Die Fabel ist einfach: Ein Liebespaar verbringt den Herbst ihres Lebens im ewigen Sommer der Costa del Sol. Aus sowohl geografisch als auch historisch weiter Entfernung kommt eine Gefahr für die Idylle. Gewalt bricht ein, wird gewaltsam abgewehrt und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie sich noch heute.
In den frühen Filme von Hal Hartley ging es darum, wie die Bedingungen sein müssen, damit ein Mann und eine Frau zusammen bleiben können. In SIMPLE MAN etwa liess er in einer analytischen Versuchsanordnung á la Brecht bei dem älteren der Heldenbrüder den Groschen allmählich fallen, dass delinquentes Verhalten nicht etwa der Verbesserung der materiellen Lage sondern stets auch als eine im möglichen Sinne des Wortes "Ausflucht" dient, nicht bei der Frau bleiben zu müssen. Nachdem der letzte Groschen gefallen ist, beginnt der Eintritt in eine ernsthafte Liebesbeziehung mit der Verhaftung: "Don’t move!" Hatten wir es bei Hal Hartley mit ernsten Fragen zum Thema Liebe vor dem Hintergrund des Erwachsenwerdens zu tun, so behandelt SEXY BEAST ähnliches vor dem Hintergrund des Erwachsenseins. In den USA scheint sich für diese Art von Filmen inzwischen eine Genrebezeichnung durchgesetzt zu haben: Viagra-Commedy.
Gary "Gal" Dove (Ray Winstone) war verhaftet worden, hat mit den anscheinend so männlichen Verhaltensweisen als Gangster und Männerbündler gebrochen und hat sich nach seiner Entlassung zusammen mit seiner Frau Deedee (Amanda Redman) in Südspanien niedergelassen. Weit weg von der Vergangenheit leben sie ihre Liebe, so einfach und kitschig, dass man meinen möchte, sie seien noch nicht konfirmiert. Aber Regisseur Jonathan Glazer denunziert nicht, und wenn wir während der Ouvertüre sehen, dass sich Gal’s ganzes Glück bereits einstellt, wenn er nur am Pool in der Sonne liegen, Cocktails trinken, sich gelegentlich ein paar Eiswürfel in die Vorderseite der erhitzten Badehose stecken und vor allem an seine Frau denken kann, dann bekommen wir für Besserwisserei keinen Grund. Im Gegenteil: nach der Ouvertüre ist das Herzchen-Mosaik am Boden des Pools zu glaubhaftem Symbol und Inhalt der Liebe zwischen Gal und Deedee geworden.
Dann wird der Konflikt eingeführt. Noch im Vorspiel als ein rollender Felsbrocken, der Gal nur knapp verfehlt, am Grunde des Schwimmbeckens das Mosaik zerdrückt und mit vereinten Kräften und einigem Aufwand entsorgt werden kann. Dann kommt Don "Malky" Logan (Ben Kingsley) angerollt. Aus England eingeflogen wird er von Gals Freunden Aitch (Cavan Kendall) und Jackie (Julianne White) im Auto vom Flughafen abgeholt. Logan schaut nicht links, nicht rechts, lässt sich durch keinen landschaftlichen oder auch körperlichen Reiz ablenken, denn er weiss genau was er will. Die Uhr soll zurück und der Männerbund wieder her gestellt werden. Revival des film noir, und die wenigen dazu notwendigen Grenzpfähle werden per Botenbericht eingeschlagen: Oberster Obergangster Teddy (Ian McShane) plant den ultimativen Coup und reaktiviert dazu sein old-boy-network. Durch den Dampf des türkischen Bades will er in den Tresor der vom Liebhaber (James Fox) verwalteten Bank. Ihn hatte er am Rande einer "Ausschweifung" kennen gelernt, und Werbefilmer Glazer schreibt es sehr prägnant Kubrick noch posthum hinter die Ohren: Orgien auf der Leinwand sind die des Hörensagens und mithin todlangweilig. Das findet auch Gal, und warum sollte er sein wirkliches Glück gegen das scheinbare einer spätpubertierenden Räuberbande eintauschen. Doch noch bestimmt Don das Gespräch, und Gal kennt noch nicht die strategisch richtigen Argumente. Damit das Drama seinen Lauf nehmen kann, muss Gal das Richtige im falschen Augenblick sagen, etwa, dass Don in Wahrheit Jackie liebe und sich nichts sehnlicheres wünsche, als an ihren Brüsten den Lebensabend zu verdämmern, selbst wenn es an der Costa del Sol sein müsste.
Diese Bemerkung über den Kern der Verdrängung sitzt, und so sitzt Don auch sehr bald im Flieger und raucht. Da es inzwischen an Bord von Linienflugzeugen verboten ist, über Einsichten der Psychoanalyse zu rauchen, kann die Maschine nicht starten. Bei der Vernehmung zeigt Don, dass ihm die Argumente und Verfahrensweisen der Diskussion über Verdrängung durchaus schon einmal begegnet sind, und er stilisiert sich zum Opfer einer verklemmten homosexuellen Attacke durch das Flugpersonal.
