Zur Politik der Überläuferkomödie
Die Filmgeschichte, so eine Grundthese der New Film History, verläuft weder linear noch in geordneten Bahnen (Elsaesser 1986: 246-251). Sie ist durchzogen von Anachronismen, Brüchen und Differenzen. Manche Filme verschwinden, andere tauchen geisterhaft wieder auf. So auch die Überläuferfilme – deutsche Spielfilme aus den letzten Jahren des Nationalsozialismus, die erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Premiere feierten.1 Wie der militärische Begriff des Überläufers andeutet, wechselten die Produktionen von einem System in das andere. Mehr als die Hälfte der Filme waren Komödien, viele mit Publikumslieblingen wie Johannes Heesters, Heinz Rühmann und Theo Lingen.
In der Überläuferkomödie treffen normative Ausprägungen der NS-Ideologie auf transformative Kräfte. Diese komplexe Kombination aus Kontinuitäten und Brüchen, Reminiszenzen und Differenzen macht die Filme zu einem ebenso vielschichtigen wie auch prekären Forschungsgegenstand. Wenn, wie Karsten Witte konstatiert, „die mühsam aufrechterhaltene Kongruenz von Propaganda-Intention und Kunstmitteln“ (Witte 2004: 162) in den letzten Jahren des Nationalsozialismus zerbrach, dann könnten die Überläuferkomödien sowohl NS-konforme als auch subversive Potenziale enthalten.
Das Video TANZ DER GESPENSTER (D 2022) zeigt am Beispiel ausgewählter Überläuferkomödien, wie vielfältig aber auch versteckt sich Politik und Ästhetik überschneiden können. Die teils jahrelange Produktionszeit und die mitunter erst nach dem Krieg erfolgte Fertigstellung der Filme resultierte in höchst differenten und inhomogenen Konstellationen. Diesen umrisshaft aufscheinenden und wieder verschwindenden Spuren der Überläuferkomödien forscht das Video nach. Die Reihenfolge der Filmbeispiele folgt dabei keiner chronologischen Ordnung, sondern thematischen Schwerpunkten. Zur Orientierung sind den eingeblendeten Filmtiteln die Produktionszeit und das Jahr der Veröffentlichung beigefügt [z.B. (1943-44/46)].
Das Video und das zugrundeliegende Forschungsprojekt zur "Filmkomödie nach dem Dritten Reich" sind auch Gegenstand einer dokART Lecture, die hier abgerufen werden kann.
Elsaesser, Thomas (1986) The New Film History, in: Sight and Sound 55.4, S. 246-251.
Kannapin, Detlef (2005) Dialektik der Bilder. Der Nationalsozialismus im deutschen Film. Ein Ost-West-Vergleich. Berlin: Dietz.
Theuerkauf, Holger (1998) Goebbels Filmerbe. Das Geschäft mit unveröffentlichten Ufa-Filmen. Berlin: Ullstein.
Witte, Karsten (1995) Lachende Erben, toller Tag. Filmkomödie im Dritten Reich. Berlin: Vorwerk 8.
Witte, Karsten (2004) Film im Nationalsozialismus. Blendung und Überblendung, in: Jacobsen, Wolfgang et. al. (Hg.) Geschichte des Deutschen Films. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler (2. Aufl.), S. 117–166.