"Schnittstellen von Gewalt in Horrorfilmen 1963 – 1991" in der Berliner Akademie der Künste vom 24.04. bis 26.04.2003
Als "Splatter" werden Filme bezeichnet, in denen der Horror vom Körper ausgeht, genauer: von seiner Verletzung. Die Inszenierung physischer Gewalt ist hier ins Extrem getrieben. Körper werden gewaltsam geöffnet, aufgeschlitzt oder aufgebrochen. Die Filme lösen das Gefühl des Ekels aus, oder sie produzieren Alpträume. Mit einer rationalen Auseinandersetzung meint man jedoch schnell fertig zu sein. Woher der Eindruck des Abstoßenden kommt, scheint offen zu Tage zu liegen, schließlich geht es in den Filmen um maximale Sichtbarkeit der Effekte physischer Gewalt.
Der Ausgrenzung des Genres, die sich auch in der bislang nur zögerlichen Aufarbeitung in der deutschen Wissenschaftslandschaft spiegelt, setzte die Tagung "Bodies That Splatter" eine vielschichtige Retrospektive der vor allem im amerikanischen Raum entstandenen Splatterfilmproduktionen der 1960er bis 1990er Jahre entgegen. "Bodies That Splatter" war aus dem akademischen Kontext heraus organisiert – veranstaltet wurde die Tagung vom Berliner Graduiertenkolleg "Codierung von Gewalt im medialen Wandel" –, ließ aber nicht nur WissenschaftlerInnen, sondern auch Filmemacher und nicht zuletzt die Filme selbst zu Wort kommen. Am Tag der Eröffnung in der Berliner Akademie der Künste, wie bereits in den beiden Wochen zuvor im Kino Arsenal, wurde die seltene Gelegenheit geboten, einige Vertreter dieses fast ausschließlich durch den heimischen Videokonsum bekannten Genres auf großer Leinwand zu betrachten. Das Publikum nahm das Film- und auch das Vortragsangebot zahlreich an. Dabei trafen Wissenschaftler und Studierende mit Amateuren – im eigentlichen Sinne – zusammen.
Die Vorträge der Tagung waren in ihrer inhaltlichen wie methodologischen Ausrichtung ausgesprochen breitgefächert. Die OrganisatorInnen (Konzeption der Tagung: Julia Köhne, Ralph Kuschke und Arno Meteling) stellten diese Herangehensweise als Pool kulturwissenschaftlicher Fragestellungen vor. Kulturwissenschaftlich meint, daß es nicht nur um Fragen der Ästhetik des Genres und seine Historisierung gehen sollte, sondern daß Splatterfilme als kulturelle Symptome aufzufassen seien, die Aussagen über das kollektive Unbewußte ermöglichen, oder Ausgangspunkte für eine Poetik der Kultur (Greenblatt) sein können, die nach dem Verhältnis zu Gewalt, Verletzung und Tod, nach Körperkonzepten oder (Repräsentation und Produktion von) Geschlechterverhältnissen fragt. Zudem wurden auch die kulturellen Praktiken, in die die Filme eingebaut sind, verhandelt, d.h. es ging um Rezeptionsformen und Zensurmaßnahmen.
Eröffnet wurde die Tagung nicht zufällig mit einem Vortrag von Judith Halberstam, war doch die Umschreibung der Formel Judith Butlers von den "Bodies That Matter" in einem Kapitel von Halberstams Buch Skin Shows titelgebend für die gesamte Veranstaltung. Halberstam unterzog den Neo-Splatterfilm BRIDE OF CHUCKY (R: Ronny Yu, USA 1998) einer 'queeren' Lektüre. Anhand dieses vierten Teils der Childs-Play-Serie über den in einem Puppenkörper reinkarnierten Serienkiller Charles Lee Ray fokussierte sie nicht das Ziel der Narration, das auf den ersten Blick in der Überführung von romantisierten heterosexuellen Paarkonstellationen in institutionalisierte eheliche Verhältnisse zu bestehen scheint. Statt dessen fragte sie nach den Momenten des Films, die sich dem "Horror der Heteronormativität" widersetzen. So las sie etwa eine Szene zu Beginn des Films, in der Tiffany den Puppenkörper, in den ihr Geliebter eingesperrt ist, repariert und mit einem Zauber ("Voodoo for Dummys") wiederzubeleben sucht, als Inszenierung eines Butch-Femme-Paares bzw. eines 'queer-embodiment', bei dem die Puppe Chucky als "lesbian phallus" (Butler), als Dildo Tiffanys hergestellt werde. Auf die Bitte seiner Partnerin, beim Sex ein Kondom zu benutzen, antwortet ihr Chucky später: "I’m all rubber, honey". In der abschließenden Sequenz des Films wird Tiffany von Jade erschossen, dem weiblichen Part des zweiten Paares in diesem Film, welches mit heterosexuellem Begehren und dem Wunsch nach Ehe normalisiert ist. Die vor allem zu Beginn des Films sexuell transgressive Tiff ist in BRIDE OF CHUCKY also nicht das Final Girl (Clover), das im Splatterfilm der 1970er und 80er Jahre den Horror durchlebt und dem Monster schließlich entkommt, sondern sie ist selbst Teil des monströsen Paares. Halberstam modifizierte damit abschließend für den Neo-Splatter ihre in Skin Shows entwickelte These, daß das Final Girl im Splatterfilm durch die "heterosexuelle Matrix" (Butler) legitimierte Geschlechteridentitäten und Begehrenskonstellationen überschreite: Die 'queerness', die das Final Girl auszeichnete, werde zunehmend in die Unsichtbarkeit zurückgedrängt, lasse sich aber immer noch aufweisen. Sie finde sich nicht in einer einzelnen Figur, sondern scheine in den Figurenkonstellationen auf.
Zwei weitere Vorträge der Tagung näherten sich Splatterfilmen aus gender-spezifischer Perspektive. Elisabeth Bronfen lieferte eine Lektüre der SCREAM-Trilogie (R: Wes Craven, USA 1996, 1997 und 2000), wonach die Filmreihe den Prozeß des Durcharbeitens des Traumas der Protagonistin Sidney Prescott zeige. Während es, so Bronfen, in SCREAM 1 und 2 um Retraumatisierung respektive Wiederholung geht und die Filme damit um eine traumatische Ursprungsszene kreisen, tritt Sidney im dritten Teil dem Bild und der Geschichte ihrer Mutter gegenüber, was notwendig in Form nachträglicher Inszenierung geschehen müsse. Der Prozeß des Durcharbeitens gelingt durch das Abwerfen des erinnerten mütterlichen Körpers (in Form der Tötung des Halbbruders Roman) und Sidney kann in der Schlußssequenz dem angedeuteten Fortbestehen des Horrors, das den Genrekonventionen gemäß einen weiteren Folgefilm ermöglichen könnte, gelassen den Rücken kehren. Bronfens Lesart, die vor allem an einzelnen Sequenzen des letzten Teils der Trilogie und damit dem Ergebnis der Narration festgemacht ist, läßt sich dem Vorgehen Halberstams gegenüberstellen. Bronfen löste den filmischen Text gerade nicht in einzelne Situationen oder Figurenkonstellationen auf, sondern beschrieb ihn als Erzählung von der Genesung der Protagonistin, von ihrer Herstellung als souveränes weibliches Subjekt. In einem Diskussionsbeitrag wurde dieses Vorgehen dann auch mit der Rückkehr des Subjekts, die sich seit den 1990er Jahren anhand verschiedener theoretischer Positionen beobachten läßt, in Verbindung gebracht. Gerade dieser Aspekt gibt zu leisem Zweifel an der beeindruckenden Stringenz von Bronfens Interpretation Anlaß. Den Film durchzieht die Frage nach der Grenze zwischen Realität und Fiktion (Bronfen berückstichtigt diesen Aspekt durchaus, läßt ihn aber elegant in ihrer Lesart aufgehen): So wird im zweiten Teil die Geschichte des ersten bereits verfilmt und auch die Geschichte von Sidneys Mutter führt zurück nach Hollywood. Handelt es sich also vielleicht auch hier um ein Film-Script? Diesen Aspekt der SCREAM-Trilogie zu betonen könnte ebenfalls mit jüngeren Theorieentwicklungen verbunden werden. Seit den 1990er Jahren haben Positionen der Gender-Theorie gezeigt, daß sich nicht nur die Herstellung kohärenter weiblicher Subjekte, sondern auch die Auflösung von Subjektpositionen oder Geschlechteridentitäten in fluktuierende Textfunktionen strategisch einsetzen läßt.
