Was kann das bedeuten?
Schauplatz: Nederlands Filmmuseum, Amsterdam, Frühjahr 1999. Im Rahmen der Tagung Gender and Silent Cinema kommt es zu einer Kino-Vorführung (mit Klavierbegleitung) des Films ROSALIE ET SES MEUBLES FIDÈLES (1911) – ein früher französischer Stummfilm von knapp fünf Minuten Länge. Das Sehen dieses Archiv-Films unter optimalen Kino-Bedingungen veranlasste mich damals eine bis heute wenig bekannte Gattung zu recherchieren: die frühe europäische Filmkomik, von den Anfängen des Films bis zum Ende der 1910er Jahre. Nur noch etwa 10 bis 15 Prozent (dieser Satz divergiert von Land zu Land) der Gesamtproduktion aus diesen Jahren lagert heute in den Depots der Filmarchive. Die meisten der Filme existieren zudem oft nur in Fragmenten. Jeder noch erhaltene respektive gut restaurierte Film aus dieser Zeit ist eigentlich ein Juwel. Meine Faszination galt speziell den frühen europäischen Filmkomikerinnen.1
In dem Film ROSALIE ET SES MEUBLES FIDÈLES sitzt die Hauptdarstellerin Sarah Duhamel zu Beginn in einem Zimmer am Klavier und ‚plaudert’ in einer halbnahen Einstellung mit dem Kinopublikum.2 Sie schneidet in Großaufnahme drollige Grimassen, sperrt die Augen weit auf, rollt sie nach links und rechts und streckt die Zunge heraus. In der nächsten Einstellung hält ihr der Hausmeister den Mietvertrag unter die Nase, worauf Rosalie mit hängenden Schultern zu verstehen gibt, dass sie kein Geld hat. Sogleich werden ihre Möbel abtransportiert und in ein Altwarengeschäft gebracht, wo bereits einige Interessenten warten. Rosalie ist verzweifelt. In mehreren Einstellungen läuft sie wild gestikulierend auf der Straße umher und immer wieder auf die Kamera und ihr Kinopublikum zu, um ihre Not heftig gestikulierend zu erklären. Als sie schließlich ihre bereits verkauften Möbel auf einem Karren vor dem Geschäft des Altwarenhändlers entdeckt, hüpft sie vor Freude und küsst ihr Klavier überhaus herzlich, geht dann aber weiter. Von dieser heftigen Zuwendung gewissermaßen ‚mobilisiert’, folgen ihr (mittels avancierter Tricktechnik) das Klavier, das Bett, der Tisch, der Teppich, die Bilder und einiges mehr. Als sie die Bewegungen der Möbelstücke hinter sich bemerkt, schlägt Rosalie vor Überraschung die Hände zusammen, springt auf und ab, bewegt sich immer wieder auf die Kamera (auf ‚ihr’ Publikum) zu, dreht sich um, winkt den getreuen Möbel zu und fordert sie auf, ihr zu folgen. Gegen Ende des Films läuft sie die Treppe in ihrem Haus hoch und umarmt den Hausverwalter, der in ihr nun wieder vollmöbliertes Zimmer kommt. Die letzten Gesten gehören dem Publikum. Sie zeigen, wie Rosalie sich, frontal agierend, zufrieden und glücklich verneigt.
Sarah Duhamel bietet in dieser und in anderen Rollen als Rosalie3 in ihrer grazilen Leibesfülle eine für mich sensationelle Performanz: Sie lacht herzlichst, schneidet dabei Grimassen und verrenkt dazu auch noch ihren ganzen Körper und bleibt dennoch erotisch-sinnlich. Das in der Filmgeschichte häufig dichotom angelegte Rollenbild einer schönen oder hässlichen Frau, einer Komikerin oder Dramatikerin, funktionierte in den 1910er Jahren im Kino4 offenbar noch nicht. Duhamel ist eine Komikerin, die attraktiv und hässlich zugleich sein konnte und in ihren Filmen eine breite Palette an Gefühlsregungen zeigt.
