Kommentar zu Ridley Scotts BLADE RUNNER (USA 1982)
Wenn das Kino die Zukunft entwirft, dann mitunter in Szenarien, in denen die Zukunft schon keine Rolle mehr spielt, in denen alles in die Gefilde des Vorbestimmbaren und Vorprogrammierbaren eingegangen, der Unberechenbarkeit enthoben und einem Management unterstellt wird, das die Zukunftsdimensionen der Zeit zur Angelegenheit der Administration macht. Als Antagonisten dieses Regimes, das Unberechenbares unter seine Kontrollen bringt, treten dann nicht zuletzt selbstlaufende Rechenprozesse und sich automatisierende Schaltkreise auf. Sie geben dort, wo die Zukunft zu einem Problem der IT geworden ist, ein geeignetes Feindbild ab, gegen das Recht und Ordnung wiederherzustellen sind.
Wo ihnen indes nicht beizukommen ist, wo das Eindringen selbstläufiger und unkontrollierbarer Prozesse in die Ordnungen der Zukunftsgesellschaft nicht abgewendet werden kann, bietet das Kino zuweilen Inszenierungen gewaltgeladener Krisenszenarien an. Sie sind zugleich Anzeichen eines dramatischen Zusammenbruchs der feinmaschigen Architektoniken eines Machtapparates, der sich in subtilen Ausgriffen auf die Zeit sein Fundament setzt.
Zu beobachten ist ein solches Krisenszenario in BLADE RUNNER (USA 1982), in dem Replikanten – Vorzeigeprodukte der Robotik, die sich um einen einflussreichen Industriellen monopolisiert hat – zu unkontrollierbaren Agenten in eigener Sache werden. Nach einem Raubzug gegen ein bemanntes Raumschiff1 hat es eine Gruppe Replikanten des Serienmodells Nexus 6 auf die Erde verschlagen, um dort unterzutauchen. Das ist nicht schwer, denn sie gleichen dem Menschen aufs Detail und es bedarf erst aufwendiger Tests oder eben der Treffsicherheit eines Profis, um sie zu identifizieren und, falls notwendig, unwirksam zu machen.
Begegnet wird den Replikanten in BLADE RUNNER entsprechend gewaltsam. Auf sie angesetzt schaltet Ex-Blade Runner Rick Deckard (Harrison Ford), eigentlich pensioniert und alles andere als erfreut, als ihn der Auftrag erreicht, nach und nach die Mitglieder der Gruppe aus, noch vor ihrem Verfallsdatum, das ihnen durch den Hersteller der Serie eingeschrieben wurde. Vorgebeugt wird damit genau dem Szenario eines unkontrollierten Ausbruchs, das dem Film nun als Setting seiner aktionsreichen Handlung vorgegeben ist. Sie treibt ihre Zuschauer durch das Los Angeles um 2019 und damit durch eine Zukunft, die uns heute – 2019 – eingeholt hat.
Im Englischen Original wird die verordnete Hinrichtung als »to retire« bezeichnet: in den (Ruhe-)Stand versetzen, woran unschwer abzulesen ist, was es mit diesem Eingriff auf sich hat: Die Hinrichtung soll dem unkalkulierbaren Gang eines aus den Fugen geratenen Automatismus einen Ab-bruch bereiten und ihn aus der Generik seiner selbstlaufenden Entwicklung herausstellen. Dem Ausschalten scheint damit nicht zuletzt der Anspruch zu korrespondieren, die Ordnung wiederherzustellen und die Zukunft in Fug und Schach zu bringen. Denn dort, wo die Ordnungswidrigkeit der Zeit zum Widerstand aufbegehrt, lässt sich ihr eben nur durch ein entsprechend gewaltsames Ausschalten ihres Zukunftsteils entgegenwirken, mit dem die Gesellschaft der Zukunft gerade nichts zu schaffen hat. In den Verfolgungsszenen vor den Kulissen des futuristischen Untergrundmilieus will sich alsdann die kardiologischen Spur eines allgemeinen Herzstillstands durchsetzen, die ihren Ausschlag auf das stupide Ostinato eines „and walk, and walk, and walk“ reduziert, in dem die Gesellschaft der Zukunft ihr vorgegebenes Taktmaß findet. Jedes Heraustreten aus diesem wird indes hart bestraft. Der Eingriff des Ausschaltens, der hier als In-den-Stand versetzten, als Feststellung, Abbruch oder Unterbrechung operational in Anschlag gegen einen nicht zu kontrollierenden Austritt aus der Rhythmik der Ordnung gebracht wird, expliziert sich so eben auch als Angriff gegen eine nicht zu kontrollierende Zukunft und ihrer Übergriffigkeit auf die Ordnungen.
