit, verkörperte Performances, Formen des Zusammenseins, Abstimmungen im gemeinsamen Handeln und der in Aussicht gestellte Erfahrungsaustausch mit Zuschauer*innen zeichnen den von MacDonald, Mogul und Ruth gemeinsam produzierten FEMINIST STUDIO WORKSHOP VIDEOLETTER aus.
Der Videoletter ist seiner Form nach eine kommentierte Führung durch das Woman’s Building. Die drei Künstlerinnen waren zum Zeitpunkt der Videoproduktion Mitglieder des Feminist Studio Workshop. Bild und Ton für die halbstündige Dokumentation wurden mit einer tragbaren Videoausrüstung (‚Portapak‘) auf ½ Zoll offenen Spulen aufgenommen. Das audiovisuelle Material des Videos stammt aus inszenierten Begegnungen, aus improvisierten Interviews und aus dokumentierenden Bezugnahmen auf die Räume, Personen und Ausstellungsobjekte im Woman’s Building.
Das Vorgehen bei der Aufzeichnung und die zeitliche Strukturierung durch Schnitte sind in der Form des Videos nachvollziehbar. Der Videoletter enthält vierzehn Szenen, die durch Kopieren (mit dem tape deck der Portapak für die Wiedergabe und einem videotape recorder für die neue Aufzeichnung) aneinandergefügt wurden. Die ‚unsauberen‘ Schnitte, die unter diesen technischen Bedingungen möglich waren, werden bei der Wiedergabe des Videos als Bildrauschen, als vertikaler Bilddurchlauf und als kurzzeitiger Ausfall des Bildes sichtbar.9 Die einzelnen, jeweils kontinuierlich aufgezeichneten Szenen werden durch Mogul und MacDonald verknüpft, die allein oder gemeinsam mit einem Mikrophon vor die Kamera treten und wie Informantinnen, zwischen der Welt der Zuschauer*innen und der in den Bildern gezeigten Welt vermitteln. Die Kamera wurde überwiegend von Ruth geführt. Die Choreografie der Kameraarbeit (Schwenks, Gänge durch die Räume, Zoom-ins) und die pointierten Aussagen in den Interviews erwecken den Eindruck, dass die Videoaufzeichnung zuvor unter allen Beteiligten getroffenen Absprachen folgt. Dennoch zeugt die Dynamik der Begegnungen und Gespräche von einer improvisatorischen Herangehensweise. Die Interaktion zwischen den Personen im Bild sowie die verbalen und gestischen Abstimmungen zwischen ihnen und der Kameraperson stellen klar, dass es sich nicht um vorab festgelegte und für die Aufnahme geprobte Szenen handelt.
Am Anfang des Videos ist auf der Tonspur eine Stimme zu hören: „This is Susan Mogul from Los Angeles. I am standing in front of Langer’s.“ Nach einigen Sekunden Schwarzbild zeigt eine Naheinstellung Susan Mogul. Sie steht mit einem Mikrophon in der Hand auf der Straße vor einem Lokal. Wie bei einer Fernsehreportage ist Mogul als Berichterstatterin vor Ort. Sie blickt in die Kamera und gibt den Zuschauer*innen Erklärungen zum Schauplatz. Langer’s, so führt Mogul aus, sei das Lokal, das die Frauen vom Woman’s Building häufig besuchten. Dann bezieht Mogul sich auf die in der Zukunft liegende Vorführsituation des Videos. Die fiktiven Adressat*innen ihrer Nachricht sind Besucher*innen des kommenden New York Women’s Video Festival: „For those of you who may remember me, I was in the Dressing Up tape that was in last year’s Women’s Video Festival.“10 Durch Moguls direkte Ansprache eines Publikums werden Betrachter*innen des Videos sich ihrer Aktivität des Zuschauens bewusst. Durch den Verweis auf das frühere Video können Zuschauer*innen, die diese Arbeit kennen, den kurzen Monolog auf der Straße mit Moguls komischer, autobiografisch angelegter performance persona aus DRESSING UP verknüpfen. Wenn Mogul vor die Kamera tritt, so überlagern sich authentifizierende, dokumentierende und fiktionalisierende Akte in der durch das Video (als audiovisuelle Form und reproduzierbares Medium) konstruierten Selbstpräsentation als Künstlerin.
Nach einem Schnitt gibt ein langsamer Kameraschwenk – von Langer’s Delicatessen über die Straße und Passant*innen hinweg in einen kleinen Park – ein umfassendes Bild vom gebauten städtischen Raum. Eine junge Frau (MacDonald), schwer beladen mit zwei Koffern und einer Reisetasche läuft aus einiger Entfernung auf eine Parkbank im Vordergrund des Bildes zu. Sie fragt ein älteres Paar, das auf der Bank sitzt, nach dem Weg zum Woman’s Building. Mit großer Selbstverständlichkeit weist ihr der Mann den Weg. In Los Angeles – so legt es die komische Situation des Wortwechsels nahe – kennt jedermann das Woman’s Building! Diese Straßenszene und das darauf folgende Zusammentreffen mit Mogul vor dem Woman’s Building stellen MacDonalds Ankunft in Los Angeles nach. Dass es sich hier um eine ‚Rückblende‘ und um ein Nachstellen für die Videoaufzeichnung handelt, wird in der folgenden Szene durch MacDonalds Kommentar offengelegt. In einem Büro, hinter einem Schreibtisch der Kamera gegenüber sitzend, erklärt MacDonald: „That was five months ago, when I first came to the Woman’s Building and the Feminist Studio Workshop. I heard about the Workshop through Ms. magazine, which is incidentally the only feminist publication in Nebraska.“ Im Weiteren erklärt MacDonald, dass der Feminist Studio Workshop eine alternative Bildungseinrichtung für Künstlerinnen sei. Dann schildert sie, dass der Workshop und die gemeinsame Arbeit im Woman’s Building, sie vollständig verändert hätten: „In fact, I’ve changed so much that I actually have to race myself to the mirror every morning.“ Schließlich steht MacDonald auf, läuft auf die Kamera zu und kündigt an: „And now we will transport you through time and space, to the International Woman’s Day at the Woman’s Building.“
Die folgenden sieben Szenen dokumentieren Veranstaltungen, die am 8. März 1975 stattfanden und sie lassen Akteurinnen in kurzen Interviews zu Wort kommen. Geleitet von Mogul und MacDonald, die mit dem Mikrophon vertraut an Personen herantreten, begegnen wir als Zuschauer*innen Chicago nach der Vorstellung ihres Buches Through the Flower: My Struggle as a Woman Artist, Meg Harlem, die Kurse von Gastkünstlerinnen koordiniert, Helen Alm Roth vom Women’s Graphics Center, die von der Ausstellung Women in the Printing Arts berichtet, zwei Besucherinnen einer Ausstellung von Quilts, Susan E. King, die diese Präsentation von Textilobjekten organisiert hat, de Bretteville, die über eine Retrospektive der Architektin und Designerin Eileen Grey spricht und schließlich Carol Kerlan umgeben von ihren Skulpturen und Objekten in einem Galerieraum.
Der Feminist Studio Workshop Videoletter zeigt die ausgewählten Akteurinnen des Woman’s Building in ihren professionellen Rollen. Durch die Form des Interviews legt das Video nahe, dass das Erfahrungswissen der Frauen aus ihrer künstlerischen und gemeinschaftlichen Arbeit wichtig und für andere instruktiv ist. Beispielsweise erklärt Alm Roth vom Women’s Graphics Center im Gespräch, dass die Grafikwerkstatt durch den Ankauf und die Reparatur von gebrauchten Maschinen unabhängig von kommerziellen Druckereien arbeiten könne. Sie stellt dann die Publikation zur Ausstellung Women in the Printing Arts vor. Es handelt sich dabei um eine Box mit Karteikarten, auf denen jeweils Künstlerinnen mit ihren Werken und Adressdaten verzeichnet sind. Dieses jederzeit erweiterbare Format der Veröffentlichung dokumentiert nicht nur die Arbeit von Grafikerinnen, sondern ermöglicht Kontakt und Austausch. Mit ihrer Expertise gibt Alm Roth Zuschauer*innen des Videos Anregungen, wie alternative Arbeitsstrukturen und professionelle Netzwerke für Künstlerinnen aufgebaut werden können.
Mit diesen auf Information, Anleitung und Überzeugung abzielenden Strategien der Darstellung bezieht sich der Videoletter auf dokumentarische Arbeitsweisen. In der autoethnografischen Erkundung des Woman’s Building treten persönliche Beziehungen und Kommunikationsstrukturen auffällig hervor. So zeigen sich im Video die Motivation der Selbstaufzeichnung und die Bezugnahmen zwischen den interviewten Personen und den drei Macherinnen bei der Bildproduktion an. Ebenso wie in Familienfilmen oder Amateurvideos verdeutlicht die lebhafte Interaktion der Videomacherinnen mit den gezeigten Personen die zwischen ihnen bestehende emotionale Verbundenheit. Zuneigung scheint hier in vertrauten Umarmungen, im gemeinsamen Lachen und im unbefangenen Tonfall der Gespräche auf. Eine ernsthafte und persönlich involvierte Haltung zum Projekt des Woman’s Building wird bei allen Akteurinnen sichtbar, die sich für die Videoproduktion um die Kamera und um das Mikrophon versammeln. Die Bilder belegen die Verbindlichkeit und die aufeinander abgestimmte Ausrichtung des individuellen Tuns bei der gemeinsamen Arbeit an der Dokumentation. Bei Amateurfilmen und ‑videos sind Formen der Geselligkeit an Feiertagen und bei Familienfesten häufig die Anlässe und Gegenstände der Aufnahmen. Wie ein der Selbstverständigung und Erinnerung dienendes Home Movie der feministischen Kunstwelt von Los Angeles zeigt der Videoletter die Aktionen und konkreten Gemeinschaften im Woman’s Building am Internationalen Frauentag 1975.