Im europäischen Kino der 1910er Jahre stellten die Komikerinnen und Komiker meist Personen aus dem klein- und mittelständischen Milieu dar. Sie agierten in den kurzen Filmen, die kaum länger als 10 Minuten waren, körperbetont belustigend oder ‚sonderbar’, erzählten Witze in pantomimischen Gesten oder steckten andere Protagonistinnen und Protagonisten des Films mit ihrem anhaltenden, herzhaften Lachen an. Neben dem innerdiegetischen Lachen gab es freilich auch das Lachen des Publikums. Das Kino war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein ausgesprochen populäres Vergnügen mit einem vielschichtigen Publikum. In jedem Fall stellt sich beim Lachen einer Gruppe von Individuen im Publikum – wie divers es auch sein mochte - stets die Frage nach Komplizenschaften, Allianzen und subtilen Ausschlüssen. Zumal es auch darum geht, wer über wen lacht, und weshalb lacht und welche Hierarchien und Machtverhältnisse mit diesem Lachen verknüpft sind.
Beeindruckt von den frühen Komikerinnen und Komikern interessierte mich bereits am Beginn meiner Studien die außergewöhnliche Präsenz einiger heute nicht mehr bekannter Schauspielerinnen, die mit ihrer körperbetonten Performanz sowie klar zugeordneten sozialen Rollen im Publikum herzhaftes, lautes Lachen erzeugten. Beim Nachdenken über das Lachen im Kino – mein eigenes wie auch das Lachen des historischen Publikums – wurde mir bewusst: Dieses spezifische Lachen beinhaltet mehr als „bloß“ einen Affekt. In diesem Lachen liegt die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns. Nicht zuletzt im Hinblick auf die heutige „Allgegenwart von Spaß- und Witzemacherei“5 in den Medien wirken die Komikerinnen und Komiker der Frühphase des Kinos in ihrer Performanz kompromisslos und subversiv. In kurzen Szenen erzeugen sie nicht bloß ein Lachen, um des puren Spaßes willen, sondern verweisen mittels grotesker Körperlichkeiten und eines unermüdlichen Kampfes gegen Autoritäten auf gesellschaftliche Ungleichheit, Intoleranz und Anpassungsdruck. Und das häufig, ohne am Ende für ihre Rebellion gegen Abhängigkeitsverhältnisse sowie die Lust am Zerstören deutlich „bestraft“ zu werden.
Henri Bergsons Abhandlung über Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen, die im Jahr 1900 unter dem Titel Le Rire in Paris veröffentlicht wurde, bietet einige Aspekte zum Thema „Lachen als soziales Phänomen“ – insbesondere im Zusammenhang mit den (fast) zeitgleich produzierten komischen Filmserien. Die Frage, wie das Lachen und die „gleichbleibende Substanz“, die das Phänomen Lachen hervorbringt, überhaupt zu fassen wäre, beantwortet er mit dem Begriff der komischen Fantasie, die aber keinesfalls in eine Definition gezwängt werden dürfe: „Wir werden sie (die komische Fantasie, CWP), so leichtgeschürzt sie auch sein mag, mit dem Respekt behandeln, der dem Leben gebührt. Wir werden nichts anderes tun als zusehen, wie sie wächst und sich entfaltet. Und sie wird, unmerklich von einer Form in die andere übergehend, vor unseren Augen die seltsamsten Metamorphosen durchleben.“6 Die komische Fantasie als etwas Lebendiges, Wachsendes, sich stets Veränderndes ist für den Philosophen Bergson essenziell. Darüber hinaus fragt er nach den sozialen, kollektiven Aspekten der Fantasie. Für ihn hat die Fantasie etwas Traumähnliches, etwas, das wie der Traum Bilder heraufbeschwört, die kollektiv akzeptiert und verstanden werden. Der intrinsische Zusammenhang des Lebendigen, des Lebens mit der kollektiven Erfahrung ist Ausgangspunkt und wesentliche These von Bergsons Lachtheorie.
Was ist nun das Lebendige an der komischen Fantasie, also am Phänomen des Lachens? Wie lässt sich diese Fantasie überhaupt beschreiben? Welche Ursachen liegen für Bergson dem Lachen zugrunde? Und wie lässt sich seine Theorie des Lachens mit den Komikerinnen und Komikern der 1910er Jahre in Beziehung setzen?
Vorstellungen vom Leben, von einem „Lebensprinzip“, stehen bei Bergson häufig für eine kontinuierliche Bewegung, für etwas Fließendes, etwas Natürliches. Allerdings ist dieses Natürliche im Gegensatz zum Künstlichen nicht etwa als biologische Kategorie gefasst, sondern stets ein auf die Alltagswirklichkeit bezogenes Leben, orientiert an einer konkreten, subjektiven Erfahrungs-Wirklichkeit. Ausgangspunkt ist bei Bergson also der Mensch selbst, der menschliche Körper, den er – und das macht seine Schriften über das Lachen heute so interessant – als sozialen Körper, in Relation zu seinen sozioökonomischen Konstitutionsbedingungen innerhalb einer modernen Gesellschaft begreift. Der menschliche Körper ist für ihn so etwas wie eine Quelle oder – genauer - ein Garant für das Leben selbst. Seine Bestimmung liege in seiner Beweglichkeit, seiner Anmut und einer ständigen Bereitschaft, sich den Veränderungen des Lebens zu stellen, in Bergsons Worten einer „lebendigen Anpassungsfähigkeit“ an eine Gesellschaftsordnung. Den Hintergrund seiner Überlegungen bildeten die rasanten Umwälzungen um die Jahrhundertwende, die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft, die unter anderem zu einer deutlich engeren Zeitstruktur führte, die zum Beispiel durch die zunehmende Taylorisierung von Arbeitsprozessen in Gang gesetzt worden war. Weil das Leben in einer solchen Gesellschaft selbst „mechanisch“ geworden sei, entstehe, so Bergson, ein starkes Spannungsverhältnis bzw. Konflikt zwischen einem langsam sich verändernden Lebensprinzip und einer hektischen, modernen Gesellschaft. Das Lachen deute einerseits auf dieses Spannungsverhältnis hin und beinhalte andererseits eine Konfliktbewältigungsmöglichkeit, da sich im Lachen über einen Menschen nicht zuletzt auch dessen Unfähigkeit zur Anpassung widerspiegle.
Zugleich aber helfe das Lachen dabei, mittels einer „sanften“ Strafe ein „Fehlverhalten“ zu korrigieren. „Wer sich absondert, der gibt sich der Lächerlichkeit preis, weil die Komik zum großen Teil von dieser Isolierung lebt. Und weil das Lachen für den, dem es gilt, immer ein wenig demütigend ist, kann man es als eine ‚wahre soziale Züchtigung’ betrachten.“
Für Bergson wirkt an einem Menschen komisch, was an ein Ding erinnert: „Es ist das, was an einen starren Mechanismus oder Automatismus, einen seelenlosen Rhythmus denken lässt. Die menschliche Komik verkörpert also eine individuelle oder kollektive Unvollkommenheit, die nach einer unmittelbaren Korrektur verlangt. Und diese Korrektur wird durch das Lachen besorgt.“ In diesem Sinne wird das Lachen als „soziale Geste“ verstanden, die eine „bestimmte Art des Abweichens vom Lauf des Lebens und der Ereignisse sichtbar macht und gleichzeitig verurteilt.“7
Dieser Aspekt seiner Theorie des Lachens ist häufig kritisiert worden, unter anderem von Klaus Heinrich, der Bergson präfaschistische Tendenzen unterstellt.8 Aus meiner Sicht betonen Bergsons Thesen in Hinblick auf die wachsende Industrialisierung der westlichen Gesellschaft um 1900 jedoch, das Unangepasste, das Widersprüchliche anders wahrzunehmen, besonders weil in dieser Wahrnehmung auch ein reflexives Moment liegt, in dem ein Konflikt deutlich in Erscheinung tritt, in dem sich Probleme, auf den Punkt gebracht, offenbaren und sodann augenblicklich verstanden werden können.
