Montage eines Ereignisses
"Denn die Wiederholung annulliert unser Selbstverständnis als originales Ich, eine Erfahrungsfähigkeit jenseits dieses Ichs wird damit erst freigesetzt." 1 Heide Schlüpmann
"Die Treue gegenüber Ereignissen der Vergangenheit gibt sich oft praktischen Prozeduren hin – Organisationen, Stellungnahmen, einem Aktivismus, der die Erinnerung an die Dinge bewahrt." 2 Alain Badiou
Diese Besprechung der Frankfurter Frauen Film Tage 2018 setzt zu einem Zeitpunkt ein, zu dem die erste Edition von REMAKE schon zu weit zurückliegt, um als tagesaktuelle Rezension zu gelten. Meine von den Erfahrungen vor Ort geprägten Erinnerungen verschwimmen mit den Erzählungen anderer, den Nachbesprechungen und theoretischen Überlegungen, sodass ich für meine Ausführungen eine Strategie wählen möchte, die dem Festival selbst zugrunde zu liegen scheint: die der Wiederholung des Vergangenen zum Zweck der Erneuerung. Als männlich identifiziertes Subjekt erscheint mir meine Perspektive limitiert, weshalb ich zunächst meinen Enthusiasmus für REMAKE beschwören möchte, um mich begleitet von der Hoffnung mehr über das subversive Potential dieser Frankfurter Frauen Film Tage wiedergeben zu können, als es dieses „originale[] Ich“ (Schlüpmann 1998: 107) hätte tun können, ein zweites Mal in die Frankfurter Kinosäle zu begeben. Vorher eine letzte Reflexion.
In ihren theoretischen Überlegung zur Programmierung von Filmfestivals versteht Heike Klippel das Filmprogramm als ein sich in der „episodischen Ereignisstruktur und der Heterogenität des Gezeigten“ manifestierendes Gesamtkunstwerk , dessen innerer Zusammenhalt – seine Identität – nicht durch das Kuratorium, sondern einzig über die Rezeption des Publikums beschrieben werden kann (Klippel 2008: 10). Diese Programmierung montiert nicht nur Filme aneinander (ebd.), sondern gruppiert auch (Kino-)Räume, Institutionen und mediale Kanäle der Öffentlichkeit, diverse Archive, aber vor allem Subjekte und ihre Körper, Wahrnehmungen und Wünsche, setzt sie in eine spezifische Beziehung, die den affektiven und informativen Charakter des Ereignisses zeichnet. Im Widerstreit mit seiner programmatischen Intention richtet sich dieses Ereignis mit der Bitte an sein Publikum, „in einer assoziationsstiftenden Rezeption“ vollendet zu werden (ebd.). In diesem von kuratorischer Intention und dem Werben um das Publikum beschriebenen Spannungsfeld situiert sich das Filmprogramm dialektisch als Medium der Information und des Affekts. Das von Heike Klippel diagnostizierte Ringen um Identität eines Festivals prägt im Folgenden auch meinen (zweiten) Blick auf REMAKE.3
Eine ausführliche Programmbroschüre und eine zusätzliche Publikation gaben mir schon während des Festivals einen sehr präzisen, ausgeprägt kultur- und medienwissenschaftlich gezeichneten Einblick in die Zielsetzungen der Kuration. Diese setzte, dem Paradigma größtmöglicher Heterogenität folgend, der patriarchalen Projektion einer naturalisierbaren, kategorischen Identität, die Vielheit der Kategorie ‚Frau‘ und ihrer (Film-)Geschichte(n) entgegen. Explizit politisch präsentierte sich die Intention der Kuratorinnen als eine kritisch-emanzipatorische Geste der Dekonstruktion patriarchaler Wissens- und Gesellschaftsordnung, zugunsten der filmischen Repräsentation der durch Patriarchat und Kapital marginalisierten Frauen* der Geschichte. Anhand der selbstgesetzten programmatischen Schwerpunkte ließ sich die Heterogenität dieses Anliegens nachvollziehen. Ungefähr die Hälfte der ca. 40 Veranstaltungen konnte dem Themenfeld 50 Jahre Feministische Filmarbeit zugeordnet werden. Ein zweiter inhaltlicher Schwerpunkt war das Jubiläum 100 Jahre Frauenwahlrecht. Gemeinsam markierten beide Felder den Blick in die Geschichte auf je spezifische Weise. Zum einen bot das auf den Beginn des 20. Jahrhunderts schielende Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht die Möglichkeit, Darstellungen historischer feministischer Bewegungen von den Suffragetten (z.B. SUFFRAGETTE DERBY OF 1913 (GB 1913), MASS MEETING OF SUFRAGETTES (GB 1910), DIE SUFFRAGETTE. MIMISCHES SCHAUSPIEL (DE 1913), über den Kampf der zweiten feministischen Bewegung gegen den Abtreibungsparagraphen § 218 (DAS HAT MICH SEHR VERÄNDERT (DE 1976)) bis hin zum gegenwärtig noch immer zu erkämpfenden gesellschaftlichen und politischen Einfluss von Frauen* weltweit (SPEAK UP/OUVRIR LA VOIX (FR 2017)) nachzuvollziehen. Zum anderen offenbarte die Sichtung der im filmgeschichtlichen und -industriellen Kanon noch immer unterrepräsentierten feministischen Filmarbeit und ihrer Geschichte das Ringen um das eigene (Film-)Bild, aber auch den Kampf um die eigene Wahrnehmung und deren gesellschaftliche Anerkennung, die vor allem zu Beginn der zweiten feministischen Bewegung im Zentrum stand. Beide Perspektiven schienen sich ineinander zu spiegeln, sofern in der programmatischen Darstellung sowohl das erste feministische Aufbegehren vom aufkommenden Medium Film, und das Selbstverständnis feministischer Filmproduktion ab Mitte der 1960er Jahre wiederum von einem explizit politischen Bewegungscharakter begleitet wurden. Hierin entspannte das Filmprogramm eine interessante Dynamik zwischen politischem Bewegungsfilm als Dokument und Agitation (MOUVEMENT DE LIBERATION DES FEMMES IRANIENNES, ANNEE ZERO (FR 1979), WHOSE CHOICE? (GB, 1975)), spielerisch ästhetizistischen Filmexperimenten auf der Suche nach einer anderen Bildsprache (PIANETA VENERE (IT 1972), TWO RIGHT, TWO LEFT, ONE DROP (DE 1981)) und der feministischen Aneignung von eingeübten Sende- und Produktionsformaten (DANCE, GIRL, DANCE (US 1940), FÜR FRAUEN 1. Kapitel. Ein Film von Frauen für Frauen gemacht (DE 1971), SWING SONG (GB 1984)). Manches Mal schien sich diese Ordnung in den aufgeführten Filmen spielerisch zu überlagern bzw. vor den eigenen Augen aufzulösen. Genre oder Zeitraum stellten keine Begrenzung dar, so wurden im Programm in ebenso spielerischer Manier Kurzfilm an Langfilm, an Kürzest-Film und umgekehrt; indische an italienische, an sowjet-russische Produktionen gereiht. Die ästhetischen, politischen, filmischen und historischen Bewegungen ließen kategorische Implikationen implodieren.
Einen Zugang zur genreübergreifenden Seherfahrung eröffnete die Schwerpunktsetzung auf Spiel- und Experimentalfilm, deren generische Abgrenzung voneinander ebenso polymorph auftrat wie die Akteure des Spiels selbst. Durch eine Betonung des spielerischen Begehrens, des frei-assoziativen Umgangs mit den Mitteln der Inszenierung und der Produktion ließen auch Filme, die in ihrem politischen Anliegen noch so schwer wogen, die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von politischer Arbeit und Lust aufkommen.
In diesen Kontext fiel die Werkschau Recha Jungmann, die neben dem Surplus der Restaurierung und Wiederaufführung der in Archiven verschwundenen Filme der Autorin mit einer ästhetischen Aufhebung dichotomer Denktraditionen von Privatem und Politisch-Öffentlichem, Familiärem und Gesellschaftlichem, bzw. Lokalem und Globalem überzeugte. In den Bildern ihrer semibiographischen Erzählungen wurden sowohl die Schärfe festgefahrener Polaritäten zwischen Subjekt und Gesellschaft im Weichzeichner der Ambivalenzen aufgelöst, als auch die Vielschichtigkeit der von Jungmann selbst gespielten Figuren zur Schau gestellt. Dieser atmosphärische Eindruck einer BRD zwischen Antiatombewegung, Geschichtsaufarbeitung in der Familie und neuen Dandy-Vätern mit alt-patriarchalem Kontrollzwang, rief noch einmal die besondere Bedeutung des Kinos in der Betrachtung (film-)historischer Erzeugnisse ins Bewusstsein: Das gemeinsame, sinnliche Erleben filmischer Vergegenwärtigung von Geschichte in der Intimität des Darkrooms. Eine kollektive Revision bestehender Geschichtsbilder.
Die der feministischen Bewegungs- und Filmgeschichte entsprungenen Bilder vermochten es, vergleichsweise trockene Begriffe der Geschichtsschreibung in erfahrbare Gestalten einer wiedererlebten Erinnerung zu verwandeln, während sie die Katalysatoren der gekonnten Setzung der Kuratorinnen Heide Schlüpmann, Karola Graman und Gaby Babic durchliefen. Entsprechend der eingangs gegebenen Ereignisdefinition zog das Filmprogramm dabei ein enges Band um sein Publikum und brachte es dazu, die Identität dieser historischen und audiovisuellen Bewegungen als Fragmente der eigenen nachvollziehenden Wahrnehmung im Puzzlespiel feministischer Historiographie zusammenzusetzen.
Neben den erwähnten, aus Archiven hervorgezauberten historischen Spiel-, Experimental-, Dokumentar- und Agitationsfilmen waren auch zeitgenössische Produktionen (DIE GÖTTLICHE ORDNUNG (CH 2017), SPEAK UP/OUVRIR LA VOIX (FR 2017), WHAT HAPPENED, MISS SIMONE? (US 2015)) zu sehen. Vom Standpunkt der Gegenwart aus warfen sie den Blick zurück in die Vergangenheit und boten damit auch jenem Publikum einen Zugang zur Geschichte, das eher mit den Wahrnehmungsmodi von Netflix-Produktionen vertraut ist. Darüber hinaus gab es Gelegenheit sich über die Filme auszutauschen. Mal mit Rückhalt durch anwesende Regisseurinnen und Expert*innen, mal auf sich allein gestellt, konnte das Publikum in einer im technischen Ablauf angenehm losen Atmosphäre über Gesehenes und Unerhörtes sprechen.
