Der pornografische Film
Seit den Anfängen des Films steht die Frage nach seinen Wurzeln im Raum: Malerei oder Literatur? Bild oder Erzählung? Wie in der Kunsttheorie des Films bereits diskutiert, gehen diese beiden ästhetischen Bezugssysteme im Film nicht ineinander auf. Sie bleiben heterogen und stehen nicht selten in Konkurrenz zueinander. Bild und Erzählung verfolgen unterschiedliche Strategien der Affizierung und Wahrnehmung. Sie eröffnen damit jenes Spannungsfeld zwischen Bild-Erzählung-Körper, das für die Frage der filmischen Sinnstiftung von entscheidender Bedeutung ist. Das Verhältnis zwischen Bild und Erzählung realisiert sich auf besondere Weise in einem Genre, in dem Körper und damit Geschlecht, Sexualität und Begehren nicht nur eine symbolische, sondern auch eine buchstäbliche Bedeutung haben – im pornografischen Film.
Körper und Film – das ist eine ebenso faszinierende wie unauflösbare Verbindung. Film ohne Körper ist schwer vorstellbar, denn Körper stehen »hier im Mittelpunkt; die Kamera richtet sich nach ihnen, verfolgt sie, fängt sie ein, stellt sie still, oder wirbelt sie herum, rückt ihnen auf den Leib, tastet sie ab und schwelgt in ihren Bewegungen, Gesten und Gesichtern« (Tischleder 2001: 55). Im umgekehrten Sinn ist aber auch der Körper ohne filmische und andere Bilder im buchstäblichen Sinne nicht denkbar.
Körperwahrnehmung und Bildwahrnehmung sind eng miteinander verbunden: Bilder lassen sich nur durch und über den Körper wahrnehmen; wohingegen wir Bilder brauchen, um unseren Körper wahrzunehmen, um uns ein ›Bild‹ von ihm zu machen. Diese anthropologische Perspektive macht deutlich, dass der Begriff des ›Bildes‹ durch seinen Bezug zum Körper über eine bloß medienwissenschaftliche Konzeptualisierung hinausweist. In einer anthropologischen Perspektive wird nicht nach der Inszenierung des Körpers im Bild gefragt, sondern danach, welche Verhältnisse Bild, Körper und Medium eingehen. Der Begriff des ›Körpers‹ bezieht sich hier auf zwei Dimensionen; zum einen auf den Körper der Rezipierenden, zum anderen auf den Körper des Bildes, also auf das Trägermedium. Erst die Materialisierung eines Bildes im Medium ermöglicht seine körperliche Wahrnehmung und konstituiert zugleich den wahrnehmenden Körper. Bilder adressieren dabei den rezipierenden Körper direkt. Sie arbeiten assoziativ und evozieren eine präreflexive Wahrnehmung.
Auf der narrativen Ebene fungieren Körper im Text zum einen als Inhalt, zum anderen als physisches Ausdrucksmaterial der Schauspielenden. In der Unterscheidung von Aneignungs- und Materialtheorien stellt sich die Frage nach der Instanz der Bedeutungsproduktion. In den Aneignungstheorien gelten die Schauspielenden als Produzierende einer spezifischen Bedeutung. Materialtheoretisch werden Instanzen – wie z. B. Regie, Kamera, Schnitt und Montage – verantwortlich gemacht. Das parzellisierte und diskontinuierliche Spiel des fragmentierten Körpers der Schauspielenden wird demgemäß erst durch diese Instanzen einem ganzheitlichen Ausdruck zugeführt und von den Rezipierenden ›vervollständigt‹ (Hickethier 1999: 14-16). Der filmische Erzählprozess integriert so das mimische, gestische und proxemische Handeln der Schauspielenden. Elemente des Präsentischen bzw. Nichtnarrativen stehen hingegen quer zum Erzählfluss und halten diesen oft an. Obwohl sie Emotion oder sinnlichen Ausdruck vermitteln wollen, korrespondieren sie paradoxerweise mit einer gewissen Bedeutungsleere: »Im Filmschauspielen bietet sich gegenüber Dramaturgie und Narration dem Betrachter eine Rettung des Nichtsprachlichen, eine Bewahrung des Rätselhaften, dessentwillen wir uns oft Filme ansehen.« (Ebd.: 29)
Insbesondere der pornografische Film zeigt die in ihm repräsentierten Körper in einer unmittelbaren bildlichen Präsenz und Perfomanz, die nur schwer durch die Narration zu disziplinieren sind. Die hier vermittelten Körperlichkeitskonzepte werden durch eine spezifische Dialektik zwischen visueller und narrativer Ebene artikuliert. Sie provozieren dadurch eine spezifische Form der Wahrnehmung, die als in diese dialektische Struktur eingeschrieben gelten kann.