Vieles, was Bergson als Ursache des Lachens hervorhebt – Ungeschicklichkeiten, Ungelenktheit, Zerstreutheit von Menschen – thematisiert er am Beispiel von Situationen, in denen sich etwas Versteiftes, Isoliertes zeigt. Dabei differenziert er zwischen äußeren Um- und inneren Zuständen. Als äußere Umstände gelten ihm alltägliche Ungeschicklichkeiten, etwa die eines Mannes, der auf der Straße stolpert und fällt. Nach Bergson lachen die Passanten, weil der Mann ungelenk ist und ihm sein Körper aufgrund einer Versteifung nicht gehorcht. Sie lachen, weil die Umstände etwas anderes von ihm verlangt hätten, er sich aber nicht adäquat verhält. Es ist hier der menschliche Körper, der im Sinne einer notwendigen Beweglichkeit und „lebendigen Anpassungsfähigkeit“ nicht „funktioniert“. Als einen inneren Zustand, der Lachen hervorrufen kann, nennt er die Zerstreutheit eines Menschen, meint also eine Person, die verloren wirkt: „Denken wir uns eine gewisse angeborene Unbeweglichkeit der Sinne und des Geistes, die bewirkt, dass ein Mensch sieht, was nicht mehr ist, hört, was nicht mehr tönt, sagt, was nicht mehr passt, kurz, dass der sich in einer vergangenen und unwirklich gewordenen Situation häuslich einrichtet, während er sich doch der augenblicklichen Wirklichkeit anpassen sollte.“9
Es sind die Haltungen, Bewegungen und Gesten der Menschen – genau dies macht die Lektüre hinsichtlich Körperkomik und Lachen im Kino um 1910 so ergiebig –, die Lachen auslösen. In Bergsons Beschreibung der Bewegungen von Clowns in einer Zirkusvorstellung wird der Zusammenhang von Komik, Lachen und Körperlichkeit überaus deutlich: „Die Clowns kamen, gingen, prallten aufeinander, stürzten zu Boden, sprangen wieder hoch in einem gleichmäßig beschleunigten Rhythmus und in der offenkundigen Absicht, ein Crescendo darzustellen.“
In den ständig wiederholten, verdichteten Kapriolen der Clowns – die er übrigens als „derbe Komik“ charakterisiert -, trete eine besondere Kraft der komischen Fantasie zutage: In der Suggestion werde der Mensch zum Ding. „Allmählich vergaß man, daß man Menschen aus Fleisch und Blut vor sich hatte. Man dachte an irgendwelche Pakete, die sich fallenließen und aneinanderstießen. Dann wurde das Bild bestimmter. Die Formen schienen runder zu werden, die Körper schienen zu rollen und sich zu Kugeln zu ballen. Zum Schluß enstand der Eindruck, auf den hin die ganze Szene mehr oder weniger unbewußt angelegt war: Man sah nur noch Gummibälle, Gummibälle, die von allen Seiten gegeneinander geschleudert wurden.“10
Im Gegensatz zu Sigmund Freud, der ebenfalls um 1900 in seiner berühmt gewordenen Abhandlung über den Witz11 das Lachen in erster Linie auf der Ebene des sprachlichen Austauschs zwischen zwei Personen in den Blick nimmt, geht es Bergson um eine von der Logik der Fantasie geprägte Komik, die über Körperbilder funktioniert. Darüber hinaus begreift Bergson das Lachen immer als Lachen einer Gruppe, nicht als intersubjektive Kommunikation zwischen zwei Individuen. Bergson verknüpft die komische Fantasie mit Körperbildern, ohne deren Theoretisierung eine Betrachtung des Frühen Kinos zu kurz greifen muss. Gleichzeitig versteht er das Lachen als etwas Soziales, eine Perspektive, die direkt auf den Kinosaal, also das Lachen des Publikums verweist. Ihm geht es um eine kollektive Erfahrung durch das Lachen. Eine klassen- und geschlechtsspezifische Differenzierung fehlt allerdings, was meines Erachtens aber eine zeitgemäße Lachtheorie des Frühen Kinos nicht ausklammern sollte, wenn sie das Lachen in einer Gruppe in all seiner Komplexität und seinen individuellen Ausprägungen analysieren will. Obwohl sich in jeder Gruppenbildung üblicherweise etwas wie ein „Wir“-Gefühl im Verhältnis zum – manchmal auch Ausschluss des – „Anderen“ konstituiert, sollte stets die mögliche Komplizenschaft der Lachenden mit dem Auslöser des Lachens – der Komikerin und dem Komiker auf der Leinwand – im aufmerksamen Blick bleiben. Neben dem spöttischen, demütigenden, ausschließenden Lachen einer Gruppe über eine Figur gibt es im Kino auch ein fröhliches, leichtes, befreiendes Mit-Lachen mit dieser Figur, die das Lachen ja selbst hervorruft – durch ihr eigenes Lachen. Die gekonnte Performanz von Protagonistinnen und Protagonisten erzeugt Lachen und bewegt ein Publikum mitunter zu herzhaftem Mit-Lachen. An den Rollen der Komikerinnen und Komiker lassen sich die gesellschaftlichen Spannungsverhältnisse der damaligen Zeit ablesen und erste Überlegungen zu einer Theorie des Lachens im Kino entfalten. Die Grimassen, körperlichen Verzerrungen und Verrenkungen und die Maskeraden der Schauspielerinnen und Schauspieler machen deutlich, dass es am Ungewöhnlichen, am Nicht-Vertrauten, an der Groteske liegt, Lachen zu provozieren. Vor allem die Komikerinnen des Kinos der 1910er Jahre scheinen zudem noch keinem normierenden weiblichen Schönheitsideal verpflichtet gewesen zu sein und präsentieren ihre Körperlichkeit in explosiver, vielfältiger und fröhlicher Manier, die uns über alle Maßen auch heute noch beeindruckt.
Bergsons Theorie des Lachens verweist aber auch auf die Sinnlichkeit des Lachens – vom fließenden bis hin zum explosionsartigen. Speziell das Kino der 1910er Jahre bietet vieles von diesen vor allem an der physischen Wahrnehmung orientierten Qualitäten. Dass gerade das komische Genre sich mitunter auf den grotesk-körperlichen Ausdruck in nahezu exhibitionistischer Weise bezieht, vielschichtig den filmischen Raum, die Lichtstimmungen und Erzähltechniken inszeniert, macht es bis heute so faszinierend.
In dem kurzen Film LE BATEAU DE LÉONTINE (1911) bekommt das Mädchen Léontine (gespielt von einer Erwachsenen, der Name der Schauspielerin ist nicht bekannt) von ihren Eltern ein Segelboot geschenkt, dessen Seetauglichkeit sie in deren Abwesenheit ausprobieren will. Sie positioniert das Boot auf dem Küchentisch, öffnet einen Wasserhahn, stellt sich auf den Herd und wartet, bis alles überflutet ist und sie endlich mit ihrem Boot spielen kann. Parallel dazu sind einige Szenen im Stiegenhaus, in der Wohnung unterhalb oder im Keller zu sehen: Die Bewohner kämpfen verzweifelt gegen die Wassermassen. Am Ende sitzt Léontine seelenruhig in einer Tonne, lässt sich im Wasser treiben und wirft dem Publikum eine Kusshand zu.
Léontine wirkt in all dem Chaos sehr ruhig, erst die Kusshand am Ende des Films, die ein lächelndes Einverständnis mit den Zuschauern und Zuschauerinnen herstellen soll, zeigt, dass sie sehr wohl weiß, was sie angerichtet hat. Trotzdem genießt sie es schelmisch, ihr Publikum zum Lachen zu verführen und zum Komplizen ihrer Taten zu machen. Bemerkenswert ist an diesem Film auch, dass ihr Handeln am Ende zu keinen sichtbaren Konsequenzen führt, dass sie nicht „bestraft“ wird. Weder wird sie verbannt, noch ist sie mit dem Zorn der Hausbewohner konfrontiert. Im Gegenteil, sie kommuniziert selbstbewusst mit dem Publikum, als würde sie das Lachen selbstverständlich auf ihrer Seite haben.
Die Betonung des Körpers und die Zerstörung der Dinge – damals in den komischen Filmen12 sehr häufig – zeigen gerade in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg die Kehrseite bzw. die Ambivalenz der Verbundenheit mit den – damals oft noch wenigen - häuslichen Dingen, vor allem wenn das Mobiliar ganzer Häuser demoliert wird und es dabei um das Lachen geht. Dass in diesen Filmen so auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sozialen und ökonomischen Umwälzungen dieser Zeit thematisiert wurden, liegt auf der Hand. Im Grunde ist es die pure Anarchie, die hier aufblitzt. Im starken, lebendigen Ausdruck des Körpers wie im Zerschlagen des Mobiliars, im gewaltsamen Umkrempeln der Einrichtungen bleibt in den Bildern für Momente nichts bestehen, was einer herkömmlichen geschlechts- bzw. klassenspezifischen Ordnung entsprechen würde. Interessant ist, dass viele dieser bestechenden, kurzen komischen Filme mit anarchischen Tendenzen um 1910 in Frankreich entstanden sind. Wenngleich große, finanzstarke Firmen wie Pathé Frères, Gaumont, Lux und andere hinter dieser ersten Massenproduktion standen und diese Filme weltweit überaus erfolgreich vertrieben werden konnten, ist dennoch zu fragen, warum dieses Motiv der (lustvollen) Zerstörung in diesen Filmen so präsent war. Waren es die etwas liberaleren Verhältnisse der „citoyen“ in der französischen demokratischen Gesellschaft, oder waren es die Traditionen der französischen sozialkritischen/realistischen Literatur, der revolutionären Kultur und Kunst, die die Produktion so vieler Serien dieser kurzen komischen Filme begünstigte? Der Anteil der Frauen als Schauspielerinnen an diesen Serien-Produktionen ist bemerkenswert hoch und in all ihren Facetten eine Fundgrube für vielfältige Lesarten. Auch sie fordern – wie bei den frühen Filmkomikern und -komikerinnen üblich – ihr Publikum mit deutlichen Gesten und im direkten Kontakt zur Kamera auf, ihren Alltagsgeschichten zu folgen. Als einfache Angestellte, als Dienstmädchen oder bürgerliche Hausfrau gebärden sich die Komikerinnen dabei wie Erzählerinnen von einfachen Geschichten, die zugleich jedoch etwas Ungewöhnliches beinhalten und zum Lachen (ver)führen.
In ROSALIE N'A PAS LE CHOLÉRA (1911) beispielsweise sind Herr und Frau Petipas auf der Suche nach einer Haushälterin. Sie wenden sich an eine Agentur und wählen aus den dort wartenden Arbeit suchenden Frauen Rosalie (Sarah Duhamel) aus. Diese freut sich sehr, dass sie ausgesucht wurde und verspottet – voll der Schadenfreude - die übrig gebliebenen Frauen. Das wollen sich diese wiederum nicht so einfach gefallen lassen und sinnen auf Vergeltung. Sie ‚organisieren sich’ die Adresse von Rosalies Dienstgebern und verfassen einen Brief mit folgendem Wortlaut: „Beware! Your new cook has cholera. A friend“.13 Als Rosalie bereits als Köchin in besagtem Haushalt arbeitet und die Speisen serviert, kommt der Brief mit der fürchterlichen Nachricht, die helles Entsetzen auslöst. Sofort wendet sich alles gegen die neue Haushälterin Rosalie. Die Polizei wird gerufen, Rosalie in einen Sack gesteckt und in eine medizinische Anstalt befördert. Dort werden ihr, trotz massivem Protest, die Haare geschnitten. Sie wird völlig bekleidet in eine Wanne gesteckt, mehrmals untergetaucht, mit Wasser abgespritzt und mit Desinfektionsmitteln traktiert. In der nächsten Einstellung sitzt sie verzweifelt in einem leeren, nur mit einer Holzbank ausgestatteten Raum. Dennoch schafft sie es zu flüchten und in die Agentur zurückzukehren, wo sie den anderen, nicht-ausgewählten Frauen wieder begegnet, die noch immer auf Arbeit warten. Auch Herr und Frau Petipas sind anwesend, weil sie sich eine neue Haushälterin vermitteln lassen wollen. Als Rosalie erfährt, warum sie so behandelt worden ist, schlägt sie auf die „Verursacherinnen“ ihres Missgeschicks kräftig ein.
Das Lachen verdichtet sich in diesem Film an mehreren Kulminationspunkten, insbesondere in der Sequenz, die in der Cholera-Behandlungsanstalt spielt, in der Rosalies Körper massivsten körperlichen Attacken ausgesetzt ist. Es sind Männer in Taucher-ähnlichen, science-fiction-mäßigen Schutzbekleidungen die Rosalie malträtieren. Diese Bilder führen – im Lachen – den strafenden Aspekt wie ihn Bergson betont und zugleich auch die besondere Gewalt der patriarchalen Machtverhältnisse vor Augen, weil in dieser Sequenz nicht ‚nur’ eine besonders ansteckende Krankheit abgewehrt, sondern ein weiblicher Körper „behandelt“ wird. Die in vielen komischen Filmen gezeigte lustvolle Zerstörung richtet sich hier nicht gegen eine (klein)bürgerliche Ordnung, sondern gegen den weiblichen Körper, den es offensichtlich zu disziplinieren gilt. Glücklicherweise verharrt Rosalie nicht in der Position des Opfers, sondern nimmt ihrerseits den Kampf auf - allerdings nicht gegen die grobe Männer-Behandlung in der Anstalt sondern gegen die Frauen als Verursacherinnen ihrer Misere. Ein weiterer Kulminationspunkt liegt in der Konkurrenzsituation der Frauen um einen Arbeitsplatz. Rosalie löste ihre spätere Misere zu Beginn des Films dadurch aus, dass sie sich in der Agentur gegenüber ihren Konkurrentinnen in dem Moment besonders schadenfroh gezeigt hatte, in dem sie die Arbeitsstelle erhalten hatte. In grotesken Grimassen und lachend verspottet sie ihre (übrigens mit langen Nasen und Warzen besonders hässlich dargestellten) älteren Kolleginnen. Diese rächen sich daraufhin allerdings fürchterlich. Der Kampf unter den Frauen zeigt sich am Ende des Films in voller Härte: Die Differenzen werden offen und mit vehementem körperlichem Einsatz ausgetragen. Rosalie schlägt auf die Frauen ein. Diese wehren sich und deuten auf die eigentliche Anstifterin des Komplotts: Rosalie stürmt sogleich auf diese zu, reißt sie an den Haaren und zwingt sie zu Boden. Schließlich zählt nicht, wer unter ihnen die Schönste, Attraktivste, Reichste oder Beste ist, sondern wer die körperlich Stärkste ist. Es ist Rosalie, die, selbst übel zugerichtet, ähnlich wie im sportlichen Ringkampf, in der Schlusseinstellung über eine andere triumphiert. Sie stellt ein Bein auf den Körper ihrer stärksten Kontrahentin und blickt dabei stolz in die Kamera.
In Henri Bergsons Essay über das Lachen findet sich am Ende eine besonders treffende Definition: „Das Lachen ist wie dieser Schaum [die Schaumkronen von Meereswellen, Anm.]. Es zeigt den Aufruhr an der Oberfläche des sozialen Lebens an. Es zeichnet die beweglichen Umrisse dieser Erschütterung augenblicklich nach. Es ist auch salzhaltig. Und es prickelt wie Schaum. Es ist etwas Leichtes, Fröhliches."14 Dieses so genau formulierte Bild verweist in aller Deutlichkeit auf das prickelnde Spannungsverhältnis zwischen dem Körperlichen und seinem sozialen Umfeld und betont - ja fordert - damit die Erarbeitung einer gesellschaftspolitischen Sichtweise des Lachens, hebt jedoch zugleich auch das Leichte und Fröhliche der Exzentrik des Körpers hervor. In ihrer extremen Performanz und ihrer Zugewandtheit zu den Dingen agieren die Filmkomiker und Filmkomikerinnen nicht als „männliche“ oder „weibliche“, sondern vielmehr als ambivalente, vielfältige, queere Figuren, die für Momente keinem Geschlecht und keiner Klasse zuzuordnen sind. In diesem Sinne sehe ich die kurzen komischen Filme der 1910er Jahre auch als etwas Einzigartiges in der Filmgeschichte, konnten sie sich doch frei von bemüht kohärenten Erzählstrukturen auf das Besondere konzentrieren: auf den menschlichen Körper mit all seinen performativen Potenzialen und darauf, was diese vielgestaltigen und diversen Körper über sich und ihr Verhältnis zur Welt (kritisch) zu erzählen vermögen.
Bergson, Henri (1988) Das Lachen. Zürich. (Ursprünglich: Le rire. Essay sur la signification du comique. Paris 1900)
Freud, Sigmund (1992) Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Frankfurt am Main.
Heinrich, Klaus: »Theorie des Lachens«. In: Kamper, Dieter/Wulf, Christoph (Hg.): Lachen - Gelächter - Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln. Frankfurt am Main 1986, S. 17-38.
Kofman, Sarah (1990) Die lachenden Dritten. Freud und der Witz. München, Wien.
Kotthoff, Helga (Hg.) (1996) Das Gelächter der Geschlechter. Humor und Macht in Gesprächen von Frauen und Männern. Konstanz.
Preschl, Claudia (2008) Lachende Körper. Komikerinnen im Kino der 1910er Jahre. FilmmuseumSynemaPublikationen, Wien
Schümer, Dirk (2002) »Lachen mit Bachtin – ein geisteshistorisches Trauerspiel«. In: Merkur Sonderheft: Lachen. Über westliche Zivilisation. 56.Jg., S. 847-853.