Besprechung der DVD-Edition des Videozyklus Le Cycle de l‘Ange von Maria Klonaris und Katerina Thomadaki (herausgegeben von Re:voir)
Da die Arbeiten von Maria Klonaris und Katerina Thomadaki sehr selten zu sehen sind, haftet ihnen ein nahezu mythischer Charakter an. Dies liegt auch daran, dass sie aufgrund ihrer häufig mehrstündigen Spiellängen kaum in Filmprogramme aufgenommen werden. Außerdem liegen viele ihrer Arbeiten nur in 8mm bzw. in 16mm vor, was die Möglichkeiten der Projektion heutzutage auch aus technischen Gründen einschränkt. Im Oktober 2020 hat der Pariser Filmverlag Re:voir eine DVD mit Filmen des Künstlerinnenduos veröffentlicht. Mit dieser DVD besteht nun die Möglichkeit, einen kleinen Ausschnitt ihres Oeuvres kennenzulernen.
Die Kollektion konzentriert sich auf den jüngsten Arbeitsabschnitt des Duos. Sie umfasst vier Filme aus dem Zyklus Le Cycle de L’Ange, der zwischen den 90er Jahren und den frühen 2000er Jahren entstanden ist. Eine Besonderheit dieser Veröffentlichung ist, dass die Kompilation sowohl Videofilme als auch digitale Filme enthält. Dies ist aus zwei Gründen erwähnenswert. Erstens, weil Maria Klonaris und Katerina Thomadaki während ihrer künstlerischen Karriere, die bis in die 60er Jahre zurückreicht, dem Medium Zelluloid, insbesondere dem Format Super 8, verpflichtet waren und überwiegend für diese Filme bekannt sind. Zweitens, weil Re:voir ein Filmverlag ist, der sich bislang auf Zelluloid konzentrierte und kaum Video-Filme verlegt hat. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ankündigung, in Zukunft enger mit der New York Film-Makers’ Cooperative zusammenzuarbeiten, ist es allerdings eher unwahrscheinlich, dass Re:voir sein Programm in Richtung Video erweitern wird.1
Maria Klonaris und Katerina Thomadaki arbeiteten von den frühen 60er Jahren bis zum Tod von Maria Klonaris im Jahr 2014 eng zusammen. Ihre gemeinsame künstlerische Karriere begann im experimentellen Theater in Athen. Nach ihrer Übersiedlung nach Paris Anfang der 70er Jahre wandten sie sich dem Medium Film zu, wobei das Filmen experimentell und anti-kommerziell bzw. anti-industriell sein sollte (vgl. Klonaris/Thomadaki 2003: 10). Die Tätigkeit des Filmens verstanden sie als eine Art Nachdenken, als ein Fühlen und ein In-den-Bildern-Leben (vgl. ebd.: 23). Die Technik Super 8 beschrieben sie selbst als einen Katalysator für ihre filmische Tätigkeit (vgl. ebd.: 25). Sie waren dieser Technik sehr verbunden, es war ihr „outil privilégié“ (ebd.: 5), ihr privilegiertes Werkzeug, das sie bis Ende der 80er Jahre benutzten. Damit widersetzten sie sich der weitverbreiteten Meinung, die Super 8 als Amateurtechnik einstufte (vgl. ebd.: 5). Sie kämpften um dieses Medium, was sich 1987 in ihrem Manifest Pour un cinéma de libre création. Appel à la défense du Super 8 niederschlug (vgl. ebd.: 31–32). Dieser Text ist ein Plädoyer für das Erhalten des Super-8-Filmformats, das in dieser Zeit zu verschwinden drohte.
Trotz der Faszination für das analoge Zelluloid war die künstlerische Tätigkeit des Duos immer offen gegenüber Techniken und Werkzeugen. Sie hatten Ideen, die es zu verwirklichen galt. Die Werkzeuge bereicherten ihre Arbeit, aber ihre künstlerische Praxis entsprang nicht alleine der Technik.
Zur Video-Technik sind Thomadaki und Klonaris nicht auf direktem Wege gekommen. Schon in den 70ern wurde das Video weltweit, in Frankreich beispielsweise von Gina Pane und Michel Journiac, intensiv genutzt. Klonaris und Thomadaki hatten zwar während der 70er Jahre erste Videoversuche unternommen, doch sagte ihnen die Technik damals nicht zu. Erst Ende der 80er Jahre kamen Video und auch Computer bei ihnen ernsthaft ins Spiel. Ein Freund aus Athen, der ein Video-Studio besaß, hatte Thomadaki und Klonaris eingeladen, die neuesten Möglichkeiten des Mediums auszuprobieren. Zunächst skeptisch stellten sie dann zu ihrer eigenen Überraschung eine Ähnlichkeit mit dem magnetischen Ton fest, einer Technik, mit der sie Ende der 80er Jahre ausgiebig gearbeitet hatten. Und so nahmen ihre Abenteuer mit Video ihren Ausgang. Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, begannen die Künstlerinnen sich in das Medium zu vertiefen und seine Möglichkeiten zu erforschen. Der Zufall wollte es, dass der befreundete Musiker Spiros Faros ihnen sein neues Musikstück Requiem pour le XX e siecle zuschickte. Thomadaki und Klonaris waren so angetan von diesem Stück, dass sie es als Soundtrack verwendeten. Die Videoproben, die sie in Athen gemacht hatten, montierte das Duo zu einem Film und so entstand REQUIEM POUR LE XX E SIECLE (F 1994), ihre erste Arbeit mit Video und auch das erste Video auf der DVD-Edition.
Neben den vier Filmen ist die DVD-Edition mit einem Booklet und Extras ausgestattet. Auf knapp 50 Seiten versammelt das bilinguale (französisch/englisch) und reich illustrierte Booklet Zitate aus Artikeln, die seit den späten 80er Jahren über die auf der DVD enthaltenen Videos geschrieben wurden. Es enthält unter anderem Texte von Marie-José Mondzian, Cécile Chich, Maud Jacquin, Marina Gržinić, Régis Durand und vom Künstlerinnenduo selbst, das stets darauf bedacht war, seine Arbeiten in Vorträgen und Texten zu kommentieren. Ausgewählt und zusammengestellt wurden die Zitate von Katerina Thomadaki, unter dem Titel Dialogue à plusieurs voix. Insgesamt wirkt das Booklet allerdings weniger wie eine Ansammlung loser Zitate denn als eine sich über viele Jahre ziehende Unterhaltung zwischen diversen Wissenschaftler_innen und den Künstler_innen.
Nicht nur die DVD-Broschüre, sondern das ganze Design der DVD entstand unter der Redaktion von Katerina Thomadaki und Mitarbeit von Diana Vidrascu. Diese DVD-Edition ist, wie Katerina Thomadaki betont, eine Artist’s DVD, vergleichbar mit einem Artist’s book. Katerina Thomadaki war sehr daran gelegen, dass Maria Klonaris auf der DVD präsent ist, beispielsweise auf den Fotografien der DVD-Falthülle. Die Hülle gestaltet sich wie eine visuelle Reise durch die Arbeiten des Duos: Auf der Vorderseite ist ein Still in Schwarz, Weiß und Türkis von Thomadakis Händen aus dem Video PERSONAL STATEMENT (F 1994) zu sehen. Beim Öffnen der Hülle begegnen wir einer Detailaufnahme der übereinander platzierten Augenpartien der Künstlerinnen aus dem Video QUASAR (F 2003). Nach dem weiteren Ausklappen des Umschlags gelangen wir zur DVD, unter der sich eine Nahaufnahme von Maria Klonaris befindet. Die leicht unscharfe, aus dem Video PULSAR (F 2001) stammende Abbildung zeigt Maria, die ihre rechte gespreizte Hand gegen die Betrachtenden ausstreckt, in invertierten Farben. Die Anordnung der Bilder und die durch die Beschaffenheit des Umschlags vorgegebene Reihenfolge der Bilder stellen eine Verbindung zwischen dem ersten Bild von Katerina Thomadakis Händen und dem letzten von Marias Klonaris’ Hand her. Auf diese Weise scheinen sich ihre Hände zu berühren. So sorgt Thomadaki wie schon bei der Auswahl der Texte des Booklets für einen Dialog, diesmal auf visueller Ebene.
