Vier Jahrzehnte nach seinem Erscheinen scheint sich James Bennings 11 X 14 (USA 1977), der seit vergangenem Jahr in einer restaurierten Fassung vorliegt, noch immer allen Ordnungen zu widersetzen. Weder ein Erzähl- noch ein Experimentalfilm, kein rein strukturell-mathematischer und auch kein rein motivisch-registrierender Film, lässt er in Zwischenräumen Deutungsangebote entstehen, nur um im nächsten Augenblick durch Bewegungen, Schnitte, kleine Gesten jede Fixierung wieder zu lösen. Die bewegliche Ambivalenz am Grunde des Films eröffnet Freiräume für interpretative Aktivitäten der Zuschauer*innen – gleichzeitig aber sind diese durch die Strenge der Kompositionen und ihre Anordnung in der Montage genau begrenzt und umschrieben.
Wie sehen diese Öffnungen aus, die dazu einladen, in der bloßen Dauer statischer Einstellungen oder in semantisch-motivischen Überladungen eigenen Gedanken nachzuhängen? Oder anders gefragt: Wenn 11 X 14 auch ein theoretischer Film ist – welche Gedanken sind es, die er sich macht, und welche Bilder entstehen aus diesen Gedanken? 11 X 14 entwirft, so die Überlegung dieses Textes, ein exaktes raum-zeitliches Gefüge: Indem der Film jedes Entkommen aus dem Bild in der Tiefe des Bildes selbst münden lässt, entsteht nicht nur ein rekursives Bewegungsprinzip, sondern auch eine eindrücklich realistische Vorstellung des Lebens im US-amerikanischen Midwest selbst.
Zunächst lässt der Film sich als Teil einer „Iconography of the Midwest“ (Pichler 2007: 21-38) fassen, die Bennings Schaffen durchzieht. 11 X 14 entsteht nach seinem Film 8½ X 11(USA 1974), aus dem er 11 Einstellungen übernimmt, und zeigt in insgesamt 65 Einstellungen meist statische Totalen. Die Motive jener Ikonographie des Midwest werden in häufig symmetrisch organisierten und von einem Spiel aus flächiger Komposition und geschichteten Tiefenebenen geprägten Einstellungen gezeichnet. Ihren Fundus bilden Verkehrsmittel, Farmen, weite Horizonte, strahlend blaue Himmel, leuchtend wogende Wiesen, grelle Werbeflächen vergessener Produkte, Industrie und ihre Brachen, Baustellen, Straßenkreuzungen und Straßenkreuzer sowie die Verschiebungen zwischen menschlicher Nähe und Distanz in der Weite des Heartlands.
Es ist eine Sammlung ureigener Motive des American Dream, von der Urbarmachung des Landes über den Aufstieg durch harte und ehrliche Arbeit hin zum Freiheitsversprechen von Konsumgütern und Statussymbolen – nicht zuletzt: des Autos –, mit denen sich die Welt erschließen und aneignen lässt. Die Keime möglicher Erzählungen und Beziehungen zwischen diesen Motiven entfalten sich oft nur innerhalb weniger Einstellungen. Ihr Wiederauftauchen in späteren Bildern ist von jener Offenheit geprägt, die es den Zuschauer*innen überlässt, Handlungen zu konstruieren. So wäre es etwa möglich, in der ersten Einstellung des Films eine Abschiedssequenz zu sehen, die zwei parallele Wege spaltet. Auf der einen Seite: eine junge Frau in einem roten Oberteil, die sich auf einen Roadtrip begibt, Menschen trifft, mit einer anderen Frau schläft und schließlich nach einer Prügelei vor einem Pub in der Tiefe des Bildes verschwindet. Auf der anderen Seite: ein Herr mittlerer Jahre in einem beigen Hemd, der nach dieser Abschiedssequenz einen Zug nimmt, bei seiner Familie am Küchentisch zu sehen ist, eine Zigarette neben einem Bild von Lenin raucht, schließlich golfen geht und vom weitläufigen Grün des Golfplatzes verschluckt wird.1
Doch es sind nie exakt dieselben Figuren, die in den Bildern zu sehen sind – ihr Aussehen ändert sich, selbst ihr Geschlecht und ihre Hautfarbe scheinen nicht fixiert. Es bleiben Entwürfe von Figuren, die in den Bildern nicht zu abgeschlossenen Identitäten gefügt werden. Der Mann im Zug etwa ist deutlich jünger und Afroamerikaner, während die Frau auf dem Roadtrip zumindest längere Haare zu haben scheint als die Frau der Abschiedssequenz, und sich möglicherweise beide in der Bett-Szene begegnen. Ist der ältere Herr der Vater der Frau im roten Oberteil? Ihr Liebhaber, Bruder? Ist sie die Freundin der Menschen, mit denen sie reist, ihre Geisel, ihre Liebhaberin, eine Fremde? Keine dieser Varianten ist wahrscheinlicher als alle anderen und sie allesamt, selbst Geschlecht und Sexualität der Figuren, sind immer schon konstruierte Zuschreibungen, die in den Bildern selbst nicht begründet liegen. Sicherlich ist 11 X 14 damit auch als queerer Film lesbar – doch selbst das wäre eine Zuschreibung, die sich von dem entfernt, was der Film in seinen Bildern zunächst erzeugt.
