Mit ALLY MCBEAL das Recht des Post/Feminismus verdrehen
„Love and Law are the same - romantic in
concept, but the actual practice can give you
a yeast-infection,"
sagt Ally McBeal im Pilot vor dem Titelsong und nach der Beschreibung der Urszene/Urphantasie der Serie, dem höchst unsublimen Riechen Allys am Po des „Boy next Door" Billy als Beginn ihrer unendlichen Playground Love. Liebe und Gesetz/Recht sind hier als Konzepte wie Praktiken nicht gleichsam, sondern einfach dasselbe. Wenn Liebe zum Ideal/Gesetz wird und zugleich das Gesetz/Recht die Liebe bestimmen soll, ist im Übergang vom Ideal zur Praxis neben neben dem Liebesideal von dem/der PartnerIn als der Person, die ‚alles' und für die man ‚alles' ist, die Institution der Ehe aufgerufen - und die Drohung einer (infektiös wuchernden) Geschlechtskrankheit, an der sich vielleicht ein bestimmter Feminismus entzündet haben wird. Liebe und Gesetz werden nun in Folge(n) auf ein überbordendes Karussel gesetzt und auf einen Autopilot geschaltet, der die Kreuzung von bürgerlich-heteronormativen Liebesideal und seiner rechtlichen Regelung als Teufelskreis immer weiterdreht. Dabei werden sich das Verlangen nach der Sicherung des Liebesversprechens (ideell, gesellschaftlich wie personell) durch das Recht einerseits und das Verlangen/Gesetz idealer Liebe1 andererseits sich wechselseitig hervorbringen, bedrängen und verhindern. Dies geschieht im Gericht.
In ALLY MCBEAL (USA 1997-2002) sind somit durchgedrehte Normalos, halluzinierende Rechtsanwälte und Klienten sowie nicht astreine Richter an der Tagesordnung und kümmern sich vor Gericht um die zivilrechtlichen geschlechtlichen Un/Liebsamkeiten des Begehrens wie sie privat zu erleiden. Zu den Zeiten der Desorganisation der Institutionen Ehe/Familie, Liebe, Geschlecht und einer leidenschaftlichen Verhaftung2 an diese Institutionen erscheinen die Anwälte von Allys3 Kanzlei „Cage & Fish" nicht nur absonderlich und verrückt4 sondern vor allem mehr als windig: Sie sind Rechtsverdreher, ihnen ist zur Aufgabe gemacht, das Gesetz bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen.5 Und so bringen sie - sowohl wider besseres Wissen als auch aus Glauben an die Sache - noch die aberwitzigste Angelegenheit in einer überzeugend-absurden Performance vor Gericht. Dieses erklärt sich des öfteren für inkompetent, bessere Entscheidung zu treffen. Ehen sollen also annulliert werden, weil der Körper der Frau nicht echt ist oder weil der Mann aufgrund von Sexsucht beim Eheschluss nicht zurechnungsfähig war. Leute klagen wegen seelischen Schadens oder sexueller Nötigung, weil ihr Date sich verstellte, oder wegen materiellen Schadens, weil sich die E-Mail-Liebe als kleinwüchsig entpuppt. Ally selbst wird wegen zu kurzer Röcke als Missachtung des Gerichts verknackt. Permanent wird jemand, vor allem die Kanzlei selbst, wegen sexueller Nötigung verklagt, oder jemand wegen eines Knacks (wie straight, gay, merkwürdig, weiblich, gut aussehend, dick, kleinwüchsig oder Mutter) zu sein, beruflich oder privat benachteiligt bzw. entlassen, während ihre Verteidigung sich ingesamt mehr auf die performativen Aspekte des Prozesses, sprich: auf den Auftritt vor Gericht als Auftritt, kapriziert: d.h. statt vernünftig zu argumentieren, trägt die Verteigung quietschende Schuhe, sammelt sich beunruhigt einen Moment (John Cages Courtroom-Stunts)6, sie gibt (begleitet/kommentiert von Kuhglocken) äußerst politisch inkorrekte Plattitüden zu Normen und Geschlechtern (Richard Fishs ‚Fishismen') oder permanent höchst unpassende Fehleistungen (meist, aber nicht nur Ally McBeal) von sich.
Nur heißt das Recht zu verdrehen, Versprechen wie Drohung des Gesetzes, auch zu weit zu gehen und aus der Überdrehungspirale zu fallen? Gibt es da überhaupt eine andere Möglichkeit, als immer weiter zu drehen, möglichst immer schneller und wer verspricht oder entscheidet dabei, dass man nicht auf der Stelle tritt?
1998 trat die Androhung des Todes auf und entfesselte in der Rezeption einen anderen Autopiloten. „Is Feminism Dead?" titelte das Cover des Time Magazine. Darunter entfaltete sich eine evolutionäre Reihe vorbildlicher Feministinnen, die das Foto Calista Flockhardts beschloss, von 1997 bis 2002 die Hauptdarstellerin ALLY MCBEALs und 1997 als diese von Time zur Frau des Jahres gekürt (Time Magazine, 1998). Ally steht also für die Degeneration des Feminismus als Verfallsgeschichte von Vorbildern und wird in der Cover-Story von Ginia Bellafante zum Sittengemälde der Gegenwart ausgemalt. Denn die Selbstbezogenheit der Serienfigur Ally zeige: „feminism has developed into the silly" (Bellafante 1998). Schon schon Ruth Shalit bewies im New Republican, dass Ally McBeal eine Postfeministin sei, da sie – trotz der Verhandlung feministischer Themen – weder ein positives Bild einer Frau zeige, noch klare Stellung im Gender Trouble der Serie bezöge. Besser hätte für Shalit dies eine selbstbewusste, allein erziehende Mutter erfüllt, oder CAGNEY UND LACEY (USA 1981-1988), die im TV zu den glorreichen Tagen agierten, da der Feminismus zu jung war, um zu unterhalten (Shalit 1998). Doch ALLY MCBEAL spielt die alte Leier von der schwachen Frau. Anstatt professionell und unerschütterlich ihren Job, den sie trage wie ein Accessoire, zu machen, beschäftigt sich die Rechtsanwältin auf alberne Weise nur mit sich selbst, sie wird nicht erwachsen, denn sie kommt zum eigenen Leid nicht ohne Phantasien, Zusammenbrüche, stets scheiternde Ehewünsche und uneingelöste romantische Ideale aus, die sie auf ihre Fälle überträgt.7 Ganz Amerika lacht, denn Ally ist eine Witzfigur, a case, und deshalb stand fest: der Feminismus ist futsch und sie hat ihn genommen.8
Der Feminismus ist nicht futsch. Er wird (vertreten durch eine Entwicklung mit signifikanten missing links, vgl. Lotz) hier als nostalgische Reklamation der 70er Jahre ja gerade re-formiert. ALLY MCBEAL gibt den der Anstoß dazu, mit der Kritik an der Serie einen Feminismus zu zementieren, der in jeder humoristischen Frage an die Folgen der rechts- und alltagspragmatischen Teil-Etablierung und Miss-Verwendung feministischer Forderungen die Abschaffung oder Diskreditierung jedes Feminismus sieht - so als ob ‚Der Feminismus' sich keine Fragen stellen zu lassen braucht, jenseits von Kritik steht und jede seiner Entwicklungen kontrolliert. In Folge gingen auch wissenschaftliche Texte mit ALLY MCBEAL ins Gericht, um nachträglich die fehlende Beweisführung zu liefern und andere mit ins Verfahren ziehen, wenn z.B. Ally McBeal als „corsetted Butler" bezeichnet wird (Brabazon).9 Die Szene der Verhandlung war damit abgesteckt: Wer sich mit ALLY MCBEAL beschäftigt, muss sich entscheiden. Man kommt am Urteil nicht vorbei und positioniert sich mit der verordneten / beantragten Scheidung von Post und Feminismus entweder als Feministin oder Postfeministin, egal was darunter verstanden werden kann. Man ist notwendig zur Richterin gemacht, denn nur Richterinnen sind gezwungen ein Urteil zu fällen, dürfen sich nicht dazu entscheiden, es (unendlich) aufzuschieben. Ein Text, der sich diese Robe (ein Designer-Stück aus der Klage eines bestimmten Feminismus) anzieht, hat Anklageführung, Verteidigung, Jury und Richter in einer Person zu sein, da bleibt keine Zeit noch einmal fern zu sehen, sondern nur dazu, für oder gegen ALLY MCBEAL als feministischen (z.B. Bunz 1999) postfeministischen (z.B. Raabe 2002 und Crouse-Dick 2002) oder patriarchalen Text (z.B. Caudill 2003) sowie für „Fernsehen für eine bessere Welt" (Bunz 1999) zu plädieren; auf den Tatbestand der „heterosexuellsten Serie" (Cosack 2000) oder auf eine „queer insistence" (MacKenna 2002 und Pease 2002), sowie auf die widerrechtliche Zueignung des Feminismus in den Medien überhaupt hin zu weisen (Lotz).
Mit ALLY MCBEAL geht es also immer wieder / wiederholt, ums Recht. Es geht um die Frage, wer Recht hat, ums Recht zwischen Post und Feminismus, um Rechtsverhältnisse des Post/Feminismus sowie um die Frage, ob es berechtigt ist, diese Fernsehserie auf die paradoxe Funktion der Abbildung einer idealen Realität zu verpflichten und sie danach zu beurteilen, ohne dass man sich um die Frage des Rechts kümmert, seine eigentümliche Verhaftung mit der Wiederholung in seiner Einforderung und dem Zwang zu urteilen. So steht und handelt Ally McBeal (auch wenn sich Shalit fragt, wann angesichts der Okkupation mit privaten Problemen die Rechtsanwältin eigentlich ihre Arbeit macht) in der Serie ständig im und vor dem Gericht. Auch dort geht es unablässig um den Nexus von Recht / Jura und Geschlecht. Doch die Serie scheint sich dabei gerne der Entscheidung zu verweigern: Sie macht die Aufgabe, Publikum und Jury ihren Spruch vorzubeten, lächerlich (z.B. durch „stunts" im Gericht wie Pferdegalopp vom Tonband und die Anrufung der Geschworenen durch: „Sagen wir's gemeinsam"). Richtersprüche sind meistens nicht eindeutig gut oder schlecht, sondern werden wie das Aufeinanderprallen von Perspektiven, die sich nicht zum Witz (auch dies ein Form der Bewegung des Urteils, vgl. unten) auflösen lassen, melodramatisch zum Dilemma vertont. Den Verfahren geht es nicht besser. ALLY MCBEAL ignoriert die Grenzen zwischen den Genres Romance, Comedy, Gerichtsserie und Drama10, zwischen diegetischen Realitätsebenen und ignoriert die Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive. So geht die extradiegetische Musik in imaginären Hymnen der Protagonisten über und wird auch von der Umgebung ‚verspürt' (oder umgekehrt), bis alle (vorerst) auf einem Beat schwingen. Auch ist die Ebene der diegetischen Realität häufig mehr als unklar oder erst retrospektiv zu erfassen. Phantasmen werden als Redewendungen höchst wortbildlich ohne deutlichen Bruch mit der diegetischen Realität inszeniert. So schnellen Ally einfach übergroße Zungen aus dem Mund, mit denen sie je nach Bedarf verprügelt, aufspießt und abschleckt/kostet. Träume werden oft auch für das Publikum erst mit dem Aufwachen als solche erkenntlich, zumal sich auch in der diegetischen Realität die (zumindest für Fernsehserien) vielfältige Formen von merkwürdigen Gestalten und exzentrischen Verhalten tummeln. Der Ton, der ähnliche Unschärfen erhält wie die Realität, endet nicht mit dem Bildschnitt, sondern unterwandert, besetzt oder konterkariert die montierten Szenen, die nicht notwendig etwas miteinander zu tun haben müssen. Musikalische Themen sind weder Figuren noch Inhalten oder Stimmungen eindeutig zugeordnet, sondern werden unterschiedlich verwendet.