Die Extras umfassen filmische Dokumentationen der ausgestellten Installationen. Es wird darauf hingewiesen, dass die vier Videos nicht als selbständige Arbeiten entstanden sind und auch nie als solche gezeigt, sondern fast immer in Verbindung mit einer Performance, einer Installation oder beidem präsentiert wurden. Sie waren Teil eines künstlerischen Ensembles – wie so oft in Thomadakis und Klonaris’ künstlerischer Tätigkeit. Solche Darbietungen ihrer Arbeiten nannten sie „cinéma elargi“ (Klonaris/Thomadaki 1980: 301). Zudem erinnern die Extras daran, dass die Karriere der beiden Künstlerinnen im experimentellen Theater begann.
Das Duo hat meist in Serien gearbeitet, deren Produktion häufig mehrere Jahre andauerte. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ihre Serien von Themen ausgehen, die die Künstlerinnen ausführlich beleuchten wollten. Sämtliche Videos der DVD stammen aus der Serie Le Cycle de l‘Ange, woraus sich auch der Titel der DVD erklärt. An dieser Serie hat das Duo etwa 20 Jahre gearbeitet. Der Auslöser war ein Foto aus dem privaten Archiv von Maria Klonaris’ Vater, der Gynäkologe war und das sie in ihrer Jugend gefunden hat. Das Foto zeigt einen Hermaphroditen (Klonaris und Thomadaki benutzen im Französischen den weiblichen Artikel anstatt des grammatisch richtigen männlichen Artikels), der in ihren Augen über engelhafte Züge verfügte. 1985 begann das Duo sich ausführlicher mit dieser Fotografie auseinanderzusetzen, wobei sie ihnen keineswegs als Kuriosum oder zur Belustigung diente. Im Gegenteil, die Fotografie stand für sie für andere Möglichkeiten des körperlichen Seins jenseits des Binarismus männlich/weiblich. Für die beiden war sie das „Ideogramm“ (Thomadaki 2020: 8) einer neuen Form der Freiheit. Die Gestalt des Hermaphroditen hat das Duo zur Reflexion über das vermeintlich Unmögliche, das gesellschaftlich Nicht-Existente bzw. Ausgeschlossene, und zur Übersetzung dieser Gedanken in Kunst bewegt. Diese Fotografie taucht in allen vier Filmen der DVD-Edition auf, jeweils in unterschiedlicher Weise. Sie macht die Filme zudem zu multimedialen Erlebnissen, in denen sich unterschiedliche Medien kreuzen und durchqueren. Multimedialität war immer schon ein Anliegen des Duos. Seit den 90er Jahren wurde ihr jedoch immer mehr Bedeutung zuteil, was im Vorwort des Katalogs der 1990 von ihnen organisierten Konferenz Les rencontres internationales Art Cinéma/Vidéo/Ordinateur besonders hervorgehoben wird (vgl. Klonaris/Thomadaki 2003: 33–34).2
Das erste Video der DVD, REQUIEM POUR LE XX E SIECLE, ist eine Multimediacollage, die auf Video realisiert wurde. Thomadaki und Klonaris nutzen in dem Video Filmmaterial aus Berichterstattungen des Zweiten Weltkriegs, das sie neu verarbeiten, sowie die erwähnte Fotografie. Archivaufnahmen von Militäraufmärschen, Bombardements, Bränden, der Zerstörung von Gebäuden und Straßen, die Elend und Gewalt des Krieges vor Augen führen, werden von der Fotografie des Hermaphroditen begleitet, als ob diese ein Hintergrund für die Kriegsbilder wäre und über sie wacht. In dieser Arbeit begegnen sich drei Medien, drei Generationen von Techniken: Ein Foto aus dem 19. Jahrhundert interagiert, dank Thomadakis und Klonaris’ Interventionen, mit Filmstreifen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Montage wird wiederum auf Videomaterial hergestellt. Das Video, das man als Antikriegsvideo bezeichnen könnte, ist eine der ersten direkten kritischen Äußerungen der Künstlerinnen zum politischen Geschehen, genauer zu den damals aktuellen Kriegen in Jugoslawien und zum Völkermord in Ruanda. REQUIEM POUR LE XX E SIECLE ist weniger ein trauernder Abschied vom 20. Jahrhundert als die vorwurfsvolle visuelle Bloßstellung eines Jahrhunderts der gewaltigen Kriege und Verbrechen, das mit weiteren Kriegsschrecken endet.