Unterhalb dieser Ikonographie und dieser Erzählkeime verlaufen Kreuzungen und Verschiebungen, verläuft ein Auftauchen und Verschwinden, Verweisen, Andeuten, Zitieren. Es sind Aktivitäten, die der Film in seiner Montage und in seinen Kompositionen selbst durchführt. Wie Volker Pantenburg für das Verhältnis von Bild und Ton beschreibt:
This ambivalence between closure and openness is characteristic of Benning’s films to this day, in regard to the strictly (one might say painterly) framed image and the acoustic off screen space which ignores the frame and constructs a space that flows beside and behind the image of the film. (Pantenburg 2007: 185)
Diese Ambivalenz besteht nicht nur zwischen den Bildern und dem von ihnen oft deutlich gelösten Ton, dem beinahe unablässigen Rauschen, das zugleich ein Verkehrsrauschen von Autos und Zügen, wie auch ein Naturrauschen von Wind und Insekten zu sein scheint. Die Konfrontation von Offenheit und Geschlossenheit findet sich auch in jenen filmischen Bewegungen der Kombination selbst: 11 X 14 listet nicht einfach archivarisch die motivischen Ikonen des Midwest und bildet aus seinen minimalen Erzählkeimen konventionelle Handlungen – der Film fügt seine Motive in einen konkreten zeitlichen Ablauf, gibt ihnen zuallererst als Bilder eine audiovisuelle Gestalt. Die ikonischen Qualitäten und Erzählkeime haben darin höchstens vordergründig eine unmittelbare Bedeutung. Die Werbung für Reisen nach Puerto Rico, die Highway-Tankstelle, der Faustkampf vor dem Pub – so sehr vermeintlich immer schon zu wissen ist, was diese Motive ausdrücken, so entfaltet der Film darunter eine eigene Bewegung, eine eigene Beweglichkeit – oder: ein eigenes Denken, ein Nachdenken über seine Motive und die Konstruktionsweisen ihrer Bedeutung.
Das Bewegungsprinzip, das diesem Nachdenken zugrunde liegt, lässt sich an einer Sequenz beschreiben, die etwa am Ende des ersten Drittels im Film steht. Sie zeigt die Totale einer Küchenszene und besteht aus einer statischen Einstellung von 3 Minuten und 24 Sekunden. Begleitet vom gleichmäßigen, immer wieder kurz unterbrochenen Plätschern des Spülwassers zeigt sie eine symmetrische Anordnung: in der Mitte, von einem dunklen Türrahmen eingefasst, weist ein Flur in die Tiefe des Bildes; in der rechten Bildhälfte ist zunächst ein Herr mittleren Alters in einem grauen Hemd am Küchentisch vor einer braunen, geschlossenen Tür zu sehen; in der linken Bildhälfte steht für den größten Teil der Sequenz eine Frau in einem dunkelblauen Oberteil mit gleichfarbigem Rock am Spülbecken und spült. In der Spüle türmt sich ungewaschenes Geschirr, im Flur brennt eine kleine Lampe an der Wand, auf dem Boden, am unteren Bildrand, sind gemusterte braune Fliesen sichtbar. Das Bild ist eher dunkel – sowohl im Vordergrund, links von der dunklen Kleidung der Frau dominiert, wie auch im Hintergrund des nur schwach beleuchteten Flurs. Dabei ist eine Tiefenwirkung in dieser Einstellung, wie in fast allen Bildern des Films, kaum auszumachen – zwar wird der Flur in der Bildmitte betont, gleichzeitig wirkt aber die Schärfentiefe jedem Eindruck von räumlicher Ausdehnung in die Tiefe entgegen. Eher handelt es sich um gestaffelte Flächen, deren Distanz zueinander schwer abzuschätzen ist.