Im Feminist Studio Workshop Videoletter werden die beschränkten materiellen Ressourcen der Produktion offengelegt. Technische Unzulänglichkeiten wie unscharfe Bilder, ‚suchende‘ Kameraschwenks oder spontane Ausrufe, die auf die Aufnahmesituation verweisen, wurden als Störungen und Verständigungen, wie sie in Arbeitsprozessen aufkommen, belassen. Beispielsweise enthält das Video einen längeren Wortwechsel zwischen MacDonald, Mogul und Ruth darüber, ob die Aufzeichnung schon laufen würde. In einer späteren Szene – beim Interview mit de Bretteville – stellt sich ein kleiner Junge im Hintergrund ins Bild und grinst herausfordernd die Person hinter der Kamera an. Offenbar gaben die Videomacherinnen bei den Aufnahmen spontanen Entscheidungen, improvisierten Handlungsvollzügen und zufälligen Entwicklungen von Situationen Raum. Das Tape dokumentiert die Performance der Videoproduktion. Im beobachtenden Bezug der kontinuierlichen Aufnahmen registriert es die tatsächliche Dauer der Interaktionen und verleiht der prozessorientierten Haltung der Videomacherinnen eine anschauliche Form. Durch die bewusst unspektakuläre und zuweilen komische Do-it-yourself-Ästhetik setzt sich der Videoletter entschieden von der Bildästhetik, dem Timing und der Syntax des kommerziellen Fernsehens ab.
In den frühen 1970er Jahren grenzen sich feministische Videoarbeiten rigoros von den technisch aufwändigen Repräsentationen der Film- und Fernsehindustrie ab. Die negative Bezugnahme auf die Ideologie und die Schauwerte kommerzieller Bildregime teilen die feministischen Projekte nicht nur mit zeitgenössischen artists’ tapes, sondern auch mit Grassroots-Videokollektiven, die neue partizipatorische Formen der Berichterstattung und Medienproduktion sowie dezentrale Kommunikationsnetzwerke aufzubauen suchen.11 Mit Blick auf die Geschichte von Videokollektiven und alternativen Fernsehprojekten in den USA weist Deirdre Boyle auf die enorme Vielfalt an experimentellen Formen hin, in denen sich emanzipatorische Impulse mit dokumentarischen Verfahren verschränkten. Boyle bespricht auch die zuweilen ‚rohe‘ Materialorganisation und die im Vergleich zum kommerziellen Fernsehen unzulängliche technische Qualität der gegenkulturellen Bildproduktion. Diese Merkmale verzeichnet sie jedoch nicht als Defizite. Stattdessen sieht sie in den sozial-dokumentarischen Videoexperimenten ästhetisch innovative Formen der Wirklichkeitsbeschreibung:
Turning the limits of their technology into a virtue, underground videomakers invented a distinctive style unique to the medium. […] Tripods – with their fixed viewpoints – were out; hand-held fluidity was in. Video’s unique ability to capitalize on the moment with instant playback and real-time monitoring of events also suited the era’s emphasis on ‚process, not product.‘ (Boyle 1990: 52)
Der Zugang zu alltäglichen Orten und privaten Räumen, die persönliche Nähe in der Produktionssituation, die Unmittelbarkeit der audiovisuellen Erfahrung durch die direkte Wiedergabe oder die Echtzeitübertragung der elektronischen Bilder, die Privatheit der Betrachtungssituation und die geringe körperliche Distanz zum Monitorbild, die leichte Bedienbarkeit der Geräte und die im Vergleich zum Film geringen Kosten der Produktion und Vervielfältigung – diese Besonderheiten von Video werden in Texten von Künstler*innen, Aktivist*innen und Theoretiker*innen immer wieder angeführt, um die Verbreitung der portablen Videotechnik als einen medienkulturellen Einschnitt zu erfassen. Bezogen auf die Anfänge von Videokunst im zeithistorischen Kontext der politischen Bewegungen der 1960er Jahre spricht Martha Rosler von einem ‚utopischen Moment‘ des neuen Mediums (vgl. Rosler 1990: 31). Rosler zufolge ermöglicht Video als „the premier vernacular and popular medium“ (ebd.: 32) nicht nur neue Verknüpfungen zwischen Kunst und Leben, Privatheit und Öffentlichkeit, sondern auch den Rollenwechsel zwischen Publikum und Medienproduzent*innen.
In einem Interview beschreibt Rosler im Rückblick auf die 1970er Jahre die besonders enge Verbindung zwischen Feminismus, Videoarbeit und Verfahren der Performance Art:
Alongside performance, video was a very important tool in the women’s movement, because it was new, provisional, cheap, simple, time-based, and speaking. Like performance, it was time-based and speaking; like performance, it was provisional; like performance, it evaded expectations of professionalism and genre. But unlike performance, it was exactly repeatable and transmissible to others elsewhere. (Phillips/Rosler 2008: 200)
Performance und Video – so legen es Roslers Ausführungen nahe – waren seinerzeit als neue ästhetische Praktiken und als unvertraute Erfahrungsmodi unbelastet von einer Kunstgeschichte männlicher Meister. Performances und Videoarbeiten entzogen sich den tradierten Bewertungskriterien der Kunstkritik. Schließlich waren Malerei und Skulptur immer die dominanten Bezugsfelder kunstkritischer und philosophisch-ästhetischer Diskurse gewesen. Und es waren Werke der Malerei und Skulptur – des abstrakten Expressionismus und der Minimal Art – an denen sich die anhaltende kunsttheoretische Debatte des Modernismus entzündet hatte. Im Unterschied zu den objektförmigen und materiell fixierten Kunstwerken (als den traditionellen Erscheinungsweisen ästhetischer Gegenstände in den bildenden Künsten), ist für Performances und Videos ihre zeitgebundene Präsentation konstitutiv. Aufgrund der sich in der Zeit entfaltenden und begrenzten Verlaufsform bestimmt Rosler Performance und Video als vorläufig (‚provisional‘). Das reproduzierbare Medium Video verbindet die ‚behelfsmäßige‘ oder prozessorientierte Form mit der Möglichkeit der wiederholten Wiedergabe, Vervielfältigung und Zirkulation. Wie Rosler festhält, kann Video wiederholt vorgeführt und übertragen werden. Es kann also verschiedene Personen, Orte und Öffentlichkeiten miteinander verbinden: „Video created a community, it resided within a community, and it moved to other communities, creating a new, discontinuous ‚imagined community.‘“ (ebd.: 201)
Mit den Hinweisen auf Boyles Untersuchung von aktivistisch-dokumentarischen Arbeitsweisen und Roslers Überlegungen zu künstlerischen Strategien habe ich zwei, in den 1970er Jahren miteinander verbundene Tendenzen der Videoproduktion angesprochen. Beide Felder – mit ihren jeweils ausgeprägten Herangehensweisen und theoretischen Selbstbeschreibungen – können zum Verständnis des Feminist Studio Workshop Videoletter beitragen. Der Videoletter verknüpft eine dokumentarische Aufzeichnung mit einem kollaborativen, durch die Performances der (Selbst‑)Präsentationen und Interaktionen strukturierten Produktionsprozess. Wirklichkeitsbezüge und Akte des Vorführens, Verfahren des Registrierens und Momente der Theatralisierung treffen sich hier in einer Praxis, die Ausrichtungen der Zuneigung und Zueignung im Handeln mit Video exponiert. Bemerkenswert und für meine Annäherung entscheidend sind die Differenzierungen, die feministische Videopraktiken durch solche Dynamiken der Affizierung und Adressierung sowohl im Feld der dokumentarischen Repräsentation als auch in der Videokunst einführen. Diese Neuausrichtungen durchkreuzen videotheoretische Beschreibungskategorien, institutionelle Zuordnungen sowie vorherrschende Modelle der Distribution und Rezeption, wie ich am Feminist Studio Workshop Videoletter exemplarisch zeigen werde.
Um die kritische Rückfrage feministischer Künstlerinnen an überlieferte dokumentarische Produktionsweisen zu verdeutlichen, möchte ich an einen Text von Martha Gever anknüpfen. In ihrem Aufsatz Video Politics: Early Feminist Projects betrachtet Gever vier Dokumentarvideos, die zwischen 1972 und 1974 entstanden sind.12 Wie Gever zeigt, ist das Problem, das sich den Videokünstlerinnen stellt und auf das ihre Arbeiten zu antworten suchen, ihre Positionierung zu den Wahrheitsansprüchen realistischer Repräsentationen, in denen Erfahrungen und Interessen von Frauen nicht vorkommen.
For feminist artists, then, making documentary films, photographs, and now videotapes (not to mention realist paintings, theater, and all types of literary realism) usually proposes a redefinition of ‚reality‘ by asserting the validity of women’s existence and experiences, by challenging accepted ideas about those experiences, or by a combination of both strategies. (Gever 1983: 25)
Wie Gever anmerkt, kann es für feministische Künstlerinnen nicht um eine einfache Fortschreibung dokumentarischer Strategien und ihrer Konstruktion von Wissen gehen. Es stellt sich die Frage, wie dokumentarische Arbeitsweisen in Anspruch genommen werden können, um eine Kritik an der Wahrheitsproduktion von Abbildungen der sozialen Realität vorzubringen. Welche Darstellungsstrategien und Übersetzungsverhältnisse lassen sich als Alternativen zu universalisierenden Bedeutungskonstruktionen entwickeln? Und: Welche Produktionsprozesse können das dokumentarischen Formen eingeschriebene Machtverhältnis zwischen den Objekten und Subjekten des referenziell konstruierten Wissens zugunsten der Handlungsfähigkeit aller Beteiligten auflösen?
Als einen eigensinnigen Beitrag zu reflexiv-dokumentarischen Verfahren verstehe ich die Verknüpfung mit Performancepraktiken. So wie andere feministische Videoarbeiten der 1970er Jahre setzt der Feminist Studio Workshop Videoletter auf eine prozesshafte, körper- und handlungsbezogene Formbildung. In ihren Auftritten verflechten MacDonald und Mogul Momente eines autobiografischen und fiktionsbildenden Erzählens, monologische Selbstpräsentationen und direkte Ansprachen eines imaginären oder zukünftigen Gegenübers. Die Prinzipien der Improvisation und Interaktion bei der Aufzeichnung erlauben Übergänge zwischen der bloßen Anwesenheit vor der Kamera, dem Repertoire einer performance persona, der Zur-Schaustellung von wechselnden Selbstentwürfen oder von emotionalen Beziehungen und Verhaltensweisen.