Mit dem Women’s Event 1972 des Edinburgh International Film Festival, dem letzten Schwerpunkt, den die Programmierung vorgab, wurde die Aufmerksamkeit von der Attraktion der Filme auf die des Ereignisses selbst gelenkt: die Geschichte der internationalen Frauen Film Festivals. Darin bewies sich nicht nur erneut der Sinn für heterogene Programmgestaltung und Abwechslung, sondern auch das Bedürfnis nach Erinnerung, anders gesagt, die Würdigung der historischen Pionierarbeit von Filmemacher*innen und Kurator*innen, hier prominent vertreten durch Laura Mulvey und Kathi Kamleitner. Entgegen meiner Erwartung wurde ausgesprochen wenig in nostalgischen Glorifizierungen geschwelgt, sondern im Gegenteil eine Perspektive für die Zukunft solcher Festivalformate entworfen, die im Rückgriff auf erlebte Widrigkeiten der Vergangenheit begründet wurden. Der ideelle Rückhalt solcher Koryphäen wie Mulvey schien ein willkommener Zuspruch für die Arbeit der jüngeren Generation von Festivalmacher*innen zu sein. Dies schien in Anbetracht des noch immer existenten inhaltlichen Legitimationszwangs (queer-)feministischer Filmfestivals und virulenten Finanzierungshindernissen mehr als verständlich.
Auch in den filmwirtschaftlichen Veranstaltungen ließ sich eine Hinwendung zu den materiellen Bedingungen erkennen. Diese zeugten durch Networking-Aktionen und selbstkritische Vorträge von betrieblichem Pragmatismus und Realismus, wenn es um die Frage der Zukunftschancen von Frauen* im Arbeitsfeld der Filmkultur und -industrie ging. In beiden Fällen lässt sich die Frage nach der Adressierung des Publikums und seiner generationellen, beruflichen, sozialen und ethnischen Durchmischung stellen. Wer sollte durch solche Veranstaltungen adressiert werden? Zunächst möchte ich den Versuch würdigen, für eine Durchmischung zu sorgen und halte dafür neben der Diversität der gezeigten Filme die räumliche und zeitliche Dezentralität des Programms hoch. So fand neben den Festivaltagen, die sich an ein filmwissenschaftliches Publikum zu richten schienen, das REMAKE on Location statt. Jenseits der Frankfurter Spielstätten wurden Kinos im Umland in insgesamt längerer Festivaldauer einbezogen. Wurden an den zentralen Festivaltagen die Hauptspielstätten bespielt, d.h. der museale Kontext (Kino im Deutschen Filminstitut und Fernsehmuseum) und Orte mit Nähe zur eigenen Traditionsbildung – im studentisch-akademischem Umfeld der Filmklubs der BRD (Pupille – Kino in der Uni), entstand mit der Verlagerung auf die lokalen Spielstätten ein anderes Bild der bespielten Öffentlichkeitsstrukturen sowie des adressierten Publikums. So verließ das Festival den akademisch konnotierten Spielraum und wendete sich den kommunalen Kinos (Filmtheater Friedrichsdorf-Köppern), den Liebhaber-Spielstätten (Mal Seh’n Kino) und (Orfeos Erben), aber auch den staatlich (Murnau-Filmtheater Wiesbaden) und kirchlich (Evangelische Akademie Frankfurt) getragenen Kulturinstitutionen zu.
Ebenso legte das Programm das filmwissenschaftliche Rüstzeug der zentralen Festivaltage ab. Den Jubiläumsschwerpunkten wurde mithilfe von Sonderveranstaltungen („Erobert das Stimmrecht, meine Schwestern!“ – mit Hedwig Dohm) ein vermittelnder Rahmen gegeben. Das interessierte Fachpublikum verblieb in den genannten Kinosälen Frankfurts und das Festival fand im Umland ein eventuell weniger kenntnisreiches aber ebenso kinoverliebtes Publikum.