Diese Dialektik lässt sich an pornografischen Filmen konkret nachvollziehen. In einer umfangreichen Untersuchung (Wolf 2007) von über 100 pornografischen Filmen aus den Jahren 1910 bis 1997 lässt sich nicht nur eine genretypische Ausprägung dieses Verhältnisses zwischen Bild und Erzählung aufzeigen, sondern darüber hinaus deutlich machen, wie dieses Verhältnis mit den soziohistorischen Hintergründen der Produktion und Rezeption pornografischer Filme zusammenhängt. Exemplarisch lässt sich dieses Verhältnis an zwei typischen pornografischen Kurzfilmen aus den Jahren 1921 und ca. 1950 verdeutlichen, die in ihrer Typenhaftigkeit die verschiedenen Formen der Dialektik zwischen narrativer und visueller Ebene kontrastieren.
Der Film MIXED RELATIONS ist einer der typischen »stag films« (Junggesellenfilme) der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Pornografische Kurzfilme dieser Art waren selbstverständlich illegal. Dennoch entstanden sie in jener Zeit, in der Amateurfilmtechnik noch nicht weit verbreitet war, im ›Dunstkreis‹ offizieller Filmproduktion. Durch diese Nähe zeigen insbesondere die Filme der 1920er Jahre elaboriertere Plots und eine professionellere mise-en-scène als ihre Nachfolger. Einmal abgedreht und aus Distributionsgründen selten länger als eine Filmrolle, wurden sie heimlich getauscht und gehandelt. Zur Aufführung gelangten sie entweder im sehr privaten Rahmen, weitaus häufiger jedoch in den männerexklusiven Kreisen der Studentenverbindungen, Herrenclubs und Hinterzimmer. (Wolf 2007: 114ff.)
MIXED RELATIONS, der den Untertitel trägt »Where men are men and women are double-breasted«, erzählt eine relativ komplexe Geschichte. Dora Somass will ihre Schwester in Coxville (»Schwanzhausen«) besuchen. Durch eine telefonische Verwechslung wird sie nicht von ihrem Schwager, sondern von dessen Bruder abgeholt. Als die beiden sich unterwegs küssen, werden sie verhaftet und zum Gericht gebracht. Der Richter, Doras Schwager, will die Sache ›privat‹ lösen und nimmt Dora mit nach Hause. Er ist kein ›Mann großer Worte‹. Beide sitzen zunächst auf dem Sofa, fangen an sich zu streicheln und zu masturbieren, um schließlich miteinander zu schlafen. Ein Zwischentitel greift den ›Konflikt‹ wieder auf: »The wife’s card party broke up early.« Die Frau des Richters, Doras Schwester, kommt eher nach Hause. Sie tritt an das Sofa und ruft: »Sister!« Ihr Mann flüchtet nackt aus dem Haus. In einer letzten Einstellung läuft der nackte Richter eine Landstraße entlang, verfolgt von seiner schimpfenden Frau.
Das Geschehen ist in diesem Film mit einer Vielzahl von Zwischentiteln narrativiert (Abbildungen 1 und 2). Die Figurenkonstellation ist durch die dargestellten familiären Verbindungen differenziert. Sie zeigt in ihrem Rolleninventar transitive, also Agent und Patient konstituierende, und sogar wechselnde aktanzielle Kategorien. Darüber hinaus vermitteln die Zwischentitel Informationen zum raumzeitlichen Kontinuum. Neben diesen narrativen Impulsen enthalten sie auch die Dialoge. Insbesondere durch diese direkte Figurenrede und die darin enthaltene Verwechslungsgeschichte enthält der Film eine umfassende Handlung. Zudem nehmen die sexuellen Handlungen in diesem Film eine dramaturgische Funktion ein: die Bestrafung der öffentlichen Küsse. Dennoch verliert sich das Problem/Lösung-Schema nicht in den sexuellen Handlungen, sondern wird durch die Aufdeckung des Ehebruchs und den Schlusstitel »(MORAL) A push in the bush is worth two with the hand, but don't let your wife know about it.«, der die ›Moral‹ der Geschichte zusammenfasst, narrativ beendet (Abbildungen 3 und 4).