REQUIEM POUR LE XX E SIECLE ist zudem eines ihrer ersten Found-Footage-Videos, das überwiegend auf gefundenem Material basiert, auf Material also, das die Künstlerinnen nicht selbst gedreht haben. Dieser Umstand ist wichtig, weil die Gleichzeitigkeit der Arbeit vor und hinter der Kamera bislang essenziell für ihre künstlerische Praxis war. In Manifeste pour une féminité radicale. Pour un cinéma autre (1977) hatten sie einen Bruch mit der stereotypen Verteilung von Geschlechterrollen des kommerziellen Kinos, mit dem fabrizierten Bild der Frau als passive Schauspielerin, die gehorcht und angeblickt wird, verkündet. Sie wollten selber blicken, intervenieren und agieren. Seit 1978 nannten sie ihre Kunst „cinéma corporel“ (vgl. ebd.: 10–11). Dieses Kino arbeitet am Bild des weiblichen Körpers, indem es die vorherrschende Wahrnehmung stört. Begriffe waren wichtig für das Duo und sie waren sehr darauf bedacht, über den Wortschatz des klassischen Kinos hinauszugehen und selbst Bezeichnungen zu erfinden. Um das Geschehen auf der Leinwand zu beschreiben, benutzen sie das Wort „Aktion“, wobei die Schauspielende nicht mehr Schauspielerin, „actrice“, sondern eine „actante“ ist, die eine Aktion ausführt (vgl. Klonaris/Thomadaki 1980: 302). In ihren Filmen gibt es kein professionelles Schauspiel nach Anweisungen, sondern Interventionen vor und mit der Kamera. Dementsprechend war für sie das Verhältnis Filmende/Gefilmte von besonderer Bedeutung, aus dessen Modifikation sie eine Methode für ihre filmische Praxis entwickelten. In ihren Filmen waren sie nämlich sowohl die Filmenden als auch die Gefilmten. Meistens filmten sie sich gegenseitig und nur in wenigen Filmen luden sie andere Personen zum Dreh ein, beispielsweise in ihren Portraitserien SAURO BELLINI (F 1982) und CHUTES. DÉSERT, SYN (F 1983–85) oder auch im Film UNHEIMLICH II: ASTARI (F 1979–80). Mit dieser Methode wirkten sie dem Bild der Schauspielerin und der Frau, wie es Laura Mulvey 1975 für das Hollywoodkino beschrieben hat, aktiv entgegen. Gleichzeitig hinterfragten sie noch andere Stereotypen, etwa das vermeintlich antagonistische Verhältnis von Frau und Technik. Nicht nur, dass sie über technische Kompetenzen verfügten, sie nahmen einen Position ein, von der aus sie selber schauen konnten, also hinter der Kamera, und sagten: „Je vous regarde. Je vous interroge. J‘accouche d‘un film AUTRE.“ (Klonaris/Thomadaki 2003: 9) Sie eigneten sich also die Position des Schauenden an, die bisher männlich besetzt war. Mit dieser Methode wird die Spielende zur Handelnden, die performt und gleichzeitig über das Wissen des Filmens verfügt. Umgekehrt wird die Filmende ermutigt, die Erfahrung des Spielens zu nutzen.
Auch in PERSONAL STATEMENT, dem zweiten Film der DVD, bleiben die Filmerinnen der Methode Filmende/Gefilmte verbunden, in den anderen beiden Filmen PULSAR und QUASAR wird dies noch deutlicher. In PERSONAL STATEMENT wird das auf Video aufgenommene Foto des Hermaphroditen auf einem Monitor abgespielt, sodass es vertikal von unten nach oben über dem Bildschirm gleitet. Katerina Thomadakis Hände berühren den Bildschirm, als ob sie versuchten die fotografierte Gestalt zu greifen oder zu streicheln. Das Geschehen wird von Musik und Maria Klonaris‘ dominanten Stimme begleitet, die eines ihrer eigenen Gedichte auf Französisch und Englisch liest: „Image magique. Une hermaphrodite. C‘est toi. C‘est ton corps“. Wer wird hier angesprochen? Wir, die das Video anschauen? Katerina, deren Hände über den Monitor gleiten? Das Benutzen des Pronomens „du“ verwirrt, auch später, wenn sie sagt: „This is a personal statement about you, about your body“. Wie kann ein persönliches Statement über den Körper von jemand anders als derjenigen, die ihn besitzt, abgegeben werden? Und sind die Bilder dieses Statement oder nur das Gesprochene? Wer spricht hier, von wo aus, zu und über wen? Wer hat die Macht zu sprechen? Das Video lässt die Zuschauenden mit einem Gefühlt des Unbehagens zurück. Ist nicht jeder Körper ein uneindeutiger, ein hermaphroditischer Körper?
