Eine Frage, von der die Forschung zu Sportfilmen gleichsam immer wieder heimgesucht wird, ist jene des Genres. Unabhängig davon, ob sich der filmischen Repräsentation von Sport aus mehr anthropologischer, kommunikationstheoretischer, politischer, philosophischer oder soziologischer Perspektive genähert wird, scheint mindestens das Stellen der Frage, inwiefern man von einem Genre des Sportfilms sprechen kann, zumeist unausweichlich. Die Tatsache, dass das Konzept Genre selbst ein filmtheoretisches und in der Filmwissenschaft immer wieder bearbeitetes Problem darstellt (vgl. zuletzt Stiglegger 2020), wird dabei allzu oft übergangen, sodass etwaige Antworten entsprechend ausbleiben, ernüchternd ausfallen und/oder aber durch individuelle Begriffs- und Gegenstandsbestimmungen ersetzt werden (müssen). Insbesondere weil Sport als repräsentiertes, erzähltes Sujet so offensichtlich zu greifen ist, lässt sich die Frage nach einem Sportfilmgenre von einer taxonomischen Warte aus gewissermaßen zu leicht beantworten, was wiederum die Frage selbst als nicht besonders relevant bzw. wenig produktiv und schwer operationalisierbar erscheinen lässt. Gleichzeitig zeugen eben zahlreiche Arbeiten davon, dass man sie nicht losbekommt und ihre einfache (inhaltliche, thematische) Beantwortung — wie etwa die Arbeitshypothese, dass Filme dann Sportfilme sind, wenn sich deren Handlung um sportliche Aktivität und Athletenfiguren herum entspinnt — auch erst einmal nötig und produktiv sein kann.
Glen Jones spricht in diesem Zusammenhang vom Sportfilm als einem „invisible genre“ (Jones 2008), einem unsichtbaren oder, wie man vielleicht auch sagen könnte, einem geisterhaften Genre — vorhanden und doch nicht greifbar. Während diese Idee sicherlich für Filmgenres im Allgemeinen geltend gemacht und theoretisiert werden kann, erscheint sie mir dennoch im spezifischen Hinblick auf Sportfilme besonders spannend. Zum einen, weil sie sich hier mit etwas verbindet, das ich im Folgenden skizzenhaft und typologisierend anhand einiger aus der obigen Arbeitshypothese hervorgehender Filmbeispiele als Geister-Bilder beschreiben möchte, die die Mechanismen des wettbewerblichen Sports als Medium nationaler Erinnerungskultur (vgl. Stauff 2019) mit der Spezifik des Filmbildes — einer Bewegungsdynamik, die „Epstein zufolge einen unheimlichen Bildraum zwischen Lebendigem und Totem [konstituiert]“ (Tedjasukmana 2104, 95) — und jenem Sportfilmen oft zugeschriebenen Modus der Nostalgie (vgl. Sobchack 1997, Tudor 1997) verbinden. Zum anderen, weil diese Geister-Bilder im Umkehrschluss, so die erweiterte, aber hier sicherlich nicht gänzlich einzuholende These, als ein filmisches Denken verstanden werden können, das sich gewissermaßen in einem doppelten Sinne als genrereflexiv darstellt. Doppelt, weil es einerseits auf eine Auffassung von Genre-Kino als einem offenen System des (ständig neuen) Bezugnehmens jenseits von Konvention und Stereotyp und damit jenseits einer Selbstreflexivität jeweils einzelner, distinkter Genres verweist, dem aus einem taxonomischen Verständnis heraus nicht unbedingt produktiv beizukommen ist (vgl. Grotkopp 2019); und andererseits der Sportfilm in eben dieser Reflexion des Zugriffs auf und der Aneignung von Bilder(n) durch Bilder vielleicht selbst als Genre greifbar werden kann, gerade weil sie sich hier mit einem besonderen und expliziten Vergangenheitsbezugs zu einer Poetik der Geschichtlichkeit verbindet (vgl. Gronmaier 2019). Erst in seiner (Wieder-)Sichtbarmachung des nicht (mehr) Sichtbaren findet das ‚unsichtbare Genre‘ des Sportfilms gewissermaßen zu sich.
In diesem Sinne möchte ich mich im Folgenden entlang von vier Beispielen an einer kleinen Typologie des Geister-Bildes im Sportfilm bzw. des Sportfilmgenres als Geister-Bild versuchen und zeigen, wie sich geisterhafte Erscheinungen audiovisuell und in ihrer erzählerischen Einbindung in Sportfilmen präsentieren und sich mit Prozessen der Wiederverwertung und schöpferischen Aneignung von Bildern durch Bilder und deren Rezeption zu einem filmischen Denken verbinden.
Die bekannteste Geistererscheinung in einem Sportfilm hält wohl FIELD OF DREAMS (USA 1989) bereit: Als eine akusmatische, bis zum Ende des Films letztlich unidentifiziert bleibende Stimme zu Ray Kinsella spricht und dieser dann auch noch eine entsprechende Vision hat, baut der von Kevin Costner verkörperte, baseballfanatische Protagonist ein Spielfeld auf sein Ackerland in Iowa.1 Was insbesondere von seinem Schwager als Schnapsidee abgetan wird und ihn als Kleinfarmer in den Ruin zu treiben droht, erweist sich dann als eine Art magischer Ort des Ahnenkults: Eines Nachts erscheint auf dem Feld (der Geist von) ‚Shoeless‘ Joe Jackson (Ray Liotta), einem der besten Spieler in der Geschichte des modernen Baseball-Sports, dessen Profi-Karriere durch seine bis heute umstrittene Verwicklung in den sogenannten Black Sox Skandal 1920 auf ihrem vermeintlichen Höhepunkt ein frühes Ende fand.2 Bald tauchen weitere Spieler aus dieser vergangenen Zeit auf. Unter den Augen von Kinsella, seiner Frau und seiner Tochter — anfangs die einzigen, die die Spieler (mit uns als Zuschauer) überhaupt sehen und mit ihnen Kontakt aufnehmen können — trainieren jene auf dem Feld, um dann am Ende jedes Tages wieder mittels eines optischen Tricks der partiellen Ausblendung im angrenzenden Maisfeld zu verschwinden (Abb. 1).
Im weiteren Verlauf des Films veranlasst die in kryptischen Imperativsätzen weiter zu ihm sprechende Stimme („Ease his pain“, „Go the distance“) Kinsella zu einem Roadtrip nach Boston, wo er Terrence Mann (James Earl Jones), einen ehemaligen Bürgerrechtler und Lieblingsautor seiner 68er-Jugend, aufsucht. Während des gemeinsamen Besuchs eines Baseballspiels im Fenway Park spricht die Stimme erneut, außerdem sind auf der Anzeigentafel des Stadions für einen kurzen Moment die Statistiken des Spielers Archibald ‚Moonlight‘ Graham zu sehen, der im Jahr 1922 lediglich an einem Profi-Spiel für die New York Giants teilnahm und dabei zu keinem Schlag kam. Nachdem Mann zugibt, die geisterhafte Stimme auch gehört und die historische Anzeige auch gesehen zu haben, begeben sich die beiden Männer nach Minnesota auf die Suche nach jenem Graham. Es stellt sich heraus, dass dieser bereits seit einigen Jahren verstorben ist, ein abendlicher Spaziergang ermöglicht dann aber unverhofft eine Zeitreise und die Begegnung mit dem (Un)Toten. Auf einer dunklen, verlassenen Straße trifft Kinsella den von Burt Lancaster verkörperten und auf einem historischen Vorbild beruhenden Graham, der ihm die Details seiner kurzen Baseballkarriere und seines anschließenden Lebensweges als Arzt erzählt. Auf dem Rückweg nach Iowa, zur Farm und dem mystischen Feld nehmen Kinsella und Mann dann einen Anhalter mit, der sich als der junge, nun also selbst zeitreisende Graham (Frank Whaley) herausstellt und so doch noch die Chance erhält, sich mit den frühen Legenden des Sports am Schlagmal duellieren zu können.
Auffällig ist, dass diese vielen geisterhaften Erscheinungen und Auftritte in FIELD OF DREAMS zumeist mit Phänomenen eines aneignenden Wiederauftauchens filmischer Bilder einhergehen. Darauf deutet bereits das Intro hin, welches eine Vielzahl an historischem Found Footage mit (reinszenierten) Familienbildern kombiniert und so in Verbindung mit der Voiceover-Stimme Costners eine klischierte 68er-Biografie der Figur Kinsella audiovisuell materialisiert, die geprägt ist von einer auf Baseball-Fantum basierenden, später jedoch problematischen Vater-Sohn-Beziehung. Im weiteren Verlauf reicht dieses Wiederauftauchen, das ja gewissermaßen selbst etwas Geisterhaftes an sich hat, von sprachlichen wie performativen Erwähnungen und Anspielungen über Film-im-Film-Situationen bis hin zu ganz bestimmten ästhetischen Figurationen.
So schaut z.B. Kinsellas Tochter, die später „Shoeless“ Joe Jackson auch noch ganz direkt fragen wird: „Are you a ghost?“, kurz nachdem Kinsella die Stimme zum zweiten Mal gehört hat, am Frühstückstisch HARVEY (USA 1950) — einen Film, in welchem Protagonist Elwood P. Dowd mit einem Geist in Form eines sehr großen Hasen namens Harvey durchs Leben geht. Über eine Bild im Bild-Konstruktion sehen wir einen Ausschnitt der Szene, in welcher der von James Stewart verkörperte Protagonist von seiner ersten Begegnung mit jenem Puka (bzw. vom ersten Hören von dessen Stimme!) erzählt. Später zitiert und imitiert einer der Geisterspieler aus der Vergangenheit, als er per Fadeout wieder im Maisfeld verschwindet, die sterbende Wicked Witch of the West aus THE WIZARD OF OZ (USA 1939): „I’m melting, I’m melting.“
Ihren Höhepunkt erfährt diese (re-)kontextualisierende Aneignung bereits vorhandener filmischer Bilder dann aber, wenn Kinsella nach seinem unerwarteten Sprung in der Zeit auf den alten ‚Moonlight‘ jetzt ‚Doc‘ Graham trifft. Nicht nur taucht hier im über ein Billboard markierten Jetzt des Kinostarts von THE GODFATHER (USA 1972) überraschend Burt Lancaster in seiner letzten Kinofilmrolle als eine Art angerufener Ursprungsgeist des Film Noir- sowie des Sportfilm-Genres auf — die vorhergehende Ausdrucksmodalität, in welcher Kinsellas und Manns detektivische Nachforschungen eingefangen werden, führen uns durchaus zurück an die Anfänge der Filmkarriere Lancasters, während sich der deutlich vom Alter gekennzeichnete Schauspielerkörper gleichzeitig stark mit jenem etwa in THE KILLERS (USA 1946), in dem er seine erste Filmrolle hatte oder im den Sportfilm prägenden JIM THORPE – ALL-AMERICAN (USA 1951) kontrastiert. Es ist gleichzeitig auch die Inszenierung dieses Auftauchens der Lancaster-Figur selbst, die wiederum eine Re-Inszenierung darstellt, welche als unverblümte Anrufung einer der ikonischsten Bildlichkeiten der (Geister-)Filmgeschichte zu erfahren ist, nämlich jener Einstellung in THE EXCORCIST (USA 1973), die den Exorzisten Pater Merrin als entfernte Silhouette unter einer Straßenlaterne vor dem Haus der besessenen Regan zeigt (Abb. 2).
