Joyce Carol Oates’ Roman über Marilyn Monroe (Joyce Carol Oates (2000) Blond. Roman, Frankfurt am Main: S. Fischer)
"Ihr Problem war nicht, dass sie eine dumme Blondine war, sondern dass sie nicht blond und nicht dumm war.", heißt es, so kursiv gesetzt, in Joyce Carol Oates 911 Seiten dickem Roman über Marilyn Monroe. Das kursiv Gedruckte gehört zur Strategie des Buches, aus vielen Berichten, Gerüchten und Spekulationen über die Sex-Ikone des 20.Jahrhunderts eine Frau zusammenzusetzen, Marilyn Monroe alias Norma Jeane Baker.
Der Roman ist jedoch keine Biografie, er spielt mit der Idee, dass er eine sein könnte. Biografische Informationen solle der Leser anderswo suchen. Von den "zahlreichen Liebhabern, gesundheitlichen Beschwerden und Krisen, Schwangerschaftsabbrüchen und Leinwandauftritten kommen nur einige wenige von symbolischen Gehalt vor", die Quintessenz sozusagen, steht in der Vorbemerkung des Romans. Sie zählt entsprechende Titel auf und autorisiert so den Realitätsgehalt eines Buches, das aus den von ihr kursierenden Bildern Marilyn Monroe eine Seele konstruiert. Oates’ "blonde Schauspielerin" wirkt wie eine Diskursanalyse als literarische Figur. 'Wie könnte sie gewesen sein, wenn alles irgendwie zuträfe, was je über sie veröffentlicht worden ist?', scheint die Frage gewesen zu sein, die die Autorin sich stellte. Herausgekommen ist dabei ein wahrer Schmöker über den Aufstieg und Fall der falschen Blondine.
Wie bei jedem Star und jeder vielbebilderten Ikone gehört auch bei Marilyn Monroe oder besser: Norma Jeane Baker die Vorstellung zur Legende, dass sie anders gewesen sein muss als die Bilder, die von ihr gemacht worden sind, oder die Rollen, die sie in Filmen und in der Öffentlichkeit gespielt hat. Eben weil sie so oft mit beiden gleichgesetzt oder verwechselt worden ist. Die Kippfigur der Identität des Stars hat den mindestens doppelten Boden der Differenz von Selbst- und Fremd-, Innen- und Außenbildern und führt folgerichtig in die Intimität von Boudoir und Bett, wo man mit der Nähe Klärung vermutet. Dort erlangt der Voyeur jedoch auch keine Gewissheit. Gerade da spielt Oates das Zwillingswesen ihrer "blonden Schauspielerin" aus. Berührt wird mit der Identitätsfrage aber auch der Kern der Schauspielerei. Was bedeutet es, sich den Bildern, die verlangt werden, der Rolle, die man spielt, anzuverwandeln oder besser: eine Figur zu erschaffen, die man selbst (nicht) ist?
Über die Schauspielkunst von Marilyn Monroe gibt es zwei Theorien, behauptet Oates, die beide auf das gleiche hinauslaufen und die die Autorin auch für das Leben der Darstellerin geltend macht. Sie sei unbegabt gewesen oder ein Genie, sie spielte immer oder nie. Das heißt, sie war 'echt', eine Naive, verausgabte sich in ihren Rollen, wusste dabei aber nicht, was sie tat, ein unbewusstes Wesen, das ihr Leben nicht zu kontrollieren verstand. Sie wechselte die Rollen laufend und litt darunter, anderen nicht so zu erscheinen, wie sie wirklich war. So will Joyce Carol Oates Marilyn Monroe sehen. Blond reizt den Widerspruch einer Frau aus, die nie zu sich kam. Meist ist sie abwesend, erst umnachtet und narkotisiert von ihrer Angst, zu versagen, später von Drogen. Sie stolpert ihm ausgeliefert durch ein Universum, in dem das Leben ein einerseits dunkel böses, andererseits aber auch rosarotes Hollywood-Märchen ist.
