Machtworte – über Filme sprechenAnmerkungen zum DVD-Audiokommentar
Es klingt wie der Film gewordene Traum der Autorenpolitik. Jahrzehnte nachdem François Truffaut, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol, Jacques Rivette und Maurice Schérer (alias Eric Rohmer) Mitte der 1950er Jahre als Filmkritiker der französischen Filmzeitschrift "Cahiers du Cinéma" dafür zu streiten begannen, den Regisseur als Autor-Instanz wahr und ernst zu nehmen, spricht diese Instanz nun ständig direkt zu uns. Während die politique des auteurs von Truffaut & Co sich seinerzeit noch für die Entwicklung ins Zeug legen musste, gerade Hollywood-Filme nicht länger als Massenware einer uniformen Unterhaltungsindustrie zu begreifen, sondern sie als Werke zu entdeckender Regiekünstler wertzuschätzen, so dass z.B. Hitchcock mit Chateaubriand und Hawks mit Molière verglichen werden konnten, ist es heute eine Selbstverständlichkeit, dass Hollywoodregisseure über ihre Werke sprechen. Keine Irritation nirgends. Der Audiokommentar als Special Feature, als Extra der Film-DVD1 Entgegen der gebräuchlichen Begriffe Video-DVD oder DVD-Video, womit die DVD als Speichermedium für Filme gemeint ist, die im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in wissenschaftlichen Abhandlungen als DVD verhandelt wird, möchte ich hier von der Film-DVD sprechen, um diese gegen andere DVD-Sparten - wie z.B. Editionen zu TV-Serien, Sportereignissen und Konzertaufzeichnungen - abzugrenzen. Film-DVD meint hier (Kino-)Filmproduktionen, die auf DVD ausgewertet und so bisweilen auch direct to DVD erscheinen. Ich beziehe mich damit auf jenen Ursprung der DVD im September 1994, als sich Columbia Pictures (Sony), Disney, MCA/Universal (Matsushita), MGM/UA, Paramount, Viacom, und Warner Bros. (Time Warner) zusammenschlossen und die Hollywood Digital Video Disc Advisory Group formierten. Ihr Ziel war ein neues Video-Format, um nicht nur neue Filme, sondern auch und vor allem ihre Klassiker und Archiv-Titel auf digitalen Trägern auszuwerten. gibt den Menschen hinter der Kamera (und nicht nur ihnen) Gelegenheit, sich zu äußern – den Film mit Ihren Worten, so scheint es, zu begleiten. Dass es dabei freilich nie um ein Begleiten, vielmehr um ein folgenreiches Verändern geht, wissen alle, die sich schon einmal einem Audiokommentar ausgesetzt haben. Von diesen Veränderungen soll hier die Rede sein.
Heute zählt der Audiokommentar (zumindest bei US-amerikanischen Produktionen) zu den Standards von DVD-Editionen, "almost a necessary part of the DVD issue of a movie – certainly of a special edition" (Barlow, 2005, S. 79). Er gehört immer häufiger zu den Extras, die von einer DVD als "an intimate part", als "a fixture" (Klinger, 2006, S. 70) erwartet werden. Nach der Ton- und Bildqualität bilden die Bonusmaterialien, wie die DVD Entertainment Group wissen ließ, bereits im Jahr 2002 das entscheidende Auswahlkriterium der Konsumenten (vgl. ebd.). Und die Video Software Dealers Association of America gab im selben Jahr bekannt, auf der Rangliste der "most important" Extras rangierten die "commentary tracks" nach "deleted scenes", "behind-the-scenes documentaries" und "interviews with cast members" auf Platz vier. (vgl. Zion, 2002) Eine "DVD ohne Audiokommentar", lautet die Konsequenz auch in Deutschland, "hat es an der Kasse schwerer" (Suchsland, 2005).
Die Verbreitung des Audiokommentars ist damit Teil jenes Ausstattungstrends, der den Begriff der "Special Edition" allmählich destruiert, der die Differenz zwischen Sondereditionen und jenen Film-DVDs zum Verschwinden bringt, die nicht durch Zusätze wie "Special Editon", "2-Disc-Editon", "Collector's Edition", "Limited Edition" oder "Deluxe Edition" ausgezeichnet sind. "In fact, for the last several years", hat Daniel Frankel Ende 2006 betont, "even smaller, 'non-event' new releases and catalog titles have been packed with director commentaries and deleted scenes, as well as innovative DVD-ROM features like interactive games" (Frankel, 2006). Dass andererseits DVDs unter dem Signum "Special Edition" auf den Markt gelangen, deren Ausstattung das Angebot einer Videokassette auf den ersten Blick kaum übersteigt, trägt weiter zu Erosion dieses Begriffs bei.2 Einen Tiefpunkt markiert hier die DVD-Auswertung von Marlon Brandos Regiedebüt, One-Eyed Jacks. Special Edition (Icestorm Entertainment, 2002), die den Film ausschließlich in der US-Sprachfassung präsentiert (ohne Untertitel) und ansonsten außer dem Menü und der Kapitelaufteilung nichts an Bonusmaterialien zu bieten hat. Was ist special an einer "Special Edition"?
Zugleich zeigt gerade der Audiokommentar als Feature unterschiedlichster Editionen, wie die Film-DVD, deren Erfolgsgeschichte als das "erste erfolgreiche digitale Abspielmedium für Video" (Slansky, 2004, S. 35) so häufig mit Revolution3 Vgl. zum Revolutionsbegriff im Hinblick auf die DVD u.a.: Barlow, 2005; Brookey/ Westerfelhaus, 2005, S. 109-128; Suchsland, 2005; Mitchell, 2003. assoziiert wird, die Präsentationsmuster ihrer analogen Vorgängerinnen eher recycelt und (nach den eigenen Möglichkeiten) erweitert als umstürzt: Seit Ronald Havers Kommentar zu Cooper und Schoedsacks Filmklassiker KING KONG von 1933 auf der Laserdisc KING KONG Criterion Collection von 1984 – also gute zwölf Jahre vor der Einführung der Film-DVD 1996/97 – ist der Audiokommentar ein gängiges Feature von Laserdiscs gewesen.
Während die Laserdisc jedoch zu keiner Zeit ihr Nischendasein innerhalb der Filmindustrie überwinden konnte und mit ihr der Audiokommentar etwas für Insider und Fans blieb, sollte sich das mit der DVD rasant ändern. Schon zwei Monate vor der Einführung der Film-DVD auf dem US-Markt im März 1997 meldete "Business Wire", "running director commentary" gehöre zu den "additional features" der für die Zukunft geplanten DVD-Veröffentlichungen; der Erfolg des neuen Mediums, das zum Herzschrittmacher der internationalen Filmindustrie avancierte, bewahrheitete die Ankündigung (vgl. N.N., 1997). Heute haben Massen Zugang zum annoncierten director commentary, und die Konsequenzen im Sinne der politique des auteurs, des auteurism, scheinen auf der Hand zu liegen. Die Überzeugung, der Filmemacher spräche durch seinen Film zu uns, gewinnt Gestalt. Seine4 Die in der Autorenpolitik wirksamen Vorstellungen von Genie, Kreativität und künstlerischer Durchsetzungskraft sind, darauf haben u.a. Judith Mayne und Kaja Silverman hingewiesen, eng an tradierte Vorstellung von Männlichkeit gebunden und in der Geschichte des auteurism ebenfalls in erster Linie Männern zugestanden worden. (Vgl. dazu: Mayne, 1994; Silverman, 1988, S. 187-234) Zeit ist da, der Autor ist nicht tot, er spricht zu uns.
Schon der erste Audiokommentar in der Geschichte der Film-DVD ließ anklingen, wie sich diese Audio-Autor-Politik, die akustische Einschreibung des Regisseurs in sein Werk, als Inszenierung einer Autorität realisieren könnte. Charles "Chuck" Russell nutzt auf THE MASK. New Line Platinum Edition (New Line Home Video, 1997) von Beginn an seine Chance, sich als zentrale Kraft dieses Jim Carrey-Films zu inthronisieren. Dazu gehört, beim ersten Auftritt seines Stars darauf hinzuweisen, kein anderer als er selbst habe diesen für das Kino entdeckt: "Jim Carry – I'd been looking for a project for Jim for 3 or 4 years, since I'd first seen his stand-up act." Die Betonung seiner Regie als kreatives Zentrum mit klarer Intention – und Formulierungen wie "I wanted to...", "I really had the vision...", "I chose to..." – führt Russell an einigen Stellen dazu, dass der Rest des Film-Teams wortwörtlich verdrängt werden muss: "I shot an entire prologue." Ähnlich verfährt Ridley Scott bei seinem deutsch untertitelten Audiokommentar auf BLACK HAWK DOWN (Universal Studios / Senator Film, 2003). Er spricht – "Ich konnte nicht die (...) übliche Hollywood-Kriegsfilm-Umsetzung wählen" – von seinen individuellen Entscheidungen und über Szenen, als ob auch er sie allein "gedreht" habe. Dieser Eindruck (und mit ihm eine für den Film wichtige Realismus-Behauptung) verstärkt sich mit Scotts Geständnis, er habe sich "am Ende der Hauptdrehzeit" beinahe gefühlt "wie ein Kriegsfotograf, wie ein Journalist". Auch Rob Cohen, der ganz im Gegensatz zu Ridley Scott bislang kaum als Regiestar oder auteur gehandelt worden ist, spricht in diesem Sinne von Verantwortlichkeit und Intention seinen Kommentar auf THE FAST AND THE FURIOUS (Universal, 2005). Cohen erläutert u.a. seine filmhistorischen Zitate, seine Bezugnahme auf keinen geringeren Film als John Fords STAGECOACH, und weist stolz seinen persönlichen Ansatz nach: "And here is the shot, that defined for me, what I was trying to do with this film." David O. Russell fügt dem ein Moment hinzu, das die Nähe dieser Audio-Autor-Politik zu Prämissen der politique des auteurs noch klarer kennzeichnet: Mit seinem Kommentar auf THREE KINGS (Warner Home Video, 2000) legt er Verbindungen seines Films und seiner "imagination" mit seiner Biographie offen, verknüpft seine Vergangenheit im Zentralamerika der frühen 1980er Jahre mit dem, was er später "the tone of the film" nennt.
Oliver Stone, um ein letztes Beispiel zu nennen, seit Mitte der 1980er Jahre ein erfolgreicher Meister der Selbstinszenierung als "Hollywood's most audacious auteur" (Corliss, 1994, S. 66), bringt in seinem Kommentar auf WORLD TRADE CENTER (Paramount Home Entertainment, 2007) ein weiteres Erkennungszeichen traditioneller Autorschaft zu Gehör: den Werkzusammenhang, die vom Schöpfer gesponnenen roten Fäden. Die Eröffnungssequenz seines 9/11-Dramas kommentiert er: "So the idea would be that New York was waking up to another day. And I kept doing this. I did it in LAST YEAR IN VIET NAM, as a student film when I was at NYU, and, in another fashion, in Wall Street in 1987. New York waking up with the arrival of the WALL STREET crowd. And here it's the suburb crowd more, coming back into the city for another day."