In Deutschland drohte 1998 ein anderer Tod bzw. eine andere Scheidung: Die Sendung der ersten Staffel wurde in Ermangelung von Publikum abgebrochen und durch Wiederholungen von CAGNEY UND LACEY ersetzt (Klien 2001). Erst im zweiten Versuch wurde ALLY MCBEAL - massiv als Identifikationsfigur beworben - zum Hit, während die Institutionalisierung der ALLY-Parties Erfahrungsräume für die Unheimlichkeit des Datings zur Stimme von Vonda Shepard schuf. Den Feminismus trug niemand laut zu Grabe.11
Vielleicht ist die Drehung vom gesichterten feministischen Urteil zu den Fragen, die die Serie zum Recht (und dem Urteil) aufwirft, d.h. die Drehung vom Urteil zur Frage nach dem Recht, also einer kulturellen Distanz geschuldet, der eine Emanzipationsgeschichte fremd ist, die sich als Bürgerrechts-Geschichte auch prominent über die Namen von Gerichtsurteilen und Gesetzentwürfen schreibt. Eine solche Verschwisterung mit der juridischen Macht als ungebrochen positive Entwicklung zu betrachten und einzufordern, die nicht wieder Probleme und Ausschlüsse erzeugt, die verhandelt werden müssen, also eine Fortsetzung der Bewegung des Gesetzes / der Rechtsprechung benötigt, ist mir eher unheimlich. In Deutschland ist seit den 90er Jahren keine rapide Entwicklung von Klagen und Klagegründen der sexuellen Nötigung zum juridisch wie massenmedial besonders verhandelten Problem des Feminismus zu beobachten gewesen. Diese Entwicklung der Klagen wg. Sexual Harrassment in den USA führte zu Backlashs wie einer Corporate Rection, die u.a. auch Gesetze bzw. richterliche Entscheidungen zum Schutz der Arbeitsatmosphäre von Arbeitgebern und konservativen Rechtvertretern zur totalen Reglementierung des Arbeitsplatzes missbrauchte, sowie zu einem problematischen, sich teils als Kritik am Feminismus oder als Feminismus ostentativ verortenden Victims-Discourse, der Gesetzgebungen zu Sexual Harrassment als Herabsetzung von Frauen zu „Opfern" diskreditierte. Noch kein deutscher oberster Staatsvertreter ist wegen sexueller Nötigung verklagt und bei Affären mit Praktikantinnen erwischt worden. O.J. Simpson hätte vor keiner Jury (außer der des Medienpublikums) gesessen.12 Dafür ist hier die Trennung der Toiletten nach Geschlechtern arbeitsrechtliche Vorschrift. Nicht alles wiederholt sich einfach wenn dieselbe Serie gezeigt wird. Dem deutschen Kontext fehlt demnach vielleicht zur rechten Sicht, zur Reklamation des Rechts, die bruchlose Akzeptanz der Sedimentierung des einen Feminismus als gesetzliche Norm in alltäglichen Urteilen.
Doch der Kritik an Ally, die den feministischen Aktionismus der 70er Jahre und eine Fernsehserie der 70er/80er wiederbeleben möchte, geht es im dem Festhalten an feministischen Rulings für Vorbilder vor allem um die Sedimentierung einer normativen Sicht. Denn die Programmatik der Role Models rezitiert ein 30 Jahre altes Sicht- und Sende-Programm von richtigen und falschen Frauen- und Gesellschaftsbildern, die in Serien wie von einem Fließband-Loop abgespult werden sollen13, gegen einen Postfeminismus, der in ALLY MCBEAL als falsche und schwierige Folge des Feminismus fortlaufend mit Ken (Billy), Barbie (Giorgia) und Skipper (Ally) zur Rezitation des US-amerikanischen Lied- und Medienguts seit den 60er Jahren jongliert, und dazu dieses Sendemodell, die juridische Regelung des Geschlechts, Verhandlungen innerhalb des Feminismus und ihre medialen Verflachungen gleichermaßen herbeizitiert (d.h. auch vorlädt), schluckt, umkehrt und zum Witz macht.14
Fernsehregelgerecht träumt Ally in der Folge LOVE UNLIMITED (1998), vom Magazin Working Women zum Role Model für Professionals gekürt zu werden. Dies darf allerdings nur unter der Auflage der Beseitigung aller oben kritisierten Mängel ihrer Person geschehen, wie ihr die Vertreterin der auswählenden Gesellschaft „Women For Progress" erklärt. Ally, die kein Role Model sein möchte, erfährt, sie habe keine Wahl und beißt schließlich der Frau entrüstet die Nase ab. Als sie diesen Traum John Cage erzählt, gesteht Ally, daß es ihr Wunsch war, einmal auf dem Cover des Time Magazines als Frau des Jahres zu landen, worauf (vermutlich nicht nur) John Cage beunruhigt einen Moment innehält.
Das Jonglieren mit Geschlechterstereotypen deutet möglichweise an, dass sich eine Übersteigerung von Stereotypen an den Figuren und Themen der Serie nachvollziehen lässt. Die Tagung „Überdreht" hat aber die Allgegenwart der Überdrehung als Symptom genommen und ich gedenke darum nicht, nachzuzeichnen, dass ALLY MCBEALs Kooks mit Stereotypen brechen. Das ginge auch nicht, da diese Kooks u.a. auch gerade darum durchgedreht sind, weil sie das Klischee leben (wollen) und teils auch wissen, dass sie es – trotz aller Absonderlichkeiten, Brüche und Reflexion – tun. Dieser zeigt Twist der Serie somit, dass Stereotypen immer schon ihre Karikatur wie ihr Scheitern vorführen und verarbeiten. Was aber dann?
Der Titel folgt einem Vorschlag aus der Serie und will ‚Den Song schneller hören'. Wie soll das gehen bei einer Serie? Beim Fast Forward von Videos und DVDs kann man zwar ein Bild haben, aber man hört eigentlich nichts mehr. Oder man spult sozusagen richtig, dann verschwindet das Bild (zugunsten von Rauschen) und man hört maximal das Laufwerk. So oder so überspringt man vielleicht vorerst manchen Inhalt und einige Urteile, während Hören und / oder Sehen vergeht.
Die zentrale und reflexive Funktion der Musik trug ALLY MCBEAL die Charakterisierung musicalhaft bzw. die Bezeichnung Musial (aus Musical und Serial, vgl. Klien 2001: 44) ein. Die Figuren hören Musik einfach nur im Kopf, sie werden höchst wort-bildlich von Ohrwürmern (z.B. Gloria Gainor mit „I Will Survive") verfolgt, die sie hassen oder als Themesongs herbeirufen. Sie identifizieren sich mit der diegetischen Musik (deren Status als real oder halluziniert der Zuschauerin oftmals selbst unklar bleibt), sie werden von ihr – auch als Körper – regiert, wobei Musik auch als Ausrucksmedium dient. Die Montage folgt dem Imperativ der Songs, selbst wenn die Geschichten Text und Ton konterkarieren, man muss mit oder gegen die Musik tanzen, und ist dabei nie sicher, wo man gerade genau steht. Es gibt ein Regiment des Rhythmus, mit dem man mit muss, in der Kommunion von Bild, Bewegung und Ton - nicht nur beim Gospel, sondern auch wenn Tonebenen der Episoden oder montierten Szenen ineinandergreifen. Selbst die relative Offenheit der Folgen fasst am Ende regelmäßig ein melancholischer Song von Liebe und Einsamkeit zusammen während verschiedene Paare oder Singles auf dem Heimweg irgenwo in Boston zwischen Bar, Straße und Appartement Variationen von Ein- oder Zweisamkeit verbildlichen. Fluktuationsmöglichkeiten der Koppelung von Ton und Bild als Koppelung von Paaren und Singles werden zum Thema - ihr Re-Arrangement zum Versprechen der Fortsetzung.
In dieser Strukturierung durch Musik ist ALLY MCBEAL musicalhaft, auch weil die gemeinschaftsstiftenden Aspekte des Musicals (ein ganzes Bild bewegt sich zu einer Musik), auf die Raabe mit Hinweis auf Richard Dyer aufmerksam macht, auch ein Thema ALLY MCBEALs sind. Aber die Serie ist nicht ganz ein Musical. Die Musical-Folge der Serie heißt darum auch: THE MUSICAL, ALMOST. ALLY MCBEAL wurde (aus Serial und Musical) Musial genannt, ein serielles Musical, das eine gewisse ritualisierte Form hat, die als morgentlicher Auszug ins Leben und abendlicher Heimweg erfolgt, der sich Folge für Folge wiederholt (dazu unten mehr). Die Serialisierung des Musicals15 könnte man vielleicht als eine Beschleunigung beschreiben, in der das Regiment der Musik zu einem Song zusammenfließt, der als Struktur der Subjektivation oder Geschlechterideologie sichtbar wird. Dieser Song wäre allerdings stets unterbrochen von abreissenden, leiernden Themen, denn die Themesongs, die in der Regel die subjektive Identifikation mit einer (in der Regel geschlechtlichen) Rolle, Aufgabe oder einem Wunsch beschreiben, funktionieren nicht mehr (so wie vor Gericht die geschlechtlichen Institutionen als desorganisiert auftreten). Im Gegensatz zu Musicals, deren eindringlichste Momente nicht nur in der Vereinigung der filmischen Figuren zu Musik besteht, sondern auch gerade darin, dass „die Musik angeht", zwei tanzen und sich lieben müssen (mit allen Risiken für den filmischen Realismus, durch diese eigentlich aberwitzige Mechanisierung von Genre und Geschlechterverhältnis)16, - ganz im Gegenteil dazu funktioniert bei ALLY MCBEAL nichts oder nur unter Schwierigkeiten, Brüchen und traumatischen Entscheidungen, ganz ohne die Leichtigkeit mit der sich Fred Astaire und Ginger Rogers im Tanz zur Musik finden. So eint sich in ALLY MCBEAL (neben den permanent scheiternden Liebeswünschen der Protagonistin) die Gemeinde in der Baptistenkirche nur auf unheimliche Weise und mit Widerständen in der von der Musik und / oder der Masse geschüttelten Menge zur ekstatischen Kommunion (die auf die gemeinschftliche Wurzel von communion und community verweist), während die Gospels oftmals sehr unpassende Texte verfolgen, die den Geschüttelten entweder egal, unrecht oder unbewusst sind. Die Körper der Serie werden mit einer zwischen affirmativem Pathos und Karikatur schwankenden Metainszenierung der Inszenierungsmacht als Frau, Mann, Rechtsanwalt/-anwältin, Richter/in Sänger/in, Sexmachine uvm. und ihrer permanenten slapstickhaften Entgleisung gezeigt. Diese inszenatorischen Aspekte der Typen werden auch zum wesentlichen Bestandteil der Performances vor Gericht, teils auch als Argument.17 Die Paraden und Bindungen, die sich beim Übergreifen subjektiver Themesongs als Einschwingen auf den Beat des anderen zu bilden scheinen, enden meist zwangläufig aprupt an der Entdeckung ihrer falschen Effekte oder ihrer Fehladressierung sowie am Widerstand derjenigen Figuren, die sich weigern, sich dermaßen unifizieren zu lassen. Ungefähr genauso gerne steht Ally gegen ihren Willen mit einer munter-rhythmisch schrubbenden Gloria Gaynor unter der Dusche.
Ich folgte mit dem Gedanken des Fast Forwards nicht nur den musicalhaften Aspekten der Serie, sondern ich befolgte, verschob und ver/wendete eine Anweisung von Ally McBeals (erster) ausgesprochen ungeduldiger Therapeutin Tracy. Sie ist es, die die Themesongs in die Serie einführt, indem sie ihrer Patientin, welche sie für einen lästigen Schwächling hält, auferlegt, sich einen Hymne (so die deutsche Übersetzung) zuzulegen, „a peppy song to cheer you up", den Ally sozusagen als kontrollierte Fassung des Ohrwurms in ihrem Kopf hören soll, um motiviert ihre Wünsche zu verfolgen. Ally, die ihre Behandlung dämlich findet, singt zögernd erst die Titelmelodie der Serie („Seachin' my soul", Vonda Shepard 1998), die abgelehnt wird, dann „Tell Him" von den Exciters (1962). Tracy (gespielt von Tracey Ullmann, die bekannt ist durch eine Fox-TV-Show, in der sie stets jemand anderes war, und als Interpretin einiger Songs der 80er, die man kaum noch beschleunigen wollte) beschließt: „großartiger Themesong" und „Start hearing it faster". Die Therapie führt im Weg von der Beschleunigung des Songs zu der des Hörens, von der Produktion zur Rezeption, einen Unterschied zwischen dem Thema der Serie und dem seiner Figuren ein. Verloren bleibt glatte Identifikation, sie misslingt auch weiterhin Ally selbst, denn jeder Themesong / jedes Thema reisst irgendwann. Während dies für Ally McBeal das Drama der Subjektivität darstellt, muss man beim Hören mit diesem Drama nicht unter Einhaltung seiner (eh kritischen, i.S.v. kritisierte wie in der Krise befindlichen) Werte und Normen folgen, um sich in Desidentifikation zu üben.