Von Anfang an ist "die blonde Schauspielerin" dabei eine multiple Figur, nicht nur Hollywoods wasserstoffblondes Kunstprodukt mit den millionenschweren Rundungen, an denen sie selbst am wenigsten verdiente. Schon dem kleinen Mädchen, das bis zum Ende seines Lebens nicht erfahren wird, wer sein Vater ist, zwingen die verrückte Mutter und ihre Hollywood-Freunde die Maskerade auf. Ein Spiegel-Double entsteht, das Norma Jeane begleitet, das "die blonde Schauspielerin" später für ihre Rollen ausbeutet. Die anderen sind schließlich auch nicht immer die gleiche Person. Als pubertierendes Pflegekind zieht das Aschenputtel aus dem Waisenhaus Männer an wie Motten das Licht und versteht dabei sich selbst und die Welt natürlich nicht. Eine andere Person muss es sein, die in diesen Körper gehört, die wegen dieses Körper begehrt wird, nicht Norma Jeane. Ungeduldig, gespannt wartet man beim Lesen, dass Norma Jeane die nächste Person ihres schillernden Wesens wie einen Joker aus der Tasche zieht. Das unerwünschte Kind will geliebt werden, Marilyn wird begehrt und geliebt. Nie aus den Gründen, weshalb sie geliebt werden will, versteht sich.
Selbst wer nichts von Monroes Leben weiß, nur ihre Filme und Bilder kennt, weiß immer schon Bescheid, was kommt, und schaut beim Lesen zu, wie Norma Jeane es erfüllt. Oates schießt Ellipsen vor, nimmt vorweg und setzt wieder alles auf Anfang. Sie erzählt vom Buch, von jedem Kapitel und jeder Episode zuerst den Ausgang, den ganzen Roman aus der Perspektive des frühen Todes der "blonden Schauspielerin". Das ergibt eine eigentümliche Brandung. Was faktisch schon angekommen ist, fließt untergründig zurück, formiert sich neu. Die kursiven Einschübe sind einer der Subtexte des Geschehens, vermeintliche Tagebucheinträge, subversive Gedanken die nicht zustande gebrachte Entgegnung, wenn eine durch Vorwissen und Perspektiven schon vielfach geschichtete Situation noch eine weitere letzte Wahrheit verträgt. Natürlich legt sich der Roman dabei in bezug auf die Identität von Marilyn Monroe alias Norma Jeane Baker nicht fest. Er entfaltet die Facetten der Person und erreicht durch sein Verfahren der Schichtung von Vorabinformationen, Perspektivenwechseln, Einschüben etc. - durch die Bilder, die von Marilyn Monroe gemacht worden sind quasi hindurch - ein Gefühl von Wahrhaftigkeit, dass sie, so wie sie beschrieben wird, gewesen sein könnte.
Gut nach der Hälfte des Buches hat Marilyn Monroe, die Erfindung der Studiobosse, die sich nicht selbst gehörte, die Garderobe von Marlene Dietrich erobert. Nur die Liebhaber, die ihre FBI-Akte bis 1953 auflistet, füllen eine Buchseite, ein Who Is Who der amerikanischen Filmindustrie. Die bekanntesten Beziehungen und Ehen mit "dem Ex-Sportler", Baseball-Star Joe die Maggio, mit "dem Bühnenautor" Arthur Miller und dem Präsidenten John F.Kennedy stehen da noch bevor. Marilyn hat nicht nur als Sex-Idol, sondern im buchstäblichen Sinne Amerika gefickt. Oates rechnet das Phänomen zu Literatur herunter. Es genügt, die Verhältnisse "der blonden Schauspielerin" mit den begehrten Männern ihrer Zeit als nicht besonders romantische zu beschreiben. Umgekehrt konfrontiert sie den Leinwandstar inkognito damit, dass im schmuddligen Kino ihrer High-School-Zeit ihre Filme einsamen Männern als Wichsvorlage dienen.
Doch da liegt auch die Schwäche einer Lebensgeschichte, die von ihrer Protagonistin nicht selbst gemacht wird, in der sie überwiegend als das Objekt anderer erscheint, als hilflos und ewig Mißbrauchte. Der Zauber, der von Marilyn Monroe ausgegangen sein muss, bleibt Behauptung. Es gibt keine Szene im Buch, wo er wirklich aufscheint, obgleich sich die Schilderungen jagen, welche Begeisterung, welche Bewunderung oder welche Besitzansprüche dieser Zauber bei Männern und einem Millionenpublikum auslöst. Oates widmet sich vor allem der tragischen Seite der "blonden Schauspielerin", die nicht recht weiß, wie ihr geschieht, die mit der Kamera besser als mit Menschen kommuniziert und vielmehr nicht lieben kann, als sie nicht geliebt wird. Selten aber ist es jemandem so gut gelungen wie Joyce Carol Oates die Abwesenheit des auch von der Privatperson geforderten Starzaubers zu beschreiben, die Enttäuschung darüber und die Gier nach ihm, den Erfolgsdruck, der auf der Schauspielerin lastet durch die Bilder, die es von ihr gibt.
Joyce Carol Oates (2000) Blond. Frankfurt am Main: S. Fischer.