In BLADE RUNNER, so ließe sich festhalten, werden nicht nur ferne Planeten kolonisiert, es werden auch die Zukunftsbereiche der Zeit unter das Herrschaftsgebiet ausgriffiger Kontrollen gebracht. Nicht nur erleben wir den Film dann aber als das Einholen einer (damals zumindest) in der Zukunft gesetzten Datierung, die wir heute nach unserer kalendarischen Zeitrechnung einholen. Auch auf anderer Ebene wirft der Film die Frage nach dem Einholen der Zukunft auf und lässt sie bezogen auf den jüngsten technologischen Wandel aktuell werden. Verschlagwortet unter Begriffen wie AI oder Algorithmus hat dieser uns längst mit Technologie ausgestattet, die mit Ausgriffen auf die Zukunft an der Herstellung eines umfassenden Panoptismus arbeitet. Nie zuvor lieferten unsere technologischen Apparaturen schneller zukunftsweisende und marktorientierte Prognosen und arbeiteten so an der Erfassung gerade jener Bereiche, die sich der Berechenbarkeit entziehen.
BLADE RUNNER lotet damit auf gewisse Weise eine Entwicklung aus, in der die Regime der Macht zunehmend in Kanalisationen der Zeit ihr Fundament vorfinden. Den Begradigungen der Zeit korrespondiert damit nicht zuletzt der Anspruch, jeglichen Widerspruch gegen die Ordnung einzufrieden. Ihren Frieden findet sie erst, sobald alles ihr ab- oder entweichende eingeholt, eben zum Stillstand gebracht ist. Abschließend ist so eine der letzten Szenen des Films gleich in doppeltem Sinne. Dort nämlich segnet das letzte noch verbliebene Mitglied der Replikanten-Gruppe das Zeitliche und findet in seiner testamentalen Schlussrede, die mit den bekannten Worten „Time to die“ endet, weniger einen trostbringenden Priesterspruch, als einen scharfen Kommentar auf ein Verbrechen, mit dem sich das totalitäre Phantasma allumfassender Kontrolle an der Zeit ergeht.
Zugleich verzeichnet sich hier ein signifikanter (Ab-)Bruch der bis dato allen Kniffen und Kunstfertigkeiten spannungsreichen Aktionskinos folgenden Handlung. Denn einstweilen wird es in ihr auffallend still – eine Stille, die sich weniger akustisch als durch Stillstellung der Kamera ins Werk setzt –, um dem Ritornell eines Sterbenden zu folgen, in dem das unerbittliche Abrollen eines vorgeschriebenen Programms, das seinem Ende zukommt, Resonanz findet.
Die Dramaturgie des Sterbens, die sich bis hierher stufenweise inszeniert hat, beginnend mit einem Versteifen der Glieder des Replikanten, dem langsamen Einsetzen einer Totenstarre, kommt zu ihrem vorbestimmten (Ab-)Schluss. Das Ent-Eignis des Todes, das den Menschen – darauf hat Martin Heidegger hingewiesen – auf Zukunftsbereiche hin offenhielt und ihn auf den Um-wegen schwindelerregender Vereinzelung schon nicht mehr ganz auf sich selbst hatte zurückkommen lassen, sondern die Wunde eines uneinholbaren Bruches in ihn eintrug (vgl. Heidegger 1989: 17f), findet hier seine heilende Ersetzung in der unnachgiebigen Mechanik des Abrollens eines Programms, das dieses Ende längst in seinen Verfügungshorizont eingeholt hat. Strikt den Dramaturgien dieses vorprogrammierten Endes folgend, erinnert das seltsam den Aktionen enthobene Monologisieren des sterbenden Replikanten in BLADE RUNNER daran, wie sich heute selbst noch Zukunftsbereiche den Taxierungen unserer technologischen Apparaturen unterstellen und auf diese Weise Bereiche des Nichtverfügbaren zu Verwaltungsangelegenheiten machen. Die unermüdliche Arbeit an der Einkesselung einer unverfügbaren Zeit erfolgt hier gewiss nicht ohne den Verweis auf ihre Obszönität gegenüber der Ordnung. Doch ebenso wie an ihr Einfriedungen vorgenommen werden, die die unkontrollierten Ströme der Zeit kanalisieren, wird – so ließe sich mit Gilles Deleuze argumentieren2 – auch die Störung dieser Prozedur wiederum von der Zeit her auf uns zukommen, der jene revolutionäre Kraft des Werdens innewohnt, die den Begradigungen die Unruhen der Zeit entgegensetzt.
Deleuze, Gilles/Guattari, Félix (1992) Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin: Merve.
Heidegger, Martin (1989) Der Begriff der Zeit, Tübingen: Niemeyer.