Diese 'Zeitschrift für Film' liefert keine Filmkritiken, kündigt keinen Kinostart an. Sie spricht und schreibt 'für' Film und man möchte sich weitere Präpositionen ausdenken, die das Verhältnis zum Objekt der Begierde (Film) anders definieren, als das allzu verbrauchte 'über', mit dem man sich in vielen Bereichen der Filmkritik und -wissenschaft eingerichtet hat, in der Helikopter-Perspektive, den Schaltknüppel in der Hand. Und die vier Herausgeber, alle samt aus dem Umfeld der Münchener Filmhochschule, geben im Vorwort Auskunft von ihrem Verständnis, was Film, was Kino sein kann:
"Film ist eine Bewegungskunst und als solche gewissermaßen grundsätzlich verpflichtet, den Menschen zu verändern. Wir müssen darüber sprechen, was geschehen soll. Wie sollen wir leben? Wie sollen wir lieben? Welche Geschichten brauchen wir? Jede Frage des Kinos ist politisch ..."
Das klingt ein wenig nach den 70er Jahren, nach dem Beat von Ton Steine Scherben oder Curtis Mayfield, und tatsächlich haben die Macher dieser Zeitschrift in dieser Zeit das Licht der Welt erblickt. Film (und Kino) erscheint auch 30 Jahre später ebenso notwendig, wie luxuriöses Lebensglück, und Revolver möchte Kunst und Politik verbinden, ebenso wie Autorenkino und den Kampf für eine neue Gesellschaft, eine neue Liebe, einen neuen Film.
Hält das Heft, was es verspricht?
Revolver versammelt 10 Texte von und mit Filmemachern wie Peter Kubelka, der die Filmkunst durch das Kochen erklärt. Hier geht es nicht nur um Rezepte, sondern z.B. um die Syntax der Wiener Cremeschnitte und ihre einzigartige Rezeptionsform, von der wiederum Rückschlüsse aufs Kino gezogen werden. Lars von Trier erzählt in einem frühen Manifest (von 1984) vom Filmemachen als Beziehungsform zwischen dem Filmemacher und seiner 'Film-Ehefrau', von schrumpelnden Vernunft-Ehen, Gefallsucht und Potenzstörungen alter Filmemacher, die endlich sterben müssen, damit neue Film-Ehen entstehen können (Wie alt ist eigentlich von Trier?). Christian Petzold (Die Innere Sicherheit) berichtet in Tagebuchnotizen gleichfalls von einem Konflikt zwischen Vater und Sohn, den Betreibern eines Modelleisenbahnladens: Kulturkampf im Kleinformat. Dominik und Benjamin Reding (Oi-Warning) denken über ihren nächsten Film in England nach. Katrin Eissing schreibt über ein laufendes Projekt, Arbeitstitel: 'Ich bin ganz ruhig' und versucht wieder eine familiäre Perspektive mit der Filmarbeit zu verweben. Der Text von Jacques Rivette ist eine Rückblende auf die Nouvelle Vague, auf die Zeit als das Autorenkino erfunden wurde. Rivette spricht über die Erfahrung von Nuit et Brouillard von Resnais, einem Film zu dem die nachwachsende Generation nur noch ein Zitatverhältnis entwickelt, wie in Petzolds Die Innere Sicherheit zu sehen war. Angela Schanelec und Wong Kar Wei erzählen einfach vom Machen ihrer Filme. Der einzige Kritiker, der sich unter die Macher verirrt, ist Georg Seeßlen, und der gilt als Kritiker der Kritiker. Mit Seeßlen findet man allerdings wieder Anschluß an die Parallelität von Schreiben und Filmemachen, erfährt aber auch einiges über das Verhältnis von alten Herrscherbildern und heutigen Bewegungsbildern, wie über deutsches und globales Kino.
Das besondere Glück dieser kleinen Fibel ist nicht nur, daß sie Texte von Filmemachern versammelt, die ganz unterschiedlich über Arbeit, Liebe, Kino sprechen, sondern daß es ihnen gelingt, nicht in ihrem Format zu erstarren, welches ein wenig an eine kleine rote Bibel erinnert. Weniger dem 'Zement der Zeit' entgeht das Heft, als daß es die Lettern, die gesetzt sein müssen, irgendwie doch in Bewegung hält oder anders gesagt, die Sprache zum Denken und Nachdenken: zum Lautdenken stimuliert. Ob dieses Denken der Texte und Buchstaben nun am Autor hängt, wie Christoph Hochhäusler, einer der Herausgeber, es in seinem Beitrag für die Arbeit von Filmemachern nahelegt oder nicht, wollte man in den 70er Jahren freilich anders entscheiden. Das Eintreten für eine neue Autorenpolitik geht in Revolver aber nicht zu Lasten der Texte, im Gegenteil.
Die Ausstattung mit diesem Revolver kann man nur jedem wünschen, egal ob Filmemacher, Gangster oder Everyman. Er ist klein handlich und paßt in jede Westentasche. Dies ist kein Aufruf zur Bewaffnung wohlgemerkt(!), sondern der dringliche Hinweis auf 120 Seiten kleinformatiges Lesevergnügen – eine Art Bewappnung allerdings, gegen den Alltag der Langeweile und die Zementierung der Verhältnisse. Revolver in der U-Bahn, auf der Straße, im Café – man fühlt sich einfach besser mit!
Revolver erscheint mit dieser Ausgabe im Verlag der Autoren und ist in jeder Buchhandlung erhältlich. Heft 5 gibt es ab 3. September. Heft 6 folgt im März 2002.
Jens Börner, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Sebastian Kutzli (Hg.) (2001) Revolver Heft 5. Zeitschrift für Film. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren.