Review zum Sammelband Lenssen, Claudia/Schoeller-Bouju, Bettina (2014) (Hg.) Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen. Marburg: Schüren.
Geniekult und Unsichtbarkeit – das scheinen die beiden Extrempole der männlichen und weiblichen Filmarbeit zu sein, die sich leider auch nach über einem Jahrhundert mit dem Medium Film diskutieren und finden lassen. Das Beispiel des Kultes um die männlichen Teile des Neuen Deutschen Films und ihrer eher unbeachteten Kolleginnen sprechen die beiden Herausgeberinnen, Claudia Lenssen und Bettina Schoeller-Bouju, gleich im Vorwort an. In einer losen Textsammlung zeigt der äußerst dicke Band „Erfahrungsberichte, Statements, Reflexionen und Essays“ (Lenssen/Schoeller-Bouju 2014: 11) von mit Film arbeitenden Frauen, wobei nicht nur die Regie befragt wird, sondern auch die Kritik, das Schauspiel, die Dramaturgie, die Professorin, die Redakteurin, Verleiherin, Cutterin, etc. – um nur einige zu nennen.
„Ich fand wichtig, dass es immer kreative Regisseurinnen gegeben hat, die à la longue aber von der männlich dominierten Filmindustrie ‚vergessen‘ wurden“ (ebd.: 25) – so Mitgründerin der Freunde der Kinemathek e.V., des kommunalen Arsenal-Kinos Berlin und der Berlinale-Sektion des Internationalen Forums des Jungen Films Erika Gregor gleich zu Beginn des Bandes. Über die Berufung und Leidenschaft zur Arbeit mit Film, über die Probleme der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, über Karriere, Geld und Kampf um Projekte sprechen in Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen über 80 Interviewpartnerinnen aus der derzeit mehr denn je in der Kritik stehenden Filmbranche. Den berühmten Buchtitel von François Truffaut Mister Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? aus dem Jahr 1966 aufnehmend, beweisen die Herausgeberinnen doppelt Humor. Es wäre schön gewesen, hätte Truffaut exakt folgende Frage anschließen können: „Mister Hitchcock, wie war es am Set mit ihrer neugeborenen Tochter? Wie haben Sie das hingekriegt?“ Denn Hitchcocks Tochter kam im Juli 1928 zur Welt. Im gleichen Jahr drehte er zwei Filme, in den darauffolgenden ebenfalls. Eine Produktionsunterbrechung ist nicht zu beobachten. Lustigerweise sagt Hitchcock über CHAMPAGNE (UK 1928), der einen Monat nach der Geburt seiner Tochter uraufgeführt wurde: „Das ist wahrscheinlich der absolute Tiefpunkt meiner Karriere.“ Kind und Karriereknick – vielleicht war also auch Mister Hitchcock betroffen. Doch solche Fragen wurden Hitchcock nicht gestellt.
Was den Band besonders spannend macht: Abgedeckt werden circa 50 Jahre und fast drei Generationen von Frauen in der, meist deutschen, Filmbranche – alle haben ihre Geschichte und ihren Blick auf die, sie persönlich mal mehr und mal weniger, betreffende Frauenfrage im Film: Wie sehr ist man Einzelkämpferin (Helke Sander), Teamplayer (Angela Haardt), ‚schlechte‘ Mutter (Heike Hurst), wird das Verhalten als female misbehaviour ausgelegt (Monika Treut) oder ist die Frau gar ganz selbstvergessen im Frausein (Sonja Heiss)?
Zu beobachten ist in den Interviews, dass es in der jüngeren Generation eigentlich immer noch die gleichen Vereinbarkeitsprobleme zwischen Kind und Beruf gibt, sie aber vielleicht etwas selbstverständlicher angegangen werden. Dennoch sind alle – ob in den 1960er Jahren oder heute – abhängig von einem funktionierenden Netzwerk aus Kindertagesstätten, Babysittern, verständnisvollen Partnern, Freunden und Großeltern. Was sich scheinbar nur geändert hat: Es gibt mittlerweile Ganztagesbetreuungsangebote für Kinder.