Was sich hier in FIELD OF DREAMS also vollzieht, ist folglich alles andere als eine Austreibung des Geistes der Filmgeschichte, sondern vielmehr die Reflexion von dessen Verfasstheit als ein sich mit jedem gesehenen Film neu herstellendes und ausrichtendes Netz ästhetischer Bezüglichkeit, Aneignung und Durchdringung. Die Kumulation von Geister-Bildern verweist hier entsprechend nicht nur auf den Film als ein Medium des Wiedererscheinen- und Verschwindenlassens im Sinne eines abbildhaften Realismus, kausallogischem Erzählens und linearer Geschichtsschreibung, sondern auch auf den bei Stanley Cavell formulierten Gedanken, dass jeder Genrefilm, gerade weil er Bezug nimmt, sein Genre neu fasst (vgl. Cavell 1982: 81). Und dass — in einem umfassenderen, der bergsonianisch-deleuzianischen Idee einer „visuell verfassten Ontologie“ (Fahle 2002, 98) und dem Film als deren adäquatestes Medium entsprechenden Sinne — Bilder aus Bildern hervorgehen.
Diesen Prozess der schöpferischen Aneignung, dieses reflexive Herstellen von filmischen Bildern durch filmische Bilder, kann man im Anschluss an die Ansätze der Filmtheorie von Cavell und Gilles Deleuze als den Kern eines genuinen Denkens des Films, als die immer schon geschichtliche Diskursivität filmischer Bilder, verstehen. Solch ein Denken ist — das haben in der Geschichte der Filmtheorie nicht nur Deleuze und Cavell deutlich gemacht, sondern etwa auch Béla Balázs, Jean Epstein und Sergei Eisenstein betont — nicht (sprach)logisch, sondern sinnlich strukturiert zu verstehen. Es speist sich aus Unbestimmtheit, dem Assoziativen und Offenheit für das Neue.3 Es geht dabei also erst einmal weniger um ein Verstehen, sondern um die „Möglichkeit eines vorbegrifflichen, sinnlich-plastischen Erkennens” (Tröhler 2007: 284) — weniger ein Wiedererkennen als vielmehr jenes überhaupt erst subjektivierende Selbsterkennen als sinnlich denkende Instanz (vgl. ebd.: 297), das sowohl die „Geistmaschine oder Denkmaschine“ (Morin 1958: 225) Film als auch die Zuschauerin, die sie hervorbringt, betrifft. Das Denken des Films — Margrit Tröhler beschreibt es mit Epstein als „das Denken, das mich denkt“ (ebd.) — ist entsprechend als ein Akt reflexiver Hervorbringung zu verstehen, in welchem aber nicht nur die filmischen Bilder das Zuschauersubjekt zu dessen Subjektivierung kommen lassen, sondern dieses Zuschauersubjekt dabei eben auch die filmischen Bilder erst herstellt.
Hermann Kappelhoff fasst diesen Vorgang mit dem Konzept des Bewegungsbildes, das „für sich gar nicht greifbar [ist]. Was wir als Artefakte vorfinden, sind medientechnisch animierte (audio-)visuelle Bewegungsfigurationen, die erst im Filme-Sehen zu filmischen Bewegungsbildern werden“ (Kappelhoff 2018: 29). Der Begriff des Filme-Sehens geht dabei über den Begriff der Rezeption insofern hinaus, als dass er ein poetisches Machen adressiert, über das im Anschluss an Michel de Certeaus Idee des kulturellen Konsums als „eine andere Produktion“ (de Certeau 1988: 13) auch das Zuschauen als ein Produzieren filmischer Bilder und umgekehrt das ‚Filmemachen‘ als ein (Effekt von) Zuschauen perspektiviert werden kann. 4 In Bezug auf den Zuschauer macht Kappelhoff dabei deutlich, dass dessen Empfindungsdynamik, als einer der zwei konstitutiv miteinander verschränkten Wahrnehmungsakte im filmphänomenologischen Modell, als die eine Hälfte eines sinnlichen Denkens des Films „keine Erfahrung des Betrachters vor dem Bild [ist]; sie ist vielmehr ganz und gar Teil der Bewegung des Bildes, Teil der zeitlichen Struktur des Bewegungsbildes und durch dessen Struktur als Empfindungsgestalt – eine spezifische Affektdynamik – geformt“ (Kappelhoff 2018: 24). Die Hervorbringung filmischer Bilder als „Modellierungen einer geteilten Wahrnehmung von Welt“ ist somit keinem „konsistenten Subjekt künstlerischen Schaffens zurechenbar […]“ (ebd.: 14). Nicht der Regisseur ist der Philosoph, wie es etwa noch bei Deleuze klingt, sondern die ZuschauerInnen (von denen der Regisseur auch einer ist) subjektivieren sich philosophierend in filmischen Bildern, über sich ständig neu kreuzende poetische Imaginationen als sinnliche Weisen der Welterzeugung. „Nicht die Filmproduktion per se, sondern der Kulturkonsum audiovisueller Bilder, die Poiesis des Filme-Sehens bringt den Diskurs filmischer Bilder als ein sozial, kulturell und historisch situiertes ‚Denken der filmischen Bilder‘ hervor. Der Diskurs filmischer Bilder ist als Produkt der Poiesis des Filme-Sehens zu analysieren und zu rekonstruieren“ (ebd.).
