Verschwindet mit dem Film eine Art Sinnbild eines langen 20. Jahrhunderts? Und können seine Produktions- und Wahrnehmungsweisen, seine veränderten Begriffe von Kunst und Geschichte in einem Filmmuseum aufgehoben werden?
„Der Ausstellungsort eines Filmmuseums ist die Leinwand.“ Dieses avantgardistische Motto wurde 1964, im Gründungsjahr des Österreichischen Filmmuseums, von Peter Kubelka formuliert – und es ist heute mehr denn je ein Distinktionsmerkmal gegenüber anderen Museen; vor allem – aber nicht nur – solchen des Films. Denn Museum und Kino werden im Österreichischen Filmmuseum unauflöslich miteinander verschränkt. Kino steht dabei gleichermaßen für einen spezifischen Ort wie für eine inzwischen historische Technologie: für den abgedunkelten Kinosaal wie für die Kinematografie im Ganzen. In Kubelkas Sinn ist das Unsichtbare Kino der Ausstellungsort, der sich selbst zum Verschwinden bringt: Black Box statt White Cube1. Auch ist es jener Teil der Technologie, der in der Filmvorführung meist verborgen bleibt, um den Film als Ereignis erfahrbar zu machen: die Projektionstechnik, das maschinelle Gefüge von Mensch, Projektor und Filmstreifen. Zwar sind Letztere seit jeher Sammlungsobjekte eines Filmmuseums, werden jedoch auch dann nicht zu musealen Artefakten, wenn der Film – wie heute – bereits zu einem historischen Medium geworden ist.
Als neue, fotografische Kunst, die oft keine sein wollte, bildete der Film mit den Worten Siegfried Kracauers einen gemeinsamen „Vorraum“2 mit der Geschichte: Film war mit seinem Realitätsgehalt ein neuartiges historisches Zeugnis und schrieb selbst Geschichte in neuer Weise. Darüber hinaus war er Spektakel- und Unterhaltungsmedium, Werkzeug politischer Militanz und politischer Repression, ein Mittel der Erfahrungs- und Wissensproduktion in vielen weiteren Domänen, in denen „Hohes“ und „Niedriges“, „Disziplinäres“ und Undiszipliniertes miteinander verstrickt sind.
Heute überdauert Film ironischerweise als Synonym für jegliche Form von Bewegtbildern, die ihn abgelöst haben, – als unsichtbares Kino, aus dem der Film als solcher verschwunden ist. Wie kann man ihn und was kann man mit ihm immer noch sichtbar machen?
Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen präsentierten das Österreichische Filmmuseum und das IFK – Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften im November 2014 eine Reihe von Vorträgen und Gesprächen: Das unsichtbare Kino im Unsichtbaren Kino zu Wien. Der Anlass war einerseits das 50-Jahr-Jubiläum des Filmmuseums, andererseits die Frage, wie – an welchen Orten, in welchen Diskursen und unter welchen Vorzeichen – der Film sein Fortleben organisiert.
Überarbeitete Versionen der Vorträge und Transkripte der Gespräche werden in dieser Ausgabe von nachdemfilm einem breiteren Kreis von Leser/inne/n und Praktiker/inne/n zugänglich gemacht.
In „Popular Memory. Zur Nahbeziehung von Film und Geschichte“ unternimmt Siegfried Mattl den Versuch, das Ineinander von Geschichte und Film anders – jenseits der Wissenschaften im strengeren Sinne und in Abgrenzung zu den Künsten – zu denken, um eine Strategie der „Popular Memory“ zu etablieren, die das Näheverhältnis neu begründen könnte. Eine alternative Lesart der Geschichte des Films wiederum schlägt Noam M. Elcott vor: Sein Beitrag „Das Phantasmagorische Dispositiv. Eine Anordnung von Körpern und Bildern in Echtzeit und Raum“ wendet den Blick von Film-im-Kino als dominantem bzw. „klassischem“ Ausstellungsmodus ab und bettet das Medium stattdessen in eine Genealogie der Phantasmagorie ein. In diesem Sinne könnte auch die zeitgenössische Ausstellungsform des Films in der Galerie und in Museumsräumen als „phantasmagorisch“ betrachtet werden, so skizziert es Daniel Fitzpatrick in seinem Beitrag „Expended Cinema. Curating Cinema's Futures During an Era of Transition“. Er fragt dezidiert danach, wie das Kuratieren von Film in den Dispositiven der Ausstellung und des Kinos sich zu einer Gegenwart verhält, in der die Digitalisierung des bewegten Bildes zunehmend zu einer Verkalkung der Vorstellung beiträgt, was Kino eigentlich ist (oder war). Die Potenziale des Digitalen wiederum stellt die Kuratorin und Theoretikerin Nicole Brenez in ihrem mit zahlreichen Bewegtbildbeispielen versehenen Vortrag „The Consulted Cinema and Some of its Effects“ in den Mittelpunkt. Die im Internet kursierenden Filme werden von ihr als ein „konsultiertes Kino“ gedacht; anschließend fragt sie danach, welche Folgen die „Kultur der Konsultation“ sowohl für die Vorstellung der Cinephilie, als auch für das Entstehen neuer Stile und die politische Relevanz filmischer Arbeiten hat. Winfried Pauleit schließlich geht den Gemeinsamkeiten zwischen der Institution Museum und dem Medium Film nach, um darin die Kinemathek oder das Filmmuseum als Maschine zu begreifen, die ihren Besuchern Zeitreisen offeriert – nicht im Sinne der Erzählung von anderen Zeiten, sondern als Dispositiv aus Bildern und Tönen, das kopräsente Zeitschichten erfahrbar macht.
Dieses dichte Bezugsfeld zwischen den Vorstellungen von Film, Kunst, Geschichte und Museum wird in zwei ausführlichen Gesprächen erweitert: Moderiert von Barbara Pichler, diskutieren Chris Dercon, bis 2016 Leiter der Tate Modern in London, und Lars-Henrik Gass, Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, über die Rollen, die das Kunstmuseum und das Filmfestival mit Blick auf den Film, seine Geschichte, Ästhetik und Materialität einnehmen können. Abschließend unterhält sich Bert Rebhandl mit dem Philosophen Jacques Rancière über dessen Begriff von Kino im Spannungsfeld von Cinephilie, Unsichtbarkeit, Demokratie wie auch verwirklichten und gescheiterten Utopien.
Wir danken allen, die an dieser Ausgabe mitgewirkt haben, insbesondere den Autor/innen für ihre inspirierenden Beiträge zur Veranstaltung und der nun vorliegenden Online-Publikation.
Alejandro Bachmann, Rasmus Greiner, Alexander Horwath, Winfried Pauleit und Ingo Zechner.