Vor diesem Hintergrund scheint es nahezu abwegig lesen zu müssen, dass die jüngere Generation der Mitte Dreißig bis Anfang Vierzigjährigen sich oftmals am wenigsten mit einem Feminismus anfreunden kann oder konnte. Dieser Umstand ändert sich spätestens, sobald sie Mutter geworden sind. Der ehrliche Text von Maren Ade bringt dies wunderbar auf den Punkt: „Feministin sein war uncool“ (Lenssen/Schoeller-Bouju 2014: 423). Ade fragt sich auch, wie man mit Autorität als Regisseurin arbeiten soll, wenn man eigentlich so seine Probleme mit der ‚Ansagementalität‘ hat. All die Macherinnen des Bandes haben dafür tatsächlich ihre eigenen, eher unüblichen Wege gefunden, das ist unter anderem das Schönste, was man in diesem Buch sehen kann. Es galt und gilt noch immer: gegen Klischees arbeiten, gegen Grenzen und enge Vorstellungen und auch gegen männliche Dominanz sowie Dominanzerwartungen.
Dass diese ‚Arbeit‘ im Umkehrschluss eben nicht gleich eine weibliche Dominanz braucht, ist wunderbar zu sehen. Auch die Arbeit mit Baby am Set gibt es, und sie kann funktionieren, natürlich mit besonderem organisatorischen Aufwand. Und so führt der Band auch vor Augen, was Kino ohne all seine Macherinnen und Organisatorinnen im Vorder- und Hintergrund wäre. Kein Regisseur ohne Script Girl oder „kleine Kleberin“ (ebd.: 55) hätte vermutlich in Hollywood oder Deutschland jemals einen Film zu Ende gebracht, und heute freuen wir uns über Namen von weltweit bekannten Regisseurinnen wie Maren Ade, Andrea Arnold, Kathryn Bigelow, Jane Campion, Julie Delpy, Claire Denis, Germaine Dulac Valeska Grisebach, Kelly Reichardt, Agnès Varda, und viele andere mehr.
Dennoch, die Frauenquote wird auch im Film in den letzten Jahren verstärkt gefordert, da immer noch die wenigsten Filmhochschulabgängerinnen in ihrem gelernten Beruf landen, und Festivals wie das in Cannes manche Jahre gar keine Filme von Regisseurinnen in ihrem Programm hatten. Daraus ergibt sich, dass Pro Quote Regie, www.frauenmachenfilme.de, Blickpilotinnen und andere Initiativen nach wie vor gebraucht werden. Auch wenn 2016 mittlerweile als das Jahr der Frauen im Kinofilm gehandelt wird (es wurden im deutschsprachigen Kino aber auch international auffällig mehr eigenwillige Filme von Frauen veröffentlicht, jüngere und ältere Generationen waren im Kino vertreten, u.a. Ulrike Ottinger und Elfi Mikesch) – nicht zuletzt eben auch dank Maren Ade als Vertreterin der jüngeren Generation. Sie hatte mit TONI ERDMANN (D 2016) einen internationalen Coup gelandet und sorgte von Cannes bis zu den Oscars für Aufmerksamkeit, gewann gar als erste Frau überhaupt den europäischen Filmpreis – bitter genug in der 29-jährigen Geschichte des Preises. Sie fragte immer wieder danach, wo denn die anderen Filmemacherinnen im Raum seien und thematisierte den Mangel an „machenden“ Frauen in der Branche explizit.
Es stellt sich also immer wieder die Frage, wie es sein kann, dass mehr als 40 Prozent weibliche Studierende an den deutschen Filmhochschulen zu finden sind, danach aber der Aufbau einer kontinuierlichen Karriere im Film nahezu unmöglich erscheint. Tatsächlich scheint sich in den letzten Jahren etwas in Bewegung gesetzt zu haben. Pro Quote Regie nennt sich jetzt Pro Quote Film und spricht davon, dass sich mit der Initiative auch allmählich die Aufmerksamkeit verlagert und die Neugierde für Frauenfilme zunimmt (Lenssen 2016). Oder, wie Doris Dörrie in der FAZ schrieb:
Der Regisseur als Epigone Caligulas ist leider immer noch kein Auslaufmodell. Und nein, Frauen sind nicht die besseren Menschen. Es gibt Regisseurinnen, die richtig ekelhaft sind, und reizende Regisseure, die alles andere sind als Tyrannen. Aber es gibt bewiesenermaßen weniger Machtmissbrauch, wenn die Jobs in allen Positionen gleichberechtigt verteilt sind. (Dörrie 2018)
Und wenn dann die Filmhochschule immer noch manchmal lehrt – wie bei Dörrie in den Siebzigern, dass Film Rock ’n’ Roll und Krieg (so mitten im ängstlichen Geniedespotismus) ist und sein muss, dann können alle visionären Frauen eigentlich nur müde lächeln und sich um ihr nächstes Projekt kümmern. Sonja Heiss, eine Kollegin von Maren Ade bei Komplizen Film und alleinerziehend mit Kind, sagt gegen Ende des Bandes zumindest das, was man hören möchte: „Ich für meinen Teil mache einfach weiter“ (Lenssen/Schoeller-Bouju 2014: 445). Umso besser. Heide Schlüpmann erinnert da passenderweise daran, dass „strategische Netzwerke quasi naturwüchsig“ (ebd.: 163) immer eher in der Männerwelt zu finden waren und nach wie vor sind, sodass spätestens in den Sechzigern das Bewusstsein darüber erst einige Frauen mobilisierte sich um die eigenen Netzwerke zu kümmern. Interessant dabei auch, wie anti-institutionell sich Schlüpmanns Kinophilosophie sieht: „Filmwissenschaft in diesem Sinn zu betreiben, stellte eine Wiederaneignung meiner Auseinandersetzung mit Philosophie dar, mit dem, was am Widerstand der patriarchalen und männerbündischen Institution ein für alle Mal zerbrochen war.“ Aysun Bademsoy spricht ebenfalls über diese gängigen Strukturen und über das Glück, das sie hatte, immer gute Mitarbeiterinnen zu finden. Den männlichen Teammitgliedern müsse sie ständig erklären, weshalb sie tue was sie tue, was nach vielen Jahren Berufserfahrung äußerst müßig sei. Das Amt, die Arbeit, die Professur oder die Regiearbeit, als Aufbegehren, das sehen die meisten der hier Versammelten so – ob im Privaten oder im Öffentlichen, meist eben einfach immer in beidem.
Dieser Text ist die aktualisierte und überarbeitete Fassung einer Rezension, die erstmals unter dem Titel: Kaiser, Tina (2016) Claudia Lenssen, Bettina Schoeller-Bouju (Hg.) Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen, in: MEDIENwissenschaft, S. 124–125 erschienen ist. Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift MEDIENwissenschaft.
Dörrie, Doris (2018) Kino muss nicht Krieg sein, in: FAZ, 18.02.2018, siehe https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/gastbeitrag-von-regisseurin-doris-doerrie-ueber-kino-als-krieg-15454503.html (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Lenssen, Claudia/Schoeller-Bouju, Bettina (2014) (Hg.) Wie haben Sie das gemacht? Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen. Marburg: Schüren.
Lenssen, Claudia (2016) RegisseurInnen im deutschen Kino. Das Jahr der Frauen, in: epd Film, 21.09.2016, siehe: https://www.epd-film.de/themen/regisseurinnen-im-deutschen-kino (letzter Zugriff: 01.04.2019).
Truffaut, François (2003) Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München: Heyne.