5. - 8.April 2001, eine Tagung im Kino Arsenal, Berlin
In Abwandlung von John Baldessari, aber mit dem gleichen ironischen Unterton ließe sich dem Titel der Tagung hinzufügen: And no more boring art interpretation!
Gregor Stemmrich, Professor für Kunstgeschichte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, hatte zusammen mit den Freunden der Deutschen Kinemathek zu einem Symposion und Filmprogramm eingeladen, um Facetten des avantgardistischen Films seit den 50er Jahren in Augenschein zu nehmen. Befragt werden sollte ein "Bereich des Filmschaffens und der Auseinandersetzung mit Dispositiven des Kinematographischen, in welchem neue Konzepte der Betrachteransprache entwickelt und experimentell durchgespielt werden" (Stemmrich). Konkret anvisiert waren vor allem Filme aus den 70er Jahren von John Baldessari, Marcel Broodthaers, Robert Smithson, Michael Snow, Joyce Wieland, Morgan Fischer u.a., aber auch Installationen und Entwürfe von Künstlern, die sich in unterschiedlicher Form auf das Kino beziehen, wie Arbeiten von Dan Graham, Michael Asher, James Coleman oder Tony Oursler.
Gelungen war bei diesem Zusammenspiel von Kunst und Kino zuallererst die Wahl des Tagungsortes. Das neue Kino Arsenal brillierte wie selten als ein auf Kommunikation orientierter Ort, der sich vom erleuchteten Vortragssaal, ins Halbdunkel eines kunsthistorischen Seminars mit Diaprojektion und ins Ganzdunkel der Filmvorführung wandelte. Auf der Ebene der Lichtregie kommentierte so das Kino selbst nicht nur das Verhältnis von Kunst und Kino (White Cube und Black Box), sondern auch das Zwielicht der Räume der begleitenden Wissenschaften: den abgedunkelten Raum der Diaprojektion in der Kunstgeschichte und den (wieder) aufgehellten der Videovorführung in der Filmwissenschaft. Das Publikum wußte Einladung und Ort zu genießen und fand sich phasenweise so zahlreich ein, wie man es sonst nur von Filmfesten oder herausragenden universitären Veranstaltungen kennt. Wenn man dem Publikum lauschte, konnte man auch deutlich die unterschiedlichen Zugangsweisen vernehmen. Drei unterschiedliche Institutionen – Kino, Kunst und Universität – ließen sich als Rezeptionsweisen heraus hören, wobei sich letztere insbesondere durch lautes Zuschlagen der Saaltür akzentuierte.
In einem fulminanten Auftakt legte Raymond Bellour am Eröffnungsabend eine historische Skizze vor, die das Kinematographische in "before, with and after the cinema" gliederte. Die 'eigentliche Zeit des Kinos' erscheint dabei nur als eine kurze Spanne, die von der Einführung des Tonfilms bis zur Etablierung des Fernsehens als Massenmedium reichte. Die meisten der verhandelten Filme waren damit nachzeitig zum eigentlichen Kino situiert. Bellour problematisierte den unklaren Standort dieser Filme mit dem Begriff einer 'Ästhetik der Konfusion'. Selbst oder gerade im Rückblick läßt sich nur schwer konturieren, welche institutionelle Anbindung filmische Werke erfahren haben oder erfahren sollten, und wie das mediale und institutionelle Crossover zwischen Kino, Museum, TV und Computer/Internet für Filme überhaupt zu beschreiben und zu bewerten ist. Zugespitzt hätte man auch die Frage stellen können: Wem gehört der Film? Oder wem die andere Kunst/das andere Kino?
Adorno hatte ein ähnliches Phänomen bereits in den 60er Jahren unter dem Stichwort der Verfransung der Künste aufgegriffen und der Theoriebildung die kritische Frage gestellt, ob sie für die Promiskuität der Kunstgattungen "das Wort findet oder, wie meist sonst, mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen hinter der Entwicklung herhinkt". Im Arsenal versuchte man dieses Wort im Begriff 'Dispositiv' zu finden. Mit den 'Dispositiven des Kinematographischen' ließ sich einerseits grenzziehend auf die komplexe Spezifik des Kinos verweisen, in der die Produktions- und Distributionsseite mit ihren ökonomischen, technologischen, künstlerischen und politischen Aspekten, wie auch die vielschichtige Wahrnehmungsseite mit ihren Ritualen und Diskursen aufgehoben war. Andererseits ließen sich ebenfalls grenzüberschreitende Überlegungen in Richtung bildende Kunst anstellen, indem man 'Kinematographische Dispositive' in Werken der Kunst auffand.
Geglückte und sehr plastische Beispiele für einen produktiven und grenzüberschreitenden Diskurs waren die Beiträge von Dorothea von Hantelmann über James Coleman, die in ihrer Beschreibung die Wahrnehmung einer Kinogängerin affizierte und die mit Blick auf die Tränen im Kino dem abstrakten Begriff des Dispositivs einige Substanz verlieh. Thomas Y. Levin zeichnete den Versuch Guy Debords nach, die Aufführungspraxis seiner Filme zunächst durch ein eigenes Kino, dann durch einen völligen Rückzug der Filme aus dem Verleih zu kontrollieren, um nach seinem Freitod über einen kommerziellen Fernsehsender eine Verstreuung und Vervielfältigung seines Werks zu befördern. Ebenso anschaulich waren die Beiträge von Robin Curtis über Joyce Wieland, von Michael Wetzel über Chris. Marker und von Gregor Stemmrich über Michael Asher und Dan Graham. Diedrich Diederichsen nahm das Hollywood Begehren und die Orientierung der Filmemacher Kenneth Anger, Jack Smith und Andy Warhol an der Film-Großindustrie in den Blick. Darüberhinaus wies er auf die unterschiedlichen Konnotationen der Auffassung vom Künstler hin: als Auteur (Kino), Autor (Kunst) und 'Arteur' (ein Künstler der Filme dreht).
An dieser Stelle blitzte auch ein grundsätzliches Problem der Tagung auf. Eine wissenschaftliche Annäherung der Vortragenden an ihr Thema wurde fast ausschließlich über die Künstlerpersönlichkeiten versucht. Der Künstler erschien damit aus heutiger Perspektive als letzte feste Größe in einem verfransten Feld der Ästhetik. Dies war bis in die 70er Jahre hinein noch anders, als man mit Avantgarde-Konzepten hantierte und als die Sätze 'eine andere Kunst – ein anderes Kino' noch Aufforderungscharakter hatten und – ernst oder ironisch – als Manifest formuliert waren. Auch wenn man die Kampfansage einer Laura Mulvey heute nicht mehr teilen mag, (Mulvey war nur im Filmprogramm zu sehen, RIDDLES OF THE SPHINX, GB 1976/77), so kann man dennoch in ihren und anderen Überlegungen dieser Zeit Theorieansätze zum 'Apparatus', zur 'Zuschauerschaft' (in Abgrenzung zum Betrachter in der bildenden Kunst) und nicht zuletzt Bezüge zur Psychoanalyse entdecken, die die eingeschränkte Fokussierung von Künstlern sinnvoll ergänzt hätten. Gerade an diesen Punkten hätte es einigen Stoff für Diskussionen mit den interessierten Zuhörern und -sehern gegeben, wenn die Moderation nicht versäumt hätte, die Redewut der Vortragenden in ihre zeitlichen Schranken zu weisen. Man hätte schließlich neben dem Publikum auch den anwesenden Geistern der Leinwand im vollen Licht des Saals die ihnen gebührende Ehre erweisen können.