I kept doing this: Der Audiokommentar scheint wie geschaffen für klassischen auteurism und erst recht für die dazu gehörende kommerzielle Strategie, für den "commerce of auteurism", auf den Timothy Corrigan aufmerksam gemacht hat (Corrigan, 1991, S. 101-136). In diese Richtung argumentieren so auch nicht wenige Auseinandersetzungen mit der DVD. "The impact of the audio commentary on film studies", betont Aaron Barlow, "should be immedatly apparent, including, as it does, a de facto revival of the auteur theory of cinema." (Barlow, 2005, S. 119) "DVD audio commentary", so Martin Shichtman, "tantalizes with the potentiality of access to origin" (zitiert nach: Coyne Kelly, 2006, S. 12), Alexander Böhnke sieht im "Audiokommentar des Regisseurs" ein Beispiel des "Auteur-zentrierte[n] Zugang[s]" als "Verkaufsmaßnahme, der sich die übrige DVD-Produktion nicht verschließt" (Böhnke, 2005, S. 216). Robert Alan Brookey und Robert Westerfelhaus diskutieren die DVD als "platform for an auteur to discuss explicitly the artistic choices made" (Brookey/Westerfelhaus, 2005) und fassen zusammen: "By collapsing promotion into the product, DVD-extra text can more effectively exploit the ideology of the auteur than is possible through the use of traditional secondary texts. The extra text offers consumers access to commentary by those involved with making the film, and it positions this commentary as authoritative." (Brookey/Westerfelhaus, 2002, S. 24)
Diese offensichtliche Möglichkeit der Audio-Ebene trügt jedoch etwas. Denn Kommentare erfüllen keineswegs nur das naheliegende Prinzip des auteurism, indem die Stimme der Regie zum Teil der Film-, DVD- und Selbstvermarktung wird. Den Audiokommentar allein als Vehikel einer Revitalisierung oder Bekräftigung von Autorschaft zu verstehen, funktioniert nur theoretisch perfekt. Tatsächlich hält sowohl die Ästhetik des Audiokommentars, wie Film und Kommentar zum Erscheinen kommen, als auch das kaum zu überblickende Programm dieses Bonusmaterials etliche Störungen einer klassischen Autorenpolitik bereit.
Dazu gehört zuallererst, dass natürlich nicht ausschließlich Regisseure Audiokommentare sprechen, sondern – neben externen Gruppen wie etwa Filmhistorikerinnen und -kritikern – eine ungleich größere Gruppe von Filmschaffenden, zu denen u.a. Drehbuchautorinnen, Schauspieler, Produzentinnen, Kameraleute, Designerinnen und Komponisten gehören. Und in Zusammenhang mit wechselnden Zuschreibungen von (partieller) Autorität kommt es neben der Auswahl der Kommentierenden auch auf deren Präsentation an. Die zunehmende Praxis z.B., mehrere Personen an einem Kommentar zu beteiligen, den Voice Over einer Gruppe zu übergeben, unterminiert eine monokausale Rückführung von Bild, Ton und Bedeutung auf eine zentrale Autor-Instanz/-Stimme – und führt darüber hinaus bisweilen zu einer kaum verständlichen Kakophonie. So unterschiedlich beispielsweise die Team-Kommentare auf FINAL FANTASY (Columbia Tristar Home Entertainment, 2001) und THE BLAIR WITCH PROJECT (Kinowelt Home Entertainment, 2000) inhaltlich auch sind, so ähnlich sind sich beide Audio-Ebenen darin, dass nach der ersten Vorstellung der Kommentatoren keine spätere Identifizierung der Sprecher mehr angeboten wird. Die Tonspur wird zu einem Miteinander vieler, kaum noch klar (und namentlich oder in ihrer Produktionsfunktion) zu unterscheidender Stimmen, die auf diese Weise – willentlich oder nicht – den Film als Teamarbeit spürbar werden lassen. Ein Kollektiv rückt in den akustischen Vordergrund. Der Film sagt "wir".5 Diesem Zuordnungsproblem begegnen einige DVD-Editionen wie Terminator 2. German Ultimate Edition DVD (Artisan Home Entertainment/Kinowelt Home Entertainment, 2001), indem optionale Untertitel die Namen und Funktionen der Sprechenden zusätzlich zu den Äußerungen einblenden. Neben diesen Momenten – Wen kümmerts, wer spricht? – öffnen sich weitere Wege zum Gegenteil eines revival of the auteur theory. Mark und Deborah Parker haben in diesem Zusammenhang "authorship", "intention" und "commentary tracks" kritisch in Beziehung zueinander gesetzt (vgl. Parker/Parker, S. 13-22). Anhand mehrerer Beispiele zeigen sie, dass die Frage nach der Intention durch den Audiokommentar keineswegs ausdrücklich geklärt, stattdessen durchaus verkompliziert werden kann: Zum einen, indem ein Kommentar keine Intention anbietet, die hinter den Bildern und Tönen zu entdecken sei, stattdessen aber Inkonsistenzen und Probleme eindeutiger Zuschreibung. Zum anderen wird intentionale Zuordnung gerade dann schwierig, wenn es sich beim Audiokommentar eben um ein Gespräch handelt, in dem unterschiedliche Positionen und Verantwortlichkeiten hörbar werden.