Der Verlauf der Sequenzeinstellung wird durch eine Reihe von Auf- und Abgängen segmentiert: Im ersten Abschnitt spült die Frau an der Spüle einige Teller ab und stellt sie vorne links in das Off der Spülfläche, während der Herr am Küchentisch sitzt, raucht und aus einem Glas trinkt, dessen Inhalt im rechten seitlichen Off nicht zu sehen ist. Der zweite Abschnitt, die zweite Anordnung der Sequenz, zeigt lediglich die spülende Frau, bevor von rechts der Herr zurück an seinen Platz kommt. Zu beobachten ist, dass er sich dabei rückwärts auf seinen Platz dreht und umgekehrt jene Bewegung vollzieht, mit der er den Bildraum zuvor verlassen hatte. Der dritte Abschnitt kehrt zurück zur Ausgangsanordnung: Der Herr sitzt am Tisch, öffnet im Off rechts ein Behältnis, das nicht zu sehen ist, und gießt daraus in sein Glas. Unterbrochen wird dieser Abschnitt vom Auftritt eines nackten, jüngeren Mannes, der in einem kurzen Moment von rechts nach links das hintere Ende des Flurs bildmittig kreuzt und im Folgenden an die weiße Rückwand einen sich abtrocknenden und im Anschluss sich anziehenden Schatten wirft. Diese vierte Anordnung – die Frau geht dazu über, Besteck und Tassen zu spülen, füllt gelegentlich grünes Spülmittel nach; der junge Mann zieht sich an; der Herr am Tisch raucht und trinkt sein Bier – endet damit, dass letzterer aufsteht, die Frau an der Spüle kurz anschaut und die Küche links durch eine teilweise verdeckte Tür verlässt, hinter der nur der Schatten eines nicht erleuchteten Raumes zu sehen ist. Der darauffolgende fünfte Abschnitt – die Frau spült, der junge Mann zieht sich weiter an – dauert eine Weile, bevor unvermittelt der ältere Herr aus eben jener Tür am Ende des Flurs in der Bildmitte wieder auftritt, durch die zuvor der jüngere Mann das Bild gekreuzt hatte. Der Herr lehnt sich links an die Wand hinter der Spüle, von der Frau teilweise verdeckt, und unterhält sich mit ihr. Der Dialog der beiden ist auf der Tonspur nur undeutlich zu hören. Kurz darauf löst sich diese sechste Anordnung, der Herr durchquert die Küche und verlässt sie hinter dem Küchentisch in das rechte Off. Die Frau spült in diesem siebten Abschnitt einen Augenblick weiter, die Anordnung gleicht derjenigen aus dem fünften Abschnitt, nur sie und der Schatten des jungen Mannes sind zu sehen. Anschließend stellt sie das Wasser ab, trocknet kurz ihre Hände und verlässt das Bild durch die linke Tür. Unmittelbar darauf kreuzt auch der nun angezogene jüngere Mann erneut den Flur hinten, dieses Mal von links nach rechts, und es bleibt die leere Küche zurück. Der achte und letzte Abschnitt, in dem noch ein paar Tropfen aus dem Wasserhahn zu hören sind, bleibt kurz stehen, bevor schließlich die Sequenz mit jenem Schwarzbild endet, das zwischen nahezu alle Einstellungen des Films gesetzt ist.
Auch wenn es sich motivisch nicht um eine der großen Landschaftsaufnahmen des Films handelt, nicht um eine seiner beeindruckenden Verkehrs- oder Werbekompositionen, sondern um eine Ansicht eigenartig konservativer Häuslichkeit, so wird doch besonders verdichtet jenes Bewegungsprinzip sichtbar, das die Anordnungen des gesamten Films durchläuft. Dies lässt sich in der Sequenz anhand zweier zentraler Beobachtungen fassen: Zunächst ist es eine Indifferenz des zeitlichen Verlaufs gegenüber den zahlreichen Auf- und Abgängen, die weder den Start- noch Endpunkt der Sequenz ausmachen: Die Einstellung läuft, während bereits zwei Figuren anwesend sind, und sie endet, nachdem längst niemand mehr zu sehen ist. Diese Form langer Einstellungen, deren Dauer nicht von den Figuren abhängt, durchzieht den Film. Die Sequenzen laufen noch einen Moment länger, es offenbart sich noch eine Drehung, eine Ansicht mehr als anzunehmen wäre: Ein Mann vor einer Tankstelle, der aus dem Haus kommt, sein Gepäck absetzt, kurz daneben sitzen bleibt – Autos kreuzen das Bild – dann noch einmal in das Haus geht, wieder herauskommt, schließlich das Bild verlässt. Und doch endet die Sequenz erst einige Augenblicke danach. Oder in einem der schönsten Bilder des Films: Eine Werbetafel für Flugreisen nach Puerto Rico, die motivisch für sich zu stehen scheint. Doch dahinter kreuzt zuerst ein Zug das Bild, kurz danach im Vordergrund diagonal ein Bus, beide in der grünen Farbe, die auch zahlreiche andere Züge und Fahrzeuge im Film aufweisen, bevor wieder die Tafel zu sehen ist und die Einstellung endet.
Dies lässt sich in einer zweiten Beobachtung der Sequenz zuspitzen: Die Bewegungen der Figuren und Objekte finden gänzlich innerhalb der Bilder statt. So etwa der irritierende Auftritt des Herrn, der die Küche links verlässt und rechts aus der Tiefe wieder erscheint; ähnlich die eigenartige Tatsache, dass der Berg des dreckigen Geschirrs nicht kleiner wird und dominant vorne links im Bild sichtbar bleibt – das Spülen wie auch das dreckige Geschirr bleiben gänzlich innerhalb des Bildes. Ebenso in einer seitlichen Kamerafahrt entlang identischer Vorgärten: ein junger Mann, der links aus dem Bild geht, dann eine Frau, die von links in das Bild hineinläuft, als würde sie vor jemandem fliehen, bevor sie es rechts wieder verlässt und kurz darauf beide, in ein Gespräch vertieft, von rechts wieder in das Bild kommen. Der Raum, der von diesen Bewegungen erzeugt wird, ist nicht der weite Raum unendlicher Möglichkeiten, der sich assoziativ bei den großen Versprechen der Werbeschilder, bei den elegant gespannten Horizonten, oder bei den zahlreichen Verkehrsmitteln im Film einstellen mag. Es ist ein Raum, den James Benning selbst treffend als „spherical space“ (Lehmann/Hank 2017: o.S.) bezeichnet. An der Innenseite einer Kugel-Oberfläche bewegen sich die Figuren, die Züge, Autos und Flugzeuge rasant fort – und kehren doch immer, mit einer gewissen Zwangsläufigkeit, in das Bild zurück, als wäre die Kamera der panoptische Mittelpunkt eben jener Kugel. Auch die filmischen Bewegungen selbst sind davon betroffen: das Wiederaufsuchen von Motiven, etwa die immer anderen Ansichten derselben Tankstelle, die Wiederholung von Bob Dylans siebeneinhalb-minütigem Song Black Diamond Bay (1976), oder das erwähnte Spiel verschiedener Entwürfe derselben Figuren: Frau in Rot, Herr in Beige-grau, Gruppe junger Menschen – als wären all ihre Variationen nur Ansichten eines anderen Stücks der Oberfläche, alle gleichermaßen vom Inneren der Kugel sichtbar, Teile eines Kontinuums, und doch mit jedem Blick verschoben, ohne gänzlich unterscheidbar zu sein.
Wenn es nun um die filmischen Bewegungen geht, reicht es nicht aus, von einem kugelförmigen Raum zu sprechen, es ergibt sich auch die Frage, was dieser bezogen auf die Zeitlichkeit des Films offenbart. Zeit als Kugel denken zu können, erscheint dann als eine der herausragenden Möglichkeiten des Kinos: es ist die kinematographische Fähigkeit, die lineare Zeit des Films mit ihrem Verlauf in kreisenden Bahnen in Einklang zu bringen. Als bewegte der Film selbst sich entlang der Innenseite einer Kugel, linear und geradeaus, zugleich jedoch gekrümmt. Er kehrt immer wieder zu Orten zurück, sieht sie mit anderen Blicken, trifft Figuren erneut und dabei anders. Die zeitliche Kugelform erlaubt es, dass der Film in derselben Bewegung nicht allein Orte, sondern auch Momente entdeckt, die nicht einfach auf einer fortschreitenden Zeitachse verortet sind, sondern entlang der Kugelinnenseite gleichermaßen erreichbar, ob vergangen oder gegenwärtig. Die Bewegungen des Films und seiner Figuren – das Kombinieren, Wiederauftauchen, Verweisen – führen immer wieder zu ihrem zeitlichen wie räumlichen Ursprung zurück, während sie selbst sich verändert haben, sich verdoppeln und vervielfachen. So wird die Begegnung der beiden identischen und doch verschiedenen Frauen in der Bettszene möglich; auch die Irritation der konservativen Ansicht einer spülenden Hausfrau erklärt sich, wenn diese ebenso die Vervielfältigung jener Frau ist, die sich zu Bob Dylan mit ihrer Geliebten räkelt. Die spezifische raum-zeitliche Verschränkung, die 11 X 14 entwirft, ließe sich als Form bewegter Statik bezeichnen, oder als geschäftige Ruhe. Jedes Entkommen aus dem Bild, jede Fluchtbewegung mit dem Auto den Highway entlang, zu einem Motel, einem Pub, hinaus in die Welt, mündet: in der Tiefe des Bildes selbst, von der die junge Frau mit dem roten Oberteil schließlich verschluckt wird und in dessen Grün der Herr im Jogginganzug auf dem Golfplatz am Ende eintaucht.
Das Bild, das 11 X 14 vom US-amerikanischen Midwest erzeugt, entsteht aus dieser raum-zeitlichen Bewegung. Handelt es sich bei dem Film auch um einen Beitrag jener Ikonographie, die Bennings Filme insgesamt herstellen, so prägt 11 X 14 vor dieser Rahmung eine nur ihm eigene Vorstellung des Midwest. Dabei zeigt sich, dass der Film neben der filmtheoretischen und ästhetischen Idee einer kugelförmigen Raumzeit auch eine sehr eindrückliche Vorstellung des Lebens in jenen US-Bundesstaaten entwirft, die in der jüngsten Vergangenheit Gegenstand politischer Diskussionen darum wurde, ob nicht in ihrer ländlichen Rückständigkeit und dem politischen Desinteresse daran eine Erklärung der unerklärlichen US-Präsidentschaftswahl 2016 zu suchen sein könnte. Wie Barbara Pichler festhält, wurde Bennings Werk lange
[…] primarily considered from an aesthetic point of view. The formal stringency of the work, as well as its experimentally narrative and sometimes surreal moments additionally indicate why it wasn’t widely discussed in terms of its realism. (Pichler 2007: 34)
11 X 14 ist daher auch als Film zu verstehen, der eine kinematographische Sekundärwelt des Midwest erzeugt. Ihr Bilderfundus speist sich aus dem amerikanischen Freiheitsversprechen und ihre Bewegungen offenbaren eine realistische Ästhetik, die jenes Versprechen betrifft: der Traum des perfekten Kapitalismus, der mit Bahnstrecken und Schnellstraßen jeden Landstrich durchzieht und den Menschen Wohlstand und die Möglichkeiten persönlicher Entfaltung bringt, wird hier als Traum vorgestellt, dessen Flächen – seien es Projektionsflächen, Werbeflächen, Leerflächen – nur innerhalb der eigenen Kugel zu finden sind. Die Freiheitsbewegung, der Aus- und Aufbruch des individuellen Menschen, wird von 11 X 14 als Bewegung gezeichnet, die nur zu sich selbst, oder den Bildern ihrer Imaginationswelt zurückkehren kann. Es löst sich die Illusion, das kapitalistische Individuum wäre mehr als eine von vielen ähnlichen Facetten ein- und desselben Bildes. Es mag sich verändert, gearbeitet und Statussymbole erlangt haben – innerhalb der Kugel kann es allenfalls seine eigenen Doppelgänger treffen. Der Film bringt einen Eindruck des Midwest hervor, der sich nur kinematographisch als raum-zeitliche Kugel denken lässt, an deren Innenseite der American Dream unendlich Bahnen läuft, ohne je an- oder voranzukommen. Darin liegt jener weitsichtige Realismus von 11 X 14, der vielen jüngeren Auseinandersetzungen mit dieser Region ein differenziertes, geradezu einfühlsames und humorvolles Bild entgegenzusetzen hätte, das sich nicht mit dem Abschreiben ganzer Bundestaaten als von vergessenem White Trash bevölkert zufriedengibt. James Benning über A TO B (USA 1976), einen anderen seiner Midwest-Filme: „America the beautiful is part of the politics of all my films, I guess.“ (Pichler 2007: 38)
Lehmann, Peter/Hank, Stephen (2017) 11 x 14: An Interview with James Benning (April 1977), in: Österreichisches Filmmuseum/Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. (Hg.) Begleitheft zur DVD James Benning. 11 x 14. One Way Boogie Woogie/27 Years Later, Wien/Berlin: edition filmmuseum 2017, o.S.
Pantenburg, Volker (2007) Encyclopedia Americana. James Benning: Times, Places, Perceptions, in: Pichler, Barbara/Slanar, Claudia (Hg.) James Benning, Wien: Synema 2007, S. 181-192.
Pichler, Barbara (2007) An Iconography of the Midwest. 8½ x 11 (1974) to Grand Opera (1979), in: Pichler, Barbara/Slanar, Claudia (Hg.) James Benning, Wien: Synema 2007, S. 21-38.