BLACKHAT als Kampf um die digitale Domäne
Fast genau 15 Jahre nachdem David Fincher seinen FIGHT CLUB als Reise durch die Mikrostrukturen des menschlichen Gehirns beginnen ließ, ist der US-Spielfilm nun in gleicher Weise im digitalen Denkzentrum angekommen. Gleich zu Beginn taucht Michael Manns Thriller BLACKHAT in die kleinsten, bisher eben nicht darstellbaren Einheiten des Computers ab. Wenn die Kamera über – natürlich von ebensolchen Maschinen animierte – Platinen schwebt und dann selbst diese noch weiter penetriert, ist das nicht nur ästhetisch atemberaubend. Dieser Move stellt gleichzeitig eine signifikante intermediale Eroberung dar, in der sich der Kinematograf zumindest einen Teil des digitalen Terrains aneignet.
Ein fehlgeleitetes Genie zur Rettung der Ersten Welt aus dem Gefängnis zu beurlauben, klingt nach einem wenig originellen Plot-Aufhänger. Tatsächlich variiert BLACKHAT eine Handvoll sehr vertrauter Handlungsmuster und erklärt das Setting zur eigentlichen Hauptfigur. Zentral ist allerdings eben nicht das geografische Setting, zumal sich dieses auf zahlreiche, weltweit verstreute Schauplätze erstreckt, sondern – viel abstrakter – das Dispositiv digitaler Kommunikation. Nach der fatalen Manipulation eines chinesischen Atomreaktors soll ein verurteilter Virtualtäter den Polizeien des Ostens und des Westens bei der Ergreifung des informatisch ebenso hochversierten Missetäters helfen. Es geht gewissermaßen um ein postanaloges Plagiat: Ein vom Noch-Häftling einst programmiertes RAT – eine Fernzugriffssoftware; die Nähe zum englischen Wort für „Ratte“ ist durchaus hilfreich – ist zur Sabotage eingesetzt worden.
Ausgerechnet „Thor“ – Chris Hemsworth –, diesen notorischen Fremdling im frühen 21. Jahrhundert der menschlichen Zeitrechnung, als durchtriebensten Hacker der Gegenwart einzuführen, ist eine riskante Besetzungsentscheidung. Tatsächlich ist es über weite Strecken viel eher Tang Wei und Leehom Wang als dessen chinesische Mitstreiter zu verdanken, dass die Charaktere eine gewichtige sekundäre Attraktion von BLACKHAT bilden. Auch Viola Davis in der Rolle der FBI-Aufpasserin des ungewöhnlichen Trios liefert eher als Hemsworth identifikatorische Andockmöglichkeiten. Dennoch ist der Protagonist keineswegs fehlbesetzt, sondern wirkt gerade in seiner lässigen Hemdsärmeligkeit als Vertreter einer eigentlich als Nerds verschrienen Profession seltsam ideal.
Noch effizienter als zuvor setzt Mann seine seit COLLATERAL entwickelte Digitalästhetik ein. Obgleich im Jahr 2014 längst technisch machbar, vermeidet Mann saubere, glatte Bilder. Die Kamera, hier von Stuart Dryburgh verantwortet, ist nicht effekthaschend verwackelt, sondern erreicht ihre Dynamik durch ungewöhnliche Perspektiven, Entfernungen, Unschärfen und absichtlich belassene Nachzieheffekte. Diese Störungen und Schlieren schreiben sich als haptische Spuren in die digitale Filmoberfläche ein. Es sind gleichzeitig ganz bewusste Spuren des Analogen, mit denen Mann die kaum greifbare Welt der Einsen und Nullen fortwährend konfrontiert. Die anfängliche Reise in die Mikrophysis der digitalen Kommunikation bildet den Einstieg in diese performative Übertragungsleistung.
In dieser Dialektik liegt auch die entscheidende inhaltliche Evidenz von BLACKHAT. Deutlicher als zumindest im bisherigen Mainstreamkino betont Mann die gänzlich handfeste Komponente der Cyberkriminalität. Spielerisch entlarvt er dabei das nicht kleinzukriegende Klischee des schier grenzenlosen Fernzugriffs auf elektronische Geräte, für den in aller Regel eben doch die händische Intervention in die Systeme notwendig ist. So leistet Mann eine Neudefinition des Computerthriller-Genres, die beweist, dass sich dessen Vertreter bei Weitem nicht darauf beschränken müssen, vor den Hieroglyphen bläulich leuchtender Monitore sitzende Strubbelköpfe vorzuführen.
Bildschirme sind auch in BLACKHAT omnipräsent. Den längst konventionellen Blick auf diese Oberflächen des Digitalen ergänzt der Film jedoch, indem er sie audiovisuell – und damit ideologisch – durchdringt. Es ist ein bislang fast exklusiver Blick hinter die uns allen bekannten Kulissen der zeitgenössischen Kommunikation, der per Kameraflug in die Dimension unterhalb der Interfaces vorstößt. Natürlich ist dieses Nachempfinden des digitalen Operierens eine Illusion – schon alleine, weil es seinerseits digital generiert wird. Innerhalb der filmischen Erzählung, die schließlich stets auf einer Täuschung beruht, ist diese Grenzüberschreitung dennoch folgenreich.
Der entscheidende dramaturgische Schritt, der den kinematografischen Triumph über das Digitale besiegelt, besteht in einem generischen Turn. Der Cyber- wandelt sich schließlich in einen Rachethriller. Wenngleich vielleicht ideologisch bedauernswert, stoppt die gänzlich analoge Emotion eines simplen Vergeltungsdranges den virtuellen Feldzug: „It's not about zeros or ones“, zischt der moralisch vermeintlich rehabilitierte Hacker dem sinistren Kollegen zu, bevor er dessen irdisches Dasein mit einem Werkzeug beendigt, das den Übergang von Mensch zu Maschine exemplarisch markiert: einem Schraubenzieher.