Ohne auf eigene Erfahrungen mit der Frankfurter Kinokultur zurückgreifen zu können, schien mir die Ortswahl ein potentielles Ausschlusskriterium für unbewusste Filmgänger*innen und damit auch des von Organisatorin Heide Schlüpmann theoretisch verfochtenen Massenpublikums zu sein (vgl. Schlüpmann 2004).4 Auf den ersten Blick kam in Frankfurt, entgegen des in der Programmbroschüre geäußerten Wunsches nach Vielheit, eine größere Menge von miteinander vertrauten Personen zusammen. Diese Tendenz wurde nur zeitweilig durch ein sozial durchmischtes, jüngeres Publikum abgelöst. Hierin könnte ein kleiner Hinweis auf die Lockerungen der teilweise sehr an kulturbürgerlichem Publikum orientierten Orts- und Preiswahl liegen. Wirft man allerdings einen realistischen Blick auf die Genese eines Kinofestivals mit historisch-feministischem Anliegen, dann sind sowohl Finanzierungsschwierigkeiten, vor allem durch die Beschaffung, Lizensierung und Restaurierung historischer Filmbestände bzw. schlecht oder gar nicht archivierter (Frauen*-)Filme, als auch die technischen Bedingungen und Kosten der Sichtungsorte zu berücksichtigen. Sicherlich läge eine Herausforderung darin, für das kommende REMAKE 2019, die Cineplexx, Cinemaxx und diverse subkulturelle Spielorte aufzusuchen und damit ein anderes Publikum zu mobilisieren. In Unkenntnis über die eventuell bereits getätigten Versuche der Organisator*innen möchte ich es hierbei belassen und stattdessen versuchen den institutionellen und gesellschaftlichen Kontext zu beleuchten, um zu den subversiven und emanzipatorischen Potentialen des Festivals zu kommen.
Die institutionelle Einbindung des Programmschwerpunkts 100 Jahre Frauenwahlrecht in die parallel stattfindende Ausstellung Damenwahlrecht! des Historischen Museums Frankfurt a. M. zeugte von den Bestrebungen der Frankfurter Kulturinstitutionen feministische Geschichte aus den Archiven linker Counter-Culture heraus- und in die Institutionen kanonischer Öffentlichkeit hereinzuholen. Dafür steht auch die Finanzierung beider Veranstaltungen sowohl durch das Frauenreferat der Stadt Frankfurt a. M. als auch das Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Hinzu kommt eine dem gemeinsamen Anliegen innewohnende Forderung nach Öffentlichkeit und Sichtbarkeit von Frauen und ihrer Geschichte, die in der gemeinsamen Repräsentation durch zwei einschlägige Kulturinstitutionen noch mehr Resonanz- und Sichtungsraum gewinnen konnte.
Ein zweiter Anlass, in diesem Fall für die Schwerpunktsetzung 50 Jahre Feministische Filmarbeit, lässt sich an den im Jahr 2018 zahlreich stattgefundenen Jubiläumsveranstaltungen zu 50 Jahren Studierendenbewegung 1968 festmachen. In diesem Kontext rückte REMAKE 2018 mit dem klaren Ziel an, das öffentliche Bild der 68er aus einer feministischen Perspektive zu stürmen und vom „anderen 68‘“zu erzählen – einer unerhörten Geschichte (Schlüpmann/Haller 2018: 7) – besonders im Vergleich zur gefühlten Dauerpräsenz der meist heroisch, selten auch mal selbstkritisch anmutenden 68er-Geschichten der revoltierenden Söhne. Diese wateten nicht selten mit kommunardischen Haremsphantasien und thymotisch-toxischen Kämpfermythen im Kopf durch ähnlich patriarchale Sümpfe wie ihre Väter. Mit der Repression sexueller und gesellschaftlicher Emanzipation von Frauen* in der Alltagspraxis alternativer Lebenskulturen ging auch die Missachtung (revolutionärer) Arbeit von Frauen* (in der Fabrik wie politisch wie privat) oder schlichtweg die Ignoranz gegenüber der Emanzipation der Frauen* als revolutionärem Ziel einher. Nach diesem historischen Betrug an den Idealen universalistischer Emanzipation und nach 50 Jahren 68er-Elogen war es wohl endlich einmal angebracht, die Retrospektive auf dieses historische Ereignis durch und über die Augen von Frauen* laufen zu lassen. Das männliche Primat in der Geschichtsschreibung sollte im Filmprogramm auch gerade dadurch dekonstruiert werden, das feministische Begehren nach gesamtgesellschaftlicher Veränderung im Spiegel eigener Aktionsformen als dezidiert unabhängiges zu präsentieren.