Während: „I've been down this road" auf der Suche nach der Seele, regelmäßig (als die einzige Musik, die in ALLY MCBEAL die Figuren nicht zu hören scheinen) eine Unterbrechung des einleitenden Plots darstellt, die zu Beginn auf den repetitiven Grund der Serie hinweist, auch wenn die Handlung progrediert, soll ein Themesong wie „Tell Him" (der gewissenloses Genießen der heterosexuellen Geschlechtersternorm befielt) im Kopf der Protagonistin entstehen, um die Außenwelt wie die Körper im TV zu besetzen und zu rhythmisieren. Doch auch wenn zur Beschwörung des ewig gleichen Wegs für Männer und Frauen eine Parade über die gerade ergrünte Fußgängerampel tanzt, stets leiert und reißt der Themesong irgendwann, da er auf unterschiedliche Widerstände, innere (der Selbstüberzeugung oder Identifikation mit dem Themesong) oder Andere (die nicht mitmachen, sondern zuschauen) trifft. Zwischen den beiden Funktionen der Themesongs bewegen sich die privaten Probleme der Serie wie ein Lied zwischen Strophe und Refrain: zwischen dem Einbruch einer genervten alten Leier von Narzissmus, Erwartung und Liebe („I've been down this road walkin' the line that's painted by pride (..) Oh I believe I am ready for what love has to bring")18, der dazu führt, dass man bereit ist, zu singen, und dem permanent gebrochenen Versprechen eines Glücks im stabilen Geschlechterverhältnis („Ever since the world began it's been that way / for men and women were created / to make love their destiny")19, das in Rechtsangelegenheiten einklagbar wird, in denen sich dieses Versprechen als die neue, alte Leier erweist, während man im Privaten wohl eher phantasiert.
Hört man das schnell genug, gibt es „Gender Trouble".21 Steckt man darin, spioniert, zappelt, kopuliert, turnt, dreht, wendet und spiegelt man sich im Unisex.22 Unisex steht in der Serie für ein disfunktionales Geschlechterverhältnis. Sein Paradox besteht darin, als Auflösung der Geschlechtertrennung und –unterschiede (nicht nur bei den Toiletten) ausgewiesen zu sein, während im Unisex benannten Ort der Notdurft Geschlechterfiktionen und –unterschiede fortlaufend Raum finden, indem sie als Fiktionalitäten inszeniert und vollzogen werden müssen.23
Ruth Shalit hat die Unisextoilette wie eine postmoderne Folterkammer aus Chrom und Spiegeln beschrieben (Shalit). Das ist sie unter anderem auch, denn sie ist auch ein allgemeiner Überwachungsraum, in dem keine Privatheit möglich ist und fortlaufend peinliche Unfälle geschehen. Die Unisex ist der gemeinsame Wasch- und Ausscheidungsraum für Männer und Frauen. Sie besteht aus einem zwischen Tür und den Kabinen liegenden Spiegel-Waschbeckenarrangement und (je nach szenischem Bedarf) aus 5 bis 6 Kabinen. Unisex bedeutet, dass es erst nur eine Tür für zwei Geschlechter gibt. Das ist ein Paradox: man ist in ‚Damen' und ‚Herren' zugleich. Das Problem ist, dass man schon einmal in ‚Damen' oder ‚Herren' war und dieses System besser kennt. Darum gibt es weiterhin da wenig zu verwechseln oder es darf wenig zu verwechseln geben. Im Unisex versucht jede/r, nach und vor ausgiebigen Selbstfindungen oder besser:
Selbstherstellungen in den Spiegeln, eine abgeschlossene Kabine aufzusuchen, die gerade wegen ihrer Abgeschlossenheit in einem (angeblich) geschlechtlich uneindeutig definierten Ort zum Gegenstand des Interesses und der Spionage/allgemeinen Überwachung wird. Kabinen werden nicht nur mit der Digicam ausspioniert, sie werden von unliebsamen Eindringlingen heimgesucht. Jede Kabine belastet, dass sie schon einmal benutzt wurde, nur von welcher Spezies (Frösche erweisen sich in der zweiten Staffel, parallel zu Ally McBeals permanent scheiternden Dates als nahezu unsterbliche Toilettennutzer, die von einer zur anderen geschleudert werden)? Überreste sind verstörend24, darum gibt es Remote-Flusher (ferngesteuerte Spülungen) manchmal bleibt man (in der Schüssel) stecken oder die gewählte Kabine ist schon besetzt, so dass man auf einem fremden Schoß statt auf der Schüssel landet. Schuld daran ist Unisex, auch wenn man sich im Raum zwischen Spiegeln und Kabine nicht nur streiten und verprügeln, sondern auch zu Paraden und Tänzen vereinigen oder aufsehenerregende Turnübungen vollziehen kann wie John Cage Isometrische Übung des Dismounts/Abgangs, mit dem er (nach einigem Training und Unfällen) elegant, den Türrist als Barren verwendend, durch einen Salto die Kabine zu verlassen mag.
Die Trennung der Geschlechter bei der urinalen Segregation ist also neu geordnet25, sie kommt aber weder ohne Geschlechter noch ohne die Überreste vorheriger Ordnung aus. Das kann man vielleicht an den Spiegel festmachen, deren Anordnung als Zwillingsdrehspiegel, in denen man sich von beiden Seiten sehen könnte, eventuell die Anordnung zweier nebeneinanderliegender Türen vertritt. Diese ‚Türen' wären jedoch weder klar einem Geschlecht zugeordnet, noch könnte man durch hindurch irgendwohin gelangen, zumal die sich horizontal drehen, also eher den Fallencharakter von Drehtüren verkörpern. Für die Unisex gilt aber jedenfalls in der Praxis: Da hilft kein Remote-Flusher, die Aufteilung in Männer und Frauen regiert weiter die musikalisch verklammerten Identifikationen, Wünsche und Denkweisen der Protagonisten - in den Kabinen und Spiegeln sowie in den Gerichtsfällen, bei denen mehr oder minder hemmungslos Geschlechterstereotypen verhandelt (d.h. angeklagt, eingeklagt, wie verteidigt) werden.
Schuld an der Persistenz der persönlichen wie gesellschaftlichen Verhaftung an Geschlechterstereotypen sind – so die Staatsanwältin Renée Raddick in der Serie – die Medien, namentlich Disney, aber auch die Songs, die oft aus dem Radio kommen und die ihren Zitatcharakter und ihre Abnutzung im Leiern und Reißen ausstellen. Sie ver-sprechen und beklagen Güter26 des heterosexuellen Glücks, wie z.B. das Eheversprechen, das ständig als Vertrag vor Gericht steht (vgl. zum Ver-Sprechen des Versprechens Strowick 1999). Ally erhält diese Güter während sie Dates und Beziehungen aburteilt / unterbricht peu à peu: College-Liebe (als „picture of the boy next door besungen"), Karriere, Haus und Familie / Kind, aber nichts ist so wie es sein soll. Der College-Lover heiratet eine andere und wird in drei Staffeln Stück für Stück in einen spießigen, geschiedenen Macho zerlegt.27 Das Kind ist eine Jungfrauengeburt, Ally hatte Eier der Wissenschaft zur Verfügung gestellt und wird in der letzten Staffel (doch noch) zur allein erziehenden Mutter in einer Patchworkfamilie, die sie mit dem Klempner ihres Hauses bildet.28 Die in der Serie zitierten Orte des Versprechens und des Glaubens ans Gute stammen aus der Jugend, wie die Songs29, oder aus der Kindheit wie Santa Claus, an dem - wie am alljährlichen Weihnachtshorror - die Ober-Kooks Ally und John wider besseres Wissen festhalten wollen. Sie hängen an den alten Idealen von Familie, Heteronormativität und Liebe und haben ein paar neue, wie die Reflexion und Ablehnung von Geschlechterstereotypen und Diskriminierung und die Akzeptanz politischer Korrektheit, ohne ihre Konsequenzen in jeder Hinsicht auch tragen zu wollen.30 Dass sich diese divergierenden Ideale nicht nur privat sondern auch mit der Tätigkeit als Rechtsanwalt (die zudem mittels des Kanzleichefs Richard verlangt, alle zahlende Klientel zu vertreten) schlecht vereinbaren lässt, zeigt neben dem permanenten Hymneriss (der auch als Erlösung der im Rhythmus Gefangenen auftritt) die Neigung zu Halluzination und Tagtraum, wegen der Ally McBeal zur Therapie geht. Al Green, der bei seiner ersten Halluziniation ihn als Richter im Gerichtsaal verlangen läßt: „You've got to keep on pushing love", wird mit Prozac beigekommen. Hartnäckig verfolgt aber das tanzende Baby Ally, um sie gegen den eigenen Willen an tradierte Dinge wie „die tickende biologische Uhr", „verwelkende Eierstöcke" und „Kinderwunsch" zu mahnen. Ally wird es nicht los, auch wenn sie versucht, es zu treten (wobei Ally einen 10-jährigen kleinwüchsigen Anwalt mit dem Baby verwechselt oder es zum Monster gemorpht zurückschlägt). Dieses DANCING BABY ist keine Erfindung ALLY MCBEALs sondern wurde zu Werbezwecken als Demo-Version einer Kino-Animationssoftware der Firma Kinetix als Attachment an E-Mails verschickt, es konnte also jede/r bekommen, bevor es ein Serienstar wurde.31 Es sind also weniger ein Ideal aus der Dose oder aus der Natur, die hiermit rufen, sondern eine Visualisierung, von der unklar bleibt ob Wunsch oder Befehl, ein tanzendes Bild, Produkt eines Programms, dessen eigentliche Operation unsichtbar bleibt, während ein modifizierbares Bild eine verfolgt, um extra- wie intradiegetisch Fiktion, Realität, Medien und Wahrnehmung zu verblenden. Die Operation, die man beobachten kann, ist diese veränderliche Wiederkehr. Das ist fürs Fernsehen nichts Neues.
ALLY MCBEALs Thematiserung des Gender Troubles handelt also vielleicht weniger von Leichen, als von Wi(e)dergängern, wobei offen bleibt, was Strophe und was Refrain ist: Unisex, d.h. problematische Identifikation, oder DANCING BABY, d.h. heteronormativer Imperativ der Reproduktion. Die Gerichtsfälle und die gescheiterten Dates und Beziehungen wiederholen diese Konstellation nach dem Gesetz der Serie, wenn nicht des Fernsehens: Wiederholung. Wiederholung bestimmt die narrative Struktur von TV-Serien, die mit einem Piloten beginnen, der ein genrebedingtes Set von Figuren und Problemen anbietet, die in der Serie in Variationen durchgespielt und regelmäßig innerhalb einer sich wiederholenden Programmstruktur gesendet werden. Die Wiederholungstruktur könnte man auch für den Bildaufbau in Punkt und Zeile unterstellen32, das wäre der unsichtbare Rhythmus, mit dem man mit muss, daraus macht die Serie aber nichts. Die repetitive narrative Form von Serien, die eine Mischung von relativer narrativer Offenheit wie Geschlossenheit impliziert, hat sie unter Verdacht gestellt, Normen, z.B. des Geschlechts, zu stabilisieren, indem ihre Verhandlung permanent auf eine narrative Grundform gebracht werden, die aufgrund des massenmedialen Charakters des TVs breiter gesellschaftlicher Akzeptanz bedarf. Andererseits wird diese narrative Funktion darstellbar und beobachtbar. In ALLY MCBEAL wird diese Wiederholungsfunktion zur Verhandlungssache, somit geht sie nicht nur „mit den Männern ins Gericht" (so Vox, und in die Toilette möchte man hinzufügen)33, sondern mit der Verhandlung und dem Urteilen selbst.
Verfolgt man im Modus eines Fast Forwards an ALLY MCBEAL, wo der beständig abreissende / unterbrochene Faden immer wieder aufgenommen wird, erscheint die Serie als Wiederholung von Verhandlungen und Urteilen des Geschlechts, nicht nur vor Gericht. Diese Urteile werden unterwegs getroffen; – im Gegensatz zu vielen Kinofilmen, die sich mit einem einzigen Prozess beschäftigen, bei dem in der Regel, wie auch beim allnachmittäglichen deutschen Fernsehgericht, die Etablierung von Beweiskette und Motivation im Zentrum und das Urteil am Ende steht. Am Ende der einzelnen Folge, in der in gleichmäßiger Regelhaftigkeit die Fälle im Gegensatz zu den persönlichen Dramen abgeschlossen werden, steht in der Regel – wie am Anfang und fortlaufend – wieder nur ein Lied mit einigen Un/Möglichkeiten oder Nicht/Chancen. Die Gerichts-Urteile sind nötig, weil keine gültige übergreifende Instanz den Subjekten versichert, dass Ehen halten, was sie versprechen, ebenso wie das Gesetz oder die Gleichberechtigung, sondern es muss jedes Mal ein Prozess geführt werden, in dem diese Versprechen als unsinnig, unzweckmäßig, gültig, unzulässig, oder bigott verhandelt werden.
Auch wenn die einzelnen Gerichtsfälle abgeschlossen werden, werden sie, in den rekurrierenden Themen: sexuelle Nötigung / Belästigung, widerrechtliche Kündigung, Obszönität, Mord in der Ehe, seelische Schäden, Annullierung und Scheidung von Eheverträgen narrativ beständig wieder aufgenommen, wiederholt, bestätigt oder revidiert. Das Urteilen selber wird zum unabschließbaren Prozess in einer Serie, deren Prozess so stets von vorne, mit demselben Problem anfängt: Mit dem Problem des Urteils und des Rechts, dem Versprechen oder der Drohung seiner (Über-)Drehbarkeit – sowie der Überdrehbarbarkeit des Geschlechts und der (scheiternden) Sedimentierung / Verwirklichung von Normen in Wiederholung. Als Ver-Sprechen der gesellschaftlichen Institutionen Ehe, Gesetz, Geschlecht, geraten sie im Privatleben, d.h. jenseits der juristischen Fälle, ebenso, wenn nicht noch mehr ins Schleudern. Das weitergehende Versprechen mag sein, dass man im Gericht noch einmal verhandeln kann, einen Moment innehalten /sich einen Moment nehmen kann („to take a moment", wie dies John Cage beständig, durchaus auch als Courtrom Stunt, vorführt), um nicht nur den Fall, sondern vielleicht auch das Gesetz selbst zu verhandeln (Diederichsen). Daran hängt vielleicht wäre der Wunsch, vor Gericht ein wirkliches Urteil und keine Anwendung der bestehenden Regeln zu erhalten. Darauf weisen die auch aussichtslose Fälle zum erfolgreichen Urteil führenden Unterbrechungen, die John Cage als Stunts mit Dingen erreicht, die im Gerichtssaal nichts zu suchen haben, wie lautes Kinderspielzeug, Leim, Pferdegalopp vom Band und einer Unzahl von rührseeligen Aufrufen der Enttäuschungen und Versprechen des Erwachsenwerdens. Die beklagte Norm / der beklagte Tatbestand muss in jedem Fall - und das ist ein notwendiger Teil der unvermeidlichen unbewußten Gesetze der klassischen Gerichtsverhandlung - wiederholt werden. Man muss sich als Zwerg, Frau, homosexuell, dick zumindest aber irgendwie bezeichnen, bzw. erkennbar geben, um abzustreiten, dass man es ist oder dass dies eine Rolle für widerrechtliche Kündigungen, unfaire Beförderungspolitik und Gültigkeit des Ehe- bzw. Liebesvertrags spielt. Man muss Beleidigungen wiederholen und auf sich anwendbar machen, um ihren Tatbestand zu beweisen.34
Damit deutet ALLY MCBEAL auf den gemeinsamen traumatischen Tatbestand von gerichtlichen Klagen / Urteilen und den Urteilen geschlechtlicher Identitäten, d.h. auf eine Kreuzung von Legal Memory (Felman) und Gender Memory (Prozesse und Geschlecht sind - zwar nicht notwendig identische, aber schlecht kontrollierbare - Wiederholungen von Prozessen / Urteilen und Geschlechternormen).35 Die Serie weist darauf hin, dass man - wie die Kinder in Lacans Witz zur Toilette - immer schon in Damen und Herren (und möglicherweise jetzt auch abweichend) gewesen ist und in gewisser Weise immer wieder dahin gehen muss, sprich: auf einen besetzte Kabine trifft, egal welche Kabine man wählt (so setzt im Piloten die Titelmelodie nach Ally McBeals Satz: „And here I am, a victim of my own choices" mit „I've been down this road" ein, bevor Ally die Weisheit von der Identität von Liebe und Gesetz von sich gibt). Die meisten Verhandlungen in der Serie sind deshalb komisch und traurig zugleich, während die Urteile / Entscheidungen (die ja doch immer ein Kriterium für Damen und Herren macht), die die Pause / den Aufschub aufheben, deshalb gerade ausschließlich unglücklich zu sein scheinen.