Gabriele Dietze schließlich stellte TEXAS CHAINSAW MASSACRE (R: Tobe Hooper, USA 1974) und TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2 (R: Tobe Hooper, USA 1986) als filmische Umsetzung des Übergangsrituals (van Gennep) der adoleszenten und mehrheitlich männlichen Betrachter vor dem Eintritt in eine Welt heterosexueller Aktivität vor. Dabei zeigten sich ambivalente Empfindungen gegenüber dem Weiblichen und die Trennung von der Mutter müsse erneut durchlebt werden (Klein). Entgegen Carol J. Clovers Argumentation für eine Cross-Gender-Identifizierung des männlichen Publikums mit dem Final Girl betonte Dietze die Identifizierung mit dem männlichen Monster: Leatherfaces vermeintlicher Wutausbruch, als Sally ihm am Ende von TCM entkommt, sei auch ein "Freudentanz" und damit Ausdruck der Ambivalenz gegenüber der weiblichen Figur und erst am Schluß von TCM 2 komme es für einen kurzen Moment zu einer Identifizierung mit dem Final Girl Stretch – aber auch hier stehe es/sie zugleich als Objekt des männlichen Begehrens nach dem gelungenen Abschluß des Übergangsrituals bereit. Die Vermännlichung des Final Girl, die Clover als potentiell subversiven Aspekt der Filme betont, wird bei Dietze also in kritischer Absicht zugunsten konventionell weiblich konnotierter Aspekte der Figur zurückgedrängt.
In der Sektion "Geschichte des Splatterfilms" skizzierte Stefan Höltgen in einem instruktiven Rundflug die Charakteristika und Entwicklungstendenzen des Genres anhand von Visualisierungs- und Erzählstrategien. Eine zentrale Position erhielt in seinen Ausführungen die Close-Up-Einstellung, die auf verschiedenen Ebenen (Höltgen nannte sie optisch, narrativ und hyperreal) zu einer Ästhetik des Distanzverlusts geführt habe. Die Entwicklung des Genres folge der modernen Logik von Überbietung und Tabubruch. Einen ganz anderen Blick auf das Splatter-Genre und seine historische Verortung gestattete sich Drehli Robnik. Er wandte sich gegen die Fremdheit des Splatter-Körpers und verstand ihn statt dessen als Denkfigur, als Perspektive auf spätkapitalistische Produktionsprozesse und schließlich sogar als "Einübung" in diese. Die Splatter-Ästhetik wurde von Robnik damit nicht in einen formalästhetischen Traditionszusammenhang gestellt und etwa im Sinne von Thomas Elsaessers Begriff des post-klassischen Kinos vor der Folie des klassischen Hollywoodfilms verhandelt, sondern auf die vom globalisierten Kapitalismus (Hardt/Negri) geforderte Flexibilisierung von Körperlichkeit und Emotionalisierung von Arbeitsprozessen bezogen.
John McFarland grenzte sich in seinem Vortrag zu George A. Romeros DAWN OF THE DEAD (I/USA 1978) – die Verbindung zum Sektionstitel "Medialität und Gewalt" blieb unklar – gegen eine sozialallegorische Lesart ab, die insbesondere bei diesem Film naheliegt und lauten könnte: Zombies in einer Shopping Mall sind als entfremdete Subjekte zu verstehen, welche sich ihrer Existenz im Konsum zu versichern suchen. McFarland nahm dagegen den (un)toten Zustand der Zombies ernst und faßte sie gerade nicht als Lebende auf, die sich wie Tote verhalten. DAWN OF THE DEAD wurde so zu einem mentalitätsgeschichtlich relevanten Dokument für den Umgang der gegenwärtigen westlichen Kultur mit dem Tod. Anschließend zeichnete Manfred Riepe am Beispiel von Sam Raimis THE EVIL DEAD (USA 1982) die Praktiken der bundesrepublikanischen Zensur als Verschränkung von massenmedialer Berichterstattung, Politik und Gesetzgebung nach.