Letzteres gilt auch (und vielleicht in besonderer Weise) für Kommentare, die nicht als Gespräch für die DVD aufgenommen, sondern aus einzelnen Kommentaren montiert werden. Im deutsch untertitelten Audiokommentar auf STIRB LANGSAM – JETZT ERST RECHT. Special Edition (2002, Buena Vista Entertainment) entwickelt sich eine bemerkenswerte Konkurrenz der Autorschaft zwischen Drehbuchautor Jonathan Hensleigh und Regisseur John McTiernan, an deren Ende eine Art Ordnungsruf des Regisseurs steht. Zunächst berichtet Jonathan Hensleigh von den autobiographischen Hintergründen seines Skripts SIMON SAYS, das zur Grundlage dieses dritten Teils der DIE HARD-Reihe wurde, und betont immer wieder seinen Beitrag zur Realisierung des Films. John McTiernan hingegen, der 1988 bereits den Beginn der Reihe inszeniert hatte, erläutert seinerseits das "Wesentliche" seiner McLane-Figur und ihres neuesten Abenteuers. Das sich langsam entfaltende Ringen um Autorität führt zu einem Lob der Regie, das wie ein trojanisches Pferd zugleich Hensleighs Urheberschaft verteidigt und die Inszenierung zur Erfüllung der Autorimagination erklärt. Eine der berühmtesten Szenen des Films, in der McLane (Bruce Willis) mit dem Plakat "I hate Niggers!" in Harlem aufläuft, kommentiert Hensleigh: "Dies ist der Teil des Films, der Aufnahme für Aufnahme, Moment auf Moment, genauso ist, wie ich es mir damals vor neun Jahren vorgestellt hatte. Das wurde regiemäßig so gut realisiert, wie man es sich vorstellen kann. [...] McTiernan kriegte das perfekt hin." Später, gegen Ende des Films, wird Hensleigh die Entwicklung der Geschichte als in gewisser Weise notwendig bezeichnen ("Die Grundstruktur dieses Plots bedingte bestimmte Dinge.") und John McTiernan im Anschluss – die perfekte Retourkutsche – zu einer neuen Plot-Wendung des Drehbuchs hörbar entnervt deklarieren: "Ich finde eine Wandlung zuviel. Ich weiß nicht welche zuviel ist, aber eine ist zuviel. Wenn wir den Film heute drehen würden, würde ich alle zwingen, eine Episode zu streichen."
Die Film-DVD verfügt mit dem Audiokommentar somit keineswegs nur über die Möglichkeit, Autorstatus im Sinne einer romantischen Reduktion zu manifestieren. Ebenso wohnt diesem Feature die Fähigkeit inne, die Komplexität der Frage nach Autorschaft und auch das Ringen um sie als symbolisches Kapital transparent werden zu lassen. Nicht allein die Bestätigung von oder der Wunsch nach Autorschaft, auch die Probleme einer solchen Festschreibung kommen im Audiokommentar potentiell zum Erscheinen. Wir hören der Autorenpolitik beim Wirken und Scheitern zu.