Der Witz der Serie liegt darin, die Entscheidung was richtig oder falsch ist, aus zu setzten, indem sie als ein „spielende(s) Urteil" (Fischer 1889/1996: 25) mit den Variationen eines Settings experimentiert und dabei öfters zumindest vorübergehend die Realitätsprüfung / -sicherung ausschaltet. In diesem Sinne begegnet ALLY MCBEAL den traumatischen Wiederkehr von Urteilen / Prozessen und der Annahme von Identitäten mit melancholischem Humor dort, wo sie über die eigene Struktur lacht während sie denselben Witz aus dem Hut zieht, der „gerade als Zweifel an der Sicherheit des Urteilens zeigt, dass man der Pflicht zu urteilen nicht entgeht" und damit auch der Schuld (Strowick 1995: 20). Doch wenn schon die Serie richtig und falsch aussetzt, stellt sich die Frage des Urteils um so mehr: „‚Wie urteilen?' da man ohne Wissen, ohne Sicherheit, ohne Vorurteil mit der Frage beginnen muß: ‚Wie urteilen?', ist die Abwesenheit eines Kriteriums das Gesetz, wenn man so sagen darf. Wenn die Kriterien einfach verfügbar wären, wenn das Gesetz präsent wäre, da, vor uns, dann gäbe es kein Urteil(en)" (Derrida 1992: 22) Die Abwesenheit des Urteils im Gerichtsurteil gehört wie die problematische Wiederholungsstruktur von Prozessen / Urteilen zum Unbewußten des Rechts, d.h. eines Rechts, das darauf besteht, auf der Anwendung von Kriterien zu basieren. Diese Absenz des Urteils und diese Wiederholungsstruktur gehören zum inszenierten Drama des Gerichts in ALLY MCBEAL, wo die RichterInnen (im Verlaufe der Prozesse) inkompetent werden und die Un/Sicherheit von Regeln sowohl zum Problem als auch als Verhandlungssache zum Versprechen eines Urteils werden. Dieser Aspekt trifft aber auch die vermeintliche Absurdität der Fälle und Plädoyers, deren Anhörung dann die Chancen des Rechts darstellte, nämlich als die Möglichkeit einen Ausnahmezustand herzustellen, die Voraussetzung von Gerechtigkeit / eines Urteils, das gerade nicht die Anwendung einer bestehenden Regel wäre (Derrida 1992: 22-24). Tatsächlich sind die wenigen glücklichen Kläger und Beklagten ALLY MCBEALs diejenigen, die trotz oder wegen absurder Prozessführung, hanebüchener Sachlage, unsinnigen Plädoyers und mangelnder Rechtslage ein Urteil erhielten.
In diesem Sinne versucht die Serie (die mit ihrem melancholischen Humor auch vermeidet, irgendeine ihrer Figuren vollkommen zu diskreditieren) nicht die übergreifende endgültig urteilende Instanz oder die Regel eines Feminismus, der unterschiedlich verhandelt wird und auftritt, zu sein. Hier – wie bei vielen anderen Entscheidungen der Serie - bleibt das Publikum die Jury / die Richterin. Dem Publikum wird auch mit seinem Lachen die Aufgabe nicht abgenommen, zu urteilen; aber: dies immer wieder, ohne Kriterium nur jeweils und nach Sachlage, Fall für Fall, mit einer Leiche im Blick, vielleicht auch immer mit einer Extremität in einer Fußangel, aber auf jeden Fall vor dem Hintergrund, dass Richter / das Gesetz häufig inkompetent sind. Nur so, in einem Akt zwischen Slapstick und Akrobatik (der den Bewegungen der Serie zwischen Themesong und Bruch verdächtig ähneln mag), sind dann Post und Feminismus (der Serie wie der Gesellschaft) zu beurteilen und für eine gültige Ehe zu erklären, einzuklagen, zu scheiden oder zu annullieren.
Die Parallelität von einer Art allgemeinen Mitleids wie allgemeinen Hohns sowohl für heftige, kapitalistische Witzfigursexisten wie Richard Fish als auch für die Versuche von Dauerintegrität vor dem Hintergrund einer sich selbst ums Glück bzw. den Spaß beraubenden Liebes- und Geschlechtermoral im Regiment desselben alten Liedes, das man so nicht mehr hören möchte und deshalb wie die Verhandlung unterbricht, könnte - parallel gesehen zum Versuch, im Re-Arrangement der Figuren alle mit Hohn und Mitleid gleichermaßen zu bedenken - eine unendliche Offenheit im Witz oder spielenden Urteil der Serie vermuten lassen. Doch wie bei der Frage der Obszönität, bei der der amerikanische oberste Gerichthof kein Kriterium hat, außer das Statement, sie zu erkennen, wenn er sie sieht, werden im Experiment Serie Grenzen gezogen, auch wenn sie sie nicht begründen/legitimieren kann.
Denn für einige greifen die alten Institutionen auf die klassische Weise:, Frauen mit Schwanz und andere zu abweichende Geschlechter, sowie obdachlose Schizophrene tauchen entweder nur als Randfiguren auf, sie gelten im besten Fall als nicht zu ehelichen, werden zumeist an Tod und/oder ernstzunehmende psychiatrische Behandlung verwiesen. Hier entscheidet sich, wer in der Serie (nicht nur gesellschaftlich) lebensfähig ist und wer nicht, auch wenn man ALLY MCBEAL zugute halten kann, dass sie dies zumindest mit der gesellschaftlichen Doppelmoral auch als eigene Bigotterie betrauert, sowie als eigenes Opfer, das ab und an auch als Richter auftreten bzw. abgehen darf. Betrauert wird dabei zugleich die Unmöglichkeit der Lösung aus den eigenen, hinderlichen Normen. Das zum Nicht-Lebbaren erklärte tritt als Gegenstand melancholischer Identifikation36 auf und möglichst schnell wieder ab. Die zahlreichen Begräbnisse, bei denen man zum Gospelchor seinen Humor unter Tränen findet37, bezeichnen in der Verwerfungsbewegung zwischen Melancholie und Witz dasjenige Spiel, das nicht zu spielen ist.38 Daran ist weder in der Serie noch beim Fast Forward etwas witzig oder neu, und so tanzt als Unbewußtes des Gesetzes von Ally McBeal, d.h. als Position, die nicht in der Rechtssprache Ally McBeals artikuliert werden kann39, aus dem Gericht k/eine kooky parade40, der Humor und seine Verhandlung verordnet wird.
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