Marcus Stiglegger schließlich versuchte, die Position zu beschreiben, die dem (empirisch?) männlichen Betrachter durch eine Gruppe italienischer Splatterproduktionen bereitgestellt wird: DIE RACHE DER KANNIBALEN (R: Umberto Lenzi, I 1980), NACKT UND ZERFLEISCHT (R: Ruggero Deodato, I 1976) und DER NEW YORK RIPPER (R: Lucio Fulci, I 1981). Er argumentierte dazu nicht mit Freud oder Lacan entliehenen psychoanalytischen Konzepten, sondern führte ein Verständnis von Film als "seduktivem System" (Fuery) ein, das dem Betrachter ermögliche, seine Wünsche und Obsessionen zu projizieren, diesen Mechanismus aber verschleiere. In den genannten Produktionen nehme der Betrachter die Position des uneingeschränkten Souveräns ein, der zu jedem Zeitpunkt von der gezeigten Gewalt distanziert sei. Der Reduktionismus von Stigleggers Modell – auch im Vergleich zu psychoanalytisch orientierten Ansätzen, die im Verlauf der 1980er Jahre immer mehr zur Konzeptualisierung flexibler Identifizierungsmechanismen übergegangen sind – wurde in der Diskussion zurecht kritisiert. Besonders Stigleggers Behauptung, auch die Inszenierung von Gewalt gegen die Brust einer Frau in DIE RACHE DER KANNIBALEN werde ausschließlich distanziert rezipiert und eröffne nicht die Möglichkeit des Mitleidens, forderte Widerspruch heraus: die Distanzierung von der Figur sei auch mit Blick auf den Narrationsverlauf unplausibel, denn sie scheide nicht aus der Handlung aus, sondern werde wenig später gerettet – worauf der Hubschrauber in der von Stiglegger selbst gezeigten Sequenz bereits hinweise. Stiglegger blieb bei seiner Argumentation mit Idealtypen und behauptete schlicht, an dieser Stelle sei der Film eben inkonsequent.
Die Sequenz wissenschaftlicher Vorträge wurde am Freitag nachmittag durch ein Gespräch mit dem Filmemacher Jörg Buttgereit unterbrochen und fand am Samstag ihren Abschluß in einer Doppelperformance von Gerburg Treusch-Dieter und Christoph Schlingensief. Buttgereits Auftritt bestach durch die berlinernde Abgrenzungsgeste gegenüber dem vermuteten akademischen Publikum. Er lieferte Einblicke in Schwierigkeiten mit Zensurmaßnahmen und in das Problem, mit geringem Budget einen Körper kunstvoll verwesen zu lassen. Treusch-Dieter begann das Interview mit Schlingensief, indem sie eine Sequenz seines DEUTSCHEN KETTENSÄGENMASSAKER (D 1990) mit einem durchdringend intonierten dadaistischen Manifest zum Splatterfilm überlagerte. Darauf rückte sie dem Provo-Aktionisten mit bohrenden Fragen zu Kindheit, Kirche und Komplexen auf den Leib und erreichte, daß dieser – der Kunstkörper des Christoph Schlingensief – sich tatsächlich zu öffnen begann und alles zeigte, was der kreative Impuls der Situation hergab. Den Abschluß der Tagung bildete damit kein Gespräch über die deutsche Sektion des Splatterfilms, sondern ein Interview als Vivisektion – und das wiederum allegorisierte die ambivalenten Stellung der Wundästhetik zwischen Authentizität und Inszenierung.
Eine Vielzahl von Wegen führt in den geöffneten Körper. Wird "Bodies That Splatter" am Anspruch gemessen, die Zugänglichkeit des Genres für sehr unterschiedliche analytische Herangehensweisen unter Beweis zu stellen, so muß die Tagung als Erfolg betrachtet werden. Die Kehrseite dieses Einsatzes für die Komplexität des Phänomens Splatterfilm, nämlich der Verzicht auf eine perspektivische Eingrenzung oder leitende Fragestellung der Tagung, machte es jedoch zuweilen schwer, Anknüpfungs- und Reibungspunkte der vorgetragenen Positionen zu erkennen. Daß die ReferentInnen zum Teil durchaus konträre Standpunkte vertraten, wird im Überblick deutlich. Diese in den Diskussionen stärker zuzuspitzen und miteinander zu konfrontieren, wäre zu wünschen gewesen. Der für das Frühjahr 2004 angekündigte Tagungsband (Bertz Verlag) wird einen Beitrag zur Weiterführung der Auseinandersetzungen leisten.
Gegendarstellung von Marcus Stiglegger: