R: Christian Frei, CH 2001
Ein Mann steht im roten Licht einer geräumigen Dunkelkammer vor dem Plakat-großen Abzug eines Schwarz-Weiss-Fotos. Er hält in jeder Hand ein langstieliges Instrument mit kreisrunden Flächen an den Stielenden. Damit wedelt er herum und fächelt die Chemie-getränkte Luft vor bestimmten Stellen des Abzugs. Er springt hin und her vor dem Bild. Seine Bewegungen haben die Präzision eines konzentrierten Schamanen: etwas entwickelt sich; ein Prozess ist im Gang, den wir nicht sehen, bestenfalls erahnen können; dieser Prozess wird bei höchster Aufmerksamkeit begleitet und gesteuert; es geht um Sekunden, um Subtilität aus Luft und Mikrokristallen.
Alles, was wir Zuschauer in dieser durchgehenden Einstellung erkennen können, ist eine Arbeit, deren Sinn wir nicht verstehen. Wir sehen einen Tanz, eine Beschwörung, als wohnten wir einem Ritual bei, in dessen Geheimnis wir niemals vordringen werden. Wir bleiben Nicht-Eingeweihte.
Der Tanz ist schön und keine erklärende Off-Stimme stört die Stille, in der nichts zu hören ist als der Atem und die Schrittgeräusche des Mannes und das leise Zischen der Fächer.
In dem Foto ändert sich nichts, es bleibt stoisch, unnahbar wie eine Majestät. Die Einstellung will offenbar etwas anderes als die fotochemischen Abläufe in Anschauung bringen.
Sie könnte uns daran erinnern wollen, dass wir, wenn wir etwas beobachten, dass sich unserem Verständnis nicht aufschließt, trotzdem eine Schönheit empfinden können, eine Sorgfalt erkennen, die umso mehr eine Aura von verborgenem Sinn entfaltet, als wir sie nicht begreifen. Die Geburt von Neugier. Funktioniert so nicht auch der Prozess von Erkenntnis-interesse im allgemeinen: Jemand erklärt uns etwas (z.B. ein Bild), wir verstehen kein Wort, aber wir erkennen die Anstrengung: da war etwas die Mühe wert. Das bewegt uns. Diese Bewegtheit könnte jetzt ein Ausgangspunkt werden: von hier aus könnten wir beschließen, selbst etwas in Erfahrung zu bringen.