Er darf darauf hin die Arrestzelle in Richtung der Villa Gals zu einer zweiten Runde wieder verlassen. Die endet für ihn tödlich, und weil mit Dons Auftraggebern nicht zu spassen ist, muss Gal jetzt doch nach London, das Ding drehen und vor allem den Ahnungslosen in Bezug auf den Verbleib Dons geben. Während das eine nach Plan verläuft und als der Mühen Lohne viele Reichtümer dieser Welt durch den überfluteten Tresorraum schweben, sieht es für den zweiten Teil des Vorhabens darum eher düster aus. Teddy sieht klar und damit hängt Leben und Glück eines Paares in Spanien an einem seidenen Londoner Faden. Weil ihm aber an der Aufrechterhaltung seiner eigenen Lebenslügen mehr gelegen ist als am Schicksal Dons, schiesst der Gangsterboss doch lieber seinem Lover in den Kopf. Gal schaut überrascht zu und ahnt, dass da gerade ein Kelch an ihm vorüber gegangen war. Er wird mit einem materiell kärglichen Anteil ausbezahlt, bekommt aber sein Leben geschenkt. Das wird er dann wieder im sonnigen Spanien verbringen, an der Seite Deedees, der er heimlich ein paar wertvoller Ohrgeschmeide aus der Beute unterschlagen hat, denn "diamonds are girl’s best friends". Unter dem restaurierten Herzchen-Mosaik am Grunde des Pools liegt jetzt Don begraben, doch die Unterwelt ist damit nicht tot, sondern sie wird in Tag- und auch Alpträumen weiter leben und sie wird uns Zigarette rauchend zu zwinkern.
SEXY BEAST ist der erste Spielfilm von Jonathan Glazer, der bislang in erster Linie durch Werbefilme und Musikvideos auf sich aufmerksam gemacht hat. Eine deutliche Werbeästhetik findet sich denn auch in den präzise angeordneten Farben mancher Einstellungen, die in ihrer zeit- und mühelosen Entrücktheit an die Kampagnen für Lord-Extra erinnern, nur ein wenig in Richtung Neon verschoben. Die Bezüge der Personen des Dramas werden dagegen in vom Bildaufbau her eher klassischen Einstellungen verdeutlicht, bei denen die Regie etwa auch vor dem Problem stand, dass Ben Kingsley zwei Köpfe kleiner ist als Ray Winstone und das darum gleiche Augenhöhe zwischen den beiden weitgehend nur in sitzenden Arrangements oder im Brustbild hergestellt werden kann. Die durch den Wechsel von Schärfepunkten im Raum erzeugte Struktur von Vorder- und Hintergrund gehört ebenfalls in das Repertoire des künstlerischen Films, wobei es wohl das Berufsgeheimnis des mit Glazer seit langem verbundenen Kameramanns Ivan Bird bleiben wird, wie er eine Aufblende gegen den gleissenden Himmel hinbekommen hat und wie es ihm gelungen ist, in südspanischer Mittagssonne die Blende weit genug auf zu lassen, den Subtext eines Dialoges über die Schärfentiefe zu erzählen. Eine Revue von Kabinettstückchen in Bild, Montage, Schauspielerei und Erzähltechnik, doch allesamt eingebettet in ein Drehbuch von Louis Mellis und David Scinto, die zusammen bislang 1997 ein Drama Gangster No. 1 auf die Bühne gebracht haben. SEXY BEAST ist ihr erstes für die Leinwand geschriebenes Drehbuch, und es besitzt ein eher für Bühnenstücke typisches Verhältnis von Konflikt und Gewalt. Den Konflikt als existentiell glaubhaft zu machen, nimmt sich der Film die nötige Zeit. Die Gewalt dagegen taucht dagegen plötzlich auf, als zu Tal rollender Fels oder als eine gemeinschaftliche Ermordung des die Lebensumstände des Ensembles gefährdenden Don Logan.
Jeremy Thomas, als Produzent bislang vor allem in Zusammenhang mit Bertolucci, Roeg, Oshima und Cronenberg bekannt geworden, sorgt zudem für einen Gesamteindruck, der mehr an Oper erinnert als an die Neonversion eines film noir, der SEXY BEAST über Teile der Handlungsebene zu sein vorgibt. Verdrängung und Verklemmung, erfüllte und enttäuschte Liebe sind als Motive sehr viel stärker als die möglichen Inhalte von Banktresoren, die, wie uns der Film zeigt, gelegentlich auch mal eine halb leere Schachtel Zigaretten enthalten können. SEXY BEAST zeigt die Liebe des Simple Man nach der Entlassung aus der Haft. Wenn sich nach 90 Minuten die Suche nach Bildern dieser Liebe, die treffender sind als ein Herzchen-Mosaik zu einem Song von Harry Belafonte, als vergeblich erwiesen hat, dann ist die Gefahr einer Enttäuschung hierüber längst der Einsicht in die Erschwernisse und Möglichkeiten des Erwachsenseins gewichen.