Dem Film kommt dabei eine besondere Rolle zu. Denn während die in Form von Tagungen und Publikationen mittlerweile denkmalhaft gewordene Erinnerungsarbeit Geschichte in einer Historiographie der abgeschlossenen Episoden abbildet und in sicherer Distanz zur schmerzlichen Erinnerung an die verlorenen Kämpfe und unversucht gelassener revolutionärer Koalition mit den feministischen Bewegungen bleibt, fließt im Kontext von REMAKE 2018 die filmische Repräsentation eben jenes ‚anderen 68‘ mit der durch Kino- und Archivfilm vergegenwärtigten Geschichte zusammen. Zielt Historiographie in ihrer Struktur ‚fester‘ Kategorien einerseits auf eine Institutionalisierung des Ereignisses ’68, lässt sie sich andererseits mit Luce Irigaray als Teil jener patriarchalen Rationalität fassen, in der nur die ‚festen‘ Dinge Referenz und Repräsentation erfahren (vgl. Irigaray 1979: 114). Aus dieser ausgeschlossen, artikuliert sich die Kategorie ‚Frau‘ als nicht repräsentierte, ‚flüssige‘ Identität und geht darin eine sowohl metaphorische, als auch eine historische Verbindung mit dem Film ein. Dieser weist in seiner medialen und phänomenologischen Eigenheit auch im Umgang mit Geschichte eine Beweglichkeit auf, die mit Blick auf die geschilderte Historiographie eines revolutionären 1968 rahmensprengend ist. Mit einem Seitenblick auf die (für Frauen*) nicht eingelösten revolutionären Versprechen fordert das Festival so die Revision: „Remake will die vergangene Geschichte vergegenwärtigen, so kann damalige Bewegtheit auf die eine oder andere Weise zu einer neuen Wirkung gelangen.“ (Schlüpmann/Haller 2018: 8)
In diesem Kontext platzierte das Programm historische (Er)Zeugnisse feministischer Film- und Revolutionsarbeit, die ein besonderes Verhältnis von politischem Kampf, Gemeinschaftssinn und lustvollem Spiel aufwiesen. Folgt man Helke Sanders interventionistischer Rede beim SDS 1968, dann scheint auch dieses Verhältnis zur eigenen Lust- und Spielfähigkeit ein ausgeprägtes oder zumindest propagiertes Distinktionsmerkmal feministischer Bewegungsarbeit, gerade in der Abgrenzung von den dogmatischen Genossen und ihrem „Klassenkampf“ mit „Orgasmusschwierigkeiten“, gewesen zu sein (Sanders, 1968).5 Dieses in Filmen wie Für Frauen. 1. Kapitel. Ein Film von Frauen für Frauen gemacht (DE 1971) oder I CANNIBALI (IT 1969) gezeigte Bedürfnis nach dem Spiel mit sozialer Rolle, Genre, Material und Format der Filmproduktion, schien demnach nicht nur historisch situiert zu sein, sondern fand auch seine Übertragung in die Ausgestaltung des Filmprogramms und in die Wahrnehmung des Publikums. Das Kino trat als Ort politischer Verhandlung hervor und trieb in multi-chromatischen Visionen in Technicolor (Georgie Girl [GB, 1966]) oder dem zerstreuenden Geflacker der TV-Testbilder der BBC-Serie Hang on a Minute den Nachvollzug der in ihrer medialen und ideologischen Vielheit mäandernden „Schau der Ideen“ feministischer Geschichte voran und hinterließ den Eindruck eines diffusen (Schlüpmann 1998: 105) Wunsches nach Erfüllung des eben vorbeigezogenen Leinwandtraumes. Ein Traum, der von einer noch nicht abgeschlossenen Vergangenheit berichtete und in ihrer kinematographischen Vergegenwärtigung auch Zeugnis über die verlorenen Kämpfe gegen Repression und die uneingelösten Versprechen des Jahrhunderts der sozialistischen Revolutionen ablegte.
Frei nach Heide Schlüpmann konstituiert sich in der intimen Berührung mit Film und anderen Körpern zum einen die Gemeinschaft des kinematischen Dark-Rooms als „Publikum der Ohnmächtigen“, zum anderen findet das „nicht an der bürgerlichen Öffentlichkeit partizipierende“ Individuum hier seine „Subjekthaftigkeit“ wieder (ebd.). Es kann träumen, erfahren, wahrnehmend teilhaben und dadurch seine eigene Position im illusorischen, räumlichen und gemeinschaftlichen Gefüge finden. Diese Konfiguration der Erfahrung des ‚Ichs als (bürgerliches) Individuum‘ bietet noch einmal den subversiven Blick auf das Subjekt: Es entflieht im Kino dem gesellschaftlichen Ich und findet in Gesellschaft von Bildern und Körpern seine Wahrnehmung und damit sich selbst in einer ‚anderen Subjekthaftigkeit‘ wieder.
Was sich in dieser historischen wie dispositiven Struktur des Kinos artikuliert, ist der Entwurf einer Gemeinschaft der gesellschaftlich marginalisierten Subjekte. Diese Formation der, vom Standpunkt bürgerlicher Vergesellschaftung aus, als ‚die Anderen‘ gesetzten, bestand in seiner historischen Zusammensetzung nicht selten aus (Haus-)Frauen* (vgl. Schlüpmann 2011: 141). In Subversion der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft fand im Kino die Möglichkeit eines ‚anderen‘ Begehrens oder des Begehrens ‚anderer‘ Subjekte ihren Platz. Auf diese „Solidarität mit der Wahrnehmung der Anderen“ und damit einen universalistisch-emanzipatorischen Begriff des Kinos berief sich REMAKE 2018 noch immer (Schlüpmann 1998: 65). In der Beschwörung dieser gesellschaftlichen Antipoden wurde auch die Gesellschaft selbst ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Von Margaret Thatcher und dem Neoliberalismus Anfang der 1980er Jahre ihrer Daseinsberechtigung beraubt und gegen Familie und Individuum eingetauscht, forderte sie im Rahmen des Festivals ihr Existenzrecht ein. Vor den Augen der Mikrogesellschaft im Publikumsraum trat sie gerade in der historischen Kontinuität feministischen Ringens um gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung hervor. Mit einem gewissen Pessimismus war daher vor allem das Fortbestehen patriarchaler Rechts- und Gesellschaftsstrukturen zu konstatieren, die sich selbst an oberflächlichen Phänomenen wie dem bereits 1931 in CYANKALI (DE 1931) inszenierten, in den 1960ern abermals bekämpften und 2019 noch immer tagespolitisch aktuellen § 218 und § 219a StGB gegen selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche, bzw. Werbung dafür festmachen ließen. So deutete auch die im Programm bereitgestellte Mikroanalyse tendenzieller Krisenzustände westlich-liberaler Demokratien auf virulenten Antifeminismus und auf weltweit bestehende staatliche, juristische und kulturelle Repressionsstrukturen hin. Doch was hat sich seit den ersten Suffragetten-Bewegungen dann gewandelt?
Die Einbettung des Festivals in staatliche Förder- und Raumstrukturen zeugten etwa von gesellschaftlichem Wandel und wachsender institutioneller Anerkennung. Ebenso waren oberflächlich betrachtet die sozial Randständigen vom vormaligen Publikumsraum des Kinos in die historischen Repräsentationen der Filme gewandert. Doch der gemeinsame Nenner von Publikum und den marginalisierten Subjekten auf der Leinwand war unter den vom formalen Wandel der Klassen- und Rassenverhältnisse unberührten Erfahrungen in patriarchalen Gesellschaften zu suchen. Weniger in Ausschluss der Vielheit und Differenz dieser Erfahrungsräume denn in den zusammenführenden Kräften des Kinos beschwor das Ereignis REMAKE diesen Konsens als universell-emanzipatorische Perspektive gegen die Kontinuitäten des Patriarchats. Dabei blieb der Wandel in den Verhältnissen sichtbarer Begleiter sowohl in den äußeren Bedingungen des Festivals als auch im Aufzeigen der feministischen Kämpfe, die diesem zugrunde lagen.
Hoben die ‚Sirenen‘ in dem Möglichkeitsraum der aufgezeigten Geschichte noch so sehr zum Abgesang auf die patriarchale Gesellschaft an; erklangen im Nachhall der Bilder von Hexenverfolgungen in Italien (IL PROCESSO A CATERINA ROSS (IT 1982) und den Niederlanden (DIE STILLE UM CHRISTINE M. (NL 1982)) der Aufschrei mal entrechteter, mal solidarisierter Frauen*; fand sich in der noch immer erschütternden Stimme Nina Simones ein Echo des gewaltsam unterdrückten Ausdrucks Jahrhunderte währender Befreiungsbestrebungen und übertrug sich deren Emanzipationsgesuch noch so sehr in die Gegenwart der erinnerten und erfahrbaren Gestalten der Geschichte: Sie blieben doch notwendigerweise dem Moment des Flüchtigen, dem sich entrollenden Zelluloid verhaftet. Was also blieb von der Subversion der Aufschreie, dem emanzipatorischen Begehren ihrer Subjekte in der Abkehr von den Bildern? Welche Impulse zur Veränderung bekam jede*r einzelne Zuschauer*in? War da mehr als das Bewusstsein von der historischen Veränderbarkeit der Zustände, der Fragilität gesellschaftlicher Gegenwart, dem theoretischen Rüstzeug dekonstruktivistischer Kritik oder der vielgestaltigen Präsenz feministischer Geschichte?
Ja – Die fortwirkende Erinnerung an das Ereignis REMAKE 2018.
Im Fehlen der vorgeschriebenen Weisung in eine bestimmte Zukunft, der engen Einbindung des Publikums, ohne gegenwärtige Immersions- und Partizipationsmechanismen neuer Medien und installativer Raumdispositive, einzig über die temporäre Öffnung eines geschichtlichen Möglichkeitsraumes generierte das Ereignis seine philosophische und politische Bedeutung, die mit dem selbsternannten Sohn der Pariser Mai-Revolte und Alt-68er Alain Badiou dargestellt werden kann: „Ein politisches Ereignis ist etwas, das eine Möglichkeit auftauchen lässt, die der Kontrolle über das Mögliche durch die herrschende Macht entrinnt“ (Badiou/Tarby 2012: 19). Sowohl die Möglichkeit der Wahrnehmung von Geschichte und einer daraus herstellbaren Zukunft als auch der Viel- und Verschiedenheit der in Filmen und Filmprogramm artikulierten Identitätskategorie ‚Frau‘ wurden durch das Ereignis REMAKE sicht-, erfahr- und denkbar. Obwohl sie in die Förderstrukturen des Festivals eingebettet war und die staatlichen, musealen, kirchlichen, also kanonischen Institutionen nicht verließ, entzog sich die Erfahrung im Kinoraum nach wie vor der herrschenden Macht von Patriarchat und Zweckrationalität. Berief sich dieses Ereignis neben den ‚festen‘ Elementen der mobilisierten Archive, den Filmkopien, den Restaurierungsaufträgen, den Netzwerken von Distribution und Produktion, den vergebenen Geldern, den fachwissenschaftlichen Publikationen, doch vor allem auf die subjektiv definierten, situativen, ‚flüssigen‘ Güter, wie Bilder, Erinnerungen, Affekte und Ideen. Für Badiou gewinnt der Eindruck als „subjektive Rezeption“ des Ereignisses, seine Kohärenz durch „die Wahrheit [als] eine Arbeit, […] ein Prozess, der durch das Ereignis möglich gemacht wurde“ (Badiou/Tarby: 20). In seiner speziellen Einbindung des Publikums initiierte REMAKE diesen Prozess auf zweifache Weise. Zunächst in der wahrnehmenden Partizipation an Filmen und dem Festival-Ereignis und in der subjektiven (Re-)Produktion historischer Wahrheit, in der Vollendung ihrer Ereignisstruktur durch die Wahrnehmung, Erinnerung und Körper der Zuschauerinnen. Etwas von revolutionärem Pathos durchtränkt, meint die Verknüpfung von Ereignis und Wahrheit im Kontext des Filmfestivals nicht weniger als die Aktivierung des Publikums mit dem emanzipatorischen Gesuch der Geschichte – Dem Aufzeigen einer Möglichkeit des besseren Lebens. Auf dass in der gemeinsamen Erfahrung des Ereignisses, jedes Subjekt, angestachelt von seinem persönlichen Begehren, an der Schaffung neuer gesellschaftlicher Wahrheiten teilhat bzw. sich auf die erinnernde Suche nach einer gerechteren und freiheitlicheren Version davon macht. Zumindest scheint mir dies in Anbetracht zunehmender Aushöhlung der Demokratien und fortlaufender Existenz des kulturell, juristisch, ökonomisch und staatlich-institutionell manifestierten Patriarchats als eine wünschenswerte Perspektive politischer Teilhabe, vor allem gesellschaftlich marginalisierter Subjekte. Am Ende dieses Ereignisses angekommen tut sich eine letzte Lücke auf.
Die Frage nach der Identität des Ereignisses begleitete meinen Gang durch REMAKE 2018 stetig. Mit Heike Klippel wollte ich die Bedeutung des Publikums für die Identitätsstiftung des Filmfestivals als Ereignis hervorheben und sie in ihrer subversiven und emanzipatorischen Form darstellen. Die zentrale und heikelste Identitätskategorie von REMAKE ist die das ganze Filmprogramm durchziehende Kategorie der ‚Frau‘. Etwas abseits zeitgenössischer queer-feministischer Diskurse und Diskussionen wurde sie ganz ohne * gesetzt. Ein Ausschlusskriterium? Eine bewusste Positionierung? Verteidigung einer theoretischen Strömung oder gar unzeitgemäße Provokation? Zwar an diesen Diskursen anteilnehmend, aber als männliches Subjekt einen Blick aus der Erfahrung des Anderen werfend, untersage ich mir eine polemisierende Antwort darauf. Allerdings möchte ich entlang der in diesem Text nachgezeichneten und abstrahierten Erfahrungen nochmals die Besonderheit der aufgeführten, strukturellen Identitäts(de-)konstruktionen des Festivals in den Vordergrund stellen. Zum einen stand dort die formale Unbestimmtheit und in sich selbst nicht abschließbare Identität des Filmprogramms, zu deren finaler Formgebung immer das sich einer objektiven Setzung entziehende Moment der gemeinschaftlich erlebten Subjektivität im Kinoraum, also eine Vielheit von Perspektiven herangezogen werden musste. Die Herausbildung einer Identität bedeutete also deren gleichzeitige Auflösung in die subjektive Projektion und stellte damit von vorneherein seine eigene Konstruktion aus. Zum anderen lag in der Selbstbeschreibung des Festivals als Frauen Film Tage eine indirekte Aufforderung an das Publikum, das Erlebte in der Kategorie ‚Frau‘ zusammenzusetzen. Doch sowohl die erzählte Geschichte der Frauen*, als auch der erwähnte Modus einer sich selbst als formal undefinierbar darstellbaren Identität, verhinderten zu befürchtende Vereinheitlichung. Hierbei konnte es nicht nur um die Repräsentation einer Vielheit der Identitäten gehen, sondern einer sich im Verlauf des Festivals einstellenden Erfahrung von Nicht-Identität, bzw. der subtilen Forderung nach Auflösung der Identitäten, zumindest im Kinosaal. Die Flüssigkeit und Subjektivität dieser Nicht-Identität ging mit der ‚Solidarität mit der Wahrnehmung der Anderen‘ einher, also einem steten, inhärenten Verweis auf das jeweilig andere. Das andere der bürgerlichen Gesellschaft, das andere der Gegenwart, das andere des Patriarchats, das andere der Lust. Das Andere stand also immer im Zentrum dessen, was ich als Identität des Ereignisses beschrieben hatte. Diese Fokussierung auf die anderen Erfahrungen ermöglichte nicht nur mir in dieser Art und Weise über dieses ‚Frauen Film‘ Festival zu schreiben, sondern schaffte es auch mit und entlang dieser unabgeschlossenen, historisch vervielfältigten Identität der Kategorie ‚Frau‘, eine universalistische Perspektive der Emanzipation aufzubauen. Die ‚Frau‘ ist hier niemals das eine Objekt patriarchaler Projektion, aber auch nicht die allein in differentiell auseinanderdriftende Erfahrungsräume verschiedener Identitäten aufgelöste Nicht-Kategorie. Sie ist, wie sie sich zeigt und entzieht sich der Definitionsmacht bestimmter Kategorien. Ihre Kritik zielt auf die Auflösung der eigenen Kategorie zugunsten einer Subjektivität ab, die sich im Recht auf Sichtbarkeit, den eigenen Körper, die eigene Sprache, die eigene Geschichte gesellschaftlich abgrenzt und sich in der Lust am Anderen und dem ästhetischen Genuss in Bezug zu seiner Umwelt setzt. Der darin implizierte Gestus des Anderen kann mit Luce Irigaray in erhellendes Licht gerückt werden:
Die Frau würde also immer mehrere bleiben, aber vor der Verstreuung bewahrt, weil das Andere schon in ihr [ist]. Sie tauscht sich mit dem Anderen unaufhörlich aus, ohne mögliche Identifikation mit dem (der) oder dem (der) anderen. (Irigaray 1979: 33)
Bei Irigaray ist ‚Frau‘ noch als zu dekonstruierender Kampfbegriff feministischen Begehrens nach Universalität des eigenen revolutionären Anliegens, der gesellschaftlich und symbolisch repräsentierten, eigenen Subjektivität, aufgefasst. Solidarität mit dem/der anderen unter dem selbstentworfenen Begriff der ‚Frau‘. Einer Einordnung, die sich eben jener definitorischen Macht entzieht, die die herrschende war und ist. ‚Frau‘ entzieht sich somit kapitalistischer Kommodifizierung, genauso wie patriarchaler Objektivierung. ‚Frau‘ bedeutet die Kritik an Vergeschlechtlichung und Vergesellschaftung. ‚Frau‘ verweist den suchenden Blick auf die Offenheit sich selbst fortschreibender, realer Subjekte. Auf das Publikum und die darin versammelten Erfahrung der Anderen. Hier schließt sich der Kreis zwischen ‚Frau‘ und Ereignis und gibt ein Bild von dem, was REMAKE 2018 war. Offen bleibt die Frage, ob ‚Frau‘ als Sammelbegriff politischen Begehrens der/des anderen und im Rahmen des Filmprogramms, als dessen Identität, nicht aus der Zeit gefallen ist. Bewiesen werden könnte seine solidarisch sammelnde Wirkung allein, wenn in diesem Jahr die Palette der Begehren noch stärker erweitert würde. Auf der Leinwand und im Publikum. Dann vielleicht auch um jene *, die im Zentrum intersektionaler Theorie, aber nicht in dem des Festivals standen. Ziel kann es weiterhin bleiben, im Kinosaal gemeinsam aus dem Lauf der Zeit in die Geschichte zu fallen. Und zwar in jene fortlaufende Geschichte, die, solange es Subjekte gibt, nicht zum Ende, zur Identität mit der Gegenwart kommen kann.
Die Wirklichkeit dieser Kategorie wird auch in Zukunft durch die Wirklichkeit des anwesenden Publikums bedingt werden. Ob sich also in diesem Jahr das Versprechen nach ‚Queer Cinema‘, dem Gendersternchen an der ‚Frau‘, der subversiven Lust am Kino und dem politischen Möglichkeitsraum der Geschichte einlöst, hängt nicht nur von der offenen Setzung des Programms, sondern in gleichbedeutendem Maß vom Publikum ab. Nachdem ich all die Fragmente und Überlegungen im Anschluss an REMAKE 2018 nochmals durchgegangen bin, bleibt mir neben den aufgezählten Impulsen und Sehnsüchten vor allem ein Wunsch für das Ereignis REMAKE 2019 und seine noch immer subversive Form: Jene Gruppe Gleichaltriger und Gesinnungsgenoss*innen (natürlich auch die -gegner*innen), jene Publizität, jene internationale öffentliche Anerkennung und Bewerbung, die sonst eine Hito Steyerl in der Julia Stoschek Kollektion in Berlin, die Soli-Party im Kiez-Club, oder SUSPIRIA (IT/USA 2018) auf Amazon Prime und in allerlei Kinosälen bekommen. So könnten sich im Oktober 2020 all diese Subjekte, in ganz subversiver Art an REMAKE und seine Geschichten erinnern oder von den zerstreuten Gespenstern eines möglichen Aufbruchs erzählen.
Babic, Gaby/Gramann, Karola (2018) Remake. Frankfurter Frauen Film Tage (Programmbroschüre). Frankfurt a. M.
Badiou, Alain/Tarby, Fabien (2012) Die Philosophie und das Ereignis. Wien
Irigaray, Luce (1979) Das Geschlecht, das nicht eins ist. Berlin
Klippel, Heike (2008) „The Art of Programming”, in: Klippel (Hg.) “The Art of Programming” – Film, Programm und Kontext. Münster: 2008
N.N. (2011) Rede von Helke Sander (Aktionsrat zur Befreiung der Frauen) auf der 23. Delegiertenkonferenz des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes"(SDS) am 13. September 1968 in Frankfurt/Main, unter: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0022_san_de.pdf (26.10.2019, 16:28)
Schlüpmann, Heide (1998) Abendröthe der Subjektphilosophie – Eine Ästhetik des Kinos. Basel/Frankfurt a. M.
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