Ein Scheitern, das in einem Punkte unvermeidlich bleibt: Vollkommen unabhängig davon, was dabei gesagt wird, worüber Audiokommentare auch immer sprechen mögen – sie sprechen stets in einem doppelten Sinne über Filme. Stimmen legen sich über die Tonspur des Films und indem sie diese übersprechen, verändern sie den (Ton-)Film elementar.6 Das gilt auch für den Stummfilm, der hier unerwartet eine Tonspur findet oder dessen Musikbegleitung durch das gesprochene Wort in den Hintergrund gedrängt wird. Musik, Geräusche und Dialoge werden unverständlich, gehen unter in der Dominanz formulierter Sätze. Machtworte werden gesprochen und überlagern in diesem Moment alles andere – mit der Folge, dass der Audiokommentar (z.B. als Zeichen von Autorität) im Augenblick seines Erscheinens immer schon einen Teil dessen zerstören muss, wovon er spricht und worauf sich etwa eine Behauptung von Autorschaft beziehen könnte. Lutz Nitsche hat das in seiner Bemerkung angedeutet, die "imaginäre Werkeinheit von Bild und Ton" werde "durch die akustische Präsenz des Gestalters zugleich in Frage" gestellt (Nitsche, 2005, S. 347).
In dem Augenblick z.B., in dem Filmhistoriker Bruce Eder im Audiokommentar auf THE MOST DANGEROUS GAME. Criterion Collection (Criterion, 2001) von den Dialogen des Films spricht und von der Hilfe, die das Regisseur/Produzenten-Duo Ernest B. Schoedsack und Merian C. Cooper dabei in ihrem ersten Tonfilm durch Co-Regisseur Irvin Pichel erhielten, sind eben diese Dialoge, der Gegenstand des Kommentars, nicht zu verstehen. Ebenso bleiben die Details besagter Plot-Wendung, die John McTiernan in seinem Audiokommentar auf STIRB LANGSAM – JETZT ERST RECHT. Special Edition als "zuviel" kritisiert, nicht nachvollziehbar. McTiernans Kritik – "one too many switches" – lässt die sich in den Dialogen artikulierte Wendung unhörbar werden. Genauer gesagt: Wer den Film nicht kennt, hat wenig bis gar keine Ahnung, wovon McTiernan da spricht.
Der Audiokommentar transformiert den kommentierten Film, verwandelt ihn in einen anderen, und dieses Prinzip wird bereits zu Beginn des ersten DVD-Audiokommentars verbalisiert. Charles Russell begrüßt uns auf THE MASK mit der Hoffnung, wir sähen den Film mit seinem Kommentar doch wohl hoffentlich nicht zum ersten Mal: "I will tell you everything I know about The Mask as I see it before my eyes and as you watch it. I hope for the second time – first time would be just horrible listening to me!" Dass Russell damit beim Großteil des Publikums sperrangelweit offene Türe einrennt, lassen Internet-Foren zur DVD vermuten, in denen etwas vom Nutzungsverhalten lesbar wird. So lässt z.B. Joseph DeMartino in seinem wütenden, am 27.1.2004 eingestellten Beitrag im "Home Theater Forum" nicht den Hauch eines Zweifel daran, wie "wir" Audiokommentare nutzten: "How stupid do they have to be to think that we're stupid enough to be watching the movie on DVD with a commentary track the very first time we see the movie? 1) In 8 out of 10 cases we're going to have seen the movie at least once in the theater if we've just bought a special edition DVD with a commentary track. 2) Even if the movie is a blind buy or rental we're smart enough to watch the movie with the original soundtrack before we listen to the commentary." (DeMartino, 2004) Auch der Kommentar von Drehbuchautor Ernest Lehman auf der DVD DER UNSICHTBARE DRITTE (Turner Entertainment Co./Warner Home Video, 2001) formuliert ein Bewusstsein dafür, dass hier eben nicht NORTH BY NORTHWEST oder DER UNSICHTBARE DRITTE zu erleben ist, sondern ein anderer, gleichsam ein dritter Film, dessen "Plot" sich von dem Film unterscheidet, der hier kommentiert wird: "Now I presume I am talking to an audience here which has seen the picture." Lehman weiß, dass er diesen Film, den er liebt und als "Hitchcock-picture to end all Hitchcock-pictures" geschrieben hat, nun mit seiner Sprache nicht nur in einem besonderen Licht erscheinen lässt, sondern ihn zugleich ver- bzw. entstellt; dass paradoxerweise gerade seine Dialoge seiner eigenen Stimme zu Opfer fallen werden.
Die Ästhetik des Audiokommentars, seine Bedingung, nie "für sich", sondern nur als Einheit mit dem Film zu erscheinen, den der Kommentar nicht bestehen lassen kann, wird hier auch als Dilemma spürbar. Damit aber ist das Potential längst nicht erschöpft: Dass und wie der Audiokommentar nie nur Begleitung, aber immer schon Transformation ist, gipfelt in visuellen Kommentaren (audiovisual commentary), die z.B. auf der Edition FINDET NEMO. 2-Disc-DVD-Set (Buena Vista Home Entertainment, 2003) im Einklang mit der veränderten Tonspur zusätzliche Szenen einfügen, die als Ergänzung und Erfüllung des Kommentars die Entstehungsgeschichte des Films illustrieren sollen. Hier verwandelt der Kommentar seinen Gegenstand auf allen Ebenen seines audiovisuellen Erscheinens. Zumindest potentiell – denn zum persönlichen Umgang mit den zusätzlichen Szenen der Kommentar-Fassung7 Die Länge des hinzugefügten Materials beträgt ca. 35 Minuten. erläutert FINDET NEMO-Regisseur Andrew Stanton im Prolog des Extras "Play Movie with Visual Commentary": "If you ever want to skip over the video-segment, just hit the 'next'-button on your remote."
If you ever want to: Spätestens an dieser Stelle führt die Frage nach den Erscheinungsformen des Audiokommentars auf DVD zur grundsätzlichen Frage nach dem, wie überhaupt Inhalte einer Film-DVD erscheinen. Und wir können kaum sinnvoll darüber sprechen, ohne zumindest auch über Menüs zu sprechen, in denen wir zu navigieren und auszuwählen aufgefordert sind. Wir müssen uns bewegen in dem, was zum Erscheinen kommt, im Interface der Film-DVD, damit wir weiteres zum Erscheinen bringen können, z.B. einen Audiokommentar.8
Dass auf der Grundlage von Navigation und Auswahl nicht selten auch zwischen mehreren Audiokommentaren zu wählen ist, die dann während des laufenden Films zu- und abgeschaltet, gewechselt werden können, erhöht die Komplexität dieses Extras. Das (wenn auch eingeschränkte) interaktive Potential der Film-DVD entfernt so das Potential des Audiokommentars weiter von einem bloßen revival of the auteur theory und führt stattdessen zu grundlegendere Fragen nach dem audiovisuellen Geschehen beim Abspiel der DVD und nach dessen (nicht nur technisch-apparativen) Bedingungen. Dazu gehört vor allem das bereits zur Markteinführung der DVD präsente Versprechen von Vielseitig- und Wandelbarkeit: dass wir als Nutzerinnen und Nutzer einer DVD neue Möglichkeiten von Partizipation, Auswahl und Entdeckungen erfahren sollen, "there is a lot to discover"9 "There is a lot to discover so grab your remote and enjoy!", schließt die 30-sekündige Einführung von Selma Blair auf der zweiten Disc der DVD-Edition Hellboy. 2-Disc-Special-Edition (Columbia TriStar Home Entertainment, 2004)., und nicht zuletzt über "[a]n interactive, on-screen menu system" (N.N., 1997) an dem beteiligt werden, was sich uns da via Monitor und Lautsprecher zeigt. Wie weit dürfen wir als User Inhalte mitbestimmen, wo soll unser Einfluss enden und damit die Produktion ihrerseits Stärke, Macht demonstrieren? Jeder Traum von Autorschaft bekommt es auf DVD irgendwann mit diesem Versprechen zu tun, das sogar das "Video" aus ihrem Akronym verdrängt hat: Versatilität.10 Nachdem die "Digital Video Disc" 1994 noch lesbares Zentrum der "Hollywood Digital Video Disc Advisory Group" gewesen und 1996/97 in Variety mehrfach als Übersetzung des Kürzels DVD angeboten worden war, hat sich seit Ende der 1990er Jahre die Ausschreibung "Digital Versatile Disc" durchgesetzt.
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