Im Feld der Videokunst ist es die Neuausrichtung konzeptueller Strategien auf soziale Situationen, dokumentarische Erkenntnisinteressen und aktivistische Handlungsformen, durch die feministische Künstlerinnen die Möglichkeiten von Video neu bestimmten. Unter dem Eindruck der seinerzeit in Ausstellungen und Printveröffentlichungen sehr sichtbaren Film- und Videoarbeiten von Bruce Nauman hatten sich seit den späten 1960er Jahren einige formale Tendenzen in der performancebasierten Videokunst verfestigt. Wiederkehrende Verfahren waren die kontinuierliche Aufnahme mit einer statischen Kamera, die Ausführung von vorab geplanten, aufgabenbasierten Aktionen für die Kamera, eine Verlaufsform, die entweder auf gleichförmige Wiederholung und erschöpfende Dauer setzt oder auf einen einmaligen Akt, der eine markante visuelle Veränderung des Körpers vor der Kamera in der kontinuierlichen Aufzeichnung des Videos einführt, die intime Nähe der Kamera zum Körper in der kontrollierten Aufnahmesituation des Studios und die offen zur Schau getragene Indifferenz der Künstler und ihrer prozessorientierten Verfahren gegenüber den Erwartungen, den Kräften der Aufmerksamkeit und den Verstehensbemühungen von Zuschauer*innen. Video diente hier als ‚verzeitlichte‘ und choreografische Methode, um bildliche und skulpturale Strukturen zu erkunden.
Von solchen Arbeitsweisen setzt sich der Feminist Studio Workshop Videoletter ebenso wie andere performancebasierte Videos von feministischen Künstlerinnen durch narrative Elemente und die dokumentarische Bezugnahme auf alltägliche Schauplätze ab. Die Formen der Interaktion und die kollektive Autorinnenschaft ermöglichen Perspektivwechsel und geben unterschiedlichen Stimmen und Erfahrungen Raum. Durch die Ausdrücke der Zueignung und die direkten Ansprachen, durch die improvisatorischen Performance-Haltungen und durch die zuweilen komischen Selbst-Inszenierungen stellen sich beim Zuschauen affektive Nähe und Zuneigung zu den auftretenden Personen ein. In der Verknüpfung von dokumentarischem Zeigen, aktivistischer Anleitung und performanceorientierter künstlerischer Konstruktion ist der Feminist Studio Workshop Videoletter exemplarisch für die Arbeitsweise, die Meg Cranston als grundlegend für die Videoprojekte des Woman’s Building bestimmt hat:
[…U]nlike other artists and countercultural video producers who used video technology in the service of art or activism, the Woman’s Building video makers always worked toward both. They considered video to be an artistic, journalistic, therapeutic, documentary, and, above all, consciousness-raising tool, a means of collectively defining and advancing the far-reaching goals of feminism. (Cranston 2008: 269)
Cranstons Hinweis auf die ästhetisch-ethischen, kollektiven Handlungsformen stellt klar, dass die Videopraktiken im Sinne einer emanzipatorischen Aktivierung die Erfindung neuer sozialer Beziehungen anzustiften suchen. Die mögliche Veränderung der Wirklichkeit beginnt dabei mit der wirklichen Veränderung der Handlungsformen im Arbeitsprozess der Videoproduktion und mit der Neuordnung der öffentlichen Kunsterfahrung.
Die Utopie einer über die Kunstwelt hinausreichenden Kommunikation wird in der Bezeichnung ‚Videoletter‘ konkret: Sie legt nahe, dass Video als Brief (als Schreibweise, vertrauliches Schriftstück oder zugestellte Nachricht) auftreten kann.13 In ‚Videobriefen‘ materialisiert sich das Begehren nach einer den Abstand in Raum und Zeit aufhebenden Berührung – oder: nach einer indexikalischen Beziehung zwischen Produzent*innen und Zuschauer*innen (vgl. Hilderbrand 2009: 201). Der Zusammenhang zwischen (Selbst‑)Aufzeichnung und Adressierung lässt sich mit Blick auf die Gattung des Briefromans klären. Im Briefroman ist die postalische Fiktion eine Selbstreferenz des Textes auf die Verfasstheit von Literatur (der Text als intime Selbstaufzeichnung der Autorin oder des Autors, das Buch als Brief an die Leserin oder den Leser). Für Literatur und Brief sind der räumliche Transport des Textes und die Nachträglichkeit der Lektüre – der uneinholbare Abstand zwischen dem Schreiben und dem Lesen der Nachricht – konstitutiv (vgl. Simon 2002: xii ff.). Im Unterschied zum Brief als literarischer Fiktion war der Feminist Studio Workshop Videoletter tatsächlich an die Infrastruktur der Post gebunden: Der Postversand war das Verfahren der Distribution. Ebenso wie bei den vielfältigen Praktiken der Mail Art kommt somit ein Moment der Unverfügbarkeit und der Überraschung ins Spiel. Durch die Entscheidung für den Postversand werden die ungewisse Laufzeit und die unsichere Zustellung der Sendung Komponenten der künstlerischen Ereignisstruktur. Wie bei der Mail Art gehen Kunst und Alltag ineinander über. Die Idee eines begrenzten und beständigen ‚Werks‘ wird verabschiedet und durch einen Kommunikationsprozess, durch Übertragungen, Verteilungen und den Einbezug vieler Personen, ersetzt.
Der Anlass für die Produktion des Feminist Studio Workshop Videoletter war ein Aufruf des New York Women’s Video Festival. Im Jahr 1976 fand das von Steina Vasulka gegründete und von Susan Milano kuratierte Festival im Women’s Interart Center in New York statt. Im Programmheft von 1976 werden Vorführungen von „International Videoletters“ angekündigt (Betancourt/Milano/Wolaner 1976: o.P.). Dazu gibt es die Erklärung, dass im März 1975 ein Austausch von Videos zwischen fünf amerikanischen Städten initiiert worden sei. Auch die Prinzipien für dieses lokale Gruppen verbindende Videoprojekt werden offengelegt:
Every other month, participating groups produce a half-hour „letter“ on video and send two or three copies to sister groups in other cities. To take full advantage of the immediacy of the medium, the tapes are not highly edited but rather sustain audience interest by the content and the variety of topics included in each VIDEOLETTER. In each of the cities there is a monthly screening of the newly-arrived tapes plus the home tape. Audience reaction is videotaped at the end of the evening and included as part of the next outgoing VIDEOLETTER. (ebd.)
Gemäß dieser Beschreibung ging es darum, den Austausch zwischen einzelnen Gruppen aufzubauen und diesen Verständigungsprozess über jeweils gemeinsam produzierte, betrachtete und besprochene Videoproduktionen weiterzuführen. Wie ein Rundschreiben (oder: Newsletter) sollten die Videos die Arbeit der jeweils beteiligten Künstlerinnen und Aktivistinnen aufzeichnen und diese Nachrichten an andere Orte transportieren. Die Dokumentation von Ereignissen versprach, bei der Vorführung an neuen Schauplätzen spontane Gruppendiskussionen über das Gezeigte anzuregen. Durch die Möglichkeiten, den Videoletter zu kommentieren und mit eigenen Einsichten zu beantworten, konnten aus der konkreten Gemeinschaft von Zuschauer*innen bei Vorführungen Akteur*innen werden. Die Versammelten konnten untereinander, mit der Videotechnik und mit den ihnen zugesandten Aufzeichnungen in Beziehung treten und durch Akte des Verhandelns als Kollektiv etwas Neues produzieren. Als Skript für eine zeitlich ausgedehnte und auf mehrere Orte verteilte künstlerisch-soziale Performance bringen Videoletter eine auf Zugang und Teilhabe beruhende televisuelle Kommunikation hervor. Diese operiert außerhalb der einseitig gerichteten Sendestrukturen des kommerziellen Fernsehens und kann an vielen Orten begonnen, empfangen, bekräftigt, umgeformt, erneuert, fortgesetzt – kurz: wirksam – werden.
Lucas Hilderbrand befasst sich in seiner Mediengeschichte von analogem Video mit den alltäglichen, affektiv bedeutungsvollen Praktiken des Aufnehmens, Abspielens, Kopierens und Sammelns, die mit der Verbreitung von Videorekordern möglich wurden. Er bespricht auch den persönlichen Tausch in feministischen Video-Netzwerken als alternative Distribution. Wie Hilderbrand bemerkt, sind die in Video-Kettenbriefen umgesetzten Modelle des Zugangs und des Teilens an die analoge Technik gebunden: „These chainletters […] relied on the rerecordability and compilation capabilities of video – functions that distinguish the technology from film. […] The videoletters of the 1970s strove not only for collective understanding but also for collective viewing experiences and reciprocity.“ (Hilderbrand 2009: 205)
Im Projekt des New York Women’s Video Festival dienen Videoletter dem Aufbau eines Netzwerks für den Nachrichtenverkehr zwischen feministischen Gemeinschaften. Ideen von Öffentlichkeit, Miteinander-Sein und Verbundenheit in konkreten sozialen Situationen werden hier zusammengeführt mit dem Teilen und Distribuieren von Videoarbeiten. ‚Video‘ umfasst hier die Aufzeichnung von persönlichen Berichten verschiedener lokaler Gruppen, die neue Reichweite der audiovisuellen Mitteilung durch den Transport der Videobänder sowie die gemeinschaftlichen Situationen des Herstellens und Zuschauens. Die Kopplung von Videotechnik und Postversand erlaubt das Vervielfältigen und Verbreiten von audiovisuellen Artefakten außerhalb der Waren- und Verwertungslogiken von Kunstmarkt, Urheber*innenrecht oder Fernsehen.
Im bereits zitierten Programmheft des New Yorker Festivals werden die Städte genannt, die sich 1976 am Videobriefverkehr beteiligten: Boston, Chicago, Los Angeles, New York, Portland, Rochester, San Diego, San Francisco, Santa Cruz, Seattle, Tampa, Tuscon und Washington D.C. Die Festivalleiterin Milano präsentierte die Videos auch in Frankreich und Belgien (vgl. Barlow 2003: 3). Aus den wenigen überlieferten Belegen wird deutlich, dass die ‚Videobriefe‘ tatsächlich weit transportiert und an verschiedenen Orten gesehen wurden.14 Die Aufnahmen für den Feminist Studio Workshop Videoletter fanden überwiegend im März 1975 statt. Für die Monate Juni und Dezember desselben Jahres sind weitere Arbeitstreffen sowie Vorführungen von Videoletters im Woman’s Building dokumentiert (vgl. N.N. 2016). Dann brach die Korrespondenz offenbar ab. Hinweise auf eine Fortsetzung des Projekts in Los Angeles konnte ich nicht finden.
Die Videoletter ermöglichten es, Gemeinsamkeiten in den (durch die) verteilten Aktivitäten und verschiedenen Artikulationen von Frauen zu erkennen, die Video „as a tool for communication and change“ gebrauchten (Betancourt/Milano/Wolaner 1976: o.P.). Ich verstehe dieses kollektive Vorhaben nicht als schlichte Vergemeinschaftung, die selbst Ausschlüsse produziert, sondern als Versuch, Abstände zu verkleinern und Möglichkeiten der Solidarität zu erkunden. In meiner Analyse des Feminist Studio Workshop Videoletter habe ich aufgezeigt, wie die Arbeitsprozesse von MacDonald, Mogul und Ruth über die Ausrichtungen der Zuneigung und Zueignung die spezifischen Vermittlungsleistungen von Interaktionen, Performances, videotechnischen Handlungsweisen und zeitgebundenen audiovisuellen Formen mitbedenken.
Der Feminist Studio Workshop Videoletter erscheint mir bedeutungsvoll aufgrund der marginalen, selbstbestimmten Produktionsweise, die Werte und Handlungsauffassungen einer konkreten Gemeinschaft artikuliert und diese Selbstbeschreibung in einen für weitere Abstimmungen und Interaktionen offenen sozialen Zusammenhang überführt. Da sie auf Zugang und Beteiligung setzten und nicht auf Vermarktung und Bewahrung sind viele Videos feministischer Künstlerinnen heute kaum auffindbar. Zur geringen Sichtbarkeit der 350 Videoarbeiten, die im Woman’s Building entstanden sind, bemerkt Cecilia Dougherty:
I cannot find most of the wonderful tapes produced at the Woman’s Building listed in video distribution catalogs, nor are my favorite titles and makers described in the pages of video and media theory books. Sometimes this work seems beyond esoteric – one must be a researcher, a detective, or a confirmed videophile to know that it exists at all. (Dougherty 2011: 306)
Auch die Überlieferung und die Theorie feministischer Videoletter gehen aus Szenen der Zueignung und Zuneigung hervor: Überlieferungen und Theorien sind Weiterleitungen der Sendungen aus der Vergangenheit und videophile Antwortschreiben.
Ahmed, Sara (2004) The Cultural Politics of Emotion. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Anker, Steve/Geritz, Kathy/Seid, Steve (Hg.) (2010) Radical Light. Alternative Film & Video in the San Francisco Bay Area, 1945–2000. Berkeley: University of California Press.
Antin, David (1975) Television. Video’s Frightful Parent, Part I, in: Artforum, 14/4, S. 36–45.
Barlow, Melinda (2003) Feminism 101. The New York Women’s Video Festival, 1972–1980, in: Camera Obscura, 18/3, S. 3–38.
Barthes, Roland (1988) Fragmente einer Sprache der Liebe. [1977] Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Betancourt, Jeanne/Milano, Susan/Wolaner, Robin (Hg.) (1976) Women’s Video Festival NYC 1976 [Festivalprogramm]. New York: Women’s Interart Center.
Berlant, Lauren (2011) Cruel Optimism. Durham: Duke University Press.
Birnbaum, Dara (1986) Talking Back to the Media, in: Podesta, Patti (Hg.) Resolution. A Critique of Video Art. Los Angeles: LACE, S. 51–56.
Blom, Ina (2016) The Autobiography of Video. The Life and Times of a Memory Technology. Berlin: Sternberg Press.
Boler, Megan (1999) Feeling Power. Emotions and Education. New York/London: Routledge.
Boyle, Deirdre (1990) A Brief History of American Documentary Video, in: Hall, Doug/Fifer, Sally Jo (Hg.) Illuminating Video. An Essential Guide to Video Art. New York: Aperture, S. 51–69.
Boyle, Deirdre (1997) Subject to Change. Guerrilla Television Revisited. Oxford: Oxford University Press.
Braun Rosenthal, Naomi (1984) Consciousness Raising. From Revolution to Re-Evaluation, in: Psychology of Women Quarterly, 8/4, S. 309–326.
Brown, Betty Ann (2011) Feminist Art Education at the Los Angeles Woman’s Building, in: Hale, Sondra/Wolverton, Terry (Hg.) From Site to Vision. The Woman’s Building in Contemporary Culture. Los Angeles: Otis College of Art and Design, S. 140–159.
Butler, Judith (1997) The Psychic Life of Power. Theories in Subjection. Stanford: Stanford University Press.
Chicago, Judy/de Bretteville, Sheila/Raven, Arlene (1973) First FSW brochure designed by Sheila De Bretteville. Los Angeles: o.V., siehe: http://collections.otis.edu/cdm/singleitem/collection/wb/id/1791/rec/1 (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Cranston, Meg (2008) EVERYTHING’S IMPORTANT. A Consideration of Feminist Video in the Woman’s Building Collection, in: Phillips, Glenn (Hg.) California Video. Artists and Histories. Los Angeles: The Getty Research Institute/The Getty Museum, S. 269–273.
Dougherty, Cecilia (2011) Stories from a Generation. Video Art at the Woman’s Building, in: Hale, Sondra/Wolverton, Terry (Hg.) From Site to Vision. The Woman’s Building in Contemporary Culture. Los Angeles: Otis College of Art and Design, S. 286–307.
Duschinsky, Robbie/Greco, Monica/Solomon, Judith (2015) Wait Up!: Attachment and Souvereign Power, in: International Journal of Politics, Culture, and Society, 28/3, S. 223–242.
Echols, Alice (1989) Daring to Be Bad. Radical Feminism in America 1967–1975. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Gever, Martha (1983) Video Politics. Early Feminist Projects, in: Afterimage, 11/1–2, S. 25–27.
Hale, Sondra/Wolverton, Terry (2011) (Hg.) From Site to Vision. The Woman’s Building in Contemporary Culture. Los Angeles: Otis College of Art and Design.
Hale, Sondra (2011) Power and Space. Feminist Culture and the Los Angeles Woman’s Building, A Context, in: dies./Wolverton, Terry (Hg.) From Site to Vision. The Woman’s Building in Contemporary Culture. Los Angeles: Otis College of Art and Design, S. 39–81.
Hilderbrand, Lucas (2009) Inherent Vice. Bootleg Histories of Videotape and Copyright. Durham: Duke University Press.
Horsfield, Kate (2006) Busting the Tube. A Brief History of Video Art, in: Hilderbrand, Lucas/Horsfield, Kate (Hg.) Feedback. The Video Data Bank Catalog of Video Art and Artists Interviews. Philadelphia: Temple University Press, S. 7–16.
Juhasz, Alexandra/Mogul, Susan (2001) Susan Mogul [Interview], in: Juhasz, Alexandra (Hg.) Women of Vision. Histories in Feminist Film and Video. Minneapolis: University of Minnesota Press, S. 182–193.
Klein, Jennie (2012) Doin’ It in Public. Feminism and Art at the Woman’s Building, in: Frontiers. A Journal of Women Studies, 33/2, S. 129–136.
Lacy, Suzanne (1994) Affinities. Thoughts on an Incomplete History, in: Broude, Norma/Garrard, Mary D. (Hg.) The Power of Feminist Art. The American Movement of the 1970s, History and Impact. New York: Harry N. Abrams, S. 264–274.
Lippard, Lucy R. (1995) Sweeping Exchanges. The Contribution of Feminism to the Art of the 1970s [1980], in: dies. The Pink Glass Swan. Selected Essays on Feminist Art. New York: The New Press, S. 171–182.
Lippard, Lucy R. (2011) Foreword. Going around in Circles, in: Hale, Sondra/Wolverton, Terry (Hg.) From Site to Vision. The Woman’s Building in Contemporary Culture. Los Angeles: Otis College of Art and Design, S. 11–15.
N.N. (1972) „Woman’s Body, Woman’s Mind: A Guide to Consciousness-Raising“, in: Ms., 18, S. 18–23.
N.N. (2016) the Woman’s Building. Timeline, siehe: http://thewomansbuilding.org/timeline.html (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Phillips, Glenn/Rosler, Martha (2008) Martha Rosler [Interview], in: Phillips, Glenn (Hg.) California Video. Artists and Histories. Los Angeles: The Getty Research Institute/The Getty Museum, S. 198–201.
Rosler, Martha (1977) The Private and the Public. Feminist Art in California, in: Artforum, 16/1, S. 66–74.
Rosler, Martha (1990) Video. Shedding the Utopian Moment [1986], in: Hall, Doug/Fifer, Sally Jo (Hg.) Illuminating Video. An Essential Guide to Video Art. New York: Aperture, S. 31–50.
Sarachild, Kathie (1970) A Program for Feminist ‚Consciousness Raising‘, in: Firestone, Shulamith/Koedt, Anne (Hg.) Notes from the Second Year. Women’s Liberation. Major Writings of the Radical Feminists. New York: Redstockings, S. 78–80.
Simon, Sunka (2002) Mail-Orders. The Fiction of Letters in Postmodern Culture. New York: State University of New York Press.
Wilding, Faith (1994) The Feminist Art Programs at Fresno and CalArts, 1970–75, in: Broude, Norma/Garrard, Mary D. (Hg.) The Power of Feminist Art. The American Movement of the 1970s, History and Impact. New York: Harry N. Abrams, S. 32–47.
Wilding, Faith (o.J.) Don’t Tell Anyone We Did It!, siehe: http://faithwilding.refugia.net/donttell.html (letzter Zugriff: 01.04.2019).