Demgegenüber weist der Film SCHLICHT TREULOSE FRAUEN aus den 1950er Jahren deutlich weniger narrative Elemente auf. Mit der Verbreitung der Amateurfilmformate, verringerte sich der narrative Gehalt der pornografischen Kurzfilme. Zwar propagierte der Amateurfilmdiskurs eine strategisch narrative Integration des Gefilmten und die Vermeidung willkürlicher Aufnahmen, doch zeigt sich gerade in den pornografischen Kurzfilmen eine Flexibilität und Spontaneität, die oftmals in arbiträren, unkontrollierten und laienhaften Aufnahmen resultierte. (Wolf 2007: 225ff.)
So zeigt SCHLICHT TREULOSE FRAUEN nur einen expositorisch angedeuteten ›Konflikt‹. Anhand des Titels und der Szene, in der die Frau vor dem Zubettgehen das auf dem Nachttisch stehende Foto küsst, erklären sich die darauffolgenden Traumsequenzen als geträumter Ehebruch. In diesen Sequenzen werden verschiedene sexuelle Handlungen gezeigt, die auch mit diesem narrativen Hinweis schwer verständlich bleiben. So zieht die Frau plötzlich ihr Nachthemd aus und legt sich hin. In der nächsten Einstellung tanzt sie nackt vor der Kamera (Abb. 5), wobei zuerst ihre Beine zu sehen sind, bevor die Kamera an ihrem nackten Körper hochfährt. Dann liegt sie plötzlich wieder im Bett, führt sich einen Finger in die Vagina ein und masturbiert. Hier wechseln die Einstellungen immer wieder zwischen der Halbtotalen, die ihren gesamten Körper zeigt, und nahen bzw. Detaileinstellungen auf ihr Genital oder ihr Gesicht.
Im nächsten Moment erhebt sich die Frau, setzt sich auf den Boden, posiert und läuft dann auf allen Vieren vor der Kamera. Es werden Fellatio- und Penetrationsszenen in Detaileinstellungen gezeigt. Die bekleideten Frauenbeine einer sitzenden und einer stehenden Frau in der nächsten Einstellung ergeben in der Bildabfolge keinen Sinn (Abb. 6). Es folgen Einstellungen der schlafenden Frau. Dann schiebt eine männliche Hand ihre Bettdecke beiseite, streichelt und masturbiert sie. Die Frau lacht dabei und sitzt plötzlich lächelnd auf dem Bett. Sie öffnet die Hose des Mannes und macht Fellatiobewegungen. Es folgen Einstellungen, die den ganzen Bildkader ausfüllende Haut zeigen und somit das Bild zur reinen Fläche werden lassen. Diese werden abgelöst von Detaileinstellungen des sich auf und ab bewegenden Körpers der Frau. Abermals masturbiert sie, bevor der Übergang aus der Traumsequenz gezeigt wird. Sie erschrickt, geht zum Waschbecken, gurgelt, putzt sich die Zähne und wäscht ihre Vagina. Der Film endet damit, dass sie wieder ins Bett geht, das Foto küsst und einschläft.
Der Film zeigt trotz der beschriebenen Ansätze einer Erzählstruktur die typische visuelle Ästhetik pornografischer Filme jener Zeit. Die rein visuellen Sequenzen zeigen keine lineare Logik, sie sind diskontinuierlich und dekompositorisch. Diese unrhythmischen Bilder werden von Detaileinstellungen begleitet, die aufgrund ihrer Größenverhältnisse kaum etwas erkennen lassen. So zeigt beispielsweise der Bildausschnitt bei der Penetrationsszene lediglich den bildfüllenden Oberschenkel der Frau; in einer Fellatioszene ist lediglich die sich auf- und abbewegende linke Gesichtshälfte der Frau erkennbar (Abb. 7).