Auch in dieser Arbeit wird die multimediale Praxis des Duos sichtbar. Gleichzeitig fällt auf, dass hier medienspezifisch gedacht wird. Ein solches Gleiten der Hände auf dem Monitor ist nur auf dem Bildschirm möglich, nicht auf einer Leinwand, wo die Hände durch das, was sie eigentlich anfassen wollen, verdeckt werden würden. Klonaris und Thomadaki gestalten ein Ensemble, das nur in dieser medialen Konstellation und ausschließlich mit der verwendeten Technik funktioniert.
Die letzten beiden Filme der DVD-Edition sind PULSAR und QUASAR. Die Titel stammen aus dem Wortschatz der Astrophysik. Pulsar steht für „pulsating star“ und Quasar kommt von „quasi stellar radio source“. Von den ersten beiden Videos unterscheiden sie sich nicht nur thematisch, sondern auch technisch - es sind digitale Filme. Sie entstanden während zwei künstlerischen Residenzen am Centre international de création vidéo Pierre Schaeffer in Hérimoncourt (2001 und 2002), die es dem Duo ermöglichten, mit den damals neuesten digitalen Techniken wie MiniDV, 3D oder Programmen zur Bildtransformation zu arbeiten.
Das Video PULSAR ist ein pulsierendes Portrait von Maria Klonaris, gefilmt von Katerina Thomadaki. An Maria Klonaris eindrucksvoller Performance wird deutlich, was die Künstlerinnen mit „actante“ meinen. Maria strotzt nur so vor Energie. Sie ist diejenige, die das Geschehen vor der Kamera gestaltet. Die Gefilmte und die Filmende befinden sich auf einer Ebene, sie spielen miteinander. Beide wirken aktiv und kreativ an der Gestaltung des Videos mit. Die Bilder von Maria folgen keiner Linearität. Im Gegenteil, sie haben einen Rhythmus, der durch Unterbrechungen und Schnitte produziert wird. Bei diesem Video handelt es sich um ein Stottern von Standbildern, das absichtlich die Ganzheit der Bewegungen nicht wiedergibt. Dies ist eine weitere Methode des Duos, die sie „Dialectique entre images figées et images mobiles“ (Klonaris/Thomadaki 1980: 305) nennen. Mit dem Gegeneinanderausspielen von gefrorenen und bewegten Bilder experimentierten die Künstlerinnen schon früher. In den Super-8-Filmen waren es Diapositive, die in den Film montiert wurden, und in der digitalen Version sind es Standbilder, die dank digitaler Technik integriert werden. Sie werden teils in Zeitlupe, teils im Zeitraffer gezeigt, manchmal laufen die Bilder rückwärts, dann wieder vorwärts, wodurch die schon verfremdeten Bilder noch rätselhafter erscheinen. Dies ist eine autoreflexive Geste, die auf die Gemachtheit des Films verweist, eine antagonistische Geste gegenüber dem illusionistischen Bestreben des klassischen Spielfilms und dessen schiefer Vision von Realität. Die farbliche Gestaltung ist ebenfalls eigenartig, denn die Farben sind invertiert, wie bei Negativbildern, was dazu beiträgt, dass die Performance von Maria Klonaris betont verfremdet wirkt.
In QUASAR, dem letzten und längsten Video auf der DVD, filmen sich die Künstlerinnen gegenseitig. Somit sind darin beide zugleich Filmende und Gefilmte. Ähnlich wie in früheren Filmen werden die Maria-Sequenzen und die Katerina-Sequenzen abwechselnd, etwa im Acht-Minuten-Takt, gezeigt. Selten sind die ganzen Körper zu sehen, meist handelt es sich um Detailansichten. Die Künstlerinnen sondieren gegenseitig ihre Gesichter. QUASAR beginnt mit dem Gesicht von Maria in Schwarz, Weiß und Blau. Der Fokus liegt auf ihrem Auge, das durch mehrere Videomaterial-Schichten abwechselnd verdeckt und offenbart wird. Immer wieder erscheinen sich wellenartig bewegende Bilder aus animierten Fotografien von Himmelskörpern aus Astronomiebüchern.
Auf die Maria-Sequenz folgen mit einer Nachtsichtkamera aufgenommene Bilder von Katerinas Gesicht. Auch hier wird das Gesicht fragmentiert und auch hier haben wir eine Art pulsierende Maske, die teils auf Katerinas Gesicht aufgelegt wird, teils alleine präsentiert wird. Das pulsierende Feld erweckt den Anschein eines Quasars. In der letzten Sequenz arbeiten die Künstlerinnen mit einem Morphing-Werkzeug, wodurch ihre Gesichter verschiedene Konstellationen eingehen, sich verbinden oder gar miteinander verschmelzen. Beispielsweise bekommt Katerina die Augen von Maria und umgekehrt und dazwischen taucht der Hermaphrodit auf. Vielleicht werden hier die Worte von Marias Gedichts aus PERSONAL STATEMENT verständlicher. „Ich“ und „du“ verschmelzen dort, wie hier die beiden Gesichter. Die Faszination für Symbiosen und ihre Aversion gegen Eindeutigkeit und fixierte Kategorien, die im Manifeste pour une féminité radicale zum Ausdruck kommen, wird hier visuell markiert – was ist was? Welcher Gesichtsteil gehört zu wem? Das Verschmelzen von Bildern, Personen und Körperteilen ist ein Prozess, der nie gleich bleibt, sondern permanent durch Begegnungen mutiert.
Die DVD-Edition Le Cycle de l‘Ange präsentiert die jüngsten Arbeiten der Künstlerinnen. Man könnte sagen, dass dies kein besonders günstiger Einstieg in ein 40 Jahre umfassendes, so umfangreiches und heterogenes Werk ist. Andererseits gewährt die Edition mit ihrem üppigen schriftlichen und audiovisuellen Material einen genauen Einblick in eine Arbeitsperiode der Künstlerinnen. Diejenigen, die bereits mit dem Duo vertraut sind, werden mit Vergnügen feststellen können, wie hartnäckig die beiden Künstlerinnen an ihren früh erarbeiteten Prinzipien und Methoden festhielten und sie immer wieder aufs Neue in aktuelle Techniken übersetzten. Manch eine Künstler_in schlägt am Ende ihrer Karriere noch einmal ein komplett neues Kapitel auf, was bei Katerina Thomadaki und Maria Klonaris nicht unbedingt der Fall ist. Die Mittel und die Ästhetik ändern sich, aber das, was für beide immer schon wichtig war, nämlich der feministische Anspruch, an die Ränder des Gesellschaftlichen zu schauen und patriarchale Machtverhältnisse anzuprangern sowie das Miteinander zu verändern, bleibt weiterhin zentral. Forderungen, die (leider) weiterhin aktuell sind.
Klonaris, Maria/Thomadaki, Katerina (2020) Dialogue à plusieurs voix, Booklet zur DVD Le Cycle de l‘Ange, Paris: Re:voir 2020.
Klonaris, Maria/Thomadaki, Katerina (2003) Le temps des manifestes n‘est pas révolu, in: dies. (Hg.) 1976–2002 Manifests, Paris: Paris Expérimental 2003, S. 3–6.
Klonaris, Maria/Thomadaki, Katerina (2003 [1990]) Les rencontres internationales Art Cinéma/Vidéo/Ordinateur, in: dies. (Hg.) 1976–2002 Manifests, Paris: Paris Expérimental 2003, S. 33–34.
Klonaris, Maria/Thomadaki, Katerina (2003 [1987]) Pour un cinéma de libre création. Appel à la défense du Super 8, in: dies. (Hg.) 1976–2002 Manifests, Paris: Paris Expérimental 2003, S. 31–32.
Klonaris, Maria/Thomadaki, Katerina (2003 [1977]) Manifeste pour une féminité radicale. Pour un cinéma autre, in: dies. (Hg.) 1976–2002 Manifests, Paris: Paris Expérimental 2003, S. 8–9.
Klonaris, Maria/Thomadaki, Katerina (1980) Un cinéma elargi, in: Cinéma Action, Nr. 10–11, Frühling/Sommer 1980, S. 301–306.