Entsprechend produziert meine Poiesis des Filme-Sehens ein Denken der filmischen Bilder von FIELD OF DREAMS, das offenbart, dass dieser Film auch Bildmodalitäten der Film Noir-Ära enthält, dass die Bilder Lancasters als ‚Doc‘ Graham auch Bilder Lancasters als Jim Thorpe sind und dass ein Baseball-Melodrama der ausgehenden 1980er Jahre durchaus mit einem Horrorfilm von 1973 in Beziehung tritt und als Genrefilm einen frühen Vertreter des Sportfilms anruft — wobei eben erst dieses Anrufen, das sich ausdrücklich nicht im Setzen und Auffinden von Zitaten erschöpft, beide dann zu einem Genre innerhalb eines vielfach verzweigten Systems von Ausdrucks- und Erfahrungsmodalitäten werden lässt. 5 Dieses filmische Denken vollzieht sich also grundlegend geisterhaft, als eine Art präsentisches Ge-denken, als (sich) vergegenwärtigendes Gedächtnis im Sinne des deleuzianischen Kristallbildes, im Zuge dessen die/meine poietische Wahrnehmung filmischer Bilder nur eine weitere Aktualisierung „eine[s] autonomen deaktualisierte[n] Bilderraum[s]“ (Fahle 2002, 104) und (m)ein wahrnehmender Körper nur eine weitere Aktualisierung der Weltsubstanz des ‚organlosen Körpers‘ (vgl. Deleuze/Guattari 1977: 421f.) ist.
Die Bezüglichkeit der Geister-Bilder des Sportfilms ist so nicht als von einer Intention der FilmemacherInnen geleitete, vorgefertigte, bewusst angebrachte und dann zu dekodierende zu verstehen, sondern als eine von potentiell unendlich vielen Konnexionen einer Tiefenzeitlichkeit filmischer Wahrnehmung und medialen Weltbezugs. Nicht als ein Denken und Handeln mit (diskreten, distinkten) Bildern, sondern als ein Denken und Handeln der und in Bildern.
In TROUBLE WITH THE CURVE (USA 2012), der die grundsätzlich ohnehin reflexiv verdoppelte Schauanordnung des Sportfilms — wir schauen Figuren zu, die Figuren bei athletischer Aktivität zuschauen — über die Praxis des Scoutings selbst zum Thema macht, haben wir es mit einem sehr punktuellen Geister-Bild zu tun. Es zeitigt sich als ein ephemerer Wahrnehmungsmoment, ist zugleich aber in seiner affektdramaturgischen Inszenierung und narrativen Einbindung äußerst ostentativ. Es taucht in einer Szene zu Beginn des letzten Viertels des Films auf, in welcher der Konflikt des Unausgesprochenen zwischen Tochter Mickey (Amy Adams) und Vater Gus (Clint Eastwood) — er gab sie nach dem frühen Tod der Mutter zu einem ihr kaum bekannten Onkel und blieb auch all die folgenden Jahre auf schweigender Distanz — einen Wendepunkt erfährt. Nachdem sie, eigentlich karrieremachende Rechtsanwältin, ihn, einen alternden, mit schwindendem Augenlicht kämpfenden und daher auf Hilfe angewiesenen Talentscout zum wiederholten Male bezüglich seines Verhaltens in der Vergangenheit und ihrer damit verbundenen Gefühle zur Rede stellen will, fängt er tatsächlich an zu erzählen. Dieses Erzählen wird bebildert, es kommt also narratologisch betrachtet zu einer Rückblende. Auch weil sie eine gleich zu Beginn und dann nochmal über eine Spiegelszene früher im Film als eine Art unheimlichen, dann aber doch wieder ausgelöschten Traum- bzw. Erinnerungsschnipsel des mürrischen Alten inszenierte Bildlichkeit wieder aufnimmt, funktioniert diese Rückblende von ihrer Inszenierung her in der Art eines Flashback.6
Herzschlagartig (tönend) unterbrechen Bilder einer dunklen Szenerie: eines galoppierenden Pferdes, eines sich von zwei Personen entfernenden Mädchens, einer halb geöffneten und kaum ausgeleuchteten Schuppentür das eigentliche Gespräch von Mickey und Gus in einem Motel-Zimmer. Eine etwas länger im Flashback verbleibende Sequenz illustriert dann den (durch Gus‘ Hereintreten unterbrochenen) sexuellen Missbrauch, den Eastwoods über ein metallisches Grollen und lange gehaltene Streichertöne gesprochene Worte andeuten. Die Inszenierung springt noch einmal zurück zum Dialog der diegetischen Gegenwart, bevor wir dann einer fragmentarisch inszenierten Kampfszene im erwähnten Schuppen beiwohnen. Der junge Gus, den wir bisher nur von hinten zu sehen bekommen haben, nimmt sich den Täter vor, schlägt ihn mehrmals und schmeißt ihn gegen die Wand. Für einen ganz kurzen Augenblick schauen wir hier bereits in Gus‘ Gesicht. Dann, als er seinen Gegner würgt, wird es deutlicher: In zwei aufeinanderfolgenden, jeweils knapp einsekündigen, von einem Gegenschuss auf den Gewürgten unterbrochenen (und wohl mit einer Rundblende kaschierten sowie aufgehellten) Großaufnahmen erscheint uns das gewaltverzerrte Gesicht des jungen Eastwood (Abb. 3).
Das Bildmaterial stammt aus einem anderen, älteren Film, dem Actionthriller FIREFOX (USA 1982), in dem Eastwood einen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidenden und von Flashbacks heimgesuchten Piloten und Vietnam-Veteranen namens Mitchell Gant spielt, der undercover in die Sowjetunion geschmuggelt wird, um den Prototypen eines hochtechnisierten Flugzeugs des russischen Militärs zu stehlen. Am Ende des ersten Drittel des Films kommt es in einer Bahnhofstoilette zu einem brutalen Kampf mit einem KGB-Agenten, der sich hier in TROUBLE WITH THE CURVE nun wiederverwertet findet — nicht nur die Großaufnahmen von Eastwoods Gesicht (Abb. 4), auch die Actionbilder der Faustschläge zuvor scheinen an dieser Stelle eingenäht.
Was uns hier als Geister-Bild des Sportfilms begegnet, ist ein Moment mehrfach in Schleifen gelegten filmischen Erinnerns, der in seiner irritierenden Intensität von unmittelbarer Präsenz und Verflüchtigung nur schwerlich als Zitat greifbar (zu machen) ist. Die Visualisierung der Erzählung eines (für die erzählende wie auch die zuhörende Figur) traumatischen Ereignisses wird in der Wahrnehmung der Zuschauerin als eine der Modalität des Horrorfilms entsprechende Subjektivierung erfahrbar, insbesondere durch die Art der Kameraführung, der Beleuchtung, der Mise en Scène und der Tonspur. Gleichzeitig ist in dieser Szene das plötzliche Erscheinen eines Gesichts in Großaufnahme inszeniert, das zugleich neu, alt und jung ist. Ein Gesicht, das — auch mit Blick auf den im Film inszenierten ‚sinnlichen Konflikt‘ einer fortschreitenden Sehbehinderung des Protagonisten — zugleich ungesehen und gesehen ist und mit dem wir so — wie Balàzs es für die Großaufnahme geltend macht — „aus dem Raum überhaupt heraus und in eine ganz andere Dimension geraten“ (Balàzs 2001: 16). Die wiederverwertete Großaufnahme des Gesichts Gants bzw. des jungen Eastwood aus FIREFOX, den dieser im Übrigen auch als Regisseur verantwortete, ist als Geister-Bild in TROUBLE WITH THE CURVE eine weitere Konnexion oder Wucherung dieser anderen Dimension spezifisch filmischen Erinnerns, die man mit Blick auf das oben vorgestellte Konzept und im Universum deleuzianischer Konzeption verbleibend als eine rhizomatisch strukturierte mediale Tiefenzeitlichkeit der Poiesis des Filme-Sehens bezeichnen könnte.7 Insbesondere in solcher Art von Bildlichkeit, durch solche Konnexionen und Wucherungen ist das Denken filmischer Bilder als Ergebnis dieser Poiesis, als (neue) Wahrnehmungs- und Bildräume schaffende „Praxis der taktischen Aneignung der Bilder des Spektakels eines alles umfassenden Konsumismus“ (Kappelhoff 2018: 13) auf sich zurückgeworfen.8 Besonders im Sportfilm scheint sich dieser Geist des Films, scheinen sich die Formen dieses Denkens, immer wieder als metaisierende Geister-Bilder zu zeigen.
Dass diese die Poiesis des Filme-Sehens greifbar werden lassenden Geister-Bilder nicht unbedingt mit einer Wiederverwertung von konkreten Bewegtbildern anderer Filme, der direkten (sprachlichen oder performativen) Anspielung auf diese oder dem Aufrufen bestimmter ästhetischer Figurationen einhergehen müssen, zeigt WE ARE MARSHALL (USA 2006). Der Film fiktionalisiert ein bis heute im sportkulturellen Gedächtnis der USA fest verankertes Unglück: den für fast alle der damaligen Spieler, einen Großteil des Trainerstabs und einer Gruppe von Unterstützern tödlichen Flugzeugabsturz der College-Football-Mannschaft der Marshall University im November 1970.