Exemplarisch zeigen diese beiden Kurzfilme, dass pornografische Filme kaum einen logischen oder narrativen Aufbau aufweisen. Dennoch sind die Strukturen dieser Filme weder willkürlich noch zufällig. Obwohl der narrative Grad dieses Genres im Vergleich zum klassischen Erzählkino sehr gering ist, lassen sich einzelne Elemente identifizieren, die insoweit eine narrative Funktion haben, wie sie den Aufbau bzw. die Gliederung des filmischen Diskurses ermöglichen.
Titel, Zwischentitel, Figurenaktanz, Exposition und ein einfaches Problem/Lösung-Schema sind die wenigen minimalen narrativen Einheiten, die pornografische Filme aufweisen. Betrachtet man die spektakuläre Darstellung der sexuellen Handlungen isoliert von ihrer narrativen Integration, so lässt sich das sexuelle Spektakel als Kontinuum lesen, für das in der Literatur bereits der Begriff der ›Nummer‹ (Williams) kursiert. Verfolgt man eine induktive Sichtweise auf das Genre, so lassen sich innerhalb dieser Nummern ebenfalls strukturierende Eigenschaften erkennen. Als Erzählereignisse folgen die Nummern einer eigenen Logik, die unabhängig von der Oberflächenstruktur der Erzählung und vorrangig durch ihre formale Geschlossenheit existiert. Diese Geschlossenheit der Nummer konstituiert sich vor allem durch die Stereotypisierung des physiologischen Ablaufs sexueller Handlungen.
Die Darstellungen der sexuellen Handlungen entwickeln Qualitäten des Spektakulären – Qualitäten, die einer kausallogischen Diegese entgegenstehen. Im neoformalistischen Sinne bilden eben solche filmischen Elemente, die sich nicht der erzählerischen Ökonomie unterordnen, einen filmischen Exzess ab. Die materielle Präsenz des Films erschöpft sich nicht in ihrer narrativen Funktionalisierung. Materielle Elemente können folglich die Narration stützen oder von der Wahrnehmung jener Narration ablenken. Elemente des filmischen Exzesses negieren die logische Kausalität der Narration, da ihr verbindendes Potenzial nicht über die Qualität einer Koexistenz hinausreicht (Thompson 1986: 131-134).
Die Frage ist, wie sich diese Formen des visuellen Spektakels beschreiben und analysieren lassen. Die filmanalytischen Kategorien des Visuellen können die pornografische mise en scène – im einfachen Sinne dessen, was im Bild ist und wie es im Bild ist – nicht fassen. Kristin Thompson beschreibt, dass diese Formen des filmischen Exzesses sich der Analyse entziehen (Ebd.: 133). Das hat methodische Konsequenzen für die Analyse, die Thompson zufolge eine Verdeutlichung dieser Schwierigkeiten notwendig machen: »One way to do this would be precisely to break up old perceptions of the work and to point up its more difficult aspects.« (Ebd.: 134) Es gilt also, Dominanzen und Aufmerksamkeitszentren im pornografischen Bild in ihrer formalen Asymmetrie und Offenheit, in ihrer Instabilität und in ihren unkonventionellen Wahrnehmungsmustern erklärbar zu machen.
Im Hinblick auf die Wahrnehmung verfolgen die integrativen Erzählsequenzen Identifikationsstrategien, während mit der Form des visuellen Spektakels andere Subjektpositionen favorisiert werden. Dabei spielt die Distanz zwischen dem Subjekt und dem Illusionären eine entscheidende Rolle. Beide ästhetischen Bezugssysteme, sowohl Bild als auch Text, scheinen sich an einem für die Filmwahrnehmung elementaren Punkt abzuarbeiten: an der Grenze zwischen dem Raum vor und dem Raum auf der Leinwand.
Linda Hentschel zeigt in ihrer Analyse, wie die Überschreitung dieser Grenze im Sinne eines visuellen Hineingehens in den Bildraum mit einer Feminisierung der Bildöffnung und des medialen Raumes einhergeht (Hentschel 2001: 27). Das Sehen wird zu einem deflorativen und penetrativen Akt (Ebd., Gass 1993, Williams 1997). Diese Öffnung des medialen Raumes funktioniert nur über eine Schließung des Körpers; denn »als Ideal galt [...] die Identitätskonstruktion eines vollständigen, rationalen und zentrierten Subjekts, welches sich im Bild eines ganzen abgegrenzten, sauber konturierten und sich frei durch den Raum bewegenden Körpers spiegelt. Dieser maskulinisierte Körper darf seine Fassung nicht verlieren und tut er dies doch, zeigt er Öffnungen, die die Unterscheidung von Innen und Außen irritieren, ist er mangelhaft, obszön und weiblich.« (Hentschel 2001: 40). Insofern repräsentieren die (weiblichen) Bildräume für das abgegrenzte (männliche) Subjekt eine räumliche Krisenfigur, die letztlich in eine Strategie der Umgehung der (weiblichen) Körperöffnungen mündet.
Während in der Kunst oder im mainstream-Film Körperöffnungen umgangen werden, ist es die Pornografie, die eben jene Körperöffnungen herausstellt. Dabei bedient sie sich nicht nur der Herauslösung, Übertreibung und letztendlichen Isolierung von Körperteilen, sondern zeigt darüber hinaus eine Dekontextualisierung der Darstellung, indem die narrative Klammer, die Körper und Raum durch die Erzählstruktur verbindet, aufgelöst wird. Dieses Verhältnis von minimaler Narration und maximaler Sichtbarkeit gilt als die zentrale pornografische Technik (Ebd.: 66).
Linda Williams versucht eine psychoanalytische Begründung dieser zentralen pornografischen Technik. Mit dem Begriff des ›body genre‹ theoretisiert sie die somatische Affizierung der betrachtenden Körper und deutet an, dass das Publikum bei diesem Genre das Bedürfnis hat, körperlich auf diese Filme zu reagieren (Williams 1995). Die pornografischen Sequenzen zeigen für sie eine »andere Ordnung der Blicke und ein anderes narratives Regime, die beide nicht typisch für das klassische Erzählkino« sind. (Ebd.: 74f., Anm. 7). Sie sind eingewoben in eine primitive, weil zusammenhanglose, Erzählstruktur, die ihre Faszination vor allem aus der Darstellung von »Bewegung um der Bewegung willen« zieht (Ebd.: 99). So bieten vor allem die pornografischen Kurzfilme »eine begrenzte Beherrschung filmischer Mittel, die einen genaueren Blick auf vorher verborgene Einzelheiten gestatten, aber sie erlauben es dem Blick [...] noch nicht, sich völlig in den diegetischen Raum zu begeben [...] Vor allem in seinen pornographischen Sequenzen scheint der Sex-Kurzfilm die Betrachter daran erinnern zu wollen, daß sie [...] außerhalb eines Rahmens [sind], in den sie nicht ganz ›hineinkommen‹ können, sie sind eher Zeugen eines Schauspiels, das immer noch Merkmale einer (genitalen) Schau trägt, als in der Lage, sich mit den Handlungen eines zeitlich ablaufenden (genitalen) Ereignisses zu identifizieren.« (Ebd.: 105, Hervorh. i. O.)
Im Gegensatz zu den narrativen Sequenzen, die ein Versenken in die illusionistische Tiefe des Erzählraumes ermöglichen, ist die Durchdringung des szenischen Raumes in den pornografischen Sequenzen nicht möglich. Gerade in der Unmöglichkeit, den Rahmen zu durchbrechen und die Grenze zwischen Betrachterraum und Bildraum zu übertreten, liegt die spezifische Art der Reize, die die Zuschauenden in einem Zustand halten, in dem sie direkt adressiert, aber dennoch auf sich selbst zurückgeworfen werden.
Diese spezifische somatische Qualität, macht sich ihrer Ansicht nach an der charakteristischen Inszenierung der pornografischen Filmkörper fest. (Williams 2003) Den Zuschauenden präsentieren sich filmische Körper, die auf eine spektakuläre Art und Weise ›außer sich‹ sind. Williams forciert hierfür ebenfalls den Begriff des Exzesses und versucht, in Anlehnung an Rick Altman, der in diesen Exzessen eine competing logic, eine second voice ausmachte, System und Funktion der filmischen Exzesse zu konzeptualisieren. (Altman 1989: 346)
Als spezifisches Körperspektakel lässt sich für den pornografischen Film der Orgasmus beschreiben. Der filmische Körper wird hier nicht durch die Narration eingefangen, sondern präsentiert sich im ekstatischen Exzess, außer sich und überwältigt von Lust, meist mit der »accompanying presence of the sexual fluids« (Williams 2003: 146). Diese Überwältigung funktioniert aufgrund eines Mangels an ästhetischer Distanz, der den Zuschauer förmlich mit sensationalen und spektakulären Momenten überflutet und zwar in einer genderspezifischen Art und Weise: »The rhetoric of violence of the jerk suggests the extent to which viewers feel too directly, too viscerally, manipulated by the text in specifically gendered ways.« (Ebd.: 144)
Für Williams ist der pornografische Film als Genderfantasie zu lesen. Der Zusammenhang zwischen den dargestellten Problemen sexueller Identität und den thematisierten Fantasien ist ein psychoanalytischer, denn in Rückgriff auf Freud und seine »Urphantasie«, sind Fantasien als Lösungen sogenannter Rätsel oder Probleme zu betrachten. Fantasien haben somit eine mythische Funktion. Der pornografische Film bezieht sich auf das Rätsel des Ursprungs der sexuellen Begierde. Darauf antwortet er mit der Ursprungsfantasie der Verführung und des Verführtwerdens durch Andere, durch Fremde an jedem nur denkbaren Ort. Dabei rekurriert er auf eine spezifische temporäre Struktur, denn die Fantasien beruhen auf einer eigenen manipulativen Zeitform. Der pornografische Film erfordert in seiner Fantasie der Verführung durch Andere ein rechtzeitiges bzw. gleichzeitiges Zusammentreffen (On Time!) von Subjekt und Objekt der Verführung, die beide gleichzeitig einander begehren müssen, um das Spiel der Verführung in Gang zu setzen. Gerade hier verschränkt sich die Rezeptionsstruktur des Genres mit der filmästhetischen Gestaltung. Die psychoanalytische Bedeutung des On Time! favorisiert eine erzählerische Struktur, die in der Exposition die narrativen Bedingungen des rechtzeitigen und gleichzeitigen Zusammentreffens entwirft, sich in der Folge jedoch im sexuell-exzessiven Spektakel der Körper verliert.
Ein Ansatz, der noch stärker als Williams body genre-Begriff die Systematik des pornografischen Exzesses beschreibt, findet sich in Mary Douglas’ Konzept der gefährlichen Reinheit. (Douglas 1988) In ihrer religionsethnologischen Studie über Vorstellungen von Verunreinigung und Unordnung entwirft sie Reinheit und Ordnung als symbolische Klassifikationssysteme. Die Unterscheidung zwischen Reinheit und Schmutz, zwischen Ordnung und Unordnung beruht auf einer strengen Grenzziehung. Innerhalb dieser Grenzen herrscht das Reine und das Ordentliche, während außerhalb der Grenzen die Gefährdung durch Schmutz, Unordnung und Chaos drohen. Die Vorstellungen von Reinheit und Ordnung sind demgemäß nichts anderes als eine Abgrenzungs- und Trennungsleistung, die einzig und allein auf den kulturellen Selbsterhalt ausgerichtet ist. Hinter dieser Unterscheidung verbergen sich Strategien der Stabilisierung und Rekonstituierung.
Douglas entwirft ihr Konzept der gefährlichen Reinheit als ein striktes Konzept der Exklusion. Ihr Interesse richtete sich dabei nicht so sehr auf die durch diese Phänomene beschriebenen widerständigen Topografien, als vielmehr auf das Prozesshafte dieser Phänomene. Denn Schmutz und Unordnung sind nicht als materielle Eigenschaften zu verstehen, sondern sind quasi diskursive Produkte eines Ordnungs- und Klassifikationsprozesses. Diese Phänomene werden als unangenehm oder gar als Tabu erfahren, weil sie sich keiner festen Kategorie zuordnen lassen, sondern zwischen den Dingen liegen.
Bezieht man nun die Begriffe Ordnung und Unordnung auf das Phänomen des filmischen Exzesses und seiner Disziplinierung im pornografischen Film, so wird die kulturelle Motivation hinter dieser Unterscheidung deutlich. Auf einer diskursiven Ebene stellt das Genre des pornografischen Films eine kulturelle Semantik dar, die das Produkt eines Exklusionsprozesses ist. Als Genre beherbergt es jene ästhetischen Momente, die im Prozess der Konstituierung und des fortdauernden kulturellen Selbsterhalts des mainstream Films nicht nur ausgeschlossen, sondern in der neuen Semantik des Pornografischen eingebunden und stillgestellt werden müssen. Der Prozess dieser diskursiven Grenzziehung bleibt dabei unabgeschlossen und muss stetig aufs Neue vollzogen werden.
An dieses Abgrenzungsprojekt, wie es Douglas beschrieb, lässt sich ein weiteres Theorem anschließen, dass die körperliche Konditionierung eines Abtrennungs- und Verwerfungsprozesses noch anschaulicher ausführt – das Theorem der Abjektion von Julia Kristeva. (Kristeva 1982) Ihre Fragen richten sich auf die mit dem Spracherwerb verbundene Entwicklung von Subjektivität und auf die Positionierung des Subjekts vor allem in literarischen Texten.
Die Entwicklung von Subjektivität, also die Entstehung des Ichs, ist als Übergang vom semiotischen Bereich der präödipalen Mutter-Kind-Beziehung in den Bereich der symbolischen Ordnung beschrieben. Dieser Übergang funktioniert über die Loslösung vom mütterlichen Körper und dessen Verwerfung, da die Subjektkonstitution die Setzung eines eigenen, abgegrenzten Körpers erfordert. Die Individuation des Ichs erfordert die Unterscheidung zwischen Innen und Außen, zwischen Ich und Anderer, zwischen Subjekt und Objekt. In eben jenem Prozess der Trennung von Subjekt und Objekt nimmt das Abjekt eine Zwischenstellung ein. Ihm kommt kein fassbarer Status zu. Es wird nicht mehr als zum Subjekt gehörend erfahren, ist aber noch nicht zum Objekt geronnen und kann somit das Subjekt nicht in seiner Konstitution vergewissern. Das Abjekt ist folglich mit Ängsten, Abscheu, sogar Ekel besetzt. Ist es ursprünglich die archaische Mutter können in der Folge Nahrungsmittel, Körperflüssigkeiten oder Ausscheidungen die Form des Abjekts besetzen. Das Abjekt kann jedoch lustvoll erlebt werden ab einem Moment, in dem die Abjektion kontrollierbar erscheint; etwa im Moment der kontrollierbaren Ausscheidung.
Der Prozess der Abjektion ist nie abgeschlossen. Das Semiotische unterminiert fortwährend die Etablierung der symbolischen Ordnung. Die Abjektion ist ein stetig auftauchender Prozess, der das Subjekt mit seinem Ursprung und seiner Fragilität konfrontiert. In der fortschreitenden Entwicklung manifestieren sich an diesen semiotischen Grenzen symbolische Differenzen. Folglich sind unter Abjekten auch Phänomene zu verorten, die die soziosymbolische Ordnung unterminieren, wie zum Beispiel Mord, Verrat, Heuchelei, Vergewaltigung, Lüge oder eben Pornografie. (Heselhaus 2002: 1).
Kristeva untersucht das Verhältnis zwischen dem Semiotischen und dem Symbolischen vor allem an Texten der klassischen Moderne, der Avantgarde. Insbesondere in ihrer »Revolution der poetischen Sprache« (Kristeva 1978) veranschaulicht sie, dass die modernen avantgardistischen Texte nicht das Ziel verfolgen einen Sinn- und Bedeutungszusammenhang in ihren Texten herzustellen. Vielmehr rücken die Texte die Sprache, ihre Struktur und den Prozess ihrer Produktion in den Mittelpunkt. Die avantgardistischen Texte brechen mit der konventionellen, den Sinnzusammenhang herstellenden Grammatik. Aus diesen Brüchen dringt hervor, was sonst in der auf Grammatik basierenden Kommunikation überdeckt wird.
