Nachträgliche Anmerkungen zu BLACK BOX BRD und DIE INNERE SICHERHEIT
Kino ist ein träges Medium. Noch 1997 - lange nach dem Wiederauftauchen von in der Ex-DDR untergeschlüpften Ex-RAFlern - als gerade die Ereignisse des Deutschen Herbstes sich zum zwanzigsten Mal jährten und allerorten im Feuilleton ausgeschlachtet wurden, schien es als ob deutsche Regisseure dazu nichts (mehr) zu sagen hätten; abgesehen vielleicht von Philip Grönings Anfang der 90er wenig beachtetem DIE TERRORISTEN, und später selbstredend den aktualitätsgetriebeneren Fernsehkollegen. Flankiert von einer unsäglichen tagespolitischen Retro-Debatte über die 68er und ihr Verhältnis zur Gewalt, begann jedoch im letzten Jahr eine neuerliche RAF-Renaissance (inklusive obskurer Meldungen über eine mögliche Neugruppierung). Eine Renaissance quer durch alle Kultursparten, von der Ausstellung bis zum HipHop-Song - nun jedoch auch und vor allem im Kino.
Am Anfang stand ironischerweise eine Art Bankrotterklärung der alten deutschen Filmemachergeneration, der einstigen Revoluzzer gegen Papas Kino und Zeitzeugen der Revolte gegen Papas Staat: Stellvertretend für sie demontierte sich Volker Schlöndorff mit DIE STILLE NACH DEM SCHUSS, der die Vergangenheit mit Schlagwortdialogen, pseudoauthentischer Ausstattungspedanterie und einer kreuzbraven Montage zu reanimieren suchte. Hatte Schlöndorff sich mehr oder weniger bei Inge Vietts Autobiografie bedient, erzählte nachfolgend der vergleichsweise junge Christian Petzold in seinem Kinodebüt DIE INNERE SICHERHEIT weit souveräner ein zweites, rein fiktives Postterrorismus-Drama - aus der Sicht einer Nachgeborenen.
Vorläufiger Schlusspunkt: Andres Veiels BLACK BOX BRD, bemerkenswerterweise einer der wenigen Dokumentarfilme, die in jüngerer Zeit überhaupt für kinotauglich erachtet wurden. Nach den gerne angestellten Vergleichen zwischen DIE STILLE NACH DEM SCHUSS und DIE INNERE SICHERHEIT fehlt nun in kaum einer Rezension von BLACK BOX BRD ein Hinweis auf den unmittelbaren Vorgänger; meist nur in Form der kurzen Feststellung, dass nach der fiktionalen Bearbeitung nun also die Dokumentation vorliege. Was aber lässt sich darüber hinaus über die beiden Filme DIE INNERE SICHERHEIT und BLACK BOX BRD sagen, wie verhalten sie sich über die Genregrenze hinweg zu ihrem Kontext und zueinander?
Zunächst eint sie, jenseits der reißerischen TODESSPIELE und FADENKREUZE des 97er-Jubiläums, aber auch jenseits naiv-romantisierender ROSENFESTE der neuen deutschen Popliteratur, eine tendenziell unaufgeregte, nüchterne Herangehensweise an das Thema, das paradoxerweise fast "unauffällig" im Hintergrund präsent ist. Der eine erzählt (ähnlich wie schon Veiels Vorgängerfilm DIE ÜBERLEBENDEN) von Toten – von zwei realen Toten, Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen. Der andere von Gespenstern – von einer fiktiven Familie, die gemeinsam im Untergrund eine Schattenexistenz führt. Gespenster, die fast nicht mehr wahrgenommen werden. Sie sprechen selbst kaum, geben unendlich geringe Anhaltspunkte über ihre Vergangenheit, über das was geschah, bevor es Jeanne, die Tochter, gab; und auch andere erzählen uns wenig darüber. BLACK BOX BRD hingegen wimmelt von den dokumentarfilmeigenen talking heads, welche die Protagonisten, die selbst nicht mehr sprechen können, zu charakterisieren, lebendig zu machen versuchen.
Beide Filme stellen Personen in den Mittelpunkt. Sie versuchen die Makro- in der Mikrostruktur zu repräsentieren und das Politische im Einzelschicksal zu verdichten, vollführen dabei ein fortwährendes psychologisch-biographisches Umkreisen (das allerdings außerhalb der "black box" bleibt). Dieses Privatisieren, Individualisieren war von links gesehen immer auch eine verpönte Methode, weil sie von den eigentlichen, strukturellen Bedingungen ablenke. Rezensenten haben hier einen Paradigmenwechsel im filmischen Umgang mit der inzwischen für aufgelöst erklärten RAF gesehen: In den jüngeren Filmen vollziehe sich eine Hinwendung weg vom Politikum zum "inneren Universum des Phänomens". Ganz neu ist das nun allerdings auch wieder nicht, denkt man z.B. an Margarethe von Trottas DIE BLEIERNE ZEIT oder Reinhard Hauffs Parabel MESSER IM KOPF. Naheliegenderweise waren es damals die Wurzeln bzw. die Gegenwart des Terrorismus, die thematisiert wurden, während heute eher die "Nachkommen" im Mittelpunkt stehen. Das Verfahren ist jedoch mehr oder weniger das selbe geblieben.
Welche unterschiedlichen Erwartungen verknüpfen wir dabei jedoch mit dem "Genre"? Ist die psychologische Verdichtung ein Verfahren, dass wir möglicherweise dem Spielfilm und seiner zumeist an identifikationsträchtige Protagonisten geknüpften Narration naturgemäß lieber zugestehen wollen als dem Dokumentarischen? Es gehört zwar längst zum filmdiskursiven Allgemeingut, dass es den Dokumentarfilm (respektive eine ihm eigene verlässliche Beziehung zur Realität, die über dramaturgische Ansprüche erhaben ist) so nicht gibt; dass er ebenso wie der Spielfilm ein artifizielles Konstrukt ist, das eine bestimmte ihm inhärente "Wirklichkeit" zu suggerieren sucht. Nichtsdestotrotz operieren wir in der Rezeption eines Films de facto doch mit dieser Trennung und leiten daraus bestimmte Ansprüche an ihn ab.
Interessanterweise vertreten beide, Petzold wie Veiel, eine Annäherung des Dokumentarischen und des Inszenierten – von verschiedenen Seiten her. Petzold (zu seinen frühen Fernsehfilmen siehe auch den Text von Jörg Metelmann) gehört zu einer Reihe von Filmemachern, die bei Filmkritikern Enthusiasmus über eine "neue Hinwendung zur Wirklichkeit im deutschen Film" aufkommen ließen. In einem Interview (filmdienst 3/2001) mit Ulrich Kriest äußerte er: "...das Größte bei einem Dokumentarfilm sei, wenn er zur Fiktion werde. [...] Umgekehrt sind die größten Momente in Spielfilmen, wenn diese dokumentarisch werden, wenn das Nicht-Inszenierte in die Erzählung einschlägt." Der Dokumentarist Veiel seinerseits vertritt die Position, durch inszenatorisches Eingreifen oder auch andererseits: gnadenloses "Draufhalten" der eigentlichen "inneren Wahrheit" von Figuren näher kommen zu können und sie ans Licht zu holen – den "Schlüssel" zu ihnen zu finden (siehe hierzu das Interview von Christine Daum). Beide versprechen sich von der Grenzüberschreitung offensichtlich Bereicherung für ihre filmischen Konstrukte.
Das, was an DIE INNERE SICHERHEIT realistisch anmuten könnte - der Bezug zu politischer (Vor-)Geschichte, der akribisch genaue Blick auf die "Mikropolitik" der Familie, sowie eine Montage, die auf konventionalisierte Verfremdungen (auch des möglicherweise Imaginären oder Innenweltlichen!) verzichtet, hat jedoch auch dazu geführt, dass der Film aus einem bestimmten Realismusanspruch heraus kritisiert wird, einer Messung am "wie es wirklich war oder zumindest gewesen sein könnte".
So fragt sich Andreas Busche in der Spex 6/01: "Warum sollte ein Pärchen, das ein Kind haben will, weiterhin bewaffnet im Untergrund umherspringen, anstatt sich ans Ende der Welt abzusetzen und einfach darauf zu setzen, dass man vergessen wird? [...] Glaubt Petzold wirklich, dass man nach 15 Jahren Illegalität – ohne Aktionen – immer noch so gehetzt durchs Leben hechelt?" Busche beklagt sich durchaus zurecht über den gnadenlos beliebigen Popkultur-Hype um die Ex-Terroristen, um ihre Nutzbarmachung unter Umgehung tatsächlicher politischer Fragen (sein Text wird auf dem Spex-Cover allerdings angekündigt unter dem Kürzel RAF, das wie ein besonders schnittiger Bandname zwischen Weezer und Radiohead plaziert ist und damit genau das, was er ankreidet, illustriert...). Er erhebt den Vorwurf, so auch gegen DIE INNERE SICHERHEIT und ähnlich BLACK BOX BRD, die RAF werde als spannende Hintergrundfolie für Geschichten herangezogen, die im Grunde nicht wirklich mit ihr zu tun hätten. Ironischerweise erzählt Petzold in dem erwähnten filmdienst-Interview, es sei ihm tatsächlich angetragen worden, die RAF-Bezüge zu streichen und durch den Immobilienspekulanten Schneider zu ersetzen...
Solche Austauschvorschläge erscheinen reichlich absurd; und der "Unrealismus"-Vorwurf erübrigt sich ohnehin, akzeptiert man den eben doch artifiziellen Charakter des Films. Ein Gedankenexperiment, eine Art filmische Laborstudie, die assoziativ etwas entstehen lässt, mit dem sie über ihre Begrenzung hinausweist. Ein Bild, in dem sich etwas verdichtet - das so beliebig durchaus nicht ist. Dass DIE INNERE SICHERHEIT es unterlässt, den RAF-Hintergrund durch ständige dialogische Verbalisierung oder Zeitraffer-Rückblenden plausibel zu machen, wollen wir nicht so sehr als Versäumnis denn vielmehr als dankenswerte erzählerische Konsequenz anrechnen.
In der Tat, der Name RAF fällt kein einziges Mal – stattdessen codierte Hinweise: der linke Verleger namens Klaus, das Knast-Kultbuch "Moby Dick"... Oder: die Vorführung von Alain Resnais’ Holocaust-Doku NACHT UND NEBEL in einem Klassenzimmer, anknüpfend an den Ausschnitt aus DIE BLEIERNE ZEIT, in dem der selbe Film die jungen Ensslin-Schwestern zum Weinen bringt. Der Lehrer hier nun allerdings ein verzweifelter Alt-68er, die zusehenden Schüler weitaus abgestumpfter - und Jeanne als Fremde, als Gast unter ihnen. Eher nebelhafte Andeutungen als wirkliche Hinweise sind das, sie werden nicht weiter erklärt oder aufgedrängt, man kann sie mitrezipieren oder auch nicht. Sich als Filmemacher auf dieses Unsicherheitsrisiko einzulassen, zeugt von filmischem Wagemut. Und der fordert auch den Zuschauer.
Mehrfach wird die perfekte Spielfilmillusion gebrochen, Schlüssigkeit und Eindeutigkeit der Geschehnisse verweigert. Ambivalente Situationen – die schwarzen Limousinen (die als Leitmotiv übrigens ja auch durch BLACK BOX BRD geistern), die einmal die Paranoia der Verfolgten zeigen, am Ende aber tatsächlich (?) zur tödlichen Bedrohung werden. Der Zuschauer ist genauso schlau wie die Figuren. Ihre genaue Vorgeschichte bleibt im Dunkeln – wir sehen nur das Resultat. Die äußerst reduzierte Informationsvermittlung zwingt dazu, die Vergangenheit der Figuren selbst zu vermuten, zu erahnen. DIE INNERE SICHERHEIT vermeidet den Fehler, alles sagen, zeigen, erklären, die ganze (Vor-)Geschichte noch einmal im Zeitraffer visualisieren zu wollen (wie in gewissem Sinne DIE STILLE NACH DEM SCHUSS). Umgekehrt wäre der Fehler zuschauerseits, eindeutige Klärungen einzufordern. Die Leerstellen sind es, die den Film produktiv machen – freilich nur, wenn wir willens und in der Lage sind, sie zu füllen, statt lediglich ein Familiendrama mit Krimi-Touch darin zu sehen.
Der spezifische "Wirklichkeitsgehalt" von DIE INNERE SICHERHEIT, auch im Sinne einer Aussage über seine Entstehungszeit, liegt vielleicht gerade in jener Ferne, die solche Figuren und ihre einst politischen Motivationen für uns erreicht haben. Das Gespenstische an ihnen, das daher rührt, dass sie aus einer Zeit stammen, in der sie selbst stehen geblieben sind, die dem Blick aus einer selbstzufriedenen Gegenwart heraus jedoch so irreal und undurchschaubar erscheint – oder, erscheinen will.
Wie nun ist es um den Wirklichkeitsanspruch von BLACK BOX BRD bestellt? Kaum eine Rezension hat versäumt, auf die gängige Definition des Begriffes "Blackbox" hinzuweisen, wie wir ihn aus der Psychologie kennen: Ein unbekanntes Innenleben, über das wir nur anhand seines In- und Outputs spekulieren können. Wenige haben die andere, eigentlich gegensätzliche Bedeutung erwähnt: das Gerät, das eine (Flugzeug-)Katastrophe nachträglich genau rekonstruiert und deren Ursachen offenlegt, also das was wirklich passiert ist: Ein Anspruch, den Veiel ausdrücklich nicht erhoben hat. Wie man ihm von Kritikerseite auch stets lobend attestierte: Gebetsmühlenartig wurde da das Gratislob wiederholt, dass er nur Fragen aufwerfe und keine Antworten gebe, dass er außerdem für niemanden Partei ergreife usw. Aber stimmt das denn? Selbst keine Stellungnahme ist bekanntlich auch eine Stellungnahme.
BLACK BOX BRD will kein Enthüllungsfilm sein, kein Rekonstruktionsversuch des umstrittenen Todes von Wolfgang Grams in Bad Kleinen und keine Spekulation über das Attentat auf Alfred Herrhausen (wenn es wohl auch nicht ungelegen kam, dass beim Filmstart per Haaranalyse die Wirklichkeit der Fiktion zu Hilfe eilte - wie ein absurder PR-Gag). Manche haben beklagt, dass durch die Gegenüberstellung eine Mittäterschaft von Grams bei Herrhausens Ermordung suggeriert werde. Dies soll unser Kritikpunkt nicht sein - denn derlei Effekte interessierten Veiel wohl tatsächlich weniger.
So hat er einen Film gemacht, der übertrieben reportagehafte Sensationshascherei vermeidet, aber eben auch subtilere Brisanz entbehrt – ein Film, der niemandem wehtut. Und in dem sich eins zum anderen fügt. Recht simpel werden da zwei reizvoll kontrastierende Männerbiographien teleologisch gegeneinander montiert; vor dem Hintergrund gegensätzlicher Milieus, Elitarismus einerseits, bescheidenes Kleinbürgertum andererseits. Mit geschmeidigem, harmonisierenden Erzählduktus gleitet Veiel förmlich über die beiden Lebensläufe - mehr glattbügelnd denn aufbrechend.
Vom Tod zurück in die Kindheit – ab dann brav chronologisch. Also zunächst der stramme, ehrgeizige Hitlerjunge gegen den feinfühlig-musikalischen, natürlich sozial orientierten und zuhause aufmüpfigen Romantiker. Der eine wird Großbankdirektor; der andere wird, nach seinem Engagement für inhaftierte Terroristen, selbst zu einem solchen. Ersteren sehen wir Golf spielen, letzteren mit Hippiebart am Strand herumtollen. Weggefährten berichten: Mit Herrhausen gab´s exquisite Herrenabende im Nachtclub, mit dem nach Fisch stinkenden Grams Quickies in der Mittagspause. Welchen Erkenntnisgewinn bringt uns dies? Dass Milieus und die ihnen eingeschriebenen Lebensläufe tatsächlich horrend klischeehaft sind. Oder eben auch: sich gut so darstellen lassen.
In BLACK BOX BRD werden uns Menschen vorgeführt, die man klischeeisierter sich selbst in kühnstem, bitterstem Zynismus nicht hätte ausmalen können: Der eitle zigarrenschmauchende Banker, der vom glücklichen Ende falscher Bescheidenheit schwärmt, und der spießige Alt-68er, der im Schrebergarten schüchtern noch sein Transparent hisst. Gewinner und Verlierer eben. (Eher als Nebeneffekt geraten auch mal Beispiele für gelungene biographische Seitenwechsel der Berliner Republik ins Bild: Otto Schily zum Beispiel, am Grab von Holger Meins.) Man kann schlechterdings nicht abstreiten, dass diese Charaktere offensichtlich existieren, und es ist Glück für Veiel, dass er sie gefunden hat. Aber man sollte immerhin noch unterscheiden zwischen den Kronzeugen selbst und der Montage des Erzählten bzw. dem Umgang mit dem Originalmaterial.
Wie Veiel seine Geständnisse zutage fördert, haben ihm manche wohlwollend als Geduld des langen Zuhörens, andere anklagend als erpresserische Aufdringlichkeit der Kamera ausgelegt. Denunziatorisch am interessantesten sind sie noch, wo die Erzählenden nicht nur etwas über die Toten, sondern natürlich auch sich selbst verraten. Traudl Herrhausen, heute für die CDU im hessischen Landtag, die bei der Beschreibung ihrer Hochzeit besonders intensiv um Fassung ringt, um dann ergriffen die Worte "ganz konventionell" zu formen. Oder der Vater von Wolfgang Grams, der schwer atmend zu rechtfertigen sucht, was ihn einst der Waffen-SS beitreten ließ. Wo sie jedoch über die Toten sprechen, fügen ihre aneinandergereihten Aussagen sich misstrauenerweckend stringent wie Mosaiksteinchen zusammen; kaum Brüche oder Widersprüche. Die zahlreichen Befragten scheinen statt an vielen kleinen an einem großen, runden Bild zu formen.
Und kein Zweifel am Sieg des Kapitals... Das von Beginn an ständige Kreisen um die Deutsche Bank erscheint halb als Resignation, halb auch als spürbare Faszination angesichts der Macht. Möchte man Veiel auch zunächst einen Sympathiebonus für seinen Generationsgenossen Grams unterstellen, wirkt jedoch in seiner Inszenierung Herrhausen letztlich privilegiert. Nicht nur, weil Birgit Hogefeld als Zeugin für Wolfgang Grams bzw. als starker Gegenpart zu der merklich dominierenden Traudl Herrhausen fehlt. Mit ihrer Erzählung vom Attentat beginnt das Melodram, auf das Schwarzbild nach dem Knall folgt ein Foto Herrhausens - dann der Anfangstitel. Danach erst geht es nach Bad Kleinen...
Während gegen Ende der Herrhausen-Mythos einen grandiosen Showdown bietet: Wie der Banker just vor seinem Tode noch im Alleingang einen Schuldenerlass für die Dritte Welt hätte erreichen wollen, nachdem er den mexikanischen Staatspräsidenten besucht hat und sich von diesem an seine Nächstenliebe gemahnen ließ. (Dabei fällt gar nicht weiter auf, dass dessen Schlüsselsatz "Ein toter Schuldner nützt den Gläubigern nichts mehr" letztlich belegt, dass Herrhausen aus durchaus rational-ökonomischem Kalkül im Sinne seines Konzerns handeln wollte.) Ausgerechnet ein Pfarrer darf diese Geschichte erzählen, und die Witwe schildert anschließend, wie alleine sich Herrhausen mit seiner großen Vision gefühlt habe.
So lösen sich die vorher so klaren politischen Unterschiede in einem Punkt auf, haben die beiden Antagonisten Grams und Herrhausen am Ende wenigstens eines gemeinsam. Etwas das ach so viele Männer eint: Sie waren, auf verschiedenen Seiten, einsame Streiter - lonesome cowboys... (In einem Essay wurde Herrhausen übrigens 1997 schon einmal mit dem Chefterroristen der ersten Generation, Andreas Baader, unter einem gemeinsamen Titel zusammengefasst: "Deutsche Dandys" von Karin Wieland, im Kursbuch 127 "Männer".)
Wohlwollend könnten wir dem Film zuschreiben, er verdeutliche, wie Menschen in der Erinnerung durch andere retrospektiv zurechtgebastelt werden. Aber tut er das denn wirklich - oder erliegt er nicht selbst dem Reiz dieser Erzählung bzw. strickt daran mit? Im Interesse einer konsumierbaren und sicherlich sendefähigen Fiktion, im Interesse einer filmeigenen "inneren Sicherheit"?
DIE INNERE SICHERHEIT wie BLACK BOX BRD blicken zurück auf die "dritte Generation". Sie tun dies mit unterschiedlichen Ansätzen, aber beide über die klare Fokussierung einzelner Personen. Ersterer zeigt seine Figuren tendenziell eher als Getriebene, letzterer ein Stück weit sogar als "Gestalter" der Geschichte. Die meisten Rezensionen zu BLACK BOX BRD lobten, dass in dieser Art von Geschichtsschreibung endlich die "Menschen hinter abstrakten Systemen" sichtbar gemacht würden. Diese Feststellung verkommt zur Plattitüde, alldieweil Filme das ohnehin meistens tun.
Auf der Strecke bleibt dabei, dass das Problem immer schon eher auf der anderen Seite lag: die Bereitschaft, über persönliche Schicksale hinaus übergreifende Bedingungen und Entwicklungen zu sehen, durch die das Handeln des Einzelnen nach wie vor strukturiert ist. (Das soll nicht die RAF-Parole vom "Schweinesystem" wiederaufwärmen - gibt es doch inzwischen differenzierte Vorstellungen von der Balance zwischen Subjekt und Macht.) Das andere Problem ist jedoch die Schwierigkeit, sie dann auch zu thematisieren. Wie sind abstrakte strukturelle Verhältnisse überhaupt adäquat filmisch sichtbar zu machen? Wie können Filme sich den bis heute nachwirkenden Folgen der RAF nähern, und zwar über den nachvollziehbaren Schmerz individueller Hinterbliebener hinaus - den Folgen auf der Makro-Ebene? Würden wir diese Leistung gegenüber der Wirklichkeit nicht tendenziell eher von Dokumentarfilmen erwarten?
BLACK BOX BRD jedenfalls offeriert eine an der Oberfläche schnell einsichtige, stimmige und (scheinbar) politische Erzählung, die die dahinterliegenden, angeblich so undurchschaubaren Vorgänge aber lieber im Dunkeln belässt - ein zeitgemäßes Verständnis von "Vergangenheitsbewältigung". Es bleibt die Frage, ob demgegenüber Die innere Sicherheit, also eine völlig fiktionale und (scheinbar) unpolitische Erzählung, nicht die produktivere Black Box ist, welche letztlich mehr auf "Wirklichkeit" verweist. Wenn gleich an der Oberfläche die Unstimmigkeiten und Leerstellen liegen, wird man immerhin veranlasst, diese Black Box selbst zu befüllen.
Aber das letztlich ist nun doch weniger eine Frage von Spiel- oder Dokumentarfilm – sondern die einer davon unabhängigen, offenen Erzählweise, welche das Potenzial schafft über den Film selbst hinaus zu denken. Und hierin liegt vielleicht die Chance, über die Darstellung einzelner Personen doch auch Strukturen erkennen zu lassen.