Die audiovisuelle Dramaturgie der ersten zwanzig Minuten des Films entfaltet sich in einer auf Makroebene symmetrisch angelegten Wiederholungsstruktur um den Moment des Absturzes, der selbst in der Art einer ästhetischen Negativität als defizitärer Augenblick, als in Schwarzbild mündender Bildkollaps inszeniert ist. Gezeigt werden die dem tragischen Ereignis direkt vorangehenden und folgenden Geschehnisse: das ‚letzte‘ Spiel, die Verabschiedung von den nicht mit dem Flugzeug Heimreisenden, das Eintreffen der Nachricht des Absturzes über Radio, Telefon, Fernsehen und Kino,9 die spontan mit den Rettungskräften zum nahen Unfallort eilenden Bewohner der Stadt, eine Trauerfeier; sowie — gleich zu Beginn in einer Art Prolog — die gemeinschaftsstiftende Tradition des Gedenkens an dieses Unglück, als dessen Zentrum ein auf dem Campus der Universität errichteter Brunnen inszeniert ist. Ich möchte mich nun auf das Ende dieses ersten Teils des Films, der dann im weiteren Verlauf den hürdenreichen Wiederaufbau des Football-Programms durch den neu eingesetzten, eigentümlichen Cheftrainer (Matthew McConaughey) erzählt, konzentrieren. Und insbesondere auf die Figur des Assistenztrainers Red Dawson (Matthew Fox), der hier — weil die Nachricht, dass er seinen Platz im Flugzeug ‚zu Gunsten‘ eines Teamkollegen für eine Fahrt im Auto getauscht hat, nicht durchdringt — sowohl von seiner Frau als auch der örtlichen Zeitungsredaktion zu den Opfern des Absturzes gezählt wird und so zu einem Auftritt als Untoter kommt.
Bedeutsam im Zusammenhang dieser Spurensuche ist, dass dieses Erscheinen des Totgeglaubten nicht nur wieder über eine horrorfilmartige Inszenierung eingeleitet wird (die dann in die übergeordnete melodramatische Figuration des gedehnten, schmerzvollen Realisierens der gesamten Sequenz übergeht), sondern auch, dass es erneut zu einer Bildaneignung, zu Bildern von Bildern kommt. Wie bereits angedeutet stammen diese nun aber nicht aus einem anderen Spielfilm wie in TROUBLE WITH THE CURVE, sondern entspringen einerseits dem Medium der Fotografie und andererseits — als Found Footage — historischen Fernsehbildern.
Nachdem die in halbnaher Einstellung eingefangene, heftige Umarmung von Dawson und seiner übermannten Frau Carol (January Jones) auf der Terrasse im strömenden Regen der Nacht als Auflösung der kurzen Horror-Sequenz abblendet, bleibt das folgende Schwarzbild ungewohnt lange stehen. Eine ähnliche Zäsur ist uns schon vom Prolog und dem Moment des Absturzes wenige Minuten zuvor bekannt, dieses Mal hat die lange Schwarzblende jedoch keinen szenischen Orts- oder Perspektivwechsel zur Folge. Der Film verbleibt noch einmal bei Dawson, dem ‚toten Überlebenden‘ — und sensibilisiert uns doch auch direkt wieder für jene Dimension, die ich eben bereits als die mediale Tiefenzeitlichkeit der Poiesis des Filme-Sehens zu entwickeln versucht habe: Die kurze Szene, die uns zeigt, wie Dawson die Sonntagszeitung vom Boden seiner Einfahrt aufhebt, um sich dann in einer Schuß-Gegenschuß-Konstruktion selbst als Toter bzw. als Bild eines Toten auf der Titelseite jener Zeitung zu begegnen, ist nicht nur eingebettet in eine melodramatische Ausdrucksbewegung, sondern auch in historische TV-Bilder, über die die Sequenz dann zu einem weiteren Überlebenden und schlussendlich zu Bildern der Trauerzeremonie(n) kommt.
Wir sehen Moderator John Chancellor in einem Ausschnitt der NBC Nightly News über das Unglück des Southern Airways Flight 932 in Huntington, West Virginia berichtend, dann mittels einer Überblendung über das erschütterte Gesicht Dawsons weiteres Bildmaterial, das den Abtransport einer Leiche am Absturzort zeigt. Eine erneute Überblendung verbindet diese Bilder mit der Figur eines weiteren nicht mitgereisten und damit überlebt habenden Spielers, der nun allein im Wohnheimzimmer mit jener Kiste Bier sitzt, die er für die Ankunft der Teamkameraden gekauft hat.10 Noch einmal sehen wir Found Footage, in sehr grünstichigem und artefaktreichem Schwarzweiß spricht ein talking head von einer „tragedy that is beyond all comprehension“, die unruhige Kameraführung lässt auf ein nachträgliches Abfilmen des Materials schließen. Von einer anschwellenden Tonspur geführt, auf der es dann ebenfalls zu einer Wiederverwertung historischen Materials, nämlich eines im Radio übertragenen Gebets für die Verstorbenen, zu kommen scheint, blendet die Sequenz dann zu Bildern der Trauerfeierlichkeiten über, welche die Ausdrucksbewegung des Prologs gewissermaßen invertieren und die Gemeinschaft der Stadt, des Football-Teams und der Filmzuschauer als eine Gemeinschaft des Trauerns und Gedenkens ins Bild setzen.11
Während sich diese Gemeinschaft im weiteren Verlauf des Films daran abarbeiten wird, mit den Nachwirkungen des Unglücks fertig zu werden, endet hier erst einmal die Inszenierung des Widerfahrens von ebenjenem. Sie zeichnet sich gerade in Verbindung mit dem Prolog durch eine Affektpoetik der Wiederholung und Dehnung aus, die sich als ein Zuschauergefühl des Suspense realisiert: des langsamen Eintretens des bereits Gewussten, einer sich nach und nach bewahrheitenden, unguten Vorahnung. Insbesondere im Hinblick auf die beschriebene Geister-Bild-Sequenz mit ihren wiederverwerteten Found Footage-Bildern unterliegt diese Poetik des Wiedererlebens weniger dem Diktum einer abbildrealistischen, authentischen Darstellung der tatsächlichen Ereignisse. Sie verweist vielmehr auf den medial fingierten Bezug zu diesen Ereignissen innerhalb eines filmischen Denkens, dessen Geschichtlichkeit gerade darin besteht, die Zuschauer gewissermaßen immer wieder selbst zu Geistern werden zu lassen. Im Anschluss an Cavells The World Viewed und die darin entwickelte Idee einer „Gespenstigkeit der Kinoerfahrung“ (Åkervall 2009, 288) hat Kappelhoff diesen Gedanken für die Zuschauer des Kriegsfilms formuliert:
Nicht die filmischen Bilder suchen uns als gespenstische Abgesandte von Schuld und Schrecken heim, sondern wir, die heutigen Zuschauer sind es, die die Gegenwart eines anderen, vergangenen Publikums aufsuchen, als seien wir Geistwesen aus einer fremden Zeit. Wir sind wie die Toten, um die sich die Lebenden nicht weiter bekümmern, weil sie nicht um unsere Anwesenheit wissen. Die Möglichkeit von Geschichte besteht darin, das Sinneserleben jenes Publikums als das frühere Leben unserer gemeinschaftlichen Welt zu begreifen (Kappelhoff 2016: 301).
Ich möchte mit diesem Gedanken noch ein letztes Geister-Bild des Sportfilms vorstellen, bei dem es, ähnlich wie bei jenem in WE ARE MARSHALL, zu einem Akt audiovisuellen Totengedenkens und medialer Vergemeinschaftung kommt.
Ganz am Ende des biografisch inspirierten Films KNUTE ROCKNE ALL AMERICAN (USA 1940) erscheint uns die kurz zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Hauptfigur, der legendäre Football-Spieler und -Coach Knute Rockne, noch einmal als Geist. Unmittelbar anschließend an eine lange Trauerzeremonie-Szene, die in ihrer Adressierung einer über die filmische Welt hinausgehenden, so medial wie national-imperialistisch strukturieren Erinnerungsgemeinschaft den Film bereits stark als Kind seiner Produktionszeit kurz vor Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg markiert, lässt eine Doppelbelichtung den von Pat O‘Brien verkörperten Rockne halbtransparent vor einer Innenmauer des Notre Dame Stadium über den Rasen schweben.
Die Einstellung funktioniert als eine des Übergangs, ist sie doch zum einen das Ende einer Art Anrufung durch den die Trauerrede haltenden Pater und die durch diese Rede wiederum selbst angerufene Gemeinschaft der Trauernden: „Who was this man whose death has struck a nation with dismay and has everywhere bowed heads in grief?“, zum anderen der Ausgangspunkt des folgenden Epilogs, der das (Wieder-)Entstehen dieser (dann zukünftigen) Gemeinschaft als das Weiterleben des Geistes des National-/Filmhelden über eine audiovisuelle Poetik kristalliner Zeitlichkeit propagandiert, die der diesen Epilog durchziehende Voiceover-Kommentar bereits in seinem ersten Satz adressiert: „And from that field of Notre Dame, the spirit of Knute Rockne is reborn by those who have kept their pledge to carry on for him.“
Die Ausdrucksbewegung dieser beiden sich im Geister-Bild Rocknes verbindenden szenischen Einheiten könnte gegensätzlicher kaum sein: Während die Trauerzeremonie ähnlich wie in WE ARE MARSHALL als ein streng choreographiertes Bild getragener Ordnung und Beherrschtheit sowie als eine Bewegung der Ornamentalisierung hin zu eben jener angerufenen ‚imagined community‘ in der Art einer amerikanisch geprägten Weltengemeinschaft zum Ausdruck kommt, ist der Epilog als ein Bild überwältigender Kraft, explosiver Vervielfachung und insistierender Fortdauer inszeniert, welche die Bildung und Beständigkeit dieser Gemeinschaft letztendlich als die Weitergabe eines auf den Helden zurückgehenden Sportsgeistes und eine sich so selbst reproduzierende Männergemeinschaft konkretisiert.
Trotz dieser sehr gegensätzlichen Expressivität ist es geboten, diese beiden Ausdrucksbewegungen als aufeinander bezogene Teile einer (Schluss-)Sequenz zu verstehen, nicht zuletzt, weil der zweite dieser Teile eben die im ersten aufgerufene Erinnerungsgemeinschaft spezifiziert und dabei buchstäblich als Antwort auf die von Pater Callahan (Donald Crisp) gestellte Frage „Who was this man…?“ verstanden werden kann. Erscheint diese Gemeinschaft zunächst als ein Verhältnis von der konkret in Bild und Ton gesetzten Trauergemeinde und der Idee einer umfassenderen amerikanischen Kollektivität, kommt sie dann als eine der Sport- bzw. Mediensportgeschichte zur Darstellung. Dabei ist sie nicht nur explizit als mediale Gemeinschaft adressiert, weil der Pater in seiner gewissermaßen die ‚Vergeistigung‘ des toten Helden einleitenden Rede die vielen ZuhörerInnen der Feierlichkeiten und die „thousands of newspapermen“ erwähnt.12 Sondern auch, weil der Film in seinen Inszenierungsstrategien sein Publikum als Teil einer Gemeinschaft der Heldenverehrung zu adressieren scheint, die sich gerade durch ein audiovisuelles Erinnern im Sinne der hier vorgestellten Theorie einer Poiesis des Filme-Sehens als ein immer wieder neues Aneignen und Beziehen von Bildern konstituiert.13
In diesem Sinne reflektiert das audiovisuelle Material und dessen Aneignung als Ausdrucksbewegung (als filmisches Bild) hier am Ende des Films noch das Publikum von KNUTE ROCKNE ALL AMERICAN selbst als geisterhafte Instanz im Sinne Kappelhoffs und darin als einen konstitutiven Teil des Geister-Bildes des (Sport-)Films. Werden hier doch eben nicht nur das historische Ereignis des Todes Rocknes in seiner Medialität reinszeniert und der Filmzuschauer dabei gestisch und sprachlich als Teil der filmischen Welt und eines medialen Erinnerns adressiert, sondern gleichzeitig die Praxen des Filme-Sehens und Erinnerns als Praxen der Bilderbezüglichkeit und -aneignung, als das Imaginieren von Bildern in Bildern ausgestellt. Das Bildmaterial der den Film endgültig abschließenden, epilog-artigen und sportfilmtypischen Sequenz stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus den Archiven der Universitäten von Notre Dame, IN und Santa Clara, CA (letztere ist die Alma Mater des Regisseurs). Es zeigt die von Rockne während seiner Coaching-Zeit in Notre Dame trainierten Spieler, die dann zur Zeit der Produktion von KNUTE ROCKNE ALL AMERICAN spätestens selbst Trainer geworden waren.14 Die aus diesem Found Footage hervorgehende Ausdrucksbewegung einer kraftvollen, explosionsartigen Vervielfachung und die damit verbundene überwältigungsästhetische Zuschauererfahrung bilden ein eindrückliches Beispiel einer Poetik kriegerischer Mobilisierung und dafür, wie wir als ZuschauerInnen im Aufsuchen solch einer Gegenwart eines anderen, vergangenen Publikums zu Geistern werden (können).
Der Geist Knute Rocknes manifestiert sich nicht nur in einer den Darstellungskonventionen entsprechenden (und durch den geistlichen Handlungsraum zuvor gewissermaßen ausgelösten) Doppelbelichtung und der darauffolgenden Expressivität überbordender Stärke, sondern auch als Inszenierung einer geisterhaften Zuschauerschaft der anwesenden Abwesenheit. Auf die Einstellung mit der Doppelbelichtung, die mit dem Einsatz eben jener forschen, die gleich folgende Dynamik bereits ankündigenden Voice-Over-Stimme zusammenfällt, folgt erst noch einmal eine hoch angesetzte Totale in das Notre Dame Stadium hinein. Sie zeigt — ganz im Gegensatz zu den vielen, sich genretypisch auch vor allem auf die Publikumsmasse in den Blick nehmenden Spielszenen während des Films zuvor — völlig leere Zuschauerränge sowie ein nur durch die in einer irritierenden Diskontinuität als kleines weißes Männlein weiter inszenierte Geisterfigur minimal verlebendigtes Spielfeld.
Das leere, plötzlich in seiner Statik und strengen Geometrie hervorstechende Stadion ist hier nicht nur prominentes Genre-Motiv15, sondern wird zum Ort einer reflexiven Zuschauererfahrung der imaginativen Überblendung und Projektion — gerade auch, weil eben dieses Stadion im Verlauf der vorangegangenen gut neunzig Minuten zumeist Teil eines äußerst bewegten und bewegenden Bildraums gewesen ist — und es mit noch größerer Intensität auch gleich wieder wird. Der Geist, der hier aufgerufen wird, der durch dieses Stadion geht, ist nicht (mehr) nur jener der Figur Rockne oder der inszenierten und als pars pro toto adressierten Trauergemeinschaft, sondern der einer Zuschauerschaft, die diese Subjektivitäten als ihre sich gegenseitig bedingende Effekte erst herstellt. Selbst immer Produkt einer durch „audiovisuelle Bilder als Medien der Wahrnehmung“ (Kappelhoff 2018, 6) sich vollziehenden Wirklichkeitskonstruktion, ist diese Zuschauerschaft besonders mit Blick auf den Sportfilm und dessen dominanter und den Kern seiner audiovisuellen Poetik ausmachender Schauanordnung, eine geisterhafte: gleichzeitig an- und abwesend, körperlich und körperlos, das gleiche Andere und das andere Gleiche.
Was hier während dieser letzten Sequenz des Films passiert, ist also nicht nur die Inszenierung Rocknes als filmisches Geistwesen und die audiovisuelle, metonymische Adressierung desselben als eine transpersonale, nicht an eine abgeschlossene individuelle Psyche und einen leiblichen Körper gebundene Geisteshaltung, sondern auch eine Reflexion über eben diese Transpersonalität in Bezug auf die Medialität des Erinnerns und die Rezeption filmischer Bilder. Und damit über die Geisterhaftigkeit der ZuschauerInnen und des Bewegungsbildes innerhalb einer poietischen Praxis des Filme-Sehens und -Machens, in der beide diese Entitäten — die ZuschauerInnen und das „aus der Verschränkung von technischen Bewegtbildern mit den Dynamiken eines rezipierenden Körpers“ (Kappelhoff 2018, 31) erst hervorgehende Bewegungsbild — nur als sich immer wieder gegenseitig neu herstellend gefasst werden können.
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