Bei Kristeva ist das Abjekt ein vielfältiges, jedoch immer ein sehr konkretes Phänomen, das im Zusammenhang mit körperlichen Affekten steht. In diesem Sinne lässt sich auch das Genre des pornografischen Films bewerten, dass seine Wahrnehmung vom Text auf die Struktur schiebt und dabei mit den konventionellen Modi des klassischen Erzählkinos bricht. »Dann wäre das Perverse der Pornographie ihr demonstratives Ausstellen der im klassischen Kino verborgenen Ausschnitthaftigkeit. Die Tendenz der Pornographie ..., die Körper als aus ihrem räumlichen und zeitlichen Kontext herausgelöste zu repräsentieren, könnte folglich als Dekonstruktion eines perversen und fetischistischen Filmmediums verstanden werden.« (Hentschel 2001: 104)
Wenn Pornografie als Dekonstruktion eines fetischistischen Filmmediums gelten soll, dann sind die Strategien ihrer Ausschließung und ästhetischen Sanktionierung als restabilisierende Konstituierung der symbolischen Ordnung zu lesen. Demgemäss verweist der pornografische Film als Ausgeschlossenes auf jene Grenzen die zwischen ihm und dem mainstream-Film gezogen werden. Die Erfindung der Pornografie steht somit in einem engen Zusammenhang mit den Modernisierungsschüben der sich im 19. Jahrhundert entwickelnden bürgerlichen und industriellen Gesellschaft. Das diskursive Projekt der Abgrenzung und Aussonderung des Pornografischen aus der bürgerlichen Kultur ist folglich mit der Konstituierung des bürgerlichen Subjekts verbunden. »The bourgeois subject continuously defined and re-defined itself through the exclusion of what it marked out as ›low‹ – as dirty, repulsive, noisy, contaminating. Yet that very act of exclusion was constitutive of its identity. The low was internalized under the sign of negation and disgust. But disgust always bears the imprint of desire.« (Stallybrass et al. 1986: 191)
In diesem Begehren liegt eine spezifische Produktivität der Pornografie. Denn im Begehren zeichnet sich eine Bewegung ab, die die durch die Exklusions- und Ausschlussstrategien verursachten Trennungserfahrungen aufheben will. (Hentschel 2001: 43) Innerhalb der von Macht durchkreuzten symbolischen Ordnung verweist somit die sozial marginalisierte Pornografie auf das symbolisch zentrale Filmmedium.
Altman, Rick (1989) »Dickens, Griffith, and Film Theory Today«, South Atlantic Quarterly, Band 88, Nr. 2, S. 321-359
Douglas, Mary (1988) Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, Frankfurt am Main: Suhrkamp
Gass, Lars Henrik (1993) »Bewegte Stillstellung, unmöglicher Körper. Über ‚Photographie’ und ‚Film’«, Montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Band 2
Hentschel, Linda (2001) Pornotopische Techniken des Betrachtens. Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne, Marburg: Jonas Verlag
Heselhaus, Herrad (2002) »Abjektion«, in: Metzler Lexikon: Gender Studies
Hickethier, Knut (1999) »Der Schauspieler als Produzent. Überlegungen zu einer Theorie des medialen Schauspielens«, in: Der Körper im Bild. Schauspielen – Darstellen – Erscheinen, hrsg. v. H. Heller, Marburg: Schüren
Kristeva, Julia (1982) Powers of Horror. An Essay on Abjection, New York: Columbia University Press
Kristeva, Julia (1978) Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt am Main: Suhrkamp
Stallybrass, Peter und Allon White (1986) The Politics and Poetics of Transgression, London: Methuen
Thompson, Kristin (1986) »The Concept of Cinematic Excess«, in: Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader, hrsg. v. Philip Rosen, New York: Columbia Univ. Press
Tischleder, Bärbel (2001) Body Trouble. Entkörperlichung, Whiteness und das amerikanische Gegenwartskino, Frankfurt am Main: Stroemfeld
Williams, Linda (2003) »Film Bodies. Gender, Genre, and Excess«, in: Film Genre Reader II, hrsg. v. Barry Keith Grant, Austin: University of Texas Press, S. 140–158 (4. Aufl.)
Williams, Linda (1997) »Pornografische Bilder und die ‚körperliche Dichte des Sehens’«, in: Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, hrsg. v. Christian Kravagna, Berlin: Ed. ID_Archiv
Williams, Linda (1995) Hard Core. Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films, Frankfurt am Main: Stroemfeld
Wolf, Enrico (2007) Bewegte Körper – bewegte Bilder. Der pornografische Film: Genrediskussion, Geschichte, Narrativik, München: diskurs Film